Am Nachmittag des 28. November
beschloss mein Kaktus Suizid zu begehen. Er warf unvermittelt eine dicke
Gliedmaße ab, die senkrecht auf meine Hand fiel. Dabei spießte
sich ein etwa ein Zentimeter langer Stachel direkt in die Oberkante meines
Daumens, brach ab und blieb unter der Haut in einem Nerv quer stecken.
Hatte ich
bis dato keine Ahnung, was ich an diesem Samstagabend treiben sollte (mit wem
fragte ich mich schon gar nicht mehr), so war das jetzt wenigstens geklärt: Ich
verbrachte drei Stunden in der Notaufnahme eines Provinzspitals. Dort wusste
man nichts mit mir anzufangen und testete erst einmal sämtliche Vitalfunktionen
durch. Als diese Prozedur keine nennenswerten Ergebnisse geliefert hatte, starrte
die gesamte Belegschaft abwechselnd auf meinen Daumen, um zu sehen, dass man
nichts sieht. Aber ich fühlte und das reichte.
„Ja, in der Tat, da ist was drin“,
sagte der junge Assistenzarzt, der an besagter Stelle herumfingerte und eifrig
fürs Aufschneiden plädierte. Das wiederum wurde vom Oberarzt kategorisch
abgelehnt. Gewisse Kakteen hätten eine Kalkstruktur, die sei im Röntgenbild
sichtbar. Mir war schon vorher klar, dass mein Kaktus nicht einer jener verkalkten
war, kurz: man sah natürlich nichts. Aber man war für diese Nacht den zwingend
reinzuholenden Kosten mit zwei Röntgenaufnahmen schon näher gerückt. Und die
Schwester konnte ihre hinterlistige, rhetorische Frage „aber schwanger sind Sie
nicht?“ stellen.
Ratlos fixierten alle meinen Daumen und kamen zu dem Schluss,
nichts zu unternehmen. Das baue der Körper von selbst ab. Es sei denn, es
handele sich um einem Kaktus jener Art, dessen Stacheln sich nicht abbauen ließen.
Am Ende des Tages entschied man sich fürs ruhigstellen des Daumens. Leider fand
man keine passende Schienvorrichtung. Ist ja auch kein Must in einer
chirurgischen Notaufnahme. Der enthusiastische Assistenzarzt schlug vor, meine
Hand vorübergehend einzugipsen. Das ging mir dann aber doch zu weit. Der war
doch sicher auf Speed. So verblieben wir, dass ich am Montag bei ihm wieder
anzutanzen habe und nach einem Ultraschall darüber entschieden werde, ob der
Daumen ab muss.
Wer am Montag fehlte war mein
junger Freund. Nach langem Warten kam eine neue Assistenzärztin und liess sich
nochmal alles ausführlich berichten. Auch sie guckte wie das Schwein ins
Uhrwerk, holte dann aber Pinzette und meinte „das haben wir gleich.“ Das hätte
mich gewundert, aber ich ließ sie mal machen. Sie stocherte und quetschte mit der Pinzette rum (wohlgemerkt
an der falschen Stelle), während ich ihr die Taschenlampe halten musste und meinte dann halb enttäuscht, halb aufgekratzt „Ja,
da ist wirklich nichts zu sehen, ich schneide da mal.“
„Nee, Sie schneiden da jetzt
nicht mal. Es sollte doch heute ein Ultraschall gemacht werden“, entgegnete
ich.
„Ah, ja, mh, ich muss das mit
meiner Oberärztin besprechen.“ Weg war sie und ich sass 40 Minuten im Gipszimmer.
Dann kam die Oberärztin angestampft, ich erzählte erneut, zeigte wieder Fotos
des Übeltäters. Sie sprach in meiner Anwesenheit über mich in der 3. Person zur
Assistenzärztin: „Sie spricht doch gut deutsch.“
„Meinen Sie mich? Kann man
erwarten von einer Deutschen.“
Entgeistert fragte die
Oberärztin ihre Assistentin: „Haben Sie nicht was von Indien erzählt?“, während
ich mich fragte, ob ich in eine Folge Versteckte
Kamera geraten war.
„Ja, dass Frau Klossek demnächst
nach Indien reist und das bis dahin in Ordnung haben will“, stammelte die
Assistenzärztin beschämt.
„Mh, ach! Sie sprechen ja auch
Schweizerdeutsch, wie das? Sind Sie doch keine Deutsche, wo kommen Sie denn
her?“, entfuhr es der resoluten Oberärztin. Ich ließ das einfach mal so im Raum stehn. Jedenfalls meinte auch sie „bloß nicht schneiden!“,
das sei viel zu riskant, da lägen ja so viele Nerven und Sehnen, da mache man
nur was kaputt. Ultraschall mache auch keinen Sinn, das sei wie die Nadel im Heuhaufen
suchen. Am besten warte man, bis es herauseitert.
„Aha und was, wenn‘s dann
ausgerechnet in Indien eitert?“, fragte ich schon leicht resigniert.
„Oder wollen sie doch einen
Ultraschall, das kann aber Stunden dauern“, war ihre Antwort auf eine andere Frage.
Ich winkte ab: „Na Sie sind die
Ärztin, sagten Sie nicht gerade, Ultraschall mache keinen Sinn?“
„Ja. Macht's auch nicht.“
„Ähm, dann geben Sie mir ein
Rezept und dann gehe ich“, quetschte ich mit dem letzten Quäntchen an Geduld
durch meine tadellosen Zähne. Während die sichtlich enttäuschte Assistenzärztin
ein Rezept ausstellte, kam die Schwester angeflattert: „So Frau Klossek, ich
soll Sie zum Röntgen abholen.“
„Wie bitte? Sicher nicht, es
wurde ja schon Samstag geröntgt.“
„Na muss das nicht nochmal
geröntgt werden?“
„Nein, wozu, wenn am Samstag
nichts zu sehen war, wird heute auch nichts zu sehen sein.“
„Na dann könnten Sie bitte den
Raum freigeben, hier wird jetzt gegipst.“
Später in der Apotheke fragten
sich mich, ob es richtig sei, dass ich gern die, die man in Wasser auflösen
kann, hätte? Ich weiß nicht, was ich gern hätte, bis eben wusste ich
nicht einmal, dass es Antibiotika zum Auflösen gibt.
„Nein, will ich nicht, gibt's
die auch in Pillenform?“, fragte ich und sah mich schon die Dinger mit Wasser aus dem Ganges auflösen.
„Da muss ich erst fragen, ob ich
die auch geben darf.“
„Na was steht denn drauf auf dem
Rezept?“
„Nichts.“
Wir einigten uns dann auf Pillen.
„Wollen Sie 10 oder 20 Stück?“,
fragte die Apothekengehilfin.
„20.“
„Wie sollen Sie sie denn
einnehmen?“
„Keine Ahnung.“
„Dann besser 10.“
„Nein, besser 20, mindestens!“ Und ich bin
nicht sicher, ob das genug sind.