Weil ich in einer heißen Samstagsommernacht nicht allein zu Hause auf
der Couch in Depressionen verfallen wollte, folgte ich dem Lockruf Habana Night
– Salsa, Bachata, Kizomba. Spontan, gegen 23 Uhr, gegen meine Natur. Ich bin
nie spontan und jetzt weiß ich auch wieder warum: Es führt zu nix.
Ich hatte in Erinnerung an heiße Nächte in Havanna, wo jeder trunken auf
der Tanzfläche herumwuselte, ob alt oder jung, Salsa-Meister oder des Tanzens
unfähig, allein, als Paar, im Trio oder im fliegenden Partnerwechsel auf genauso
eine Party gehofft. In Havanna endeten derartige Festivitäten IMMER mit Sex. Ja
auch darauf hatte ich im Idealfall in illusorischer Verblendung spekuliert. Ich
Dummerchen. Hatte ich vergessen, wo ich lebe?
In der Zürcher Bananenreiferei reift heute nichts mehr. An Kuba
erinnerten allenfalls die Temperatur und die Musik, die etwas blechern aus der
Retorte dröhnte. Die Tanzfläche war sehr übersichtlich ausschließlich von Paaren
frequentiert. Mehrheitlich in zwinglianisch-gesittetem Tanzrhythmus. Allein
bewegte niemand auch nur den großen Zeh. Die guten Latinotänzer hatten ihre
Partnerin dabei oder «prügelten» sich um die jungen, professionellen Damen. Ich
meine Tänzerinnen wohlgemerkt.
Am Rand standen vereinzelte Herren. Die Latinos und Afrikaner sahen mir einigermaßen
nach Rhythmus aus, die weißen Herren und Asiaten machten den Eindruck, als
könnten sie nicht bis 3 zählen. Beides war irrelevant, denn ich schien
unsichtbar. Ich selbst war von einem Mojito (16 Franken) nicht betrunken genug,
um meinerseits einen Herrn zum Tanze zu bitten. Ich wackelte aufmunternd mit
den Hüften. Keiner forderte mich auf oder nahm auch nur Notiz von mir. Das war
frustrierender als in einer Sommersamstagnacht allein zu Hause ...
Mir taten die Füsse weh vom rumstehn in Absatzschuhen. War meine Zeit
endgültig vorbei? Ich dachte 50 ist das neue 30? Pustekuchen. Ich startete
einen letzten Andockversuch. Gerade als ich den knackigen Burschen zu meiner
rechten auffordern wollte, zog ihn eine schwer nach konservativer Gouvernante
aussehende Trulla von mir weg. «Der gehört jetzt mir!», fauchte sie. Ich hob
beschwichtigend die Arme. Sei’s drum, soll sie ihn haben. Ich hatte die
Schnauze voll und ging. 43 Franken (Zug, Eintritt, 1 Drink) für die Katz. Der
Totalreinfall. Nichts von Havanna. Nichts von alten Partyzeiten, in denen ich
allein kam, siegte und immer zu zweit ging.
Ich wartete aufs Tram. Lange. Am Hauptbahnhof fuhr der nächste Zug in 45
Minuten. Ich kaufte ein Wasser für 4 Franken, um die Wartezeit zu überleben,
und den 5-Franken-Nachtzuschlag für den Zug. Ich setzte mich auf eine Bank. In
etwas Nasses. Es sah aus, als hätte ich mich eingepisst. Ein Inder trudelte geradewegs
auf mich zu und bot mir seine sexuellen Dienste an. Wollte er mich im
McClean-Klo vögeln? Ich lehnte dankend ab. Ein Afrikaner fragte mich kurze Zeit
später, ob ich französisch könne. Na sprechen jedenfalls nicht ... ich überlegte,
ob ich mich zur Überbrückung der Wartezeit rasch prostituieren sollte. Aufgrund
der immer noch sehr hohen Temperatur hielt ich das allerdings nicht für sehr
zielführend.
Mir taten die Gräten weh vom Nichtstun. Ich trottete auf den Bahnsteig,
um mich hinzusetzen. Doch alle Bänke waren schon dicht besiedelt von Jungvolk.
Der einzige freie Platz war neben einer jungen Frau, die gleichzeitig schlief
und kotzte. Mein Magen und meine Lefze hoben sich synchron.
Via WhatsApp Videochat rief mich ein Bekannter aus einem Taxi in Hamburg
an. Ohne Brille konnte ich sein Gesicht, das so nah an der Linse klebte, dass
ich zeitweise nur zwei schwarze Löcher, die ich seinem Riechorgan zuordnete,
erspähte, kaum erkennen. Akustisch verstand ich nichts. Ich legte auf. Der Zug
fuhr ein – füllte sich sekundenschnell mit besoffenen, schweißelnden Teenagern –
und lange nicht ab. Später quälte ich mich den Berg zu meiner Klause rauf, die
ich besser nie verlassen hätte. Meine körperliche Betätigung hatte ich mir
anders vorgestellt.
Zu Hause schaute ich in den Spiegel – mein Gesicht so schön und
restauriert wie beim Verlassen des Hauses. Gar nicht be- oder abgenutzt.
Wie schade!
Ich las – mit Genugtuung – einige vernichtende Kritiken zu den Texten
zum diesjährigen Bachmannpreis, an dessen Teilnahme ich haarscharf wegen eines
Metaebenenproblems vorbeigeschrammt war. Um die Kritik bestätigen zu können, las ich dann noch einige Texte. Sie sind grauenvoll. Vor allem so thematisch. Sie
lassen sich mit Die Absenz von Humor umschreiben. Wenn das die relevante
Literatur von 2019 ist, bin ich froh, dass ich in letzter Sekunde aussortiert
wurde.
Ich setzte mich nackt auf den Balkon und starrte in den Sternenhimmel.
In zwei Stunden würde die Sonne aufgehen und alles von vorne beginnen.