Montag, 14. März 2011

Der stumme Schrei des Lektors


Der Lektor beim Laub fegen während seiner Anti-Aggressions-Therapie.


Vom Glück kein Lektor zu sein
Einst schrieb ein Autor eine Hymne auf die wunderbare Tätigkeit eines Lektors und ich dachte so bei mir, wie verschieden doch die Menschen sind. Ich für meinen Teil empfinde für jeden Lektor nur grosses Mitleid. Es gibt keinen Beruf, den ich mehr nicht ausüben möchte, als den des Lektors. Ständig sich den ganzen Tag mit Geschichten befassen zu müssen, die einen nicht wirklich interessieren, von Leuten, die es wahrscheinlich nie zu literarischem Ruhm bringen werden, ist eine Aufgabe, der ich definitiv nicht gewachsen bin. Zu gross ist die Schar der Idioten da draussen, die den Lektor tagsein, tagaus mit ihren pseudoliterarischen Ergüssen vollscheissen und ihm seiner kostbaren Lebenszeit berauben. Ich weiss, wovon ich rede, ich bin einer von diesen Idioten.

Palettenweise werden schlechte Texte angekarrt, aus deren Masse der Lektor dann die Rosinen herauspicken, die Nadel im Heuhaufen finden soll. Zu gross der gestapelte Schwachsinn, der stündlich auf den Lektorenschreibtisch regnet, in Papier gebündelte Hoffnungen auf Erlösung aus der Mittelmässigkeit. Lesen, meine liebste Beschäftigung, würde mir dabei endgültig vergällt werden. Ich verstehe jeden Lektor, der Selbstmord begeht. Und vielleicht findet sich unter den tausend Nieten dann doch ein Treffer. Aber dann hat der Verlag andere Pläne, geht lieber auf Nummer sicher, will sich nicht die Finger verbrennen, zieht den Schwanz ein. Was zählt ist, wonach die verblödete Masse schreit, weil Masse gleich Kasse bedeutet. Und dann entscheidet man sich anstatt für den künftigen Nobelpreisträger doch für das neue Buch von Dieter Bohlen.

Am Ende darf man sich mit Möchtegern-Sternchen, die mit 20 ihre Memoiren schreiben, und keinen graden Satz rausbringen, pseudointellektuellen Töchtern von Theaterdramaturgen, die die Hälfte ihres Textes geklaut haben oder in die Jahre gekommenen, renitenten Bestseller-Schreiberlingen um jeden Satz streiten, als gelte es die Grundwerte der Menschheit zu retten. Als Lektor, der vielleicht als einziger wirklich etwas von Sprache versteht, der besser schreibt, als die Autoren selbst, der aber einst von längst resignierenden Lektoren abgelehnt wurde, weil er nicht ins Verlagsprogramm passte. Oder weil seine Manuskripte ungelesen im nimmersatten Schredder landeten. Arme Lektoren, Schattenmänner und Schmerzensfrauen, Geburtshelfer der Literatur, was für ein Leben!


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