Taxiqueen
Anele steigt an einem Mittwochmorgen in Soweto mit ihren
Freundinnen ins Sammeltaxi. Der Weg zur Schule ist weit, den Mädchen bleibt gar
nichts anderes übrig, als ins Taxi zu steigen, wenn sie überhaupt zur Schule
gehen wollen. Und das wollen sie, denn eine Ausbildung ist die einzige
Möglichkeit, um aus dem Dreck, in dem sie leben, rauszukommen. Ihre eigenen
Kinder sollen mal ein besseres Leben haben, komme, was wolle. Mit dem Sammeltaxi
kommt nichts Gutes, es ist kein normales Taxi, es ist der öffentliche Verkehr
in die Hölle. Eine Hölle, die jeden Moment über eine der Freundinnen
hereinbrechen kann. Für Anele werden die Tage einer bis dato einigermassen
unbeschwerten Kindheit heute abrupt enden. Diesen Mittwoch wird sie nie wieder
aus ihrem Gedächtnis löschen können.
Der Fahrer beordert das Mädchen neben ihn auf den
Beifahrersitz. Anele steht der Schreck ins Gesicht geschrieben, denn sie weiss,
was alle wissen: sie wird heute zur Taxiqueen der Woche aufsteigen. Ihre
Freundinnen sind sichtlich erleichtert, dass es sie nicht erwischt hat,
zumindest nicht heute. Scheinbar unbeteiligt und steif vor Angst starren die
Freundinnen aus dem Fenster oder zu Boden. Anele sitzt neben dem Fahrer und
masturbiert ihn während der Fahrt. Wenn sie nicht spurt, wird der Fahrer sie
vergewaltigen und schlagen, womöglich halb tot am Strassenrand liegenlassen.
Für Ihre Dienstleistung erhält Anele eine Krone, die sie davon befreit, Taxigeld
bezahlen zu müssen. Wenn Kinder überhaupt kein Geld haben, tun sie alles, um zu
überleben.
Das Land am Kap hält einen traurigen Rekord: Alle 17
Sekunden wird in Südafrika ein Mädchen oder eine Frau vergewaltigt. In einer
Umfrage gibt jede 3. südafrikanische Frau an, schon einmal vergewaltigt worden
zu sein. Vier von zehn Mädchen wurden bereits vor ihrem 18. Geburtstag Opfer
eines solchen Übergriffs. Auch vor Kleinkindern und alten Frauen machen
Südafrikas Männer nicht halt. Denn in der noch immer traditionell geprägten
Vorstellung vieler südafrikanischer Männer ist eine Frau nichts wert und das Ja
des Mannes gilt nach wie vor mehr als das Nein einer Frau. Und wo früher die
Regeln des Stammeslebens Mädchen und Frauen noch ansatzweise geschützt haben,
sind sie heute in den Slums rund um die modernen Grossstädte zu Freiwild
geworden. So haben denn auch 4 von 10 Männern in einer anonymen Umfrage
zugegeben, schon einmal vergewaltigt zu haben.
Zumindest nimmt sich jetzt Jacob Zuma – ein Freund der Polygamie – als erster
südafrikanischer Präsident überhaupt dieses Problems im Parlament an. Seine Glaubwürdigkeit
lässt jedoch zu wünschen übrig: 2006 stand er selbst wegen Vergewaltigung vor
Gericht. Um sich vor der HIV-Infektion seines Opfers zu schützen, habe er nach
dem "einvernehmlichen" Sex eine Dusche genommen. Zuma wurde freigesprochen
– aus Mangel an
Beweisen, nicht weil er unschuldig war.
Übrigens: Anele heisst übersetzt ENOUGH!
Der Text entstand im Rahmen des Projekts "92 Tage für Mädchen" von Plan International. Ein weiterer Beitrag von mir wird am 14. September aufgeschaltet.
http://plan-schweiz.ch/because-i-am-a-girl/92-tage-fuer-maedchen
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