Am Vormittag des 31. Dezember 2013 sitze ich in der Columbus
Avenue im City Lights Bookstore in San Francisco, jenem Laden, den ein gewisser
Lawrence Ferlinghetti vor genau 60 Jahren gegründet hat und ohne den die Beat Generation
womöglich nichts weiter gewesen wäre, als eine Sternschnuppe am kalifornischen
Abendhimmel. Denn die prüde amerikanische Nachkriegsgesellschaft tat sich schwer
mit den abartigen Texten der Beat Generation. Hätte Ferlinghetti also nicht den
Mut besessen, die verhassten Elaborate über Sex-, Drogen- und Alkoholexzesse zu
drucken, wären Kerouac, Burroughs, Gingsberg & Co. vielleicht ungehört
wieder in jenem dunklen New Yorker Loch verschwunden, aus dem sie in den frühen
Fünfzigern gekrochen sind. Ferlinghetti war es auch, der 1956 Allen Gingsbergs Gedicht
"Howl" veröffentlichte, das heute zu den Hauptwerken des Beat zählt. Damals
löste Howl einen Skandal aus und Ferlinghetti musste sich wegen obszöner Zeilen
wie 'die sich in den Arsch ficken liessen von heiligen
Motorradfahrern und vor Freude schrie'n vor Gericht verantworten.
Eigentlich bin ich mit Ferlinghetti, der mittlerweile 95 Jahre alt ist,
verabredet. Doch der Meister ist unpässlich, was entweder seinem hohen Alter
oder der frühen Uhrzeit – 11:30 Uhr – zuzuschreiben ist. Eine Tageszeit, zu
der ein Beatnik allenfalls ins Bett gegangen, aber niemals aufgestanden wäre.
Schliesslich folgt ein Acid-Trip nicht den Gesetzen der Zeit.
Doch was macht
den Club der dichten Dichter denn nun so aussergewöhnlich, dass man ihre Werke
noch heute lesen sollte? Handelte es sich nicht nur um einen Haufen
abgewrackter Morphinisten? Nichtsnutzige Herumtreiber auf dem Weg von Irgendwo
nach Nirgendwo, die mit jedem vögelten, die mit harten Drogen experimentierten
und ausser ein paar dreckigen Texten nichts für die saubere Gesellschaft
hinterliessen? Am Anfang stand der Begriff "beat" jedenfalls nur für
besiegt, müde und heruntergekommen. Und Letzteres waren die Beatniks, zumindest
in den Augen der sogenannten braven Bürger. Doch sie waren eben auch euphorisch
(upbeat), seligmachend (beatific) und im Rhythmus (on the beat) einer neuen
Zeit. Sie verpassten dem Leben Geschwindigkeit und Drive, brachen und überwanden
Tabus und ebneten den Weg für die nachfolgende Hippie- und letztlich auch die
Frauen- und Schwulenbewegung.
Und heute? Hingeworfene
Texte ohne Versmass werden auch im Jahr 2014 zu Hauf geschrieben. Das macht
ihre Verfasser noch lange nicht zu Dichtern, geschweige denn zu Beatniks.
Themen wie Drogen, Alkohol und Homosexualität lösen hierzulande kaum mehr einen
Skandal aus. Ein Zeichen dafür, dass die Beatniks Pionierarbeit mit
nachhaltiger Wirkung geleistet haben. Tot ist der Beat deshalb nicht. Entgegen
dem gängigen Trend, rund um die Uhr dummdreist in Tablets und Smartphones zu
glotzen und nichtssagende Kurznachrichten in den Äther zu zwitschern, sind ein
paar Literarten verblieben, die stoisch ihre Gedanken in schwarze
Moleskinebücher kritzeln, wie es einst Kerouac "on the road" oder
Burroughs mit den Aufzeichnungen zu "Naked Lunch" machten.
Natürlich
gibt es nur eine Beat Generation, alles andere wäre nur ein billiger Abklatsch
von damals. Aber die Sehnsucht nach Freiheit und Anarchie, nach einem
selbstbestimmten Dasein, einer unkonventionellen, alternativen Lebensweise
abseits vom Mainstream, brennt in jeder jungen Generation von neuem. So tun uns
auch heute ein paar bewusstseinsverändernde Texte (und Substanzen) ganz gut. Auch
wenn statt LSD vorzugsweise biologisch angebauter Fairtrade-Kaffee konsumiert
wird.
Ferlinghetti
glänzt übrigens weiterhin mit Abwesenheit. Doch wenn man sich die Besucher im
City Lights Bookstore so anschaut, schwebt auch ohne ihn fast ein Hauch von
Beat durch den Raum. Wie vor 60 Jahren – nur eben mit Rauchverbot.
(Der Text erschien in gekürzter Form erstmals in der Märzausgabe des Magazins "Literarischer Monats" - www.literarischermonat.ch)