Montag, 23. März 2015

Der Tag, an dem ich Klarheit gewann


An einem Sonntag im März merkte ich
dass mir der Samstag abhanden gekommen war
"Ihr Flug war gestern, Frau Klossek", sagte die blonde Matrone hinterm Schalter und setzte ein dünnes, gequältes Lächeln auf
der fehlende Samstag war das geringste Problem

ich hatte stets das Mantra der größtmöglichen Erwartung geheult
das Gebet der Hoffnung
ohne dass je Grund zur Hoffnung bestand
das wurde mir in jenem Moment bewusst
als mir gleichzeitig klar wurde
dass keiner meinen Irrtum bemerkt hatte
weil mich keiner erwartet und auch keiner vermisst hatte

mir konnten ganze Tage durch die Lappen gehen
ohne dass es irgendjemandem auffallen würde
und selbst wenn ich höchstpersönlich abhanden kam
würde das Leben für eine gewisse Zeit weiterlaufen
als sei nichts passiert
als sei ich mal eben Zigaretten holen gegangen
und hätte den Weg zurück nicht mehr gefunden

zu Hause erwartete mich alles
was dem Leben eine gewisse Struktur gab
und es gleichzeitig langsam aber sicher versaute:
Post von der Krankenkasse und vom Finanzamt
im Großen und Ganzen bestand das Leben aus einer Anhäufung kleiner Unannehmlichkeiten
die in kumulierter Form das Potential
für so manchen Selbstmord bargen

von Selbstmord war ich weit entfernt
denn ich finde mich relativ toll
eine Meinung über mich
mit der ich allerdings ziemlich alleine dastand
wenn wir ehrlich sind
geht es jedem von uns
in erster Linie um sich selbst
das Ich, dessen Existenz nicht einmal bewiesen war,
steht ganz oben auf der Prioritätenliste
der Erlöser ist seit mehr als 2000 Jahren überfällig
und ich verstehe gut warum

(...to be continued, Ausschnitt aus einem neuen Text;
Bild: "Sprachlos" aus der Reihe "Urbane Leere"
Acryl auf Leinwand, 80 x 100 cm)

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