Samstag, 18. Mai 2019

Der neue DreckSack bald ausverkauft!

Lies nicht irgendwelchen Quark – lies den DreckSack!
Diesmal mit den folgenden Autoren:
Majd Abboud, Franziska Appel, Michael Arenz, Jerk Götterwind, Annett Gröschner, Florian Günther, Johannes Hülstrung, Christoph Kleinhubbert, Susann Klossek, Gerhard Köpf, Matthias Merkelbach, Thomas Meyer-Falk, Anna Maria Pawlicki, Katharina Rios, Rüdiger Saß, Gerd Schönfeld, Michael Schweßinger, Tobias Siebert, Erik Steffen, Silke Vogten, Lars Weylthaar, Salah Yousif, Fernando Zamora, Daniela M. Ziegler

Und dem Fotografen: Rolf Zöllner
Erhältlich ist der DreckSack hier:
www.edition-luekk-noesens.de/shop/drecksack/

Die DreckSack-Redaktion
Weitere Infos:

Sonntag, 12. Mai 2019

Das Wort am Sonntag



Ich habe gerade das Buch Wilde Schwäne zu Ende gelesen. Die Geschichte einer Familie – drei Frauen in China von der Kaiserzeit bis heute. Eine wahre Geschichte, die Geschichte von Jung Chang, die heute in London lebt und als erste Chinesin an der York Universität promovierte. Das Buch ist in China übrigens verboten.

Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass China und all seine Regierungen von den Kaisern über Mao bis zu den heutigen Machthabern ihrem Volk das Leben ausnahmslos gründlich versaut haben. Anders als in der Sowjetunion, der DDR oder den USA waren sogar Organisationen wie KGB, Stasi oder CIA nicht einmal nötig. Das Volk wurde dermassen indoktriniert, gegeneinander aufgestachelt und fehlgeleitet, dass es sich ganz ohne Geheimdienste selbst gepeinigt, gefoltert und vernichtet hat.

Allen voran – meines Erachtens die grausamste Zeit in der Geschichte Chinas – der grosse Vorsitzende Mao und seine Schergen mit ihrer bekloppten Kulturrevolution, bei der weder von Kultur noch Revolution die Rede sein kann und in deren Zuge Millionen und Abermillionen des Volkes zu Tode kamen, aufgrund von Hunger, Mangel- und Misswirtschaft, Verfolgung, Folterung, Mord und Selbstmord … Ein grausamer Diktator, der seines Gleichen sucht und gut und gern mit Hitler, Stalin, Pol Pot & Co. verglichen werden kann. Dass er auch heute noch von manchen westlichen Linken verherrlicht und verehrt wird und sein fettes Konterfei noch immer in Peking über dem Tian’anmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens prangt, ist der blanke Hohn.

Kaum hatte ich mich ansatzweise von dem Buch erholt (empfehlenswert übrigens auch Jung Changs Buch Mao: Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes; mit Entsetzen stelle ich gerade fest, dass es auf Amazon auch noch immer das rote Büchlein, Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung zu kaufen gibt – muss man sich beim Kauf dieses Werks auch registrieren lassen wie beim Erwerb von Hitlers Mein Kampf? Wahrscheinlich nicht), also: Kaum hatte ich mich erholt, sah ich gestern die Arte-Reportage Chinas Umerziehungslager für Uiguren. Allein in der Provinz Xinjang gibt es derzeit über 100 Internierungslager (Satellitenaufnahmen zeigen es), in denen etwa eine Million dieser Minderheit, aber auch chinesische Kasachen, Kirgisier… gefangen gehalten werden. Geflüchtete oder Freigelassene sprechen von Folter, Zwangsindoktrinierung zu Kommunismus, Spritzen, die sie kraft- und willenlos machten (Frauen bekamen ihre Menstruation nicht mehr usw.) Selbst «echte» Chinesen werden verschleppt und müssen den Insassen unter Waffengewalt z.B. Mandarin beibringen. Methoden wie zu Maos Zeiten. Einfach barbarisch. Das Kamerateam wurde beim Versuch, sich einem der Lager zu nähern übrigens 7x verhaftet. "Umerziehungslager? Gibt's hier nicht."

Hinzu kommt dieses absurde digitale Punktekonto, das gute von schlechten Bürgern unterscheiden und bis 2020 flächendeckend in ganz China eingeführt werden soll. 1984 von George Orwell lässt grüssen. Die Kontrolle mit digitalen Mitteln auf der einen Seite und die Allmacht von Präsident Xi Jinping auf der anderen – zwei Säulen einer neuen Form des Totalitarismus.

Nächste Woche auf Arte: Wie China gegen die völlig harmlose, friedliebende Falong Gong Sekte vorgeht, die die Kommunistische Partei seit 1999 auszulöschen versucht.

Es ist mir ein Rätsel, wie westliche Regierungen sich immer noch vor China und seine Regierung stellen und hündisch den Machthabern in den Arsch kriechen und Geschäfte mit denen betreiben. Wir kaufen Waren, die aufgrund unserer Ideen und Innovationen entstanden sind, die dummdreist geklaut und imitiert und zu Spottpreisen hergestellt werden und die Märkte global überschwemmen und aus den Angeln heben.

Neben Wilde Schwäne las ich zeitgleich von Ahmet Altan: Ich werde die Welt nie wiedersehen – Texte aus dem Gefängnis. Der türkische Intellektuelle, Schriftsteller, Journalist wurde am 16. Februar 2018 zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt. Für NICHTS. Vorwurf: Er habe in einer TV-Sendung am 14.7.16 «unterschwellige Botschaften» über den Putschversuch, der am Folgetag stattfand, verbreitet. Wie er sitzen tausende Unschuldige in türkischen Gefängnissen, dürfen ihre Jobs nicht mehr ausüben oder stehen auf der Abschussliste, weil sie nicht Erdogan-konform sind. Ich kann gar nicht so viel saufen, wie ich kotzen möchte.

Die Liste ist lang, nahezu unendlich, von Ländern und Regionen, wo Menschen, Menschen Unrecht tun, Leid zufügen, Andersdenkende, Andersfühlende, Andersglaubende, Andersliebende, Minderheiten, Menschen anderer Hautfarbe, mit anderen Lebensentwürfen verfolgen, quälen, vernichten, die (Um)welt zerstören, ins Mittelalter zurückfallen: Venezuela, USA, Bolivien, Kolumbien, Russland, Weissrussland, Ukraine, Türkei, Afghanistan, Syrien, Jemen, Iran, Irak, Katar, Saudi Arabien, Brunei, Burma, Nordkorea, Indien, China, Philippinen, Sudan, Mali, Niger, Dem. Rep. Kongo (Liste nicht vollständig; einzelne Positionen nicht miteinander vergleichbar) … 2018 gab es weltweit 28 Kriege/ bewaffnete Auseinandersetzungen. Hinzu kommen die Rechtsrutsche in Europa / nationalistisches Getue und Abspaltung von einigermassen funktionierenden Staaten und Systemen, die Klimakatastrophe, das Artensterben, die Antibiotika-Katastrophe, unser aller Uneinsichtigkeit, unser Verdrängen, Weggucken, weil's uns nichts angeht oder nicht interessiert, unser Wegducken, hoffen, dass alles dann doch nicht so schlimm ist, wie es sich anhört.

Für mich, in dieser friedlichen, reichen Gesellschaft, in der ich lebe, wie die Made im Speck, was wenig bis kaum mein Verdienst ist, vielmehr die Gnade der glücklichen Geburt, wenn man so will, für mich ist bei all dem nur mein Sonntag versaut. Während ich das schreibe, werden Millionen von Menschen jede Minute, jede Sekunde, ihrer Existenz beraubt und wird ihnen das Leben, die Hoffnung und die Zukunft zerstört. Und das bei allem Schönen, Wunderbaren, Fortschrittlichen, Zukunftsweisenden, Berührenden, was der Mensch doch auch in der Lage ist hervorzubringen. Es ist beschämend.

Bald ist Europawahl. Versaut wenigstens das nicht. 

Foto: Ausschnitt aus Amed Altan Ich werde die Welt nie wiedersehen.