Ich habe gerade das Buch Wilde Schwäne zu Ende gelesen. Die Geschichte einer Familie – drei
Frauen in China von der Kaiserzeit bis heute. Eine wahre Geschichte, die
Geschichte von Jung Chang, die heute in London lebt und als erste Chinesin an
der York Universität promovierte. Das Buch ist in China übrigens verboten.
Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass China und all
seine Regierungen von den Kaisern über Mao bis zu den heutigen Machthabern ihrem
Volk das Leben ausnahmslos gründlich versaut haben. Anders als in der
Sowjetunion, der DDR oder den USA waren sogar Organisationen wie KGB, Stasi
oder CIA nicht einmal nötig. Das Volk wurde dermassen indoktriniert, gegeneinander
aufgestachelt und fehlgeleitet, dass es sich ganz ohne Geheimdienste selbst
gepeinigt, gefoltert und vernichtet hat.
Allen voran – meines Erachtens die grausamste Zeit in der
Geschichte Chinas – der grosse Vorsitzende Mao und seine Schergen mit ihrer bekloppten
Kulturrevolution, bei der weder von Kultur noch Revolution die Rede sein kann und in
deren Zuge Millionen und Abermillionen des Volkes zu Tode kamen, aufgrund von
Hunger, Mangel- und Misswirtschaft, Verfolgung, Folterung, Mord und Selbstmord …
Ein grausamer Diktator, der seines Gleichen sucht und gut und gern mit Hitler,
Stalin, Pol Pot & Co. verglichen werden kann. Dass er auch heute noch von
manchen westlichen Linken verherrlicht und verehrt wird und sein fettes Konterfei
noch immer in Peking über dem Tian’anmen-Platz, dem
Platz des Himmlischen Friedens prangt, ist der blanke Hohn.
Kaum hatte ich mich ansatzweise von dem Buch
erholt (empfehlenswert übrigens auch Jung Changs Buch Mao: Das Leben eines
Mannes, das Schicksal eines Volkes; mit Entsetzen stelle ich gerade fest, dass
es auf Amazon auch noch immer das rote Büchlein, Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung
zu kaufen gibt – muss man sich beim Kauf dieses Werks auch
registrieren lassen wie beim Erwerb von Hitlers Mein Kampf? Wahrscheinlich nicht),
also: Kaum hatte ich mich erholt, sah ich gestern die Arte-Reportage Chinas Umerziehungslager
für Uiguren. Allein in der Provinz Xinjang gibt es derzeit über 100 Internierungslager (Satellitenaufnahmen zeigen es),
in denen etwa eine Million dieser Minderheit, aber auch chinesische Kasachen,
Kirgisier… gefangen gehalten werden. Geflüchtete oder Freigelassene sprechen
von Folter, Zwangsindoktrinierung zu Kommunismus, Spritzen, die sie kraft- und
willenlos machten (Frauen bekamen ihre Menstruation nicht mehr usw.) Selbst «echte»
Chinesen werden verschleppt und müssen den Insassen unter Waffengewalt z.B.
Mandarin beibringen. Methoden wie zu Maos Zeiten. Einfach barbarisch. Das Kamerateam wurde beim Versuch, sich einem der Lager zu nähern übrigens 7x verhaftet. "Umerziehungslager? Gibt's hier nicht."
Hinzu kommt dieses absurde digitale Punktekonto,
das gute von schlechten Bürgern unterscheiden und bis 2020 flächendeckend
in ganz China eingeführt werden soll. 1984 von George Orwell lässt grüssen. Die
Kontrolle mit digitalen Mitteln auf der einen Seite und die Allmacht von Präsident Xi Jinping auf der anderen – zwei Säulen
einer neuen Form des Totalitarismus.
Nächste Woche auf Arte: Wie China gegen die völlig
harmlose, friedliebende Falong Gong Sekte vorgeht, die die Kommunistische Partei
seit 1999 auszulöschen versucht.
Es ist mir ein Rätsel, wie westliche Regierungen
sich immer noch vor China und seine Regierung stellen und hündisch den
Machthabern in den Arsch kriechen und Geschäfte mit denen betreiben. Wir kaufen
Waren, die aufgrund unserer Ideen und Innovationen entstanden sind, die dummdreist
geklaut und imitiert und zu Spottpreisen hergestellt werden und die Märkte
global überschwemmen und aus den Angeln heben.
Neben Wilde Schwäne
las ich zeitgleich von Ahmet Altan: Ich werde
die Welt nie wiedersehen – Texte aus dem Gefängnis. Der türkische Intellektuelle,
Schriftsteller, Journalist wurde am 16. Februar 2018 zu lebenslanger Haft unter
erschwerten Bedingungen verurteilt. Für NICHTS. Vorwurf: Er habe in einer TV-Sendung
am 14.7.16 «unterschwellige Botschaften» über den Putschversuch, der am Folgetag
stattfand, verbreitet. Wie er sitzen tausende Unschuldige in türkischen Gefängnissen, dürfen ihre Jobs nicht mehr ausüben oder stehen auf der Abschussliste, weil sie nicht Erdogan-konform sind. Ich kann gar nicht so viel saufen, wie ich
kotzen möchte.
Die Liste ist lang, nahezu unendlich, von Ländern und
Regionen, wo Menschen, Menschen Unrecht tun, Leid zufügen, Andersdenkende, Andersfühlende,
Andersglaubende, Andersliebende, Minderheiten, Menschen anderer Hautfarbe, mit anderen
Lebensentwürfen verfolgen, quälen, vernichten, die (Um)welt zerstören, ins
Mittelalter zurückfallen: Venezuela, USA, Bolivien, Kolumbien, Russland, Weissrussland, Ukraine, Türkei, Afghanistan, Syrien, Jemen, Iran, Irak, Katar, Saudi Arabien, Brunei, Burma, Nordkorea, Indien, China, Philippinen,
Sudan, Mali, Niger, Dem. Rep. Kongo (Liste nicht vollständig; einzelne Positionen nicht miteinander vergleichbar) … 2018 gab es weltweit 28 Kriege/
bewaffnete Auseinandersetzungen. Hinzu kommen die Rechtsrutsche in Europa / nationalistisches Getue und Abspaltung von einigermassen funktionierenden Staaten und Systemen,
die Klimakatastrophe, das Artensterben, die Antibiotika-Katastrophe, unser aller Uneinsichtigkeit, unser Verdrängen, Weggucken, weil's uns nichts angeht oder nicht interessiert, unser Wegducken, hoffen, dass alles dann doch nicht so schlimm
ist, wie es sich anhört.
Für mich, in dieser friedlichen, reichen Gesellschaft, in
der ich lebe, wie die Made im Speck, was wenig bis kaum mein Verdienst ist,
vielmehr die Gnade der glücklichen Geburt, wenn man so will, für mich ist bei
all dem nur mein Sonntag versaut. Während ich das schreibe, werden Millionen
von Menschen jede Minute, jede Sekunde, ihrer Existenz beraubt und wird ihnen
das Leben, die Hoffnung und die Zukunft zerstört. Und das bei allem Schönen,
Wunderbaren, Fortschrittlichen, Zukunftsweisenden, Berührenden, was der Mensch
doch auch in der Lage ist hervorzubringen. Es ist beschämend.
Bald ist Europawahl. Versaut wenigstens das nicht.
Bald ist Europawahl. Versaut wenigstens das nicht.
Foto: Ausschnitt aus Amed Altan Ich werde die Welt nie wiedersehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen