(K)eine Rezension
Als Jerk Götterwinds Gedichtband Flitschesteine
bei mir eintrudelte, fragte ich mich, ob er jetzt eine Rezension von mir
erwartet. Und wahrscheinlich tut er das nicht, aber ein bisschen vielleicht
doch und ich sagte mir: Bitte lass es gut sein, das Werk, denn ich schreib
keine Rezensionen mehr, nur weil ich muss, sondern nur, wenn mit mir bei der
Lektüre irgendetwas passiert, in meinem Oberstübchen oder ein, zwei Etagen
drunter.
Und erstmal ist nichts passiert, was nicht unbedingt am Autor oder
seinen Texten liegen muss, sondern vielmehr an meinen eigenen Befindlichkeiten,
den Umständen, der Wetter- oder Weltlage. Doch dann begann es doch zu arbeiten
…
Was mir zuerst auffiel oder was mich schon in früheren
Götterwind-Büchern etwas irritierte, ist der Rhythmus der Gedichte, diese
Zeilenumbrüche an Stellen, wo man es nicht gewohnt ist und die den Leser
zwingen, nochmal über die Zeile drüber zu gehen, sie im eigenen Rhythmus zu
lesen, damit man sie kapiert. Ist es Zufall, ist es gewollt, vielleicht eine
mir nicht bekannte Versform? Kommt es aus dem Punk, von dem ich genauso wenig
wirklich Ahnung habe wie von den Regeln der Lyrik? Obwohl Götterwind auf
Letztere mit Sicherheit scheißt.
Erste Erkenntnis: Lyrik ist Lyrik ist Lyrik. Egal, an welcher Stelle die
Zeile bricht.
Zweite Erkenntnis nach der Hälfte des Buches: Ich bin weit gereist auf
diesem Erdball, wirklich weit, in alle Himmelsrichtungen. Und trotzdem war ich
noch an kaum einem der Orte, an denen Götterwinds Texte entstanden: Calais,
Brighton, Sandhead, Drumnadrochit, Carrbridge, Glencoe, Birmingham, Grafham
Water, Tripolis, Kassel, Hofheim, Oban, der Märchenwald ... Einige sind mir
gänzlich unbekannt, andere stehen seit Jahren auf meiner Reiseliste. Man lernt
nie aus und es gibt (noch) viel zu tun. Aber die Zeit, das Geld, der ökologische
Fußabdruck - wir kennen’s ja. Nordfrankreich, Schottland, Libyen also – da ist
die Grundstimmung schon mal gesetzt. Trägt Götterwind eigentlich Schottenrock?
Stehen würde der ihm.
Auch die Musik, die erwähnt wird, ist mir größtenteils unbekannt. Er und
Ich – wir bewegen uns in unterschiedlichen Realitäten. Und trotzdem finden wir
über diese Gedichte zueinander, erkennen uns selbst, verstehen einander, wenn
vielleicht auch nur ansatzweise. Es ist gut und wichtig, die Dinge auch mal aus
einer anderen Perspektive zu betrachten.
Götterwinds Texte sind undramatisch und klar, von melancholischer
Traurigkeit und Sehnsucht erfüllt und hin und wieder blitzt der trotzige Ton
durch von einem, der einfach nur die Schnauze voll hat und auf Konventionen
scheißt. Götterwinds Veröffentlichungen sind rar, was schade ist. Er kümmert
sich wenig drum, wie er selbst schreibt, lehnt Einladungen zu Lesungen ab – weil’s
ihm egal oder er zu faul ist oder weil ihn Geist und Körper
dazwischengrätschen. (Hier kann ich nur spekulieren). Götterwind – ein in die
Jahre gekommener Punk, der schreibt (und malt), ohne sich drum zu scheren, ob
es einer kauft. Aber auch das ist mehr Annahme als Wissen. Götterwind, ein
Menschenfreund. Mehr als ich es bin vermutlich.
Es ist oft grau in den Gedichten. Und es regnet viel. Das ist den
Destinationen geschuldet und manchmal wohl auch Götterwinds Gemütszustand. Man
fühlt nach, man fühlt mit, man spürt den Regen. Man schmeckt das Meer, meint
grüne Hügel, die sich hinter Nebelfeldern verstecken, zu erahnen. Nasser Teer,
Leute, die in Smartphones starren, Raststättengespräche, Locken, die in
Biegläser hängen. Götterwind steht an den Gräbern seiner beiden besten Freunde,
auf Klippen über Abgründen, zwischen Raum und Zeit. Ein starker Mann mit
zärtlichen Gefühlen, dem die Hoffnung auf eine bessere, entschleunigte Welt
noch nicht ganz abhandengekommen scheint.
Der Raum für uns alle schrumpft, zum trinken, zum parken, zum wohnen, zum
lieben.
Nebel lässt
Die Landschaft
Schemenhaft
Verschwimmen
Krähen krächzen
Eine unheilvolle
Melodie
Wir leben in
Einer Welt
Deren Eigenart
Wir selten sehen
Zwischen
Menschen in denen
Winter herrscht und
Wärme nur ein
Schauspiel ist
(Grafham Water I)
Flitschesteine ist keine leichte Kost, aber eine die berührt.
Jerk Götterwind
Flitschesteine
Trikont-Duisburg / Dialog-Edition
ISBN 978-3-945634-43-1