Diesen Juli lebe ich seit 30 Jahren in der Schweiz. Ich habe von
Tag 1 an Steuern gezahlt, ich habe immer gearbeitet und nunmehr seit 30 Jahren
lückenlos in die AHV (Renten)-Kasse eingezahlt. 2017 wurde ich nach einem
Stipendiumsaufenthalt in Indien – wofür ich unbezahlten Urlaub nahm und mir
versichert wurde, dass ich meinen Job danach noch habe – aus sogenannten
ökonomischen Gründen am Tag meiner Rückkehr nach knapp 8 Jahren gefeuert. Meiner
Bitte auf frühzeitigere Freistellung wurde nicht stattgegeben, die Zitrone
wurde noch volle drei Monate ausgequetscht. Von einer Abfindung oder dergleichen
ganz zu schweigen.
Trotz intensivster Bemühungen ist es mir nicht gelungen, als
Redaktorin/Produzentin über 50, als Frau, einen neuen Job in meiner oder
ähnlichen Branchen zu finden. Ich wurde ausgesteuert. Auch als Arbeitslose und
später in der kurzen Zeit als so genannte Erwerbslose habe ich lückenlos AHV
eingezahlt.
Notgedrungen – auch, um dem Staat auf keinen Fall auf der Tasche
zu liegen – habe ich mich selbstständig gemacht. Ich habe Zeit und Geld
investiert, bin dieses Risiko mit 53 eingegangen und habe mich bereits in den
ersten sechs Monaten aus eigener Kraft ganz gut über Wasser gehalten. Dann kam
Corona und sämtliche Projekte, geplante und gebuchte Veranstaltungen usw.
wurden abgesagt, verschoben, auf Eis gelegt oder sind mittlerweile komplett
gestorben. Seit 11. März kam bei mir nichts mehr rein.
Umso mehr hat es mich gefreut, dass der Staat auch Angebote für
Künstler/Kulturschaffende bereitstellen wollte. Ich habe unzählige Stunden,
wenn nicht Tage damit verbracht Formulare auszufüllen, vergangene und künftige
Einkommenseinbussen zu berechnen, Listen über meine Betriebsausgaben und meine
Lebenshaltungskosten aufzustellen. Mehrfach wurde ich aufgefordert Unterlagen
und Dokumente nachzureichen oder schriftliche Erklärungen zu verfassen, warum
mein Vermögen in den letzten zwei Jahren geschrumpft ist.
Ich habe unter anderem bei der SVA drei verschiedene Anträge
gestellt – der Bund hat immer wieder in Sachen Kulturschaffender nachgelegt,
Formulare/Bedingungen geändert. Die Anträge betrafen abgesagte Veranstaltungen
(wie die Buchmesse, Lesungen usw.), geschlossene Lokale (keine Möglichkeit
Kurse zu geben), abgesagte Projekte, also indirektes Betroffensein, da Auftraggeber
in Schieflage geraten sind etc. pp. Alles traf auf mich zu.
Ich habe in akribischer Kleinarbeit all diese Formulare nach
bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt, die Hosen runtergelassen, Einblick in
meine Steuerunterlagen, meine Buchhaltung und mein Sparkonto gewährt. In der
Position des Bittstellers fühlt man sich nicht sonderlich wohl.
Nach über sechs Wochen erhielt ich meinen ersten Bescheid. Die
SVA hat meine Anträge mit der Begründung abgelehnt, ich hätte 2019 nicht
genügend ahv-pflichtiges Einkommen generiert. Jene, die also am wenigsten
verdient haben, gehen leer aus. Paradox. Das Einkommen (nach Abzug meiner Investitionen)
war auch deshalb so gering, da ich erst seit 1.7.19 selbstständig bin und ein Geschäft
erst aufgebaut werden muss und ich im Dezember als erste Amtshandlung gleich
mal AHV für Selbstständige rückwirkend auf 6 Monate abdrücken durfte. Im
Einkassieren sind alle immer ganz schnell. Ganz nebenbei war bisher jede meiner
AHV-Rechnungen fehlerhaft. Zu meinen Ungunsten.
Heute kam nun auch noch die Ablehnung meines Antrages auf
Soforthilfe von Suisseculture Sociale. Ohne Angabe von Gründen und mit dem
Hinweis, dass keine Rekursmöglichkeit bestehe und man auch keine individuellen
Rückfragen beantworte. Peng! Ende der Diskussion.
Ich frage mich, ob Kunst und Kultur so geringen Wert haben, dass
man uns erst wochenlang hinhält und trietzt und am Ende mit Nichts abspeist? In
meinem Falle hätte es sich vermutlich eh nur um eine sehr kleine Summe
gehandelt. Das wäre auch ok gewesen. Eine Summe allerdings, die vielleicht einen
Teil der Miete oder der Krankenkasse in einem Monat getilgt hätte. Meine
Gemeinde Thalwil nehme ich hier aus, die immerhin mit einem Darlehen eingesprungen
ist.
Es ist auch allgemein bekannt, dass Jobs in Kunst und Kultur
oder auch im Freelance-Journalismus sehr schlecht bezahlt werden oder, z.B. im
Falle von Büchern oder Drehbüchern schreiben, erst viel später entlöhnt werden oder
Lesungen und dergleichen auch gerne mal gar nicht bezahlt werden. Schon daher sind
keine grossen Einnahmen zu erwarten. Man fühlt sich leicht verarscht, als sei
das, was wir tun ein Hobby, keine richtige Arbeit. Doch ohne Kultur geht eine
Gesellschaft ein. Und es ist in meinem Falle die Arbeit, mit der ich die
nächsten 9,5 Jahre (oder vielleicht noch länger) bis zu meiner Pensionierung meinen
Lebensunterhalt bestreiten muss. Als Single ist man sowieso besonders finanziell belastet, im Gegensatz zu Paaren, die sich die meisten Kosten teilen, als selbstständiger Single hat man den Volltreffer.
Ich könnte natürlich auch meine hart erarbeiteten Ersparnisse,
die eigentlich fürs Alter gedacht waren, jetzt verprassen und mich dann aufs
Sozialamt begeben. Kommt bekanntlich nicht selten vor. Aber das habe ich nur
über meine Leiche vor.
Ich frage mich einfach, ob hier nicht grundsätzlich mit ungleich
langen Spiessen hantiert wird? Ich weiss z.B. von einem mittelgrossen Unternehmen,
das ein ziemlich grosses Unternehmen im Rücken hat, dass, obwohl es das gar
nicht wirklich nötig hat, Kurzarbeit beantragt hat (O-Ton Chef «Das lassen wir
uns jetzt nicht entgehen») und dessen Mitarbeiter trotzdem weiterhin 100%
arbeiten müssen. Zudem wurden sie noch subtil darauf hingewiesen, dass es, wenn
sie die Massnahme nicht unterschreiben, erfahrungsgemäss Änderungsentlassungen
gäbe. Es wurde ihnen also angedroht, dass sie gefeuert werden, wenn sie das
Spiel nicht mitspielen. Das ist Erpressung und zutiefst unmoralisch. Natürlich
wurde die Kurzarbeit ohne weitere Prüfung innerhalb weniger Tage durchgewunken
und bewilligt. Ich kenne noch andere Beispiele, die mich nur mit dem Kopf
schütteln lassen. Wird hier Geld willkürlich verteilt? Oder nach guter alter
Vetternart? Oder nach dem Motto Der Teufel scheisst immer auf den grössten Haufen?
Mir kommen langsam Zweifel.
Ich erwarte nichts mehr und werde mich auch künftig allein und komplett
aus eigener Kraft durchwurschteln und nicht untergehen. Denn ich glaube an mich
und meine Talente und Fähigkeiten. Und natürlich kann ich mich glücklich schätzen,
in dieser Zeit hier zu leben und nicht als Wanderarbeiter in Indien oder Obdachlose
in den USA oder rundumüberwacht in China etc.pp. Es geht vielen hierzulange
vermutlich auch noch viel schlechter als mir, keine Frage. Ich will nicht
undankbar sein und auch nicht auf die Tränendrüse drücken oder rumjammern. Trotzdem bin ich
enttäuscht und wütend und frage mich manchmal, ob ich dieses System weiterhin
unterstützen möchte, in dem so viele Steuergelder für unnötige oder sinnlose Projekte
verbraten werden und man, wenn es drauf an kommt und man wirklich mal eine kleine Hilfe
bräuchte, im Regen stehen gelassen wird.
Ich wünsche allen, dass sie gesundheitlich und finanziell gut
durch diese Krise kommen.
Das ist nicht nachvollziehbar in der reichen Schweiz. Es ist unsäglich, dass auf dem Buckel der kulturschaffenden und Journalisten eine solche Behördenwillkür zum Tragen kommt. Bitte wende dich an die Kulturschaffenden um dich zu wehren. Kennst du Salva?
AntwortenLöschenDanke. Bei der Kultur ZH läuft noch ein Antrag. Vielleicht kommt da was. Ich bin mir bewusst, dass es noch weitaus Bedürftigere gibt, im Kulturbetrieb und auch anderswo. Ich muss auch keine Kinder durchbringen und kann noch meine Rechnungen zahlen. Und wenn Suisseculture z.B. ablehnt, dann ist das noch ok. Aber eine SVA, bei der ich noch und noch eingezahlt habe...da fragt man sich schon. Und wenn ich dann diese Beispiele von Unternehmen höre, die sich mit allen Tricks Kohle beschaffen (oder auch Steuern vermeiden) und das wird nur spärlich oder gar nicht kontrolliert, da schwillt mir schon ein bisschen der Kamm. Ich kenne viele Soloselbständige, die auch noch ein externes Büro oder Behandlungsräume zahlen müssen, was bei mir nicht der Fall ist. Die kommen jetzt richtig ins schwimmen.
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