Freitag, 17. Juli 2020

Lektürevorschlag


Kleine Leseempfehlung: Gedichte, die einer schreibt, wenn er dicht ist. Aber auch, wenn er die Dinge nüchtern betrachtet. Und dann sind sie richtig gut. 

Felix Martin Gutermuth schreibt in Chips, Nippel und Abenteuer vom Scheitern und vom Schreiben. Und viel vom Trinken. 

Ein Getriebener, ein Vagabund zwischen Berlin, Paris, Dijon, der Gosse und der Entzugsanstalt. 

Gedichte wie Freejazz, voller Sarkasmus und Melancholie, die manchmal weh und manchmal gut tun. Texte voller Einsamkeit und Selbstzweifel, aber auch voller Liebe. Auch, wenn die letztlich nur eine Illusion ist. 

Gutermuth versteht sich als kompromisslosen Künstler. Und so scheint er auch zu leben: Ohne Frau, ohne Kinder, frei von Konventionen, der fröhlichste Mensch der Welt, wie er in einem seiner Texte schreibt.

Und:

Die Hölle
ist ein Platz
an dem
es sich
aushalten
lässt

Felix Martin Gutermuth
Chips, Nippel und Abenteuer
Dorante Edition
Berlin 2020
ISBN 978-3-750480-57-5

Montag, 6. Juli 2020

Rezension zu Zurück aufs Eis im Literarischen Monat

Live aus dem Künstlerprekariat


Susann Klossek, Hartmuth Malorny: Zurück aufs Eis. Wie man keinen Roman schreibt.


Nein, es ist keine neue Idee, die die Schweizer Autorin Susann Klossek und ihr deutscher Kollege Hartmuth Malorny hatten. Sie ist nicht einmal besonders originell. Aber ist die Idee von «Krieg und Frieden» originell? Oder die der «Buddenbrooks»?

Susann Klossek und Hartmuth Malorny, getrieben von einer Mischung aus Schaffenswut, Geldknappheit und Entdeckerlust, beschliessen, gemeinsam einen Roman zu schreiben. Natürlich einen Bestseller, was sonst? Genre: egal.

Nach der Geburt der Idee beginnt ein intensiver Mailverkehr, ihm folgen wir über die 322 Seiten von «Zurück aufs Eis». Es geht, klar, um den Roman und das Für und Wider der in Frage kommenden Genres (Arztroman, Schelmenroman, Kriminalroman usw.), aber (und vor allem) auch um den grandiosen Alltag der beiden Schreibenden: Hier Malorny, ein Social-Beat-Autor, der in Dortmund lebt und sein Geld hauptsächlich damit verdient, dass er die Stadtverschönerungen von Sprayern wieder entfernt, da Klossek, ihres Zeichens Autorin, Managerin, Dichterin und Journalistin in der Nähe von Zürich, vereint im täglichen Struggle als Prekariatskünstler. 

Wir blicken tief in Träumereien und Trinkereien, auch den Sex, der mit Woody Allens Bonmot «Masturbation ist Sex mit einer Person, die ich sehr liebe» fast schon beschrieben ist. (Aber nicht ganz.) 

Und so befördern sie einander abwechselnd ihre Roman-Ideen in die Mailbox, die der/die andere aufnimmt, ausbaut, kommentiert, erweitert, ablehnt und verwirft – oder sich einfach darüber lustig macht. Sie tauschen zärtliche Invektiven, prahlen mit ihrer Weltkenntnis – denn beide sind weit gereist. Dabei sind sie sich in ihrer Vorliebe für Länder, in denen es immer heiss, feucht, überfüllt und lärmig ist, einig.

Das so entstandene Buch, das kein Roman sein soll, ist letztlich auch eine Reise ins Herz von Autor*innen, deren Namen keine grosse Resonanz oder gar ehrfürchtiges Abnicken bei diversen Förderstellen evozieren. Aber was ­immer der Gegenstand ihrer Betrachtungen, Beschreibungen auch ist, nie wird es larmoyant, niederträchtig, ja nicht einmal wirklich polemisch, vielmehr dringt oft Spott durch und immer gut trainierter Humor. Der Sound ist ruhig, konzentriert und elegant.

Als sich die beiden dann doch noch auf ein Romanthema einigen können und sich ihre Manuskriptseiten zuschicken, ist man als Leser doch irgendwie froh, dass dies erst gegen Ende geschieht. Denn der eigentliche, der echte und starke Roman ist der, den Susann Klossek und Hartmuth Malorny nicht geschrieben zu haben glauben. Sie irren.

«Zurück aufs Eis» ist in vielerlei Hinsicht grandios, unterhaltend im besten Sinn, dicht und durchdrungen von persönlicher Erfahrung, eingängig, und ja, verdammt noch mal: lehrreich. 


Susann Klossek, Hartmuth Malorny:Zurück aufs Eis. Wie man keinen Roman schreibt. 

Mainz: Gonzoverlag, 2019.


Andreas Niedermann, geboren in Basel, lebt als Schriftsteller und Verleger in Wien. Zuletzt von ihm erschienen: «Goldene Tage» (Songdog, 2012). 

LINK ZUM LITERARISCHEN MONAT

 

SOMMERLOCH



Die aktuelle Ausgabe des Literarischen Monats ist draussen. Dieses Mal zum Thema 

SOMMERLOCH

Die Ausgabe enthält:
  • frische Literatur fürs und rund ums Sommerloch,
  • eine Rückschau mit Macherinnen und Wegbegleitern des «Literarischen Monats»,
  • zahlreiche Kolumnen und Rezensionen neuerschienener Bücher.
Mit Beiträgen von Peter Stamm, Ronja Fankhauser, Daniela Dill u.v.m

Von mir gibt es auch einen Beitrag: 

Leider ist diese Nummer auch die letzte, weil sich Literartur für den Verlag nicht rechnet. Wer Ideen oder Ressourcen hat, ihn in anderer Form weiterleben zu lassen, gerne.

One night in Frankfurt - Part II


 
ONE NIGHT IN FRANKFURT - PART II
 
Die Frau ohne Unterleib war wieder in Frankfurt unterwegs:

Heute bog ich gleich ohne Umwege in die Kaiserstraße ein, ass ein opulentes Mahl beim Inder, dem ich beim Zahlvorgang sagte, dass mich das Essen an meine Zeit in Varanasi erinnert habe. Was gar nicht stimmt, was aber egal war, weil er zweimal nachfragte, was ich da fasele und dann die Unterhaltung mit einem resignierten "kenn isch nisch" beendete. Ich weiss auch nicht, warum ich das sagte, wohl um nett zu sein oder sowas. In der Tat erinnerte mich alles für einen kurzen Moment an Bangkok, weil die Luft so schwülwarm war und auf der Gasse so ein heiteres, knapp bekleidetes Multikulti-Tümmelvolk an mir vorbeiwaberte und ich dachte, dass ich unbedingt mal wieder weg muss. Weit weg. Aber dass ich eigentlich schon fast ein bisschen glücklich bin, jetzt hier unter Hesse z'hocke.

Den Verdauungsspaziergang - zuviel Paneer und Laan und Raita und Mangomus mit Kokoseis - unternahm ich runter zum Main. Stoisch standen die Banken in schwarzen Gewitterwolken. Ein Hinweis auf die nächste Bankenkrise? Wo stehen eigentlich meine Aktien? Sollte ich mir Nestlé zulegen? Eigentlich reicht es ja, wenn ich deren Produkte boykottiere.

Ich schoss Fotos von anarchischem, antifaschistischem und auch manch verqueren Gedankengut. Man wird hier an jeder Ecke fündig.

Drei Burschen mit blond gefärbten Dreadlocks folgten mir mit gebührendem Abstand. Sie kommen aus Äthiopien, wie sie mir alsbald mitteilten und Frankfurt sei die schönste Stadt, die es gäbe, was natürlich Ansichtssache ist und immer eine Frage des Blickwinkels und der Vergleichsmöglichkeiten, und einer wollte mit mir mitkommen. Ich war immer schlecht in Mathe, aber selbst ich schaffte es auszurechnen, dass ich nicht nur seine Mudda, sondern theoretisch sogar seine Großmutter sein könnte. Da hört der Spaß nun wirklich auf. Mein Kontingent für Frettchenverschleiß ist aufgebraucht. Auch wenn er wirklich hübsch und höflich ist und mir die Mär vom Alter, das keine Rolle spiele, vorsäuselte. "Wenn man einen Mann wirklich will..." "Genau!", unterbrach ich ihn. "Mann und wollen, zwei Grundparameter, die hier nicht wirklich zutreffen." Zum Glück verstand er mich nicht.

Zu viert spielten wir schließlich Tischtennis. Bei der steifen Brise ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Ich traf den Ball kein einziges Mal. "Da weißt du, wie es mir mit dir geht", sagte Aman. Ein Punkt für den jugendlichen Verführer.

Zum Abschied reichten wir uns die Hand und zogen sie gleichzeitig reflexartig zurück.
"Corona!" riefen uns seine Kumpel zu. Aber wie so oft, war es da schon zu spät.

Gemütlich schlenderte ich auf Gleis 1 durch den Bahnhof gen Hotel. Die einzigen, die mir begegneten waren der sturzbetrunkene Rotschopf, der vorhin noch auf der Kaiserstraße lag und jetzt an die Tür der Bahnhofsmission hämmerte und eine Maus, die ins nächstgelegene Loch entschlüpfte. Auf der Anzeigetafel stand Limburg. Was mich auf Tebartz-van Elst brachte. Ein Größenwahnsinniger, wie praktisch jeder von Rom gesandte. Gute Nacht.

One night in Frankfurt Part I


ONE NIGHT IN FRANKFURT - PART I

Nach einem anstrengenden Synchronisationskurs schmiss ich mich zwecks Nahrungsaufnahme in das Frankfurter Nachtleben.

Um von meinem Hotel in einigermaßen gemäßigte Gefilde zu gelangen, musste ich das berühmt berüchtigte Bahnhofsviertel durchqueren, vor dem mich meine Mutter in den letzten Tagen mehrfach inständig gewarnt hatte.

Ich war schon mehrmals in der Mainmetropole - einst griff mir ein Reisebuch-Autor ungefragt an den Walküren-Balkon, in Zeiten von metoo würde der heute vermutlich weggesperrt - hatte diese Besuche aber erfolgreich aus meinem Gedächtnis gestrichen.

Mit dem Ziel, die schlimmsten Bereiche zu umschiffen (beim Versuch selbiges zu erreichen hätte ich mich für den Rest meines Lebens mit harten Drogen eindecken können), geriet ich ausgerechnet in jene Gasse, die es tunlichst zu umgehen galt. Und ich meine nicht die Spielhallen, vor denen Säufer und sonstige Gestrandete herumlungern und Damen des horizontalen Gewerbes ihre übergrossen Vorbauten und prallen Gesässe willigen Freiherren zum temporären Erwerb anerbieten. (Zürichs Nutten weinen vermutlich vor Nostalgie in ihre Verrichtungsboxen.)

In erwähnter Seitenstrasse tummelten sich Junkies und Scheintote wie zu besten Zeiten des Zürcher Platzspitzes. Mein Schritt wurde schneller - und das will was heißen - meine Hand klammerte sich ans Täschchen und mit gesenktem Blick murmelte ich das Mantra "Bloss schnell weg hier" vor mich hin.

Eine eher schlecht gelaunte Mitbürgerin undefinierbaren Alters fühlte sich trotzdem irgendwie von einem meiner Blicke getroffen und schnauzte mich aus ihrem zahnlosen Mundwerk an, was ich blöde Fotze so zu glotzen hätte. Mir fiel auf den Schreck nichts Besseres ein als, schon profilaktisch zusammenzuckend, mit "Schnauze! Selber Fotze" zu antworten. Damit hatte sie wohl nicht gerechnet und liess mich mit einer ausladenden Handbewegung passieren. Ich bog rechts ab und stand vor einem Wolkenkratzer der Deutschen Bank. Größer konnte der Kontrast nicht sein. Ein Elend im Schatten des als architektonischen Kontrapunkt hingeschissenen anderen Elends.

Ich kehrte beim nächsten Thai ein und bestellte, nachdem ich einen Zettel mit Name, Adresse und Telefonnummer ausgefüllt hatte - die Stasi hätte Corona mit Handkuss begrüßt - ein Singha Beer und einen Lab Salat. Nach den ersten Bissen rief ich den Kellner.
"Entschuldigung, aber hier fehlt der Koriander."
"Ja."
"Was ja?"
"Koriander ist alle."
"Ein Thai Restaurant, das keinen Koriander hat, das hab ich ja noch nie erlebt."
"Wir haben welchen bestellt, aber er ist nicht gekommen."
"Aber im Oriental Market da drüben hat's jede Menge."
"Ja."
Der Kellner lächelte und entfernte sich rückwärts. Der Salat war auch ohne Koriander gut. Vor allem mit Schalotten und Knoblauch hatten sie nicht gespart. Gut, dass beim Synchronisieren nicht geküsst wird. Und auch der Mindestabstand hat durchaus Vorteile.

Später winkte ich ihn nochmals ran.
"Haben Sie Thai Desserts?"
"Thai Desserts?" er lachte, als hätte ich ihn um Beischlaf gebeten, "Thai Desserts, nein."
"Irgendwelche Desserts?"
"Wir haben keine Desserts."
"Ja dann. In dem Fall die Rechnung."
"Also wir haben gebratene Bananen."
"Nee, lassense mal."
"Wir haben eh auch keine Bananen. Kop khun krab."
"Ja, kop khun kha. Stimmt so."

Zwei Ecken weiter gönnte ich mir eine Kugel Mango Eis. Als ich leckend am Restaurant Der fette Bulle vorbeischlenderte, bat mich ein gutgelaunter Hesse um einen Blowjob, den ich dankend und bestimmt ablehnte, schließlich muss ich morgen Diane Keaton synchronisieren und kann keine Stimmbandüberlastungen riskieren.

Im Hotel zurück legte ich eine koreanische Rich Avocado Mask auf, mit der ich meine Mutter im WhatsApp Chat zu Tode erschreckte, weil sie dachte, ich sei bandagiert, weil man mir die Visage poliert hätte.

Beim Zähneputzen erblickte ich in der Scheibe der Dusche meinen Arsch und versuchte zu twerken. Um ein Haar hätte ich einen Bandscheibenvorfall verursacht.

Zum Tod von Ploog

In der FAZ
Er ruhe so, wie er es sich immer vorgestellt hat.