Samstag, 21. Januar 2023

Schreiben - Selbstbild mit Tier



Schon früh träumte Andreas Niedermann davon, Schriftsteller zu werden – der für seinen »durch und durch von Romantik durchdrungenen Geist« einzige Weg, »ein Leben in Freiheit« führen zu können. Ein Trugschluss, wie sich bald herausstellen sollte. Niedermann will also schreiben, aber er tut es nicht. Er will schreiben, aber er kann nicht. Vieles steht ihm im Weg: Entweder ist er pleite, muss also in harter Arbeit Geld ranschaffen, und wenn er welches hat, schmeisst er es raus. Anfangs für Drogen, später für Alkohol, viel Alkohol.

Auch er selbst steht sich im Weg, aber vor allem, so seine Überzeugung, dieses Scheißland Schweiz, aus dem er mehrfach – mehr schlecht als recht – zu fliehen versucht. Nahezu herzerwärmend sein Hass auf das Heimatland, die Kleinbürgerlichkeit, die von Lehrern in ihrer Freizeit verfasste »Literatur«, auf sein Mutter-Idiom, dessen Gebrauch er bald ein für alle Mal verweigern wird.

Mit einem Abrechnungsroman würde er das Ende einläuten »für die lächerliche ›Kultur‹, die Programmkinos, die alternativen Konzerthallen, das Ende der Vereine, die sich um Südamerika und Zentralafrika zu kümmern glaubten, die unsäglichen, an jedem Tag stattfindenden Kulturveranstaltungen, die Dichterlesungen der schreibenden Alleinerzieherinnen, das Hodenbaden der Männchen, das Ende der Männergruppen der Vasektomiebegeisterten, Schluss mit den Lichtbildvorträgen aus den Favelas von Rio de Janeiro (…). Die erkämpften Kulturplätze, die innerhalb von ein paar Jahren das normale Leben erstickt und die Städte in eine Art Batikkurs für rechthaberische Arbeitsscheue verwandelt hatten, würde es in Bälde nicht mehr geben. Kraft meines Romans. Tod den Kulturniks!«Doch zuvor bedarf es eines wilden Ritts von St. Gallen über Südfrankreich, Basel, Paris, Zürich, eine Alp, Grellingen (wo zur Hölle ist Grellingen?), die Toskana, Zürich, Toggenburg, bis es überhaupt einmal losgeht mit dem Schreiben. Unterdessen schlagen sich Niedermann und sein inneres Tier auf dem Bau, als Kuhhirt, am Theater als Kulissen- und Bühnenbauer, als Filmvorführer und Handlanger allenthalben durch. Geschrieben ist noch nichts, dafür schon viel getrunken. In Wien schließlich – verloren und melancholisch auf einer Bank sitzend – kommt er ihm, der erste Satz. Sechs simple Worte. Von da an schreibt sich der Erstling fast wie von selbst.

Dem Erfolg folgt die Ernüchterung: Nach kurzem Höhenflug mit TV-Auftritten, Lesungen, hohen Gagen und allem, was dazugehört, geht es weiter wie zuvor, denn: »(…) eine Masse an potentiell an Literatur Interessierten bedeutete: nichts. Willkommen, Törichter, im randständigen Unterhaltungssektor!« Und: »Dass man das Talent und die Könnerschaft eines Künstlers anerkennen, ihm aber trotzdem nicht folgen mag, ist für viele Apologeten schwer zu schlucken.« Niedermann schluckt runter und macht weiter, bis zum nächsten Roman und zum übernächsten. Niedermann ist ein Getriebener – mal Genie, mal nichtsnutziges Arschloch, wie er sich selbst betitelt. Und so ist »Schreiben. Selbstbild mit Tier« letztlich doch noch die Abrechnung mit einem Land, in dem sich, auf vielen Ebenen, bis heute nichts Nennenswertes geändert hat. Nicht im Kunstbetrieb oder Literatursektor und auch nicht in einigen anderen helvetischen Sonderschubladen.

Schade, dass in Niedermanns Erinnerungen praktisch keine Frauen auftauchen. Allenfalls als Randfiguren in der Rolle der vorübergehenden Lebensabschnittsbevollmächtigten. Nicht aber als Heldinnen, literarische Vorbilder, Inspirationsquelle, nicht einmal als Muse. Es hat sie sicherlich gegeben. Aber Männer erinnern sich gern an Männer, und Frauen versinken allzu oft für immer in den Katakomben der Geschichte.

Dennoch ist »Schreiben. Selbstbild mit Tier« ein rasanter, brutaler, schonungslos ehrlicher, aber auch poetischer und vor allem äußerst witziger Parcours durch Niedermanns (Un-)Tiefen und den deutschsprachigen vermaledeiten Kultur- und Literaturbetrieb. Unbedingt lesen!

Andreas Niedermann: Schreiben. Selbstbild mit Tier. Songdog-Verlag, Bern 2022, 192 Seiten, 18 Euro

22.12.2022: Tod den Kulturniks (Tageszeitung junge Welt)

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