Die Straßen sind nicht verlassen
sie sind nur zugeparkt
Zwischen Lieferwagen, E-Scootern und müden Menschen
steht ein Punschstand, der seit Tagen durchhält
Aus den Fenstern blinkt es in allen Farben,
wie ein epileptischer Hilferuf
Drinnen sitzen Leute mit glasierten Gesichtern
und vergleichen Guetzli-Rezepte,
als hinge der Weltfrieden davon ab
Im
Büro ist der Jahresabschluss noch nicht fertig
Jemand sagt «nach Weihnachten wird’s ruhiger»
und alle lachen,
so, wie man lacht, wenn man innerlich schon tot ist
Weihrauch,
der Duft, der den Tod vertreibt, nützt uns ja nichts
Wir
sind ja Protestanten
In den Kirchen riecht es heute nach Desinfektionsmittel
und im Krippenspiel spielt das Jesuskind ein KI-Modell,
weil die Eltern in Dubai sind.
Aus
Sicherheitsgründen tragen die Engel
reflektierende
Westen
und die Hirten haben Schichtdienst
Über allem hängt dieser Nebel aus Erwartung und Müdigkeit
dieser süße Zuckerguss aus Nostalgie
unter dem man ein bisschen schwer atmet
Und irgendwo,
hinter all dem Glitzer,
steht jemand am Fenster,
sieht die Lichter in der Ferne
und denkt sich:
Früher war mehr Lametta
© Susann Klossek

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