Das Ende der Fahnenstange
Je schlechter heute
ein Blatt, desto grösser sein Abonnentenkreis. Einst war die Presse wirklich
der Vorkämpfer für die geistigen Interessen in Politik, Kunst und Wissenschaft.
Der Bildner, Lehrer und geistige Erzieher des grossen Publikums. Sie stritt für
Ideen und versuchte die grosse Menge zu diesen Ideen emporzuheben. Allmählich
aber begann die Gewohnheit der bezahlten Anzeigen....
Bei dieser Einleitung handelt es sich nicht, wie man
annehmen könnte, um den Anfang eines soeben entstandenen Textes aus heutiger
Sicht auf die Presse, sondern um den Anfang eines Leitartikels aus der Wochenschrift
für Politik, Literatur und Kunst "Die Aktion" vom 29. Januar 1913,
herausgegeben von Franz Pfemfert.
Dass es mit dem Journalismus bergab geht, ist also keine Neuerscheinung des 21.
Jahrhunderts. Spätestens dann nämlich, als sich Verlage und Redakteure in den
schnöden Dienst des abonnierenden Publikums und dessen Geschmack und somit auch
in jenen der Anzeigenkunden begaben, wurde das Zeitungmachen zu einem
gewöhnlichen und durch und durch heuchlerischen Geldgeschäft.
Wer heute
behauptet, einzig und allein der Wahrheit verpflichtet zu sein, hat damit schon
seine erste Lüge vom Stapel gelassen.
Ein Journalist
von Ehre, so sollte man meinen, würde sich lieber eine Hand abhacken lassen,
als das Gegenteil von dem zu sagen, was er denkt oder sogar nicht auszusprechen,
was er denkt. Das Geschäft mit abgehackten Händen läuft schlecht, soviel ist
klar.
Arschkriechen hingegen ist schwer in Mode gekommen. Dem hatte sich Hunter
S. Thompson, der "Begründer" des Gonzo-Journalismus, bis zu seinem
spektakulären Abgang im Februar 2005 immer erfolgreich widersetzt. Auch wenn er
mehr aus subjektiver, anstatt objektiver Sicht über die Welt berichtete und
mitunter übers Ziel hinausschoss, so steckte in seinen Artikeln mehr Wahrheit
und Stil als in den meisten gottverdammten Ergüssen heutiger Vertreter der
gemeinen Journaille. Journalist – eine ungeschützte Berufsbezeichnung übrigens, mit
der sich jeder Möchtegernschreiber und Hobbyrechercheur schmücken kann, selbst
der Blogger von nebenan, der keinen gerade Satz zustande bringt und dessen
Content aus schlecht zusammengefügten Copy-Paste-Fragmenten besteht.
Zwar entspricht
die Arbeitsweise des Gonzo-Journalismus nicht den Anforderungen an
Journalisten, wie sie zum Beispiel der deutsche Pressekodex vorgibt, doch ist
eine Vermischung realer, autobiographischer und wenn's sein muss auch fiktiver
Erlebnisse immer noch besser als der gleichgeschaltete Einheitsbrei der heutigen
Medien. Lieber ein paar Thompson-Stilelemente wie Sarkasmus, Polemik,
Schimpfwörter und Humor als ein lieblos hingerotztes Gesülze, das dem
Inserenten Honig ums Maul schmiert und den Leser fehlleitet oder zu Tode
langweilt.
Bei gewissen Magazinen und Zeitungen
ziehen heute nur noch Parteien im Hintergrund die Fäden, wie beispielsweise bei
der Schweizer "Weltwoche", die man mittlerweile gut und gern den
verlängerten Arm der nationalkonservativen SVP nennen kann. In anderen Ländern wie
Italien oder Russland kontrollieren gleich ein einzelner Typ, der mehrheitlich
mit dem Geschlechtsteil denkt oder ein grössenwahnsinniger Freund der
Raubtierjagd ganze Medienlandschaften. Beide geblendet durch
Allmächtigkeitsphantasien.
Ganz zu schweigen von irgendwelchen volksverdummenden
Propagandablättchen von Zentralkomitees der Kommunistischen Partei wie etwa die
"Granma" in Kuba, die "Rodong
Sinmun" in Nordkorea und praktisch die gesamte Presse in China, im Iran,
im Sudan und Saudi Arabien oder gewisse Schmierblätter US-amerikanischer
Puritaner und konservativer Populisten, um nur einige Bespiele zu nennen.
Und ja, auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist nichts so begrenzt wie
die eigene Presse: Jede Menge in den amerikanischen Medien angestellten
Redakteure waren oder sind Mitarbeiter der CIA – auch in sogenannten renommierten Blättern
wie der "Times" oder der "Newsweek", schrieb Pulitzer-Prize-Gewinner
und Reporter der "Washington Post" Carl Bernstein bereits Ende der
1970-er Jahre im "Rolling Stone". Zusammen mit Bob Woodward deckte er
die Hintergründe der Watergate-Affäre auf. Und Ex-CIA-Direktor William Egan Colby sagte vor seinem Tod: "The CIA
controlled every major media asset in the USA." Er kam übrigens unter
mysteriösen Umständen bei einem Bootsunfall ums Leben. Im Zuge dessen, was mit der
NSA-Affäre ans Tageslicht geschwappt ist, ist nicht davon auszugehen, dass es
heute um die Unabhängigkeit der Presse viel besser bestellt ist.
Die Zeiten von
Watergate sind eindeutig vorbei. Heute wird die Wahrheit zugunsten von
Vertuschungs- und Kriegsszenarien, Shareholdern, Wirtschaftsbossen, Parteien,
Interessenvertretern und im Namen des Wettbewerbs bis zur Unkenntlichkeit
gedehnt. Inhalt und Sprache bleiben dabei auf der Strecke. Eine freie Presse
sieht anders aus und Gonzo ist schon lange tot. Hätte er seine Asche nicht mit
einer Rakete in den Himmel von Colorado katapultieren lassen, Thompson würde
sich im Grabe umdrehen.
FLEDERMAUSLAND
Diverse Wahrheiten über Wasserstände, Paranoia,
Journalismus und Hunter S. Thompson
Erste Auflage /gONZoverlag 2014
http://www.gonzoverlag-shop.de/
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