Mittwoch, 29. April 2015

Es lebe der Sport




Wer etwas auf sich hält stählt seinen Körper. Die Nachbarin tut es schliesslich auch. Und die sieht aus wie 42, obwohl sie bereits 43 ist. Sport hält jung und fit, pflegt sie immer zu sagen, wenn sie morgens gegen Sieben an meinem Haus vorbei joggt. Dass sie da operativ etwas nachgeholfen hat, wäre eine infame Unterstellung. Das heisst, ich kann es einfach nicht beweisen.

Jedenfalls ist es höchste Zeit, dass auch ich etwas tue. Das wurde mir ganz deutlich klar, als ich mich kürzlich auf der Waage leicht vorbeugen musste, um an meinem Bauch vorbei mein Gewicht zu erkennen. Als ich die Zahl erblickte, auf der der rote Zeiger mahnend stand, schnellte mein Puls vor Schreck in die Höhe, als hätte ich gerade einen Marathonlauf absolviert. Kurz: Ich meldete mich im Fitnesscenter an und belegte das Programm Active-Body-Life-Anti-Aging-Lady-Beauty-Fitness. Früher hiess das Frauenturnriege, man machte ein paar Rumpfbeugen, spielte Völkerball und ging hinterher auf eine Pizza und ein gepflegtes Bierchen in die Kneipe. Fertig war die Fitness.

Heute wird zuerst ein halber Tag an einem herumgemessen: Body Mass Index (uuups), Wassergehalt (aha), Fettgehalt (ach nee, wirklich?) Grösse (was, doch so klein?), Gewicht (wie, doch sooo viel?!), Oberschenkelnumfang (könnten Sie nochmal messen?)... Fazit: Ich bestehe in etwa aus 59 Prozent Wasser, 39 Prozent Fett und 2 Prozent irgendetwas, was nicht messbar war. Ich würde mal ganz spontan auf schlaffe Haut tippen. Eins war klar: Ich bin ein Problemfall. 

Deshalb musste ich auch aus Sicherheitsgründen diverse Listen ausfüllen, welche Krankheiten und schlechte Gewohnheiten meine Verwandten bis zu vier Generationen zurück so alles hatten. Ich muss doch sehr bitten! Ich kenne ja nicht einmal die Personen meiner noch lebenden Sippe, woher soll ich dann wissen, ob mein Ururgrossvater vielleicht unter Skorbut litt oder eine Säuferleber hatte?!

Als nächstes galt es Unterschriften zu leisten, wer im Falle meines Todes benachrichtigt werden soll, falls etwas schief geht mit den Geräten. Oder mit Alfonso. "Alfonso?" fragte ich bereits leicht mit Angstschweiss benetzt. "Das, meine Liebe, ist Ihr pörsonal Trähner", sagte die gertenschlanke Fitnesshostess und strich sich ihren ohnehin schon inexistenten Bauch noch ein wenig glatter. "Er verbringt wahre Wunder!"

Alfonso kriegte kaum einen geraden Satz heraus, dafür sah er blendend aus. Und er stellte mir die Geräte perfekt ein. Als erstes kam das "Ei" oder professionell ausgedrückt der Hypoxi-Vacuum-Trainer. Der Hypoxi ist ein halbfertiges Fahrrad, verpackt in ein Überraschungsei, in dem man in eine Art Raumanzug gezwängt, halb liegend - unbequem liegend, versteht sich - in die Pedale treten muss. In den ersten zwei Minuten waren mir die Füsse schon komplett eingeschlafen. "Ach! Ihre Durchblutung funktioniert aber überhaupt nicht!", stöhnte Alsfonso und verdrehte die Augen. Ja wie auch, wenn einem das ganze Blut in den Kopf strömt! 

Unterdessen überprüfte das Gerät meinen Puls, es zeigte Null an, ich war also bereits tot. Doch zu früh gefreut: Nach vier Minuten aktivierte der Hypoxi das Vakuum. Um ein Haar hätte mich das Killerei eingesaugt. Nach 30 Minuten war die Qual vorbei, Alfonso - wie peinlich - mass meinen Schenkelumfang erneut. Schon 0,00287 Millimeter weniger. Es wirkte. Soll der Umfang meiner Schenkel um circa 20 Zentimeter abnehmen, muss ich also nur noch 229´885 Mal ins Ei.

"Jetzt kommt der Vibrator", rief Alfonso aufgeregt. "Bitte was?", fragte ich erschrocken und liess vorsichtshalber schnell ein Belastungs-EKG machen. "Das Powerplate!", lachte Alfonso und zeigte mir lässig eine Übung, bei der jeder Muskel an seinem perfekten Körper erzittere und vibrierte, dass man schon beim Zuschauen Kalorien verlor. Dann durfte ich mich schütteln lassen. Ich hatte die Wahl zwischen static and active excersises. Ich entschied mich für Letztere, hielt aber nicht mal bis zum Ende der Übung - 30 Sekunden - aus. Mir war leicht schlecht. 

Alfonso legte mich auf die schweissabweisende Thermoübungsmatte und zeigte mir, wie man gesund atmet. Ich hatte also 39 Jahre am Leben vorbeigeatmet sozusagen. Ich hyperventiliere. Die Fitnessfee vom Eingang überreichte mir fröhlich einen Powerdrink. "Damit Deine Electrolyten wieder in Fahrt kommen". Es schmeckte wie Leitungswasser. Es kostete nur eine Kleinigkeit mehr. Zum Schluss nötigte mich Alfonso zu zehn Liegestützen. Ich schaffte einen halben, dann brach ich erschöpft zusammen. 

In meinem Keller steht ein Hometrainier, originalverpackt. Der täte es eigentlich auch. Ich komm da nur so schlecht ran, weil da die Hanteln, der Stepper, die Yogamatte und der Chi-Schüttler im Wege stehen.

"Die dreissig Kilo Übergewicht kriegen wir schon weg", sagte Alfonso Zuversicht vorstäuschend und tätschelte mir die Hand. "Kann man sich die Geräte auch nach Hause liefern lassen?", jammerte ich resigniert.

Am Abend sitze ich mit dem Propekt in der Hand vor dem Telefon und wähle. "Ich möchte einmal die 234 bestellen", sag ich mit zitternder Stimme. Zehn Minuten später wird geliefert: Extrascharfes Red Curry von meinem Lieblingsthailänder. ES LEBE DER SPORT!

(Erstvereröffentlichung in "Seesicht" - www.seesichtmagazin.ch)

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