Die Sonne hat ihre Schattengrenze gezogen. Sie reicht über's
ganze Land bis in den Himmel hinein, aus dem sich Wasser auf die Erde ergiesst,
in der Säue bis zur Oberkante Schweinebauch im Morast stehen. Die Nasen knapp
über dem Boden, fast als suchten sie Trüffel und finden dann doch nur
Kleingetier und Dreck.
Ich stolpere über meine Gedanken, wenn man überhaupt über
Gedanken stolpern kann. Da werden sich jetzt wieder ein paar Krümelkacker zu
Wort melden, denen es an Phantasie fehlt, und die die Sprache normgerecht
verwendet wissen wollen. Ordnung muss schliesslich sein im deutschsprachigen
Schreib-Einzugsgebiet! Wo kämen wir denn hin, wenn jeder denken würde, was er
will und ganz zu schweigen von denen, die eben nicht schweigen.
Der Schaum auf dem Kaffee zieht eine Fratze, ich glaube, er
stimmt mir zu, was ich wohlwollend zur Kenntnis nehme. Japanische Teenager
rennen durch das Zugabteil. Müssen wohl ein bisschen (Atom)-Energie loswerden.
"Daas isch doch kei Loufwage!", moniert der Mann auf dem Platz neben
mir, der Mann ohne Messer, obwohl seine Frau befunden hat, dass doch jeder Mann
ein Messer mit sich zu führen habe, denn andernfalls sei er ein Pinsel.
Und der Mann sieht das nicht so eng, und zerreisst das Brot
mit seinen blossen Händen und nimmt sich das grössere Stück. Zumindest was das
betrifft, will er wohl kein Pinsel sein. Nur bei herumrennenden Japanern, da
versteht er wirklich keinen Spass. Könnte ja jeder kommen und durchs Abteil
fegen, das würde die ganze schöne Ordnung durcheinander bringen. Das müsse man
dene Dütsche lassen, in Sachen Ordnung und Pünktlichkeit könne denen keiner was
vormachen. Und ich habe lange kein Lob mehr für die Deutschen gehört, aber wenn
das alles ist, was uns ausmacht, dann bevorzuge ich fast wieder das chronische
Gemecker über uns.
Und ich höre sie sagen: "Ach, ich denk' Du bist jetzt
Schweizerin, aber Du sagst immer noch 'uns', wenn Du von den Deutschen
sprichst?, und ich verdreh' mal so innerlich die Augen, weil das doch alles
sowas von scheissegal ist. Uns betrifft ja immer die Zusammenrottung oder einen
Ort, wo man sich gerade befindet und irgendwo muss man ja dazugehören, wenn man
nicht gerade ein autonomer Anarchisten-Eremit ist.
Und auf dem Feld spaziert eine Rotte Wildschweine, die sich
vielleicht gerade denken, was für lächerliche Probleme die Menschen doch haben,
wenn sie denken könnten, was wir ihnen natürlich komplett absprechen, weil wir
uns für die Krönung der Schöpfung halten. Und ich frage mich, wer da eigentlich
was woraus geschöpft hat und dass das 'ne ziemliche Drecksbrühe gewesen sein
muss, wenn daraus wir entstanden sind.
Und dann fällt mir der Titel für mein neues Buch ein:
'Männer auf Dächern', weil da grad welche im Regen auf einem roten Ziegeldach
herumspazieren und ein bisschen unmotiviert-dämlich in die Landschaft starren.
Und ihre Lage scheint genauso misslich wie meine, wenn ich jetzt um diesen
Titel herum ein Buch schreiben muss. Ich frage mich, wer oder was mich da
geritten hat, obwohl ich reiten nicht ausstehen kann, schon allein aufgrund der
Tatsache, dass ich eine Pferdeallergie habe. Wer will schon an einem
Asthmaanfall , ausgelöst durch einen alten Gaul, krepieren, wenn das auch durch
Drogen oder mit einem Herzkasper während der Ausübung exzessiven
Geschlechtsverkehrs möglich ist?
Und die Frau vom Mann ohne Messer kommt vom Klo und sagt
dort stinke es erbärmlich und ich denke, sag jetzt bloss noch, das können nur
die Japaner gewesen sein, aber da hat sie's schon gesagt und was man denn
erwarten wolle "eifach kei Aastand, die Uusländer!". Und das mit dem
Anstand, das ist so eine Sache, weil, wer sowas denkt und dann auch noch
ausspricht...Na, das wäre im Grunde einen Aufstand wert. Aber macht sich ja
heute keiner mehr die Mühe. Wir sind anstandslos aufstandslos.
Und aus dem Prospekt der Deutschen Bahn schaut mich
"Der späte Rembrandt" aus einem Selbstbildnis an und sein Blick
scheint zu sagen: Nehmt Euch lieber mal ein Beispiel an uns liberalen
Holländern. Wir sind entspannt. Und ich schreibe in mein Notizbuch: Montag für
die Legalisierung von Cannabis eintreten! Und dann gehe ich auch mal auf das
Stinkeklo und stelle fest, dass es gar nicht stinkt und dass die Alte, die die
Frau vom Mann ohne Messer ist, den umher rennende Japaner stören, eine Lügnerin
ist. Und ich frage mich, wer heutzutage eigentlich nicht lügt. Ich nicht. Zum
Beispiel sind in dieser Geschichte ein paar kleine Lügen versteckt, aber ich
sage Euch nicht, an welchen Stellen.
Der Schaffner verteilt Waldbeeren Bonbons vom Alpenbauer – bayrische Bonbon-Lutschkultur. Und ich denke mir, was so alles als
Kultur durchgeht dieser Tage und was Bauer für ein Scheissjob ist und dass ich
doch ganz froh bin, dass ich Schriftsteller bin, auch wenn ich auf fette
Subventionen verzichten muss. Aber schon das frühe Aufsteh'n, ach nee, lass ma.
Lieber brotlos glücklich, als wohlhabend unglücklich. Obwohl das auch so eine
Mär ist, dass Geld nicht glücklich macht. Aber so genau kann ich das auch nicht
sagen, weil ich, um das beurteilen zu können, nicht über genügend Kapital
verfüge und eigentlich generell nur unglückliche Leute kenne.
Die Bonbons schmecken überhaupt nicht,
aber denen von 'Bavarian Sweets' ist das sicher scheissegal, weil Glukose,
Zucker, Säurungsmittel, füllen das Konto zu zwei Dritteln. Und dann denk ich
mir: Klossek, lass das Reimen mal besser sein, kommt gar nicht gut. Und dann
hält der Zug in Buchloe und ich frage mich: Was zum Teufel mach' ich hier?
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