Letzten Freitagabend lief
ich einigermaßen aufgedonnert die Zürcher Künstlergasse hinauf. Ein Straßenname
wie für mich gemacht, dachte ich, während ich den Berg zur Uni raufhechelte.
Der Weg des Künstlers ist steil und beschwerlich. Ich kann ein Lied davon
singen.
Ich hatte eine VIP-Einladung zur opening party der Manifesta 11, um meinen Hals baumelte der Akkreditierungs-Badge als
ARTIST. Ersteres hatte ich Houellebecq zu verdanken, der mit einem Film- und
Fotoprojekt mit von der Partie war und durch Abwesenheit glänzte. Auf
meine Frage, ob er nach Zürich komme, schrieb er: I don’t know, dear. No performance, no true necessity to be present.
Für sein „Werk“ ließ sich Houellebecq
von einem gewissen Dr. med. Henry Perschak, Facharzt für Allgemeine Innere
Medizin an der Zürcher Klinik Hirslanden, mittels EKG, MRI und Blutanalysen
untersuchen. Eigentlich wollte sich Michel auf Herz und
Nieren durchchecken lassen und die Diagnosen samt Rechnungen präsentieren, der
Mediziner plädierte hingegen für eine ästhetische Aufarbeitung von Ultraschall,
EKG & Co. Das Magazin Monopol
feiert Houellebecq aber nun trotzdem als bildenden Künstler. Dabei hat er sich
im Grunde nur mal gratis von einem teuren Spezialisten durchchecken lassen. Ich sah
ihn regelrecht vor mir, wie er misanthropisch, noch immer unter Bewachung der
französischen Polizei, in seinem Apartment in Paris hockt, raucht und sich ins
Fäustchen lacht.
Das Motto der
diesjährigen Manifesta lautet What people
do for money. Die unbezahlte Arbeit von Freiwilligen, Praktikanten und
Kunststudenten, denen Künstlerkurator Christian Jankowski Chancen und Kontakte
versprach, dürfte da nicht gemeint gewesen sein. Zur
Eröffnung ließ eine Gruppe von Studenten und Künstlern 50-Franken-Noten auf die
Festgäste herabregnen – mit dem Konterfei von Jankowski und einem neuen Logo:
Moneyfesta. Vielleicht hätte sich Manifesta-Direktorin Hedwig Fijen ihren Satz The volunteers are not working, they are
doing services besser verkneifen sollen. Mir persönlich wären echte Fünfziger lieber gewesen, ich hätte damit eine Freundin bezahlt, die als freiwillige Helferin zehn Einsätze absolvieren muss, bis sie sich einen Freipass an die Ausstellung erarbeitet hat.
Konkret ging es um Kooperationen
von 30 Künstlern mit anderen Berufsgruppen – darunter ein Pastor und eine Sexarbeiterin
(oft geht das ja Hand in Hand), ein Meteorologe, eine Hundefriseurin, ein
Thai-Box-Weltmeister, ein Analytiker und ein Sterne-Koch. Eine im wahrsten
Wortsinn Scheiß-Kollaboration zwischen Künstler und Zürichs Einwohnern zeigte
sich später im Kunstwerk von Mike Bouchet, der einfach mal 80 Tonnen
Klärschlamm – die Extremente der Zürcher vom 24. März 2016 – zu einer auf 160 Quadratmeter
großen Fäkalblock-Skulptur verbaute.
Unglaublich,
wie viel Scheiße der Mensch produziert. Das kann auch gern im übertragenen
Sinne verstanden werden.
Während sich Stadtpräsidentin
Corine Mauch und andere nichtssagende Redner einen Wolf faselten, stand ich an
der langen Schlange zur einzigen Tränke, die schon vor Acht offen hatte, auf
ein Bier an. Leider gehörte ich nicht zu Dieter Meiers Truppe. Wer vor
gefühlten hundert Jahren mal bei Yello
mitgespielt hat, bekam natürlich auch an noch geschlossenen Fressbuden sein
Bier. Als was war Meier eigentlich vor Ort? Als Konzeptkünstler ohne Konzept?
Irgendwann am Ende der unsäglichen Reden drängte
sich Zürichs sogenannte Hautevolee, teilweise schon von Entzugserscheinungen
gezeichnet, in den großen Saal der Universität, in der Hoffnung, endlich gratis
saufen zu können. Es waren viele VIPs anwesend, VIPs, die keiner kennt. Wie
mich zum Beispiel. Als erstes besorgte ich mir meinen Willkommensdrink. Eine
Dame mit viel Unterleib meinte, da sei Gingerale drin. Was auch stimmte.
Allerdings gut kombiniert mit Turicum-Gin (41,5%). Macht sich gut auf Ex und
nüchternen Magen. Um 20:13 Uhr ließ ich versehentlich ein Stück Kunst (ein Dia)
in den Drink fallen. Ich fischte es wieder raus und legte es unauffällig zurück
auf das Tischchen, von dem ich es vorher entfernt hatte.
Kunst wird mit
steigendem Alkoholpegel eindeutig abgefahrener oder scheint dann plötzlich
einen tieferen Sinn zu beherbergen, der in nüchternem Zustand noch nicht
erkennbar war. Auch die Gäste wurden mit der Zeit attraktiver. Turicum sei
Dank. Ich fotografierte wild in der Gegend rum und traf zufällig auf Madame
Orgasmus. Genauer gesagt auf Maggie
Tapert, selbsternannte Sexpertin, bekannt geworden durch das Buch Pleasure – Bekenntnisse einer sexuellen
Frau,
die den Frauen dieser Welt zu mehr
oder besseren Orgasmen verhelfen will, was ja grundsätzlich sehr löblich ist. Na,
heute schon einen Orgasmus gehabt?, lallte ich sie von der Seite an und
erzählte ihr, dass ich für diese Veranstaltung ein Sexdate abgesagt hätte. Gute
Idee?, frage ich. Wohl kaum, sagte sie in ihrem
amerikanisch-schweizerdeutschen Akzent und wendete sich einem windigen Typen
mit Pferdeschwanz zu.
Ich brauchte dringend Nachschub. Zum Auftanken ging ich an den Turicum-Promostand. Die
Menge, die ich zum degustieren bekam, war allerdings mehr als mickrig. Sie
bedeckte kaum den Boden des winzigen Plastikbecherchens. Sehr fein, log ich, während ich an dem Wässerchen nippte, das kaum
meine Lippen benetzte. Das Turicum-Frettchen faselte etwas von Zitronenzeste,
Orangenblüten, Koreandersamen, Engelwurz, Voatsiperifery-Pfeffer
und Süßholz, das es mächtig raspelte. Ich nickte, hörte aber nicht wirklich zu. Follow us auf Twitter oder Facebook,
sagte es noch. Ja ja, so lange sie mir nicht folgen würden, war mir alles
recht. Ich holte mir einen weiteren Drink, für den ich 12 Franken hinblättern
musste.
What meens professional?, fragt ich
eine Russin und zeigte auf ihren Badge, der ihr auf den ziemlich luftig
verpackten Titten baumelte. Sexgewerbe?
Glücklicherweise verstand sie mich nicht.
In einem
abgedunkelten Raum konnte man die Installation The sound of science von Hauser
Becker Zuber (videoüberwacht!) bewundern. In einer Art Versuchsaufbau in
einem fiktiven Laboratorium standen unter anderem ein ausgestopftes Wiesel und
ein Frettchen. Ja, jetzt ein Frettchen!, schoss es mir durch den Kopf, aber
wieder draußen bändelte nur ein maroder Typ mit Jutesack auf der Schulter mit
der Aufschrift Sculpture Projekt Münster
2017 an. Für den war ich einfach nicht betrunken genug.
Zürich bekam für einen kurzen Moment so etwas wie
einen internationalen Hauch ab, der aber schnell wieder verpuffen wird im
zwinglianisch-biederen Mief. Die brennenden Themen dieser Zeit werden dabei
gekonnt umschifft. Alles in allem wird viel belangloser Schmarrn ausgestellt, bei dem man sich zwangsläufig fragte, wie zum Teufel gelingt es den Leuten damit so eine Plattform zu kriegen? Der Kunstbetrieb ist eine Mafia, wo Beziehungen, Geld und sexuelle Gefälligkeiten eine tragende Rolle spielen.
Ich ging an die
frische Luft und gönnte mir in der Doktor-Faust-Gasse ein Red Thai Curry mit
Shrimps. Wie ist das so für all das
elitäre Gesocks hier zu arbeiten?, fragte ich einen Mitbürger mit Migrationshintergrund,
der gerade leere Plastikbecher von Kunst entfernte. Erschrocken wendete er sich
ab. Langsam ließ die Wirkung des Alkohols nach und ich mich auf einen ledernen,
weißen Quader fallen. Manche Leute sahen einfach wie Kasper aus. Andere nur
beschissen. Viele leider auch verdammt gut. Jung und schön. Denen steht die
Welt offen. Egal wie groß der Scheißhaufen ist, den sie uns gerade vor die Nase
gesetzt haben.