Wer denkt, deutsche oder Schweizer Behörden seien
pedantisch, kleinkariert, bürokratisch und arbeiten langsam und ineffizient,
der hat noch nicht neun Stunden bei 39 Grad auf dem Immigrationsbüro in Delhi
im eigenen Saft geschmort.
Das Unheil nahm seinen Anfang, als ich am 27. März
um genau 23:53 Uhr, wie ich später auf einem Formular las, im Hotel in Delhi
eincheckte. Nachdem Kreditkarte und Pass mehrfach überprüft worden waren, entdeckte
die Dame an der Rezeption eine kleine visatechnische Unstimmigkeit. Das eine
Visum war seit zwei Tagen abgelaufen, das andere hatte keinen Einreisestempel,
da ich bereits mit Visa 1 eingereist war und das Land seither nicht mehr
verlassen hatte.
Hätte ich nur, und zwar auf immer!, dachte ich noch, als die
Schnepfe mich kurzerhand für visalos erklärte, meinte, ich würde mich illegal
im Lande aufhalten und ihren Kollegen an den Tisch rief. Dass ich den Fall
bereits mit der indischen Botschaft in Bern und zwei Personen der
Immigrationsstelle des Flughafens Delhi abgeklärt hatte und alle die
Angelegenheit für problemlos erklärten, ließen die beiden Hotelhoschis nicht
gelten. Sie brieften unverzüglich den Manager über mein Vergehen. Auch dieser
erwies sich als renitent, entließ mich aber wenigstens auf mein Zimmer.
Vorerst. Denn er informierte umgehend den Security Officer des Hotels und
dieser wiederum die lokale Polizeibehörde und The Government, da die Sache
keinen Aufschub dulde.
Wer genau mit der Regierung gemeint war, kann ich nicht
sagen, vielleicht Modi persönlich. Nachdem ich zweimal per Telefon zur
Rezeption beordert wurde – es war inzwischen gegen zwei Uhr morgens – teilte man mir mit, dass ich sofort nach dem Frühstück ins FRRO (foreigner
regional registration office) müsse, um die
Angelegenheit zu klären und meine Strafe zu zahlen. Wofür die Strafe sein
sollte, war mir nicht ganz klar, ich hatte nur die Anweisungen der indischen
Behörden befolgt, aber man würde es mir sicherlich erklären.
Das alles habe ihm
die Person befohlen, die das zweite Visum erteilt hatte und die er angerufen
habe. Klar, um halb Zwei in der Nacht! Der übereifrige Manager, der sich nur
selbst Ärger vom Hals halten wollte, meinte mit einem Bedauern ausdrückenden,
entglittenem Lächeln, er wolle mir doch nur helfen, da ich a single woman, travelling alone sei, die nicht wisse, was sie
tue. Und irgendwie hatte er Recht, denn ich verlor für zwei Minuten die
Contenance, schrie das Personal in einem Anflug von Hysterie zusammen und
drohte mit I am a journalist!, über
die leidige Angelegenheit eine Story zu verfassen, die dem Hotel nicht bekommen
werde.
Diese Nacht dürfe ich im Hotel bleiben, versuchte man mich zu
beschwichtigen, würde ich am Morgen jedoch nicht aufs erwähnte Amt gehen, müsse
ich leider das Etablissement verlassen. Man hätte meinen können, ich habe
Hochverrat begangen.
Punkt 9 stand ich im FRRO, East Block – VIII,
Level-2, Sector -1, R.K. Puram, New Delhi.
Die mit grünem Plastik überdachte Wartehalle, in
deren Licht man aussieht wie eine Wasserleiche und für Stunden im eigenen Saft
(zur späteren auch in jenem anderer Anwärter) schmort, war in zwei Sitz- und
Anmeldeblöcke unterteilt: Die rechte Seite war ausschließlich Afghanen
vorbehalten (ob es die Hunderasse mit einschließt, kann ich nicht mit
Sicherheit sagen), die linke Seite für den Rest der Welt. Dort hockten dicht
gedrängt die spanisch-indische Großfamilie mit vier antiautoritär (un)erzogenen
Gören, neben dem kasachischen Riesen mit Rumpelstielzchenbart, dicke, schwarze
Mamas aus Nigeria, Kenia und Mosambique neben dem blässlichen, älteren,
englischen Ehepaar, dem verwirrten, dürren Franzosen, der Amerikanerin, die ein
indisches Mädchen adoptiert hatte, die Araberin, deren Mutter hier im
Krankenhaus liegt neben der im Libanon lebenden Französin, der in Varanasi
Kreditkarten, Geld und der Pass samt Visa abhandengekommen waren. Letztere war
sich übrigens sicher, dass sie bestohlen wurde, auf der Polizei in Varanasi,
der heiligsten Stadt der Hindus, notierte man dann allerdings, sie habe alles
verloren, das sei besser für die Statistik. Viele Leute verlieren in Indien
irgendwelche Sachen. Ich zum Beispiel um ein Haar meine Nerven.
Wir alle warteten also bei 39 Grad im Schatten
unter diesem Sonnendeck, um dem Beamten am linken Tisch unser Anliegen
vorzutragen. Mir wurde eine Stunde später mitgeteilt, dass ich eine Passkopie,
eine Kopie des neuen Visas und das sogenannte "C"-Formular vom Hotel
der letzten Nacht besorgen und dann zu den zwei Heinis an den Laptops in der
hinteren rechten Ecke gehen und mir dort das Exit-Formular erstellen lassen
müsse. Die Kopien ließen sich im angeschlossenen Coffeeshop gegen ein paar
Rupien relativ schnell erbringen. Das Hotel, das 20 Minuten lang das Telefon
nicht abnahm und bei dem ich per Mail um die C-Form bitten musste – natürlich alles mit dem Schweizer Handy, weil das
Amt über kein WLAN verfügt – brauchte für eine Mail geschlagene 1,5 Stunden.
Unterdessen stellte ich
mich in der Reihe für die Laptop-Jungs an, die meinen Pass auf einen Haufen
warfen, der in der nächsten Stunde zu einem Berg aus grünen Afghanen- und
Muftipässen anwuchs, deren Fälle alle vor meinem behandelt wurden.
Offensichtlich ging es bei ihnen um Leben oder Tod, bei mir ja nur um einen
Stempel. Man hielt mich an zu warten. Etwas, dass ich mittlerweile seit mehr
als dreieinhalb Stunden übte. Als ich neben müffelnden Albanern und einem sehr
finster dreinschauenden Tadschiken vor mich hintriefte, kollabierte eine
Immigrationsbüroangestellte und wurde diskret entfernt und meldete mir mein
Provider Sunrise seit dem letzten Telefonat seien Kosten von 204 Franken
angefallen, bei 300 werde mein Handy gesperrt. Akkustand: 38%
Ich fragte mich, was ich eigentlich im Bureau of
Immigration sollte, ich wollte doch nur raus hier. Doch dann wurde mein Name
aufgerufen, der Student am Laptop füllte mein Exit-Formular vergleichsweise
zügig aus, nachdem ich selbst Details wie Größe, den Namen meines Vaters, meine
Nicht-Religion und sämtliche Details meiner vorangegangenen Reise angegeben
hatte. Ich wollte fragen, ob sie auch noch mein Gewicht wissen müssen, verkniff
mir das aber lieber. Ein Foto wurde auch noch verlangt. In weiser Voraussicht
hatte ich eins dabei. Anderenfalls hätte ich mich in der Schlange vor dem
Stuhl, in der hinteren rechten Ecke anstellen müssen, auf dem die Leute von
einem Hobbyfotografen notfallmäßig abgelichtet wurden.
Das Glück, jetzt alle nötigen Papiere für den Mann
am Tisch links vorn zu haben, wurde nur durch dessen Abwesenheit zum Lunch
getrübt. Es war 13:10 Uhr. Punkt Zwei war er schon wieder da. Während des
Wartens glotze der Araber zu meiner Linken permanent auf mein Formular und
meinen Pass. Halt jetzt bloß die Fresse, dachte ich. Tat er leider nicht: Switzerland, beautiful country, sagte er
und fuchtelte mit seiner Gebetskette vor meinem Gesicht herum. Und gleich würde
er fragen von welchem Teil der Schweiz ich käme und dass er dort Freunde habe
oder einen Schwippschwager oder gar selbst schon vor Ort war und ob ich
Langenthal oder Aefligen kenne und so kams dann auch. Aber ich stand freundlich Rede
und Antwort. Schließlich saßen wir im selben Boot. Oder unterm gleichen grünen
Plastikdach und ihm kochte sicher genau wie mir das Wasser im Arsch.
Als ich
endlich wieder vorm Tischmann stand, blätterte dieser widerwillig meine
Unterlagen durch und schmiss mir diese mit den Worten Und wo sind die Kopien des abgelaufenen Visums und des Flugtickets?!
und angewiderten Blickes vor die Füße. Das war keine gute Frage, denn bis dahin
wusste ich gar nicht, dass ich diese Kopien ebenfalls erbringen müsse. Zurück
zum Coffeeshop, sich gegen eine junge vordrängelnde Afrikanerin, der die Beine
weh taten, weil sie schon seit 9 hier sei (so what, ich auch und meine Beine
sind dicker, tun also viel mehr weh) und zwei Bärtige im Kaftan wehren, die
mich mit dem Argument Du bist bloß eine
Frau, was willst du? einfach beiseiteschoben. Hier konnte man vom Glauben
abfallen, wenn man einen hätte.
Als ich wieder beim Tischmann vorstellig wurde, es
war 15:10, eröffnete er mir, dass ich morgen 10:30 wiederkommen solle. Erst auf
die hysterisch-aggressive gefolgt von der verzweifelt-weinerlichen Tour
schaffte ich es schließlich, mich in ein fettes Buch eintragen und die
heiligen, akklimatisierten Hallen des Bureau of Immigration betreten zu dürfen.
Man war bei Nummer 40, ich hatte die 70. Drinnen traf ich die Französin mit
ihrem von der französischen Botschaft ausgestellten grünen, provisorischen,
nicht biometrischen Pass wieder, den die Beamtenidioten soeben als Fälschung
deklariert hatten. Das persönliche Schreiben des französischen Botschafters
sollte ihr später gerade nochmal den Arsch retten.
Apropos Botschaft. Da ich
kurz zuvor den Schweizer Botschafter für Indien und Buthan und seine Entourage
persönlich in Varanasi kennengelernt hatte und man mich einlud, sie in der
Botschaft zu besuchen oder bei Problemen um Hilfe zu bitten, hatte ich genau
das am Morgen gegen 9 gemacht. Man versicherte mir, mich spätestens gegen halb
12 zurückzurufen. Mittlerweile war es 16 Uhr, man war bis Nummer 48
vorgedrungen, von der Botschaft habe ich nie wieder etwas gehört. Vermutlich
musste man sich auf ein Bankett vorbereiten.
Die Zeit verging, immer wieder traten bezahlte
Inder für ihre problemhabenden Ausländer ohne offizielle Nummer ans
Registrierungspult, dessen Mitarbeiter zudem Teepausen einlegten oder im Falle
der in Ohnmacht gefallenen alle über den Ausgang ihres morgendlichen Kollapses
unterrichteten. 17:30, ich hatte weder etwas gegessen, noch getrunken, noch das
Klo aufgesucht (warum auch, ich hatte ja weder etwas gegessen noch getrunken)
und die Hoffnung schon fast aufgegeben, leuchtete endlich in roten
Blinkelämpchen die Nummer 70 auf.
Meine Papiere wurden erneut überprüft, ich
durfte den Grund meines abgelaufenen Visums zum fünften Mal erläutern und
weil‘s so schön ist, auch noch in einem einseitigen Englischaufsatz
handschriftlich festhalten. Meinen Kugelschreiber nahm der Beamte lächelnd
entgegen und verstaute ihn in seiner Hemdtasche, danach ging er mit mir mein
Schreiben Satz für Satz durch und notierte alles nochmal persönlich auf der
Rückseite. Das zweite Visum sei sinnlos und ungültig, das brauche er nicht,
schnauzte er mich an. Trotzdem wollte er davon zehn Minuten später eine Kopie.
Da hatte ich es aber schon weggeworfen. Nach langer Beratung mit einem Kollegen
tackerte er Köpfchen wackelnd alle Dokumente zusammen und schickte mich in die
Signaturen-Abteilung.
Dort saßen ein weiterer Beamter, der sich
anschickte, mein gesamtes Dossier nochmals akribisch zu studieren, sowie ein
Fußballer aus dem Senegal, der in Richtung des Beamten gerade stumm die
Wortfolge Fuck you formulierte.
Nachdem der Beamte alles gelesen und seinerseits mit unzähligen Randnotizen
versehen hatte, setzte er schließlich seine Unterschrift unter meinen Fall. Er
erhob sich lächelnd und ich wollte schon zugreifen, aber er ging mit meiner
Mappe in den durch Glasscheiben getrennten Nebenraum zu seinem Chef, der genau
dieselbe Prozedur noch einmal vollzog. Der Fußballer war kurz vorm Ausrasten
und musste von zwei seiner indischen Helfer beruhigt werden. Seine
Minirastazöpfchen zitterten beängstigend wie kleine Elektroantennen auf seinem
Kopf.
Der Chef übergab mir mein Dossier und fragte mich, wieso ich eigentlich
hier sei. Ich dachte, ich hätte einen Hörschaden, doch er wollte genau das
wissen. Ob da jemand im Hotel vielleicht übereifrig gewesen sei, next time at the airport just go!, sagte
er lächelnd und fragte mich, ob ich Verbesserungsvorschläge für den Ablauf der
ganzen Prozedur hätte. Mir wurde für ein paar Sekunden schwummerig, dann
verließ ich die Unterschriften-Fuzzis und ging wie mir geheißen zum Mann, der dort steht. Der Mann, der dort
stand blätterte in meiner Akte und verwies mich mit den Dokumenten zurück zum
Registration desk. Dort glotze einer kurz auf ein, zwei Seiten des Dossiers und schickte
mich an Schalter 2. Da war keiner, nach einer für indische Verhältnisse kurzen
Teepause kam dann aber der dazugehörige Mitarbeiter gemütlich angeschlendert
und tippte alles in den Computer.
Dann ging‘s zum Kassierer. Auch dieser
studierte die Akte noch einmal ausgiebig, notierte dieses und unterstrich jenes
und knüpfte mir 4200 Rupien ab. Dann musste ich die inzwischen zu einem fetten
Etwas angewachsene Mappe zurück zum Computertypen an Schalter 2 bringen, der
schon mit den Hufen scharrte, denn seit 3 Minuten hatte er Feierabend. Er
druckte ein Blatt aus und ich dachte, das sei es, aber ich musste mir erst
meine handgeschriebene Quittung für meine Strafzahlung beim Chef der
Unterschriftenabteilung abholen. Dort stand in Schönschrift die Bestätigung,
dass ich only 4200 Rupien gezahlt
habe. Nur? Es hätte also offensichtlich auch noch schlimmer werden können.
Mittlerweile waren ich und das englische Ehepaar die letzten Verbliebenen im
Wartesaal, die Frau heulte, der Mann zückte seine Kreditkarte. Dann endlich
übergab mir der Computermann mein Blatt Papier, das lang ersehnte Exit-Formular
mit dem erforderlichen Stempel. Zum Abschied winkten mir alle zehn verbliebenen
Beamten fröhlich hinterher.
18:11 hielt ein Sikh mit seiner Motor-Rikscha vor
dem Gebäude: Na, Exit-Formular im FRRO
geholt?, fragte er dummdreist grinsend. How
long?, fragte er. Einen Tag. Von 9
bis 6. Neun Stunden!, schrie ich. Ohhh,
Glückwunsch Maam, die meisten schaffen das nicht unter drei Tagen!
(Erstveröffentlichung im DreckSack Juni/17)
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