Varanasi
ist die schrecklichste Stadt, die ich kenne. Sie
verschluckt Seelen und alle geben sie freiwillig her. Alle Wege führen hier
irgendwann in eine Sackgasse. Obwohl das fürs Leben an sich ja auch gilt. Varanasi
ist praktisch ein riesiger landwirtschaftlicher Betrieb. Spezialisiert auf die
Massenproduktion von Gülle. Aber mit der Zeit wird einem das zunehmend egal. Man ist
selbst dreckig und schmierig, das Haar ist ein verfilztes Etwas, in dem bald
Vögel nisten werden. Ich wurde schon von einem Roller angefahren und einem
durch Matsch fahrenden Jeep von oben bis unten mit Scheiβe bespritzt. Mich hat ein Wasserbüffel gerammt, eine Kuh ging auf mich
los, ich wurde beinahe von einem Ziegenbock bestiegen und zwei Hunde leckten
mit fletschenden Zähnen meine linke Wade ab. Die hat eine Brandwunde vom
Tuchfühlen mit einem heiβen Motoradauspuff. Man kommt sich eben nah hier. Beim
Versuch einem grimmigen Wasserbüffel auszuweichen, bin ich in einem frischen
Haufen Dung ausgerutscht. Ich wurde belästigt, meist aus finanziellen, manchmal
auch aus sexuellen Gründen, übers Ohr gehaun und ausgelacht. Von den Abgasen
und dem Rauch der Verbrennungsfeuer und Kellerloch-Küchen läuft man ständig mit
einer Art Mattscheibe rum. Der Hup-Tinnitus klingt noch nachts nach und der
Raucherhusten hält selbst die Nichtraucherlunge auf Trab. Nachts friert man sich
den Arsch ab, nachdem man über Tags wie ein Schwein geschwitzt und eine
Mischung zwischen Kreuzkümmel und abgestandenem Leben ausgedünstet hat. Freudig
lächelnd und winkend kommen die Kleinsten auf dich zugerannt und wenn sie vor
dir stehen, wird das Lächeln noch ein bisschen breiter. Dann haben sie dich
schon fast an der Angel und du denkst, wie süβ die doch sind und wie ja doch
alles nicht so schlimm ist und dann stellen sie sich breitbeinig hin und sagen
es: «Money!». Dann ist der Ofen aus. So geht das hundert Mal am Tag und am
Anfang lachst du noch zurück und schüttelst kichernd das Haupt, bis du am Ende
des Tages mit gesenktem Blick mit dir selbst redest und dich das Mantra «Don’t
follow me, please don’t follow me!» herbeten hörst. Irgendwann dann im Laufe
der träge dahinflieβenden Tage, lässt man geduldig jedem Rindvieh den Vortritt und läuft
gleichgültig durch Zeit und Raum, als würde man es gar nicht anders kennen. Man
gibt sich selbst auf. Vielleicht ist das das Ziel allen menschlichen Daseins.
(Ausschnitt aus dem in Arbeit befindlichen Buch über meinen wochenlangen Aufenthalt in Varanasi, Indien).
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