Die beteiligten Autoren sind diesmal:
Gerd Adloff, Enno Ahrens, Eric Ahrens, Michael Arenz, Ronald Galenza, Florian Günther, Katja Horn, Johannes Hülstrung, Susann Klossek, Angelika Leitzke, Bas Lindgaard, Danny Lummert, Matthias Merkelbach, Thomas Meyer-Falk, Rüdiger Saß, Erik Steffen, Ulrike Steglich, Silke Vogten, Daniela Maria Ziegler.Fotografin dieser Ausgabe: Birgit Buchholz
Der DreckSack ist ab sofort hier bestellbar:
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Und ausnahmsweise gibt es meine Geschichte - von einer Japanreise vor vielen Jahren - heute mal online gleich zu lesen:
Wo bitte gehts zum
Fuji?
Ashi-See, Japan
Japaner meinen, jeder Mensch sollte einmal im Leben den
Fuji, das Wahrzeichen Japans, besteigen. In erster Linie ist damit natürlich
jeder Japaner gemeint. Aber auch einem Gajin (Außer-Mensch)
kann ein Aufstieg nicht schaden. Der Fuji-San, nicht Fujiyama, wie er
fälschlicherweise von ausländischen Kretins bezeichnet wird, ist mit 3776
Metern der höchste Berg Japans. Und auch einer der schönsten Vulkane der Welt.
Zumindest aus der Ferne. Deshalb beschließe
ich, dem heiligen Berg einen Besuch abzustatten. Eine Besteigung ist nur
zwischen 1. Juli und 31. August möglich. Sie dauert im Schnitt zwischen sechs
und acht Stunden. Glücklicherweise haben wir April, ich kann also nicht, selbst
wenn ich wollte. Was ich natürlich nicht tue. Tim hat bereits letzte Nacht zwei
spitze Hügel in Form der Arschbacken eines strammen Japaners bestiegen. Er
erholt sich jetzt von seinem Vorstoß ins Tal
der Glückseligkeit. So muss ich mich allein auf meinen Abenteuertrip aufmachen.
Wie es in Japan bei Ausländern gute, alte Tradition ist,
mache ich von Anfang an alles falsch. Ich kaufe mir ein sehr teures Ticket für
den Superexpress Shinkansen nach Odawara. Aus Angst keinen Sitzplatz zu
bekommen, erstehe ich zusätzlich eine Platzreservierung. Wer ahnt auch schon,
dass die Platzkarten doppelt so teuer sind wie die eigentliche Fahrkarte! Mein
Tagesbudget ist bereits jetzt fast ausgereizt. Auf dem Perron ist genau
angezeichnet, welcher Waggon an welcher Stelle hält, wo sich die Türen
befinden, wo reservierte Wagen, wo Raucher- oder Nichtraucherabteile sind. Der
Shinkansen hält zentimetergenau an den markierten Stellen. Der Zug ist halb
leer. Alle Fahrgäste schlafen. Oder lesen pornografische Comics. Nach dreißig Minuten bin ich in Odawara. Gemäß Reiseführer sei es jetzt nur noch ein Katzensprung
bis zum Ashi-See, von dem man – an guten Tagen – einen atemberaubenden Blick
auf den Fuji-San habe. Der Tag ist nicht gut. Die Bergbahn, für die das Ticket,
wie nicht anders zu erwarten, ein Vermögen kostet, ist vollgestopft mit
japanischen Sonntagsausflüglern. Diese wiederum sind schwer beladen mit
Picknickkörben, Wolldecken und Wattejacken, als wären sie auf einer Mount
Everest-Expedition. Die Landschaft ist fantastisch.
Die Bergbahn kriecht eine geschlagene Stunde bis Gora,
die Endstation auf 800 Metern. Seltsamerweise bin ich die einzige Ausländerin
weit und breit und fühle mich leicht verloren. Ein älterer, netter Japaner hat
Mitleid und fragt mich auf Japanisch wo ich hinwolle. “Fuji-San“, antworte ich.
„Sugureta“, sagt er, was so viel wie exzellent heißt.
Er will meinen Namen wissen. „Watashi-wa muzigh Susann des“. Er sieht mich
etwas verwirrt an, verbeugt sich mit einem „high“ (ja) und dreht sich weg. Ich
habe da wohl etwas durcheinander gebracht und dem armen Mann gesagt, dass ich
unschuldig sei. Was ich ja auch bin, in gewisser Weise.
Nach einer ziemlich langen Wartezeit und gegen ein
beträchtliches Entgelt geht es mit der Zahnradbahn weiter den Berg hinauf nach
Souzan. Doch ein Ende der Reise ist noch lange nicht abzusehen. In Souzan
wartet bereits die Seilbahn, die uns über Owakudani, das „Tal des großen Knochens“, zur letzten Stelle bringen soll, an
der der Vulkanismus noch dampfend zu Tage tritt. Ich löse für mein letztes Geld
ein Ticket nach Togendai, die Endstation am Ashi-See. Es ist die höchste,
steilste und längste Seilbahnstrecke, über der ich je in meinem Leben hing. Und
ich hing schon über einigen Abgründen! Der Blick ins Tal ist atemberaubend. Wie
der Preis, den ich für den Platz in der Gondel berappen musste.
Mit mir in der Gondel hockt eine dreiköpfige japanische
Familie. Die Frau sitzt mit geradem Rücken wie eine gehorsame Geisha zwischen
ihrem Mann und ihrem etwa vierzehnjährigen Sohn. Sie lächelt mir zuversichtlich
zu. Der Sohn hat sich seinen Sonntag offensichtlich anders vorgestellt. Er
starrt mit dunklen Rändern unter den Augen leicht bockig in die Tiefe, in der
es raucht und dampft und nach Schwefel stinkt. Sein Haar steht wie bei einem
Punker dreifarbig von seinem Kopf ab. Der Vater versucht sich in Konversation
auf Englisch. Seine Aussprache ist dermaßen
verjapanisiert, dass ich kein Wort verstehe. Nur so viel, er fragt, ob ich eine
spanische Stewardess sei. Absurder geht es nicht mehr. Vielleicht wollte er
auch etwas ganz anderes fragen und hat die Worte verwechselt. Oder ich hatte
etwas verstanden, was er gar nicht gefragt hatte. Man weiß es nicht. Ich bejahe, er freut sich und spricht
weiter auf Japanisch auf mich ein. Die Frau kichert hinter vorgehaltener Hand.
Der Sohn verdreht die Augen und wirft seinem Vater ein paar forsche Wortfetzen
an den Kopf. Ich schwitze. Die Seilbahnfahrt ist unendlich. Irgendwie schämen
wir uns alle vier. Leider ist an ein Aussteigen in dieser schwindelerregenden
Höhe nicht zu denken. Kurz vor der Mittelstation zieht sich Familie Yamaguchi –
ich meine diesen Namen verstanden zu haben – ihre dicken Jacken, Mützen und
Handschuhe an. Mein Gott wie verweichlicht. Schließlich
hatten wir bei der Abreise in Tokyo frühlingshafte 18 Grad. Böser Fehler
meinerseits.
Als ich aussteige werde ich von der eisigen, steifen
Brise, die einem hier auf der Mittelstation um die Ohren fegt, fast weggeweht.
Eigentlich hätte ich mir ja denken können, dass es oben am Berg kalt wird. Doch
seit meinem Meditationsabstecher im Tempel von Kyoto habe ich mit Denken nicht
mehr so viel am Hut. Irgendwo da drüben im Gegenlicht muss er sein, der
schneebedeckte Gipfel des erhabenen Fuji-San. Versteckt hinter der großen Dunstglocke. Zum Glück habe ich ja mein Ticket
nach Togendai. Vom Nordufer des Ashi-Sees soll man dann aber wirklich einen
tollen Blick auf den Yama (Berg) haben. Ich frage einen Mitvierziger, wie weit
es denn bis zur Endstation sei. Mein Zug nach Tokyo, für den ich ebenfalls eine
übertrieben teure Platzkarte habe, geht gegen Acht zurück. „Ach, Sie wollen
heute noch zurück?“, fragt er verwundert. „Hier übernachtet jeder. Die letzte
Seilbahn nach Souzan geht um fünf.“ Davon stand aber nichts im Reiseführer. Da
war nur von einem leicht zu arangierenden Tagesausflug die Rede.
“Na da habe ich noch genug Zeit, es ist ja erst halb
vier“, antworte ich aufgekratzt. “Das schaffen Sie nicht. Es ist sehr weit nach
Togendai“, er wiegt seinen Kopf hin und her. “Was haben ein Koffer und eine
Frau gemeinsam?“, fragt er aus dem Zusammenhang gerissen und sieht mich
erwartungsvoll an. “Was weiß denn ich!“,
antworte ich leicht gereizt und schieße ein
Foto in die Richtung, wo in etwa der Fuji sein müsste. “Beide sind mottenai“,
er grinst.“Jaaa. Und?“ “Mottenai, verstehen Sie, schwer zu (er)tragen“, er
schüttet sich aus vor Lachen. Er ist wirklich lustig anzuschaun. Ich mache auch
von ihm ein Foto. Nun, der Japaner an sich und ich haben doch eine
unterschiedliche Art von Humor. Als er sich ausgelacht hat, verbeugt er sich
ganz leicht, kommt näher an mich heran und fragt leise und eindringlich:
„Sekkusu suru?“Wenn mich nicht alles täuscht, hat er mich gerade gefragt, ob
ich mit ihm schlafen will. Ich verbeuge mich, bedanke mich mit „arigatoh“ und
lass ihn stehen.
Verzweifelt versuche ich mein zur Endstation gelöstes
kippu (Ticket) zu tauschen oder zu canceln. Die Frau am Ticketschalter
schüttelt nur unentwegt den Kopf und stellt sich verständnislos, während sie
aus einer kleinen hellgrünen Schale Tee schlürft. Wir reden etwa eine halbe
Stunde aneinander vorbei. Es ist nichts zu machen. Ich habe keinen Yen mehr in
der Tasche und kann mir nicht einmal einen Grüntee oder einen Toilettengang
leisten. Ich suche relativ lange nach einem geeigneten Busch, um wenigstens
ungestört pinkeln zu können. Hier oben ist die Vegetation ziemlich karg. Als
ich mir gerade die Hosen wieder hochziehe, kommt mir ein Mann in
Eisenbahneruniform aufgeregt, Arme wedelnd entgegen. Er wird doch hoffentlich
nicht auch mit mir schlafen wollen?! Nein, die letzte Seilbahn gen Tal hebe
jeden Moment ab und ich sei die Letzte hier oben. Tatsächlich fahre ich als
einziger Fahrgast der gesamten Seilbahnkette in meiner „Privatgondel“ zurück
nach Souzan. Die Zahnradbahn sehe ich nur noch von hinten und die Bergbahn
verpasse ich um
zwei Minuten. Somit auch meinen außerordentlich teuren reservierten Sitzplatz im Shinkansen nach Tokyo. Gegen Zehn erreiche ich erfroren, abgebrannt, ausgehungert und völlig erschöpft das Hotel. Tim macht sich gerade für eine neue Frettchen-Expedition zurecht. „Und, wie war der Fuji?“ „Welcher Fuji?“, frag ich und geh ins Bett.
zwei Minuten. Somit auch meinen außerordentlich teuren reservierten Sitzplatz im Shinkansen nach Tokyo. Gegen Zehn erreiche ich erfroren, abgebrannt, ausgehungert und völlig erschöpft das Hotel. Tim macht sich gerade für eine neue Frettchen-Expedition zurecht. „Und, wie war der Fuji?“ „Welcher Fuji?“, frag ich und geh ins Bett.
Aus: Tropenfieber
Tropenfieber
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