und hier ein Text für alle, die sich dafür interessieren, wie ich normalerweise mein Geld verdiene, wenn ich nicht an depperten Blogs herumbastle:
Die Wirtschaft Koreas, das zu den sogenannten Tigerstaaten zählt, wächst rasant. Einen grossen Beitrag dazu leistet das 1938 als Lebensmittelladen gegründete Konglomerat Samsung, in dessen Headquarter 24 Journalisten aus 13 Ländern geladen waren.
Wenn Joosang Eun freudestrahlend vor versammelter
Journalistenmeute die Wachstumspläne seiner Sparte verkündet, mutet es fast an,
als tanze er eine Runde Gangnam Style. Der Senior Vice President der Division
Printing Solutions Business von Samsung Electronics hat gut lachen und einen
Freudentanz kann er allenthalben hinlegen. Denn Samsung Electronics – das
1969 gegründete Flaggschiff der Samsung Group – hat,
dank 10 Millionen abgesetzter Galaxy S4 Smartphones im ersten Verkaufsmonat
Anfang dieses Jahres einen sagenhaften Gewinn von 7,9 Milliarden US-Dollar
eingefahren und somit den besten Verkaufsstart in der Firmengeschichte
hingelegt. Da spielt es fast keine Rolle, dass der Konzern mit seiner
Druckersparte als B2C-Anbieter bis dato eigentlich eher ein Schattendasein
führte und erst jetzt richtig im B2B loslegen will. Während wir geladenen
Journalisten im Headquarter von Samsung Electronics in Seoul mit dem Jetlag
kämpfen und vor Hitze fast vergehen – aufgrund
eines Energieengpasses gibt es eine Weisung der Regierung, sämtliche Innenräume
immer konstant auf kuscheligen 28 Grad Celsius zu halten, bei einer
Aussentemperatur von rund 38 Grad – gibt sich das Samsung-Team
frisch und spritzig. Dass Wall
Street-Institutionen wie J.P. Morgan, Morgan Stanley und Goldman Sachs kürzlich
zugegeben haben, dass ihre Gewinnschätzungen für das Galaxy S4 hoffnungslos
optimistisch gewesen seien und Samsung heruntergestuft haben, scheint vor Ort
ziemlich egal zu sein. Für diesbezügliche Fragen hat Eun nur ein heiseres Lachen
übrig: "Wir können nur überleben, wenn wir erfolgreich sind", sagt er
belustigt, und: "wie Sie sehen, wir leben noch!" Damit ist die Sache
für ihn erledigt.
Technisch weit voraus
Wer in "Samsung
Digital City" im Bezirk Suwon inmitten der 10-Millionen-Metropole Seoul
unterwegs ist, hat viel zu laufen. Das Gelände, deren erste Gebäude vom
renommierten New Yorker Architekturbüro Kohn Pedersen Fox entworfen wurden, erstreckt
sich auf einer Fläche von 1,72 Millionen Quadratmetern und beherbergt rund
30'000 Mitarbeiter, weltweit sind es 369'000, allein 236'000 arbeiten für
Samsung Electronics. Mittlerweile spriesst ein Wolkenkratzer für Forschung und
Entwicklung nach dem anderen aus dem Boden. Der "R5" wurde gerade
fertig. Hinzu kommen Innovationsforen sowie zahlreiche Testlabors für
Interferenz-, Stoss- und Schüttel, Feuchtigkeits-, Hitze- und Kältetests. Die
Anzahl Mitarbeiter und Innovationen scheinen jegliche Dimensionen zu sprengen.
Auch ein bisschen Paranoia gehört zum Tagesgeschäft: Vor Ort sind sämtliche
Gebäude gesichert wie das Pentagon. Laptops, Kameras und USB-Sticks sind
strengstens verboten und müssen direkt im Hotel verbleiben. Mitarbeiter müssen
bei jedem Betreten oder Verlassen eines der Gebäude durch eine Security-Kontrolle.
Wer Fremdprodukte mit sich führt, sprich, es wagt, ein iPhone mitzubringen – es sind nur wenige Abenteurer – muss dessen Kamera verkleben, bis er das Gelände wieder
verlassen hat. Uns Journalisten lässt man allerdings ohne jegliche Kontrolle
passieren. Möglicherweise ein böser Fehler? Denn hin und wieder hört man später
doch das Klicken einer Smartphone-Kamera. Und auf der Hälfte der Geräte prangt
das Symbol einer Frucht.
Das Land der
Morgenstille, wie Korea auch genannt wird, ist, zumindest in Seoul alles andere
als still. Millionen Autos, mehrheitlich der einheimischen Marken Hyundai oder
Kia, wälzen sich tagein, tagaus unter tiefhängenden Smogwolken durch die
moderne, hochtechnisierte Metropole. Tradition findet allenfalls noch hinter
alten Palastmauern und in den Museen statt. Wovon man im alten Europa zum Teil
noch träumt, ist hier schon lange Alltagsrealität: Öffentlicher Verkehr per
Chipkarte – Seouls U-Bahn ist eine der modernsten der Welt und auf
jeden Fall die sauberste, die man je zu Gesicht bekommen wird –, funktionierendes! gratis WLAN immer und überall, auch unter
der Erde, Kreditkartenzahlung in zwei Sekunden ohne Pin, Taxibestellung per
Knopfdruck im Minutentakt, automatische Autobahn-Maut-Zahlung im Vorbeifahren,
um nur einige Beispiele zu nennen. Modernste Technik wird hier als
selbstverständlich angesehen. Auch der Umgang mit selbiger scheint
unverkrampfter als in unseren Breitengraden. Von Security, Datenschutz und
dessen möglicher Verletzung hört man hier niemanden reden. Und wer meint, dass
es mit der Technik hinter den Stadtmauern vorbei ist, der irrt gewaltig. Auch
auf dem Land ist man bestens ausgerüstet. Beispielsweise mit hochtechnisierten
Bushaltestellen, wo dem hilflos auf koreanische Zeichen starrenden Westler
vielleicht ein Grossvater, der wahrscheinlich noch hungernd und frierend den
Koreakrieg mitgemacht hat, lächelnd mit dem Worten "You not know
touchscreen? Very easy!" aus der Bredouille hilft. Der Tigerstaat hat den
Anschluss an westliche Industrieländer lässig geschafft und diese, zumindest
was IT-Innovation betrifft, längst überrundet. IT-Geschichte und -Zukunft werden
heute in asiatischen Ländern wie Südkorea, China, Taiwan oder Indien, den USA,
Russland und Brasilien geschrieben. Wir müssen uns nichts vormachen, das Abendland
hat schon lange nichts mehr zu melden. Es ist weg vom Fenster.
Die Wirtschaft boomt
Nach einem vorübergehenden
Schwächeln, ausgelöst durch die europäische Schuldenkrise, boomt die
viertgrösste Volkswirtschaft Asiens heute wieder und wird dieses Jahr
voraussichtlich um 2,7 Prozent zulegen. Für 2014 wird bereits ein Wachstum um
weitere 4 Prozent erwartet. Das alles auch Dank einem milliardenschweren
Konjunkturpaket der Regierung. Nicht nur die BIP-Raten zogen so wieder an, die
Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 3,3 Prozent – fast so tief wie in der
Schweiz. Dieses Jahr wurden durch das Konjunkturprogramm 300'000 neue
Arbeitsplätze geschaffen, 2014 sollen 480'000 weitere hinzukommen. Demzufolge
sollen die Konsumausgaben im kommenden Jahr um 3,6 Prozent ansteigen. Wie hoch entwickelt das Land ist und wie gut es ihm geht, zeigt sich auch beim Lustwandeln durch die heiligen Ausstellungen von Samsung am Hauptsitz und im "D'Light"-Showroom. Das Kürzel D'Light steht dabei gleichzeitig für "light" (englisch für Licht) sowie "delight" (englisch für erfreuen). Soweit zu verstehen ist, will Samsung ein "guiding light to the digital world" sein. Viele der Ausführungen gehen allerdings lost in translation, manches auch lost in transpiration. Doch was visuell geboten wir, spricht für sich: Manche der neuen Produkte, die hier gezeigt werden, gab es vor ein paar Jahren nur in Sciencefiction-Filmen. Riesen-Fernseher, nur noch per Handwedeln oder Stimme bedienbar, durchsichtige Bildschirme mit denen sich die Kinder draussen am Spielplatz bewachen lassen, während die Nanny im Internet nach Kochrezepten surft und allerhand andere technische Spielereien. Und beim Anblick der neusten Kühlschränke und neonbeleuchteten, ökologisch nachhaltigen Wäschetrockner wünscht sich selbst der männliche Haushaltsmuffel zum Hausmann zu mutieren. Auf Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit wird im Hause Samsung grössten Wert gelegt. Doch ökologische und energiesparende Produkte – es gibt sogar einen Drucker im Pappgehäuse – haben vermutlich auch ihren Preis. Dass ausgerechnet Kunden aus jenen Ländern für die ohne Zweifel innovativen Produkte zu finden sind, die umwelt- und energietechnisch am Ende der Nahrungskette stehen, darf bezweifelt werden. Korea selbst und die USA dürften derzeit die grössten Märkte für den Konzern sein. Es scheint sowieso alles stark auf Amerika ausgerichtet zu sein: In keinem einzigen Werbe- und Promotion-Film für Samsungs Produkte und Dienstleistungen ist ein Asiat zu entdecken. Eine etwas befremdliche Tatsache.
Drei Sterne und ein Tanz
Der Name Samsung bedeutet im Koreanischen übrigens
"Drei Sterne" und repräsentiert die drei Söhne des Firmengründers Lee
Byung-chull. Präsident Lee Kun-hee, der dritte Sohn, entpuppte sich allerdings
als untergehender Stern und trat nach einem Bestechungsskandal in grossem
Rahmen 2008 von all seinen Posten zurück. Seither wird das Konglomerat von CEOs
der einzelnen Firmen geführt, was dem Konzern nicht schlecht bekommt. Samsungs
Ziele für die Zukunft sind denn auch heroisch: 2020 wollen die Koreaner zu den
Top 5 World Best Brands gehören – mit einem Jahresumsatz von 400 Milliarden
US-Dollar. Geld für Forschung und Entwicklung dürfte genug da sein, Samsung
unterhält mit dem "Leeum" sogar ein eigenes Kunstmuseum. Neben
asiatischen Kaligraphien und Gemälden, buddhistischer Kunst und Geschirr aus
dem 12. und 13. Jahrhundert, finden sich auch teure Errungenschaften unter
anderem von Rothko, de Kooning, Bacon, Giacometti, Basquiat, Beuys, Sherman,
Murakami, Warhol oder Koons.
Und am Ende der Reise in die Zukunft, nach einem
turbulenten, traditionellen, koreanischen Dinner – "für
koreanische Verhältnisse war es ein sehr stilles Dinner", O-Ton Joosang
Eun –, vielen Flaschen Soju
(Nationalgetränk aus Süsskartoffeln und Reis) und mehreren Toasts auf "the
little global world" setzt der Druckerchef doch noch zu einem kleinen
"Gangnam Style"-Tanz an. Im Text von Psys Welthit, der sicher im
Soju-Rausch entstanden ist, ist übrigens die Rede von Kaffee trinkenden Machos
und heissen Bräuten, allesamt stille, tiefe Gewässer, die in glühender Nacht
zusammen bis zum Ende gehen wollen. Bis zum Ende gehen oder darüber hinaus, das
dürfte auch die Vision der "Drei Sterne" sein. Geon-bae!*
*Prost!
Foto: Der "Broadway" von Seoul; by Susann Klossek
Der Text erschien in der Computerworld-Ausgabe Nr. 16 vom 27. September 2013
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen