Ameisen am Rande
des Nervenzusammenbruchs
Auf Facebook
werde ich immer aufgefordert, über meinen Tag zu berichten. Meistens gibt es da
aber nichts von Belang zu erzählen. Zudem ist mir ein großer Teil meiner „Freunde“
nicht bekannt und ich wäre froh, wenn sie ihrerseits ebenfalls auf eine
Berichterstattung verzichten würden. Heute allerdings passierten gleich mehrere
unvorhergesehene Dinge. Davon will ich im Folgenden erzählen.
Der Tag begann
damit, dass ich etwa zum dritten Mal in meinem Leben verschlafen hatte. Ich
wünschte, das wäre mir öfter passiert. Vielen Mitbürgern wären einige
unausgeschlafene Morgenmuffel-Stimmungen meinerseits und mir blöde Vorhaltungen
ihrerseits erspart geblieben.
Als ich später
beim Bäcker meine Brezel zahlen wollte, stellte ich fest, dass ich mein
Portemonnaie nicht dabei hatte. Sowohl die holde Bäckerin, als auch der Türke
an der Ecke für den Kaffee, ließen mich anschreiben. Offensichtlich wirke ich
vertrauensvoll. Das war mir neu.
Danach steckte
ich allerdings Ewigkeiten wegen einer Betriebsstörung der Bahnanlage im langen
Tunnel vor Zürich fest. Ein Alptraum für jeden Klaustrophobiker. Ich steckte
außerdem in meinem Business-Anzug fest, in dessen Inneren sich ein
mittelschwerer Schweißausbruch anbahnte. Nach der ersten Durchsage, dass wir
auf unbestimmte Zeit im Tunnel verbleiben müssen, wurde es totenstill im Zug.
Die Leute zückten ihre Smartphones und schrieben Abschiedsnachrichten. Einige
telefonierten. Offensichtlich verstanden ihre Gesprächspartner am anderen Ende
der Leitung nur Bruchstücke, denn mehrfach schallte der Kampfruf "Ich bin
im Tunnel, Tuuuuunnel!!!" durch die Gänge.
In einer
nächsten Phase kenterten und belagerten die Insassen die Toiletten. Angstschisse
vermute ich. Dann wurde es langsam unruhig. Wie Ameisen am Rande des
Nervenzusammenbruchs begannen die Leute im Zug hin- und herzulaufen, Gang vor
und zurück, treppauf, treppab. Wo sie hinwollten, blieb unklar, raus konnten
wir ja nicht. Unter meinem Pony bildeten sich Schweißtropfen, auch ich wollte
raus. Vor allem weil mir heiß war und meine neue Schuhe drückten, der Laptop
schwer und schwerer wurde und überhaupt: In einem geschlossenen Raum mit vielen
Menschen eingesperrt zu sein ist nun einmal widerlich. Einige Männer benahmen
sich wie Frauen in einem Almodovar-Film. Es wurde langsam hysterisch.
Glücklicherweise setzte sich der Zug irgendwann wieder in Gang. Die technischen
Störungen der SBB nehmen langsam deutsche Ausmaße an. Und diese wiederum
bekannterweise ja mittlerweile indische. Es geht bergab.
Auf dem Perron
am Hauptbahnhof Zürich lag ein Japaner in stabiler Seitenlage, dem gerade so
eine goldene Papierdecke übergeworfen wurde. Ich weiß nicht, ob er kollabierte,
weil unser Zug, der zum Flughafen fahren sollte, viel zu spät kam oder einfach
nur so. Um mal den Zustand des Bahnsteigbodens zu testen. Als ich in die
Sihltalbahn eingestiegen war und meine Lieblingslesebrille aufsetzen wollte,
zerbrach diese in zwei Teile. Ich könnte es positiv sehen: Ich habe jetzt zwei
Monokel. Aber ich bin ja eher der pessimistische Typ. Ich sehe das Glas Wasser
weder halb voll, noch halb leer, ich habe gar kein Glas. Ich fragte mich, ob
ich heute besser zu Hause geblieben wäre. Am Nachmittag muss ich zum Außenwirtschaftsforum.
Ich denke nicht, dass es heute nochmal besser wird.
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