Fortsetzung vom 28.3.2013
Es ist für den ersten Moment schon etwas irritierend,
wenn dein Name mit zehn anderen auf einem südamerikanischen Flughafen
aufgerufen und man mit Polizei-Eskorte zur Gepäckkontrolle neben die Rollbahn
beordert wird. So wie es mir in Quito vor der Abreise zurück nach Bogotá
passiert. Mir kommt Andrea Mohr in den Sinn, mit der ich zusammen in einem Buch
veröffentlicht habe. Auch sie wurde schon am Flughafen Quito gefilzt. Am Ende
sass sie fünf Jahre im berüchtigsten Frauengefängnis von Australien. Gut, im
Gegensatz zu ihr habe ich nicht jahrelang kiloweise Koks von Kolumbien nach
Down Under geschmuggelt. Ich bin klein, mein Herz ist rein. Trotzdem ist mir
leicht mulmig zumute. Ein neuer Versuch des Gatten mich loszuwerden? Hat er mir
Kokain untergeschoben und hofft auf meine Verhaftung? Fünf grimmig
dreinschauende Polizisten und zwei hechelnde Drogenspürhunde erwarten uns.
Jeder von uns muss sein Gepäck identifizieren. Die Verdächtigen-Gruppe besteht
neben mir aus einem jungen Holländerpaar (die sind offensichtlich per se
verdächtig), einer älteren Dame, ein paar finster aussehenden einzelnen Herren
und einer spärlich bekleideten Ecuadorianerin inklusive Kleinkind und
Kinderwagen. In knappen, forschen Sätzen befragt mich der Beamte nach Aufenthaltsdauer
in Ecuador, wohin ich wolle, für wie lange und wozu. Das ist eine gute Frage,
möchte man antworten, aber natürlich beantworte ich brav und korrekt, was er
wissen will. Die Staatsmacht reizt man besser nicht. Schon gar nicht in
Ecuador.
Während der Beamte scheinbar unbeteiligt meinen Ausführungen lauscht,
durchsucht er akribisch mein Gepäck. Als allererstes gerät ihm mein
Minivibrator, der allerdings als solcher nicht erkennbar ist, zwischen die
Finger. "Was ist das?", fragt er streng. Mir fällt vor Schreck weder
die spanische noch die englische Bezeichnung für den kleinen Freudenspender
ein. Ich stottere ein bisschen was von para el deleite de las mujeres - für die Lust der Frauen
- aber er stellt sich blöd. Absichtlich, vermute ich. Er legt das Ding zur
Seite auf den Tisch und packt den Inhalt meines Nécessaires und meiner Reiseapotheke aus. Er dreht ein paar Pillendosen in der
Hand, tut, als würde er die Aufschriften lesen, dann steckt er alles gelangweilt
wieder weg. Nebenan am Tisch packt die dralle Mutter ihr Zeug aus. Der Hund
kläfft das Kind an, das Kind erschreckt sich und fällt samt Sportwagen um und
unter den Untersuchungstisch. Es schreit. Ein einizges Chaos. Die ältere Lady
beschwert sich und wird zurechtgewiesen. Koffertransporteure rennen
schweissgebadet hektisch hin und her und schmeissen einzelne Gepäckstücke
wahllos in irgendwelche Ecken. Wenn das mal gut geht! Wenn das überall so
abgeht, wundert es mich nicht mehr, wenn so viel Gepäck nicht ankommt. Mein
persönlicher Durchsuchungsbevollmächtigter erinnert sich dummerweise nochmal an
das seltsame kleine schwarze Gerät, was er bei mir gefunden hat. Er drückt auf
das rechte Knöpfchen, es vibriert. Spätestens jetzt dürfte auch ihm klar sein,
dass es sich nicht um eine Waffe handelt. Jedenfalls keine der herkömmlichen
Art. Natürlich kriegt der Cretin das Ding nicht wieder aus, denn jetzt kommen
erst einmal die verschiedenen Vibrationsstufen. Langsam wird auch der
Drogenhund auf das surrende Etwas aufmerksam. Mit heraushängender Zunge und
gespitzen Ohren grinst mich der Schäferhund an, als verstünde er, worum es hier
gerade geht. Ich sage "pfui!", obwohl er sicher nur Spanisch
versteht, reisse dem verdatterten Beamtem meinen teuren Lelo aus der Hand und
stelle ihn ab. Linkes Knöpfchen, du Trottel! Damit ist die Durchsuchung für
mich beendet. Allerdings müssen wir, die Abgefertigten, uns in einer Reihe
aufstellen und warten, bis alle Koffer und Taschen komplett durchsucht sind.
Gefunden wird nichts. Weder bei der Terroristen-Oma, noch bei der
Nutten-Mutter, noch beim Haschisch-Pärchen aus Rotterdam.
Leicht enttäuscht,
möchte man meinen, wedelt ein Polizist mit der Hand und gibt uns zu verstehen,
dass wir verschwinden sollen. Danach gehts im Gänsemarsch in einen separaten
Raum zur Leibesvisitation, die allerdings für mein Empfinden ziemlich lasch durchgeführt
wird. Die Sache geht ohne gummibehandschuhe Finger in Körperöffnungen über die
Bühne. Danach müssen wir ein weiteres Mal durch die Sicherheitskontrolle. Auch
das Handgepäck wird erneut inspiziert. Als ich endlich wieder zurück bin, ist
boarding time. So kann man sich die Wartezeit bis zum Abflug auch vertreiben. Erstaunlich,
dass sie meine Amphetamine nicht gefunden haben. Apropos Amphetamine, Kokain und Ecstasy: Davon
wird am meisten in Antwerpen und Amsterdam konsumiert, gefolgt von Valencia,
Eindhoven, Barcelona und London. Das ergab eine grossangelegte
Abwasseruntersuchung in 19 europäischen Grossstädten. Da war zumindest die
Durchsuchung des Holländerpaares ja berechtigt. Was das Kokain betrifft, hatte
ich eher auf Zürich getippt. Aber vielleicht hat die Schweiz in der
EUROPÄISCHEN Statistik mal wieder nichts zu suchen. 350 Kilo Koks sind es
europaweit täglich, die sich die Herrschaften so genehmigen und am Ende der
Kanalisation übergeben. Nicht auszudenken wieviel es wäre, bei spottbilligen Preisen
wie in Ecuador oder Kolumbien. Die Leute würden wahrscheinlich von Kaffee auf
Koks umsteigen.
Eine
Leibesvisitation konnte mir nichts anhaben und ein Sandsturm auf 5200 Metern
auch nicht. Ebensowenig ein Bus, der sich mit meinem Taxi paart oder ein
psychopatischer Taxifahrer. Und jetzt hätten mir bei 5 Meter Attitute und 34
Grad (auch nachts!) beinahe zwei Antidünnschisspillen meines Tropenarztes den
Garaus gemacht. "Gegen den Durchfall hat es fantastsisch geholfen. Leider
ist der Patient tot." Gegen drei Uhr morgens, als ich gerade vom Klo, dass
ich die halbe Nacht frequentierte, aufstehen will, wird plötzlich alles schwarz
um mich herum. In den Ohren rauschen die Niagarafälle, das Herz schlägt wild
gegen den Hals, die Panik macht sich breit. Doch bevor ich richtig durchdrehen
kann, wird alles sanft, wie in Watte gepackt, alles ist weit weg und Schluss.
Später finde ich mich nackt - nackt war ich schon vorher! - auf dem weissen
Fliessenboden meines Zimmer wieder. Zum Glück bin ich schon etwas braun! Das
war also meine erste Ohnmacht. So ein kleiner Vorgeschmack auf den Tod, der uns
alle ereilen wird. Ohne die paar Schrecksekunden zwischen dem Realisieren,
jetzt passiert etwas, das du nicht mehr steuern kannst, und dem sanften
Entgleiten ins schwarze Nichts, war's gar nichtmal so ein grosses Ding. Wenn
man so abtreten kann, dann buche ich schon mal diesen Trip. Bei einem Error
schaltet sich der Körper also einfach ab. Erstaunlich auch, wie er, vor allem
wie schnell, das System wieder aufschaltet und sich selbst reguliert.
"Wollen Sie den
letzten Zustand vor dem Brakedown wieder herstellen?"
"Ja"
"Nein"
"Später
fragen"
"Systeme werden
hochgefahren, drücken Sie auf re-start"
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 11.4.2013
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