Cartagena
hat die grösste und schönste koloniale Altstadt, die ich je gesehen habe.
Deshalb musste die Stadt wohl auch für Dreharbeiten von diversen Szenen in
"Fluch der Karibik" herhalten, sagt der Gatte. Ich recherchier' das
jetzt mal nicht nach. Wenn's nicht so ist, wurstegal. Der Rest, das neue
Cartagena, liesse sich am besten mit Miami Beach für Arme umschreiben. Unser
Apartment im Gebäude "Las tres carabelas", die drei Schiffe, liegt im
25. Stockwerk, also das Penthouse, mit Blick in allen vier Himmelsrichtungen
aufs Meer. Die Wohnung hat, wie meistens, ein grosses, schönes Zimmer und ein
Katzenzimmer. Wir werfen eine Münze, der Gatte hat das Nachsehen. Aber er hätte
das grosse, schöne wahrscheinlich auch so mir überlassen. In diesen Dingen ist
er grosszügig. Wir haben getrennte Zimmer, weil das für alle Beteiligten das
Beste ist. Zum Beispiel weil ich schnarche und er gern zu nachtschlafender Zeit
herumraschelt. Zudem habe ichs gern kühl und hell wie im Kühlhaus der
Fleischerinnung, er lieber warm und finster wie im Führerbunker. Nach über
zwanzig Jahren Fast-Ehe gesteht man sich gegenseitig gern einen Rückzugsort zu,
an dem man treiben kann, was man will. Nur so funktionieren Beziehungen. Früher
haben wir nächtelang Kämpfe um auf- oder zugezogene Vorhänge und an-oder
ausgeschaltete Klimaanlagen ausgefochten. Diese Zeiten sind vorbei. Wir sind
erwachsen geworden. Gemeinsame Zimmer (oder gar Betten!!!) haben wir nur noch
im tibetischen Hochland in irgendwelchen trutzigen Steinbehausungen oder in
kubanischen Kaschemmen, wo es sowieso weder Vorhang noch Klimaanlage gibt.
Immer dann also, wenn es zu dekadent wäre, zwei Zimmer zu besiedeln, während
sich das Zimmer nebenan die siebenköpfige Familie teilt und Opa auf der
Militärpritsche unter der Spüle in der Küche nächtigen muss. Langfristig
zusammensein durch Abstand halten, das ist unsere Devise. Und es funktioniert.
Deshalb haben wir jetzt auch zwei Schlüssel zum Apartment, denn während ich
bereits im Bett bin, um die Nachwirkungen meiner Ohnmacht zu kurieren, arbeitet
der Gatte in Cartagena vieja gerade daran, neue Zimmergenossen zu rekrutieren. Das
Penthouse gehört einem gewissen Santiago, der für die Weltbank in Washington
arbeitet. Neben diesem Luxushüttchen hat er noch eines in Bogotá.
Sieht so aus, als lohne sich eine gehobene Bankkarriere überall auf der Welt.
Allerdings entpuppt sich der Luxus bei näherer Betrachtung als leicht bröckelig
und wackelig. Die Fenster sind eine Katastrophe, schliessen nicht richtig, was
bei einer jährlichen Durchschnittstemperatur von 30 Grad zwar sekundär ist,
allerdings entfleucht so auch ständig die kühle Luft der Klimaanlage. Ein
Stromverbrauchsdesaster sondergleichen. Um Strom, oder besser die Kosten dafür
zu sparen, schaltet uns Edgar, eine Art debiler Hausmeister und Mädchen für
alles, regelmässig heimlich die Sicherungen für die Aircondition ab. Die
Schalter sind versteckt hinter einer Zwischenwand im Küchenschrank. Ich habe
sie in 18,5 Sekunden entdeckt und schalte sie regelmässig wieder an. Gelernt
ist gelernt (Stasi, BND). Ohne Klimaanlage, auch wenn sie Töne wie ein
Mittelstreckenflugzeug von sich gibt, ist ans Schlafen nicht zu denken. Der
Mensch ist schon seltsam. Erst beklagten wir die Höhe, die Kälte und dass die
Dusche nicht heiss genug ist, eine Woche später schnaufen wir ob der Hitze und
jammern, dass die Dusche nicht kalt genug wird. Man will immer das, was man
gerade nicht hat. Im Smartphone erreicht mich eine Nachricht mit dem Titel:
Hitzewelle überrollt die Schweiz. Das, nachdem sie dort gerade einmal drei Tage
30 Grad hatten. Für Montag sind bereits wieder 19 Grad angesagt. Die Nachricht
entpuppt sich als Werbung für Luftbefeuchter. Der Mensch ist bekloppt.
Es war zu erwarten, dass es an einem heissen Ort in der
Karibik kubanische Ausmasse (Sodom und Gomorrha) annehmen wird: Wir sind schon
tagsüber am Strand gut betrunken. Abends geht es in die einschlägigen Bars.
Gestern, es war mal wieder Samstagnacht, suchte ich das Café Havana auf (oder
heim), eine Bar, die einer Bar in Havanna originalgetreu nachempfunden wurde. Auch
die Stimmung und das Publikum waren kubanisch. Hemmungslos, zügellos, morallos,
fröhlich, als gäbe es kein Morgen, kurz: ausser Rand und Band. Eine
Altherrenband von der Insel heizte der wilden Meute ein. Hinter der Bar
stapelten sich Flaschen Havana Club Añejo 7 Años vom Boden bis zur Decke. Ein
Verführer liess sich bereits nach fünf Minuten blicken. Ich liess mich nicht
lange bitten. Den vier Mojitos sei Dank. Wir tanzten Salsa bravío die ganze Nacht. Es dauerte nicht lange und Alvaro,
40 - für einmal kein Frettchen, sondern ein Mann - gerade frisch geschieden von
seiner chilenischen Ehefrau, schob mir seine wendige Zunge in den Mund. Ich
denke, ein nächster Kubabesuch ist überfällig. Erinnerungen schwappten hoch, an
irre Monate auf der verfluchten Insel. Diese rumselige, überspringende
Lebensfreude, der Tanz auf dem Vulkan, der jeden Moment auszubrechen droht und
alles unter sich begräbt, dieses von Tag zu Tag leben, weil eh alles am Arsch
ist! Dem kann keiner entrinnen.
"Ich will mit dir schlafen", flüstert
Alvaro mir nach knapp zwei Stunden ins Ohr (Orlando in Havanna hatte das schon
nach 20 Minuten gefragt), während sich ein anderer zwischen uns schiebt und
"Soy Cubano" - ich bin Kubaner - ruft. Als wäre das eine besondere
Auszeichnung, die ihn prädestiniert mich meinem Kolumbianer auszuspannen. Zudem
fehlte mir die kolumbianische Nation noch auf meiner internationalen
Kopulationsliste. Sorry Mulato, Cubano, aber da ist nichts zu machen. Auch ich
will mit Alvaro schlafen, habe aber keine Lust, ihn ins Apartment an der
Security vorbei zu schleusen. Zu ihm können wir nicht, da er sich, nach seiner
Scheidung und der Rückkehr aus Santiago de Chile, erstmal wieder bei Muttern
einquartiert hat. Wir erwägen ein Stundenhotel zu nehmen, haben aber nicht
genügend Geld dabei. Ich, versteht sich. Es war kaum anzunehmen, dass er etwas
springen lassen würde. Obwohl er ja angeblich als Ingenieur bei Ecopetrol
arbeitet. Ja, solche Ingenieure sind mir schon des Öfteren untergekommen! Zudem
erinnere ich mich an desaströse Abenteuer in Stundenhotels in Bangkok und
Tokyo. Es musste keines in Cartagena hinzukommen. Kurz versuchten wir uns in
einem Hauseingang, der aber, wie wir feststellten, von anderen willigen Paaren
bereits frequentiert war. Wahrscheinlich behielt die ganze Sache sowieso an
Spannung, wenn wir den Vollzug auf den nächsten Abend verschoben. Oder wurde
ich alt? War ich mir nicht sicher? Oder einfach zu besoffen? Es würde sich
erweisen, ob ich genügend Biss hatte, ihn nochmal zu treffen und er sich noch
erinnern würde, dass es für ihn "Liebe auf den ersten Blick" war. Wie
oft hatte ich schon diesen Satz gehört. Gut, für die jeweilige Nacht traf er in
den meisten Fällen auch zu.
Liebe ist eben vergänglich. Manchmal lässt sich die
Liebe mit einem Leoparden vergleichen: Schnell und wild und nach kurzer Distanz
ermattet. Und manchmal hält sie auch nur wie kolumbianischer Nagellack: genau
eine Nacht lang. Und manchmal ist der Lack ab, bevor es überhaupt zur Sache
geht. Was für Alvaro sprach, oder für mich, er ist komplett nüchtern, weil er
am nächsten Morgen ein wichtiges Fussballspiel in irgendeiner Meisterschaft vor
sich hatte. Wie sagte Berti Vogts schon immer: Kein Sex vor dem Spiel. Und so
sollte es auch sein. Eigentlich sagte er "Sex vor einem Spiel?
Das können meine Jungs halten, wie sie wollen. Nur in der Halbzeit, da geht
nichts." Da war jetzt eben Halbzeit. Berti sagte
aber auch: "Die Breite in der Spitze ist unglaublich gross". Durfte
ich hoffen? Etwas widerwillig begleitete mich Alvaro zum Taxistand und liess
mich fahren. Als ich gegen Zwei im Apartment ankam, stand der Gatte schon im
Gang und bat mich mit aller Dringlichkeit eines angeschärften Liebhabers um ein
Kondom. Musste sich Mutter eigentlich um alles kümmern? Auch Gleitgel forderte
er ungeduldig ein. Da musste ich leider passen. Noch glitt bei mir alles ohne
Problem. Als ich in mein Zimmer ging, wagte ich einen Blick in des Gatten
Kammer. Unter dem weissen Laken lugte ein pralles, braunes Ärschlein hervor.
Wie immer hatte er vor mir zugeschlagen.
Fortsetzung erfolgt am Donnerstag, 18.4.2013
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