Fortsetzung vom 18.4.2013
Der erwähnte Ausflug entpuppte sich als der schlechtorganisierteste
Höllentrip, den ich je mitgemacht habe. Mit einer Stunde Verspätung und zwölf
jungen Typen mit je einer Flasche Wodka Absolut im Handgepäck, ging es in einer
fliegenden Nussschale, genannt Schnellboot, bei ziemlichem Wellengang aufs Meer
hinaus. Was wirklicher Wellengang ist, wurde mir allerdings erst bei der
Rückfahrt bewusst, sodass im Nachhinein betrachtet die Hinfahrt als eine lasche
Sonntagsausfahrt bezeichnet werden kann. Jedenfalls sprang das Ding, also das
Scheissboot, auf dem Rückweg bei jeder verkackten Welle, und es gab jede Menge,
riesige, davon, gefühlte zwei Meter in die Höhe und bretterte ungebremst mit
voller Wucht auf Stahlbeton herunter, zu dem sich das Wasser immer kurz, bevor
wir auftrafen, zu verwandeln schien. Neben der illustren Gesellschaft gesellten
sich jeweils noch einige blinde Passagier hinzu, die an verschiedenen Dörfern -
auf Abfallbergen errichtete Wellblechhütten - aus- oder zustiegen und die
Nussschale fast zum kentern brachten. Kurz hinterm herausgeputzten Kolonialschmuckstück
Cartagena beginnt also die 3. Welt. Im Boot war es eng (ungewollte Tuchfühlung
mit dem 2. Kapitän) und heiss (pralle Sonne, 90 Grad) und meine eigentlich gut
gepolsterten Gebeine prallten ständig an die furchtbar harten, kantigen Innenseiten
der Höllenmaschine, dass ich morgen aussehen werden, als hätte der Gatte mich
verprügelt. Die mitreisenden Jungs waren schnell volltrunken und auf der
Rückfahrt fütterte die Hälfte von ihnen die Fische mit dem unverdauten
Mittagessen.
Apropos Fische: Weil die Zeiten aufgrund der unvorhergesehenen
Haltepunkte und weil der Bootsführer ständig private Besorgungen zu erledigen
hatte, nicht eingehalten wurden, geriet der ganze Plan (obwohl, welcher Plan?)
durcheinander, sodass mir die angekündigten Delfine mehrheitlich entgingen.
Richtig, Delfine sind keine Fische, sondern Säugetiere, aber die Flossen, die
sie mal kurz aus dem Wasser hielten und mir damit zuwinkten, sahen sehr nach
Hai aus. Und so passt's ja wieder. Eine Riesenschildkröte verschwand in einer
Unterwasserhöhle, als sie mich herannahen sah und irgendein weisses Federvieh
schiess mir auf die Schulter. Gastfreundschaft sieht anders aus meine lieben
tierischen Freunde. Irgendwann wurden wir am Playa Blanca abgesetzt - zum Lunch
gab's Fisch and Flies - und 25 Minuten vor der abgesprochenen Abfahrtszeit
wieder abgeholt. Am Ende fehlten einige Passagiere, die das Boot verpasst
hatten und wahrscheinlich jetzt noch auf der Insel ums Überleben kämpfen. Dafür
kamen neue Leute hinzu, weiss der Teufel, woher die plötzlich kamen.
Übriggebliebene vom letzten Jahr? Ich hatte mich den ganzen Tag einsam und
verlassen gefühlt und konnte das vermeintliche Paradies gar nicht richtig
geniessen. Vielleicht lag es daran, dass es der Gatte in der Tat nicht auf den
Trip geschafft hatte. Er wurde gestern Nacht von einem Mitglied der Abba-Bande
mit k.o.-Tropfen betäubt und ausgeraubt. Beute: eine Tissot-Uhr, eine goldene
Kette, alles Geld, eine Ray-Ban-Sonnenbrille und das iPhone. Das verdammte
Mistfrettchen hatte ganze Arbeit geleistet. Fürwahr ein teures Vergnügen, dass
sich da der Gatte geleistet hatte. Fast zeitgleich wurde meine Freundin in
Barcelona ihres ganzes Geldes entledigt. Sieht ganz so aus, als seien die
Spanier und ihre südamerikanischen Abkömmlinge mit Vorsicht zu geniessen. Am
Ende dieses Tages bin ich jedenfalls sehr froh, dass der Gatte den perfiden
Raubzug unbeschadet überlebt hat. Und ich den Höllentrip übers Meer.
Ich überlege, ob ich Alvaro noch ein letztes Mal treffen
soll. Der Sex war gut genug, um ihn zu wiederholen und auszubauen. Was rede ich
denn da? Hat mir jemand ins Gehirn geschissen? Der Sex war eigentlich gar nicht
gut. Okay, er war nicht wirklich schlecht, aber gut ist anders. Es ist wieder
eine Sache des Nicht-Loslassen-Wollens. Ich muss die Dinge ordnungsgemäss
abschliessen. Da bin ich ganz deutsch. Widerlich. Andererseits, wenn ich für
ihn Liebe auf den ersten Blick war und ich tatsächlich seine schöne Königin
wäre, könnte er ja auch mal ein bisschen Aktivität an den Tag legen und sich um
einen Anruf bemühen. Das kostet jedoch und bei Urlaubsliebschaften steht das
Kostensparen immer ganz oben auf der Prioritätenliste. Noch vor dem
Sich-selbst-in-das-Land-der-Angebeteten-einladen. Vielleicht sollte ich es mir
heute Abend einfach schnell selbst besorgen und der Fall wäre abgehakt. Selbst
ist die moderne Königin. Aber man soll die Angelegenheiten korrekt erledigen
und zum Abschluss bringen, sonst geistern sie einem länger als nötig im Kopf
herum.Gewisse Dinge erledigen sich allerdings von selbst. Als ich Alvaro anrufe, bricht zuerst das Mobilfunknetz zusammen. Später eröffnet er mir, dass er gerade in Barranquilla weilt. Uns trennen also nicht nur Welten, sondern jetzt auch 115 Kilometer. Irgendwie ist es ihm entfallen, dass ich am nächsten Tag abreise. Vielleicht hat er auch extra die Stadt verlassen. Vielleicht sitzt er auch 5 km Luftlinie von mir entfernt und hofft, dass ich mich verpisse. Meine Stimmung entspricht einem Cocktail aus Enttäuschung und Erleichterung. Ich kippe ihn in einem Zug runter und widme mich anderen Freizeitbeschäftigungen. Der Gatte, der sich nach dem Raubzug der Frette noch in leichter Schockstarre befindet, hat inzwischen mehrere Drinks zur Auflockerung ebendieser genossen und war, um der Wirkung des Gesöffs entgegenzuwirken, bereits dreimal auf dem Klo zum Nase pudern. Er hat ein Gedächtnis wie ein Goldfisch, nach einer Sekunde ist alles, was vorher passierte, vergessen und gelöscht. Der Geist des Gatten ist schwach. Glücklicherweise ist sein Körper stark. Ich hätte schon längst die Segel gestrichen. Ich warte auf den finalen Kollaps und hoffe, dass ich da nicht dabei sein muss. Allerdings muss ich zugeben, dass ich, da Sex auf der heutigen Agenda gestrichen ist, selbst auch ein bisschen Koks koste. Zu Studien- und Kompensierungszwecken versteht sich. Ich erledige das versehentlich auf der Herrentoilette. Ein Indiz dafür, dass bereits der vorangeschüttete Alkohol zu viel für mich war. Der Gatte hingegen kennt keine Grenzen. Er verabschiedet sich für "nur einen Drink" in eine Bar, um ein letztes Mal seine Chancen auszutesten. Ich hoffe schwer, dass er das Apartment unbeschadet und allein erreicht. Ausrauben kann man ihn zumindest nicht, es ist ja nichts mehr zu holen.
Als wir am 4. August 2012 nach einer 19-stündigen Reise in Zürich ankommen, ist es so wie immer: Der Sommer schwächelt, der Himmel ist taubengrau, keiner erwartet uns. Höchste Zeit, den nächsten Trip zu planen.
E N D E
(Alle Fotos: Susann Klossek, Kolumbien/Ecuador 2012)
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