Fortsetzung vom 11.4.2013
Wir sind von unserem Hausstrand geflüchtet, weil uns da die Schwarzafrika-Fraktion, vom Sänger über Händler für jede Menge Trödel bis zum Koksdealer, belagert hat. Wir waren den ganzen Tag nur damit beschäftigt, uns all die Leute vom Halse zu halten. Ich wurde schon in vielen Ländern auf die verschiedensten Arten belästigt, aber Kolumbien steht ab heute auf der Belagerungsskala ganz oben. Am anderen Strand sieht es allerdings auch nicht besser aus: Vier rappende 12-Jährige, die sich unter unserem Schirm gleich mal häuslich einrichten, Nein-resistente Masseurinnen, die einfach mal ungefragt Hand anlegen, Verkäufer und Musiker jeder Couleur und Sonnenschirm-Vermietungs-Abzockerbanden. Alles konzentriert sich auf uns beide, weil weit und breit nur kolumbianische Touristen zu sehen sind und wir die einzigen Europäer, von denen sie jetzt alle mal richtig was rausholen wollen. Nach dem zweiten Caipiroshka und einer saftig teuren Massage - "Madame ist verspannt, braucht dringend eine Massage. Auch gut für Abnehmen!" - erstehe ich ein Armband aus schwarzen Korallen (Antipatharia) für knapp 15 Dollar. Sollten die Perlen echt sein, ein Schnäppchen. Zwar haben sie den Feuerzeugtest überstanden, Plastik ist es also schon mal nicht, Keramik würde das aber auch. Aber 15 Dollar sind 15 Dollar sind 15 Dollar und für uns praktisch nicht der Rede wert. Später lese ich auf Wikipedia dass die Bestände so stark ausgebeutet wurden, dass die Korallen (235 Arten in sieben Familien mit über 40 Gattungen) vielerorts verschwunden und in einigen Ländern deswegen geschützt sind. Wahrscheinlich hängt jetzt also was Illegales an meinem Arm.
Mit berauschender Finsternis brechen die Nächte in den
Tropen herein. Leichter, lauwarmer Regen plätschert auf die heisse Erde und verdunstet
im Nu. Alvaro begrüsst mich mit einer fast feierlichen Zurückhaltung und
verliert sich in Gedankengängen, deren Sinn mir zunehmend entgleitet. Unser
zweites Treffen hatte sich um einen Tag verschoben. War er beleidigt, weil ich
erst abends gegen halb Zehn anrief, obwohl wir mittags um Zwölf abgemacht
hatten? Hat es ihn angeschissen, dass ich am ersten Abend nicht mit ihm ins
Bett wollte? Obwohl das so auch nicht stimmt. Meine Verweigerung hatten wir
eher den suboptimalen äusseren Umständen als einer schwachen Libido zu
verdanken. Und meinem Alkoholpegel. Vielleicht war er auch wirklich kaputt vom
Fussballspiel, wie er am Telefon sagte. Vielleicht hatte seine Mannschaft
verloren, da hat selbst der wildeste Hengst keine Lust mehr auf Sex. Hat der
Mann die Wahl zwischen Fussball und einer Frau, wird er sich im Zweifelsfalle
meistens für den Fussball entscheiden. Ich bin ein bisschen frustriert. Zudem
hat mir Michel Houellebecq gerade per Mail mitgeteilt, dass er neuerdings eine
Freundin habe. Ich bin ein bisschen eifersüchtig. Obwohl ich es ihm wirklich
gönne. Im Fernsehen läuft die Übertragung der Olympischen Spiele aus London.
Die Chinesen räumen wieder tüchtig ab. Gedrilltes, gedoptes Kommunistenpack.
Ich bin ein bisschen angepisst. Frustriert, eifersüchtig, angepisst. Not my day
today. Alvaro und ich stehen etwas unschlüssig im Regen. Nach ein paar
unendlichen Schweigeminuten machen wir uns auf die Suche nach einem Hostel.
Allerdings finden wir keines, was Kreditkarten akzeptiert.
Also bleibt uns
nichts anderes als unser Apartment, wo Alvaro auf keinen Fall hin will. Er hat
schaurig Respekt, wenn nicht gar Angst, vor dem Gatten. Ich beruhige ihn, in
der Schweiz würden Eifersuchtsdramen nicht mit der Machete ausgetragen. Im Taxi
nennt er mich seine Königin. In der Kunst der theatralischen Übertreibung sind
die Latinos zweifelsohne Weltmeister. Der Sex erweist sich insofern als etwas
schwierig, da Alvaro erst nicht zu Potte und dann, als er in Fahrt ist, diese
zu schnell beendet. Er ist zärtlich, er ist leidenschaftlich, er ist
aufmerksam. Aber er hat auch einen Anderthalb-Tage-Bart, der nicht nur beim
Küssen kratzt. Er leckt unsachgemäss. Aufgrund einiger Kommunikationsprobleme
kann ich mich auch nur schwer bis unverständlich zur bei mir anzuwendenden
Technik äussern. Zudem fallen ihm ein paar knifflige Stellungen ein, für die
man gut und gern ein Intensivtraining beim chinesischen Staatszirkus absolviert
haben muss. Er fragt zweimal, wieso ich nicht konzentriert sei. Ist es nicht
Sinn und Zweck der geschlechtlichen Vereinigung sich fallen und gehen zu
lassen? Konzentrieren muss ich mich schon bei der Arbeit und will das nicht
auch noch auf der Ottomane müssen. Arbeit ist dann auch das Stichwort. Für
ebendiese müsse er um Fünf raus, weshalb er gern schlafen wolle. Allein. Bei sich
zu Hause. Besser hätte ich MEINE Bedürfnisse auch nicht formulieren können.
"Glaubst
du an Gott", fragt er mich noch kurz vor seinem Abgang.
"Nein."
"Woher
willst du wissen, dass er nicht existiert?"
"Woher
willst du wissen, dass er existiert?"
"Ich
weiss es."
"Da
weisst du mehr als ich."
"Glaubst
du an irgendetwas?"
"An
mich.
"Ahhh!"
Ein bisschen hatte ich den Eindruck total versagt zu
haben, obwohl man mir für gewöhnlich den Meisterbrief ausstellt. Aber er will
mich morgen schon wiedersehen und dass, obwohl ich zwei Stellungen verweigert
habe und nicht an Gott glaube. Ein erstaunlicher Mann, das muss man schon
sagen. Trotz kolumbianischen Feuers, Leidenschaft und Wilderness kommt er an
meinen Liebhaber in Zürich nicht heran. Manchmal ist eben doch Schweizer
Wertarbeit vorzuziehen. Alvaros Mannschaft hat übrigens 4:0 verloren. Das
erklärt einiges. Haben also auch der Alkoholverzicht und die Sexentsagung
nichts genutzt.
Postkoitale Tage sind immer ein bisschen lasch. Wie das
Wetter, das sich auch für keine eindeutige Lage entscheiden kann. Man ist
körperlich und psychisch leicht angeschlagen und schwankt zwischen
nachorgastischer Euphorie und der Gewissheit, dass das eh alles keinen grossen
Sinn macht. Ich dümple am Pool von Las tres Carabelas, bis es zu regnen
beginnt. Dann dümpeln wir im Apartment. Später dümpeln wir in einem
Strandrestaurant. Mit uns dümpeln Masseurinnen, Tourenverkäufer, Ketten- und
Koksdealer und ein Mann, der auf Essensreste von uns wartet. Wir kaufen ihm
etwas Ordentliches. Der Fisch ist wie immer überteuert aber frisch und
köstlich. Ein Koks-Deal geht in die Hose, weil uns der Rastamann irgendwelches
Schmerzmittel andrehen wollte. Wir geben die Ware, ohne vorher bezahlt zu
haben, zurück. Da muss der gute Afrikaner schon früher aufstehen. Ibuprofen erkenne
ich im Schlaf. Auch der Gatte ist im Erkennen diverser Substanzen unschlagbar.
Wir erwägen eine Wette für "Wetten, dass..?" einzureichen, bei der
wir 10 Drogen aus 100 nur per Zungentest erkennen. Am Nachmittag ist ganz was
Neues, nämlich dümpeln angesagt. Ich überlege, ob ich Alvaro anrufen soll oder
nicht. Ich lass es fürs Erste.
Während wir rumhängen wird ausgerechnet vor
unserem Badfenster in schwindelerregender Höhe (25. Etage!) unkoordiniert ein
bisschen weisse Farbe an die Aussenwand gespachtelt. Die Sache ist schon sehr
verdächtig, denn das ganze Hochhaus trägt Falten und Risse. Spanner?
Einbrecher? Oder wie darf man die seltsame Tätigkeit der beiden
Pseudohandwerker verstehen? Wird uns demnächst die Bude ausgeräumt oder gibt es
bald einen Youtube-Clip wie ich mich dusche? Am Innenspiegel sind kalkige
Fingerabdrücke zu sehen, also muss doch bereits jemand versucht haben
einzusteigen. Ich mache ein Beweisfoto. Später werde ich ein paar Ohrringe
vermissen, die auch nie wieder auftauchen. Auch ein Penthouse in den Wolken
schützt einen nicht vor Eindringlingen. Ist die Tür verrammelt kommen sie
notfalls mit dem Kran zum Fenster rein. Am frühen Abend bemühen wir uns noch ins
Modern Art Museum von Cartagena und in eine Galerie, in der wir um ein Haar
eine Skulptur von Niki de Saint Phalle für 120'000 Dollar erstehen. Danach
speisen wird standesgemäss bei einem Edelitaliener. Am Nebentisch eine
dreizehnköpfige Exilkubaner-Familie.
Am Morgen soll es früh rausgehen auf eine
Inseltour mit dem Schiff, wie es sich für Kunstliebhaber in gesetzterem Alter
ziemt. Ich verzichte also auf ein Treffen mit Alvaro, während der Gatte noch
rasch eine Prise ersteht. Vor den Augen - allerdings nicht sehr wachsamen - von
sechs Polizisten. Konsument und Zigarrenverkäufer, nachfolgend Dealer genannt,
versichern sich gegenseitig, dass sie sich vom gestrigen Geschäft her bereits
kennen. Später bemerken beide, dass an dem nicht so ist, als nämlich der
eigentliche Dealer auf der Bildfläche erscheint und zu Recht genervt ist, weil
ihm die kleine Ratte ins Geschäft pfuscht. Der Gatte kann sich einfach keine
Gesichter merken. Gerade als wir ins Taxi gen Heimatfront steigen wollen,
kommen dem Gatten zwei Frettchen in die Quere. Sie stellen sich als Georgio und
Fernando vor - zwei Namen wie aus einem Abba-Song. Zwischen Agnetha und
Anni-Frid sehe ich ihn von Dannen ziehen. Er dreht sich nicht mehr um. Ich bin
gespannt, ob er die morgige Schiffspassage antreten wird.
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 25.4.2013
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