Fortsetzung vom 14.3.2013
Tage später schliessen wir uns Angela und Jamie, einem
hier ansässigen ecuadorianisch-kanadischem Pärchen, an. Gemeinsam fahren wir in
die Nebelwälder von Mindo in der Provinz Pichincha. Das über 19'000 Hektar
grosse Naturschutzgebiet liegt auf Äquatorhöhe zwischen 1400 und 4780 Metern
Höhe und umfasst auch tropischen Regenwald. Auf dem Weg nach Mindo passierten
wir übrigens die Mitte der Welt: Latitude 0°- 0'- 0" Die Mitad del Mundo
markiert den Ort, an dem Charles Marie
de La Condamine mit einer französischen Expedition 1736 als erster Europäer die
genaue Position des Äquators bestimmte. Heute steht dort ein riesiger,
ausgesprochen hässlicher Monolith, vor den sich alle Leute mit gespreizten
Beinen über eine gelbe Linie stellen, um auf beiden Hälften der Erde zu stehen.
Aber Pustekuchen! Inzwischen hat sich nämlich herausgestellt, dass sich der
wahre Äquator etwa 240 Meter nördlich des Monuments befindet. Auf nichts ist
mehr Verlass. Mit Angela und Jamie diskutieren wir die existenziellen Fragen
der Menschheit, wie die Steuersätze in unseren Ländern, die Zukunft der
Europäischen Union und die Rolle der Schweiz dabei und was einen wirklich guten
Espresso ausmacht: Der Kaffee, die Maschine, das Wasser und die Art, wie
selbiger kredenzt wird. Ein perfekter Einklang all dieser Komponenten ist
praktisch nur in Italien zu finden. Wenn sie auch sonst nichts Vernünftiges
zustande bringen, Kaffee kochen können sie. Unterwegs begegnen uns Tausende von
Kolibris. Nur ein Prozent kommt uns maximal vor die Foto-Linse, weil sie so
schnell flattern, dass man mit dem blossen Auge gar nicht nachkommt. Dabei
machen sie Geräusche wie kleine Helikopter oder Riesenhummeln mit
Propellerantrieb. Brillenbär und Puma kriegen wir nicht zu Gesicht. Denen hat
man wahrscheinlich eingebläut, dass ihnen hinterm Busch der böse Tourist auflauert.
Vielleicht haben sie sich aber auch verpisst, weil durch ihren Wald die grösste
Erdöl-Pipeline Ecuadors verläuft.
Der Samstagabend in
Quito eignet sich am Plaza el Quindo, oder auch Plaza Foch, im Viertel Mariscal
durchaus für Exzesse. Auch wenn der Taxifahrer und der Gatte fürs Erste
behaupten, der Platz existiere nicht oder ich würde irgendetwas falsch
aussprechen. Hätte Mann gleich auf mich gehört, wäre uns die "Pita
Arabe", die so viel mit Arabien wie der Pabst mit Empfängnisverhütung zu
tun hat, erspart geblieben. Zudem war die Musik in dem Laden von der Sorte
allerschlechtester Latino-Pop. Hörschaden gratis zum Menü. Der Tisch zwischen
dem Gatten und mir war dermassen gross, dass er fast in einem anderen Land sass
und ich ihn kaum mehr erkennen konnte. Schuld daran waren womöglich auch die
Mojitos, die wohl irgendwie mit Fremdsubstanzen versetz worden waren. Ich hörte
den Gatten nur noch aus der Ferne zum Kennedy-Mord referieren. Der einzige Satz,
der vollständig bei mir ankam, lautete: "Oswalds Schamhaare hin oder
her!" Danach verfiel ich in einen Lachkrampf. Später legte ich mit
Blueberry Cosmopolitan nach. Der Rest der Nacht verschwamm im Nichts.
Ich habe einen leichten
Kater. Zumindest hat mein Körper einen Rechtsdrall. Ganz im Gegensatz zu meiner
politischen Gesinnung. Pedro, unser Fahrer vom Thermalquellen-Trip, läutet en
punto die Glocke, um uns nach Otavalo zu fahren. Pedro gibt sich grosse Mühe,
es seinen westlichen Gästen so komfortabel wie möglich zu machen. Seine alte
Karre steht ihm dabei etwas im Wege. Ihr fehlt die Klimaanlage und die Fenster
muss man noch runterkurbeln, was man aber tunlichst lasse, in Anbetracht des
Staubes draussen. Irgendwie ist alles sandig und mit schwarzem Russ überzogen.
Fast wie in den Gegenden der Braunkohletagebaue zu DDR-Zeiten. Den Gatten
erinnert es an Prag im Winter 86. Auch schön. Dafür hat sich Pedro musikalisch
unserem Geschmack angepasst, wie er meint, und hat die CDs mit den schönen südamerikanischen
traditionellen Liedern durch eine selbst zusammengestellte CD "für unsere
Generation" ausgetauscht. So werden wir, während wir durch die Anden
rollen, mit Queens "I want to breake free", "Hotel
California" von den Eagles und Ähnlichem beschallt. So lange er keine
deutschen Schlager der Neuzeit abspielt, soll mir alles recht sein. Die
Stimmung kippt allerdings fast ein wenig, als er Pink Floyd "The
Wall" auflegt. Glücklicherweise sind wir gerade nicht suizidal und Pedro
lächelt uns im Rückspiegel so siegessicher an, dass wir auch another brick in
the wall stoisch überstehen.
Otavalo liegt auf 2556 Metern am Lago San Pablo.
Der Ort gilt als das grösste Handelszentrum für südamerikanische Kunstwerke und
ist ausschliesslich von echten Indianern besiedelt. Ein bisschen fühlt man sich
in eine der Geschichten von Karl May hinein katapultiert, mit dem Unterschied,
dass der nie vor Ort war. Überall laufen Männer mit langem, geflochtenem,
schwarzem Haar herum. Kein Einziger, dessen Haarpracht nicht mindestens bis zur
Schulter reicht. Es gibt auch keine Geheimratsecken oder Glatzköpfe. Nur
langes, wallendes, seidig glänzendes, kohlrabenschwarzes Indianerhaar. Ach! Für
einen kurzen Moment erwäge ich, den Gatten einzutauschen. Schon im Kindergarten
habe ich als Frau des Häuptlings ausschliesslich auf indianischer Seite
gekämpft. Wurde allerdings auch jedes Mal vom Weissen Mann ermordet und musste
gerächt werden. Vielleicht sperren sie ihre Glatzköpfe aber auch einfach weg,
damit sie nicht das Geschäft schädigen und die Mär vom schönen Indianer nicht
zerstören? Ab in den Wigmam und erst wieder rauskommen, wenn die Touristen nach
Hause gegangen sind! Am Samstag findet hier auf dem Poncho-Platz der grosse,
berüchtigte Samstagsmarkt, oder auch Touristen-übers-Ohr-haun-Markt statt. Er
wird von einigen mächtigen Familien kontrolliert und gerne auch als Mafiawerk
bezeichnet. Der Indianer an sich ist eben auch kein besserer Mensch. Wir sind
in weiser Voraussicht am Sonntag gekommen, wo es bessere Qualität zu
niedrigeren Preisen geben soll. Aber wahrscheinlich ist das Teil der
Gesamtstrategie.
Ich haue 150 Dollar auf den Kopf, erstehe wunderschönen,
indianischen Silberschmuck, Cocabonbons, die tatsächlich stimulierend und
stimmungsaufhellend wirken, drei echte Alpaca-Schals, ein auf Leder statt
Leinwand gemaltes Ölbild, eine bunte Tischdecke, für einen Tisch, den ich nicht
besitze (geht aber auch als Bettüberwurf durch), eine handbestickte Bluse für
Tage, an denen ich auf dem Ethnotrip bin und ein grasgrünes, langes, besticktes
Indianerkleid, das ich voraussichtlich nie anziehen werde. Ich könnte darin
höchstens, mit geflochtenen Zöpfen, und nix drunter, meinen Liebhaber empfangen
und ihm die devote Squaw geben. Wer weiss, vielleicht törnt es ihn ja an? Auf
dem Rückweg legt Pedro einen Zahn zu und rast wie ein Bekloppter durchs weite
Land der Indianer. Man könnte meinen, eine Horde Cowboys sei hinter ihm her.
Während er uns Riki Masorati mit dem Bleifuss gibt, versucht er uns noch zu
weiteren Touren mit ihm zu animieren. Einmal ein Paket Dollar bekommen und
schon hat er Lunte gerochen. Aber er ist ausgesprochen nett und man neigt fast
dazu, noch einen weiteren Ausflug mit ihm einzuplanen. Am Ende siegt aber doch
unsere Leidenschaft für die Dauersiesta.
Tage später fahre ich
mit dem Taxi zum Einkaufen. Das Verkehrschaos in Quito sucht Seinesgleichen.
Als sich mein Taxi in einer scharfen Linkskurve in den von rechts kommenden
Verkehr reindrängelt, sehe ich wie sich ein roter Bus langsam und schnurgerade
auf mein Taxi zubewegt. Es ist wie eine Zeitlupensequenz in einem schlechten
Film, wie der alte, stinkende, klappernde Koloss auf mich zurollt und sanft in
die rechte Seite des Taxis reinschlittert. Zwei runde Scheinwerfer gucken mich
wie zwei grosse, traurige Augen an. Die Tür, hinter der ich sitze, ist
blockiert, vom Linienbus No. 059 gerammt. Das hatte ich auch noch nie. Ein vom
Gatten in Auftrag gegebenes Attentat, der heute privatisiert und in seiner
neuen Alpacafelljacke vor dem Ofen hockt? Da die Polizei hier überpräsent ist
und sich in der Regel langweilt, sind auch gleich mehrere Beamte in
Sekundenschnelle am Unfallort. Ebenfalls die Hälfte der Buspassagiere, die
jetzt alle durcheinander mit den Polizisten diskutieren. Der Verkehr an der
Kreuzung kommt endgültig zum Stillstand. Mein Fahrer sitzt noch immer hinterm
Lenkrad und kann es kaum fassen, dass sein Taxi im Arsch ist. Der Buschauffeur
reisst die Tür auf und zieht ihn raus. Mich scheint niemand zu beachten. Es
interessiert auch keinen, ob ich mir etwas getan habe. Also steige ich aus der
linken Hintertür aus und beobachte die Szenerie eine Weile. Dann winke ich mir
ein Taxi aus der Gegenrichtung ran, steige ein und verschwinde. Auf einen
Nachmittag auf einer ecuadorianischen Polizeistation kann ich gut verzichten.
Auf dem Plaza Grande spricht mich später ein Typ auf Deutsch an, der sich als
Marcos vorstellt.
"Woher kommst Du?"
"Schweiz"
Ich kann mir gerade noch
ein "Und Du?" verkneifen. Normalerweise stellt der gemeine Tourist
immer diese Gegenfrage. Seit jeher war es mir ein Rätsel, wieso Leute diese
Frage stellen, kommt doch der Gesprächspartner in der Regel aus dem Land, in
dem man sich gerade befindet. Und meistens ist er auch noch nicht über die
Grenzen seines Kaffes hinausgekommen. Also ist die Frage sogar irgendwie
anmassend, obschon sie natürlich aus Unsicherheit gestellt wird, weil den
Leuten sonst nichts einfällt, was sie fragen könnten. Marcos ist sehr
gesprächig. Sein Deutsch ist ausgezeichnet, weil er mal eine Freundin aus
Freiburg hatte. Jetzt habe er eine Ecuardoriana, die sei verrückt. Für sie
müsse er immer nur Geld ranschaffen. Tja Marcos, mit deiner Deutschen war's
wahrscheinlich umgekehrt. Auch die Schweizer haben ihm ein paar Brocken Mundart
beigebracht. Natürlich nur den Mist, den alle Ausländer, auch ich damals, als
erstes lernen müssen: Chuchichäschtli. Fluchen kann er auch: Gopferdelli
nomohl! Bravo! Da hat er ja alles, was er für die Konversation mit einer
Schweizerin benötigt. "Gopferdelli nomohl, das schiess Chuchichäschtli
gaht nöd uf!" Nur brauchbar, wenn in selbigem die Kondome aufbewahrt
werden. Marcos will am Abend mit mir ausgehen. So weit reicht mein neues Freundschaftsgefühl
dann jedoch doch nicht aus.
Stattdessen genehmige ich mir mit dem Gatten eine
Flasche Chardonnay vor der Hütte. Als diese leer ist, es geht sehr schnell,
nehmen wir uns die 5-köpfige Ami-Familie zur Brust. Nora, die Mutter, kommt
ursprünglich aus San Francisco und ist ihrem Alten zuliebe in ein Nest nach
Pennsylvania gezogen, das sie wie die Pest hasst. Die besten Voraussetzungen
für eine harmonische Ehe. Mein Gatte seinerseits stürzt sich in einen
weitschweifigen Monolog zum Kennedy-Mordkomplott. Nora und ihre Tochter machen
einen Gesichtsausdruck wie ein Schwein das in ein Uhrwerk schaut. Dazwischen
stossen sie das eine oder andere "Really?!" oder entsetzte "Oh
my gosh!" aus, scheinen im Grossen und Ganzen aber keinen blassen Schimmer
zu haben, worüber der Gatte da referiert. Immerhin will sie Obama wählen. Das
macht sie sympathisch. Das muss an ihren italienisch-irischen Wurzeln liegen.
Ihre beiden halbstarken Söhne - sie haben etwas dumpfbackiges - recherchieren
später sogar noch auf Youtube im Fall Kennedy. Allerdings ergebnislos. Ihr
Gemahl jedoch, Typ Redneck und Waffenliebhaber aus Passion, hat sich schon
lange in seine Hütte verzogen und wartet grimmig darauf, dass sie endlich
anfängt zu kochen. Mein Gatte verschüttet im Eifer des Gefechtes sein letztes
Glas Wein, während Redneck-Daddy seine Mauser 98K (5 Schuss) lädt. Zeit, um ins
Bett zu gehen.
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 28.3.2013