Fortsetzung vom 21.3.2013
Sowohl der Gatte als
auch ich erlauben uns dank Wolles Gratis-WLAN noch eine kleine Einschlafhilfe
per Smartphone, kurz: wir gucken Pornos. Eigentlich wollte ich nur mal kurz
reingucken, eine Stunde später kann ich die Hand, in der ich das Handy halte,
kaum noch bewegen vor Steifheit. Dauernd muss ich die Lautstärke regeln, wenn
so 'ne Schlampe anfängt rumzukreischen. Unfassbar, was die Leute so alles in
ihren privaten vier Wänden treiben! Und vor allem dann die Schweinerei auch
noch ins Internet stellen. Ganz normal ist das nicht. Aber was ist schon
normal? Nur noch so lange, bis der Akku schlapp macht, der Saft ist ja schon
ziemlich runter, kann also nicht mehr lange dauern. Er hält noch satte zwei
Stunden aus. "Hallo, mein Name ist Susi, ich bin pornosüchtig." Nicht
auszudenken, wenn sich Wolfgang mal 'ne Liste vom Provider schicken liesse, auf
was für Seiten seine ehrenwerten Gäste da so rumsurfen! Zum Glück funktioniert
hin und wieder doch der Datenschutz. Gut, die CIA wird es registrieren, aber
die weiss ja eh alles.
Und wieder haben wir
eine Samstagnacht mit irgendetwas Sinnvollem zu füllen. Oder haben wir Sonntag?
Ich bin ein bisschen aus dem Zeitraster gekippt. Nach dem gemeinsamen
Abendessen trennen sich unsere Wege. Das ist nichts Besonderes, denn unsere
Vorlieben - sowohl kulturell als auch sexuell - unterscheiden sich mitunter
signifikant. Während der Gatte irgendeine Disco, ach, das heisst ja heute Club,
heimsuchen will, fahre ich in den angeblich berühmt-berüchtigten Jazzclub El
Pobre Diablo - Der arme Teufel. Er liegt an der Ecke Av. Isabel la Católica y
Francisco Galavic, was ja eher fromm klingt. Wie es der Zufall so will,
entpuppe ich mich als der arme Teufel, denn ausgerechnet heute hat die Liveband
abgesagt. Da nur verliebte Pärchen den Club frequentieren, mache ich auf dem
Absatz wieder kehrt. Blöderweise ist das Taxi weg und kein anderes in Sicht. So
stehe ich leicht verloren im nächtlichen Nichts von Quito und ausser ein paar
potentieller Verbrecher kommt niemand vorbei. Wie bestellt und nicht abgeholt
stehe ich sicher ein halbe Stunde blöd in der Gegend rum. Irgendwann schaffe
ich es dann doch noch, dank eines freundlichen Polizisten, zurück zum Plaza
Foch. Auch im Bungalow 6 - Tanzen und Kontakten, wie es heisst - ist tote Hose,
kurz: es wird weder getanzt noch angebändelt. Schliesslich nehme ich in einer
Bar einen Caipiroshka - der Kellner versucht mir drei zum Preis von zweien
anzudrehen - und warte, ob sich jemand zu mir gesellt. Drei Tische weiter sitzt ein eleganter Herr in den 50ern und zieht an seiner dicken Zigarre. Es dauert nicht lange und er setzt sich zu mir. Er stellt sich mir als Juan Carlos vor, seines Zeichens argentinischer Rinderzüchter. Muss ich ihn jetzt mit Majestät oder el Jefe ansprechen? Ich kann seinem Spanisch, das er in die Zigarre nuschelt, nicht immer folgen. Nur so viel: Die Geschäfte liefen schon besser, obwohl sein Fleisch, also das seiner Rinder, das beste von ganz Argentinien ist und seine Rinder preisgekrönt seien. Land- und Viehwirtschaft in Zeiten des Rinderwahns, der Trockenheit, des Klimawandels und der Wirtschaftskrisen seien eben auch nicht mehr das, was sie mal waren. Was er denn in Ecuador mache, frage ich ihn."Nach Gauchos Ausschau halten", sagt er. Ich nehme an, nach billigen Arbeitskräften für seine Estancia. "Und ich suche eine neue Frau", sagt er beiläufig. Was denn mit der alten passiert sei, will ich wissen. "Tot. Unfall.", sagt Juan Carlos ungerührt und nimmt einen tiefen Zug von seiner Cohiba. Als Ehemann hat er also offensichtlich keine so gute Figur gemacht. Jedenfalls schweigt er sich zum Unfallhergang aus. Bevor er mich zu seiner nächsten Gattin machen will, zahle ich meinen Drink und springe ins Taxi.
Der Fahrer ist nett und äusserst gesprächig. Überhaupt machen die Taxifahrer sowohl in Kolumbien als auch in Ecuador einen sehr guten Eindruck. Bis jetzt haben wir noch keinen getroffen, der versucht hat, uns übers Ohr zu haun. Ein völlig neues Gefühl. Und bei diesem hier fällt mir urplötzlich mein ganzes vergessenes Spanisch wieder ein. Wir plaudern wirklich fröhlich drauflos. Nur mit der Orientierung hat er's nicht so im Griff. Ich hingegen kenne den Weg. Ich bin ihn abgelaufen, ich bin ihn zig Mal abgefahren. Ich weiss, wo die Einbahnstrassen und welche Gassen nachts gesperrt sind. Aber er hört nicht auf mich und kurvt wie ein vom grellen Licht desorientiertes Insekt durch die Gegend. Als wir etwa 500 Meter Luftlinie vom Ziel entfernt sind, rufe ich "derecha!", rechts, doch er fährt links und sagt nur "Frauen haben keinen Orientierungssinn". Ich sage ihm, er solle sofort umdrehen, doch er fährt stur in die andere Richtung. Immer weiter aus der Altstadt raus. Inzwischen sind die Strassen stockfinster und auch ich weiss nicht mehr, wo wir sind. Vielleicht hätte er nicht die Türverriegelung betätigen sollen, während er ins unbekannte Nirgendwo rast. Jedenfalls gerate ich plötzlich in Panik und denke 'das war's dann also!' In der Regel überfällt ja der Gast den Taxifahrer. Aber wieso sollte es in meinem Falle nicht mal umgekehrt sein? Ich rufe, ja schreie: stop that car, right know, aqui, it's the wrong way, where do you going?" Aber er lacht nur hysterisch, gibt Gas und ruft nach hinten "No entiendo, no entiendo". Ich rüttle wie eine Gestörte an der Türverriegelung. Was genau bezwecke ich eigentlich damit? Will ich bei 80 Sachen aus dem Auto in den Strassengraben springen? "Was ist los mit dir, Mädchen?", fragt er mich. "Ich bin ein offizielles Taxi mit einer Nummer. Was meinst du, was ich mit dir mache?" Woher soll ich das wissen? Mich vergewaltigen, ausrauben, mir die Kehle durchtrennen? Zugegeben, die Sache mit der offiziellen Taxinummer ist durchaus ein Argument das gegen ihn als Meuchelmörder spricht. Langsam komme ich von meinem Horrortrip wieder runter. Und dann endlich kenne ich mich auch wieder aus. Er hat quasi in grossem Bogen die Altstadt von der anderen Seite umfahren und kommt jetzt von hinten rein. Noch nie war ich über ein VON HINTEN so froh wie in diesem Moment. Auch der abgemachte Preis hat sich nicht geändert. Ich knalle ihm die 5 Dollar hin und springe aus dem Wagen. Im Zimmer erst merke ich, wie mir die Knie zittern. Ich habe den Eindruck, der Adrenalin-Vorrat eines ganzen Jahres ist mir ins Blut geschossen. Ich habe wirklich selten Angst, aber heute Nacht hatte ich die Hosen gestrichen voll. Neige ich neuerdings zur Hysterie?
Mit Jamie zum Cotopaxi.
Natürlich bleibt seine Karre kurz vorm Ziel stecken. Man fährt auch nicht auf
einen 6000er Vulkan über Schotterpisten, Geröll, Sand, Staub und durch kleine
Flüsse ohne Allrad-Antrieb. Zumindest einen Hinterradantrieb kann man doch
erwarten. Zumal von einem Kanadier, der solche Landschaften und Unwegbarkeiten
gewöhnt sein sollte. Wir gehen also zu Fuss weiter. Vorbei an
steckengebliebenen Klapperjeeps, alten, bunten Bussen, die nicht einmal mehr
wenden können, einem mit Holz beladenen, umgekippten LKW und sogar einem Mini,
dessen Räder verzweifelt im tiefen Sand durchdrehen. Was denken sich die Leute
mit solchen Kisten durch die Anden zu fahren? Nichts, nehme ich an. Die Luft
auf 5200 Metern ist verdammt dünn, vielleicht liegt es auch daran. Hinzu kommt
ein erbarmungsloser Sandsturm, sodass man kaum gerade stehen kann. Überall ist
Sand: Im Haar, in den Ohren und Augen, in der Nase, zwischen den Zähnen
knirscht es gewaltig. Doch der Berg entschädigt für alles, als sein
schneebedeckter Gipfel über zinnoberrotem Gestein aus den Wolken hervortritt
und in seiner ganzen Schönheit vor uns erstrahlt. Für so einen erhabenen
Augenblick frisst man auch gern ein bisschen Staub. Im Restaurant, eine kleine,
einsame Klause unterhalb des Vulkans, erhalte ich mit dem Wechselgeld eine
Ein-Dollar-Note auf der folgendes aufgestempelt steht: TRACK THIS BILL ONLINE -
See where I've traveled at www.WHERESGEORGE.com. Als ich später im Internet
nachschaue, stellt sich heraus, dass die One Dollar Bill, Serial# J3164---8A
Series: 2009 mit einer Geschwindigkeit von 57 Meilen per Tag in 89 Tagen, 10
Stunden und 50 Minuten 5104 Meilen von ihrem Ursprungsort zurückgelegt hat. Die
Note kam, so steht es geschrieben, aus der Kasse von Hoovers Lebensmittelgeschäft
in Maurepas, Louisiana um von dort ihren Weg quer durch die U.S.A.
zurückzulegen. Ich hinterlasse eine Nachricht, dass ich sie am Fusse des
Cotopaxis in Ecuador gefunden habe und dass ihre Reise im Moleskine-Buch einer
ostdeutsch-schweizerischen Schriftstellerin ihr Ende finden wird. Schluss mit
lustig. Quer durch die U.S.A.! Das weiss ich zu verhindern. Ich bin da jetzt
ein bisschen Spielverderber, aber ich besitze eben gern Dinge. Eine Unart, die
es noch abzulegen gilt. Alpakas sind übrigens nicht zu sichten, dafür jede
Menge Wildpferde und sogar ein paar mutige Kolibris haben sich in die unwirtliche
Gegend verirrt. Der Wilde Westen lässt grüssen. Fehlen nur noch das
Indianerdorf in der Talsohle und aufsteigende Rauchzeichen. Howgh! Diese unendliche
Weite ist unbeschreiblich und befreit den Geist. Wir sind dem, was man Glück
und Freiheit nennt, heute sehr nahe gekommen.
Während Bogotá
übrigens Weltstadt der Graffiti-Kunst zu sein scheint, haben sich in Quito
viele Street Art-Künstler offenbar dem Thema Assange verschrieben. Jedenfalls
sind allerorten Pro-Assange-Parolen gesprayt, die seine Freilassung, respektive
Auslieferung fordern. Da wundert es auch nicht, dass Ecuador, in dessen
Botschaft in London Assange seit Mitte Juni hockt, am 16. August dem
Wikileaks-Gründer Asyl gewährt. Ein Feind der USA ist automatisch ein Freund
von Ecuador, könnte man meinen. Nun, es gibt wahrlich schlechtere Exile. Vielleicht
nimmt ihn ja Wolfgang auf. "Ja, das würde passen", kommentiert der
Gatte. "Der linke Assange im wohltemperierten Exil im Wantara-Garden beim
linken Aussteigerpärchen Wolfi und Inge. Da könnten sie dann gleich Manifeste rausschicken."
Sie heisst zwar Andi, aber das ist ein Detail, was im Rahmen des grossen Ganzen
vernachlässigt werden kann. Viva la revolución!Fortsetzung am Donnerstag, 4.4.2013
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