Donnerstag, 21. März 2013

Auf Escobars Spuren, Teil VII



Fortsetzung vom 14.3.2013
Tage später schliessen wir uns Angela und Jamie, einem hier ansässigen ecuadorianisch-kanadischem Pärchen, an. Gemeinsam fahren wir in die Nebelwälder von Mindo in der Provinz Pichincha. Das über 19'000 Hektar grosse Naturschutzgebiet liegt auf Äquatorhöhe zwischen 1400 und 4780 Metern Höhe und umfasst auch tropischen Regenwald. Auf dem Weg nach Mindo passierten wir übrigens die Mitte der Welt: Latitude 0°- 0'- 0" Die Mitad del Mundo markiert den Ort, an dem Charles Marie de La Condamine mit einer französischen Expedition 1736 als erster Europäer die genaue Position des Äquators bestimmte. Heute steht dort ein riesiger, ausgesprochen hässlicher Monolith, vor den sich alle Leute mit gespreizten Beinen über eine gelbe Linie stellen, um auf beiden Hälften der Erde zu stehen. Aber Pustekuchen! Inzwischen hat sich nämlich herausgestellt, dass sich der wahre Äquator etwa 240 Meter nördlich des Monuments befindet. Auf nichts ist mehr Verlass. Mit Angela und Jamie diskutieren wir die existenziellen Fragen der Menschheit, wie die Steuersätze in unseren Ländern, die Zukunft der Europäischen Union und die Rolle der Schweiz dabei und was einen wirklich guten Espresso ausmacht: Der Kaffee, die Maschine, das Wasser und die Art, wie selbiger kredenzt wird. Ein perfekter Einklang all dieser Komponenten ist praktisch nur in Italien zu finden. Wenn sie auch sonst nichts Vernünftiges zustande bringen, Kaffee kochen können sie. Unterwegs begegnen uns Tausende von Kolibris. Nur ein Prozent kommt uns maximal vor die Foto-Linse, weil sie so schnell flattern, dass man mit dem blossen Auge gar nicht nachkommt. Dabei machen sie Geräusche wie kleine Helikopter oder Riesenhummeln mit Propellerantrieb. Brillenbär und Puma kriegen wir nicht zu Gesicht. Denen hat man wahrscheinlich eingebläut, dass ihnen hinterm Busch der böse Tourist auflauert. Vielleicht haben sie sich aber auch verpisst, weil durch ihren Wald die grösste Erdöl-Pipeline Ecuadors verläuft.
Der Samstagabend in Quito eignet sich am Plaza el Quindo, oder auch Plaza Foch, im Viertel Mariscal durchaus für Exzesse. Auch wenn der Taxifahrer und der Gatte fürs Erste behaupten, der Platz existiere nicht oder ich würde irgendetwas falsch aussprechen. Hätte Mann gleich auf mich gehört, wäre uns die "Pita Arabe", die so viel mit Arabien wie der Pabst mit Empfängnisverhütung zu tun hat, erspart geblieben. Zudem war die Musik in dem Laden von der Sorte allerschlechtester Latino-Pop. Hörschaden gratis zum Menü. Der Tisch zwischen dem Gatten und mir war dermassen gross, dass er fast in einem anderen Land sass und ich ihn kaum mehr erkennen konnte. Schuld daran waren womöglich auch die Mojitos, die wohl irgendwie mit Fremdsubstanzen versetz worden waren. Ich hörte den Gatten nur noch aus der Ferne zum Kennedy-Mord referieren. Der einzige Satz, der vollständig bei mir ankam, lautete: "Oswalds Schamhaare hin oder her!" Danach verfiel ich in einen Lachkrampf. Später legte ich mit Blueberry Cosmopolitan nach. Der Rest der Nacht verschwamm im Nichts.

Ich habe einen leichten Kater. Zumindest hat mein Körper einen Rechtsdrall. Ganz im Gegensatz zu meiner politischen Gesinnung. Pedro, unser Fahrer vom Thermalquellen-Trip, läutet en punto die Glocke, um uns nach Otavalo zu fahren. Pedro gibt sich grosse Mühe, es seinen westlichen Gästen so komfortabel wie möglich zu machen. Seine alte Karre steht ihm dabei etwas im Wege. Ihr fehlt die Klimaanlage und die Fenster muss man noch runterkurbeln, was man aber tunlichst lasse, in Anbetracht des Staubes draussen. Irgendwie ist alles sandig und mit schwarzem Russ überzogen. Fast wie in den Gegenden der Braunkohletagebaue zu DDR-Zeiten. Den Gatten erinnert es an Prag im Winter 86. Auch schön. Dafür hat sich Pedro musikalisch unserem Geschmack angepasst, wie er meint, und hat die CDs mit den schönen südamerikanischen traditionellen Liedern durch eine selbst zusammengestellte CD "für unsere Generation" ausgetauscht. So werden wir, während wir durch die Anden rollen, mit Queens "I want to breake free", "Hotel California" von den Eagles und Ähnlichem beschallt. So lange er keine deutschen Schlager der Neuzeit abspielt, soll mir alles recht sein. Die Stimmung kippt allerdings fast ein wenig, als er Pink Floyd "The Wall" auflegt. Glücklicherweise sind wir gerade nicht suizidal und Pedro lächelt uns im Rückspiegel so siegessicher an, dass wir auch another brick in the wall stoisch überstehen.

Otavalo liegt auf 2556 Metern am Lago San Pablo. Der Ort gilt als das grösste Handelszentrum für südamerikanische Kunstwerke und ist ausschliesslich von echten Indianern besiedelt. Ein bisschen fühlt man sich in eine der Geschichten von Karl May hinein katapultiert, mit dem Unterschied, dass der nie vor Ort war. Überall laufen Männer mit langem, geflochtenem, schwarzem Haar herum. Kein Einziger, dessen Haarpracht nicht mindestens bis zur Schulter reicht. Es gibt auch keine Geheimratsecken oder Glatzköpfe. Nur langes, wallendes, seidig glänzendes, kohlrabenschwarzes Indianerhaar. Ach! Für einen kurzen Moment erwäge ich, den Gatten einzutauschen. Schon im Kindergarten habe ich als Frau des Häuptlings ausschliesslich auf indianischer Seite gekämpft. Wurde allerdings auch jedes Mal vom Weissen Mann ermordet und musste gerächt werden. Vielleicht sperren sie ihre Glatzköpfe aber auch einfach weg, damit sie nicht das Geschäft schädigen und die Mär vom schönen Indianer nicht zerstören? Ab in den Wigmam und erst wieder rauskommen, wenn die Touristen nach Hause gegangen sind! Am Samstag findet hier auf dem Poncho-Platz der grosse, berüchtigte Samstagsmarkt, oder auch Touristen-übers-Ohr-haun-Markt statt. Er wird von einigen mächtigen Familien kontrolliert und gerne auch als Mafiawerk bezeichnet. Der Indianer an sich ist eben auch kein besserer Mensch. Wir sind in weiser Voraussicht am Sonntag gekommen, wo es bessere Qualität zu niedrigeren Preisen geben soll. Aber wahrscheinlich ist das Teil der Gesamtstrategie.
Ich haue 150 Dollar auf den Kopf, erstehe wunderschönen, indianischen Silberschmuck, Cocabonbons, die tatsächlich stimulierend und stimmungsaufhellend wirken, drei echte Alpaca-Schals, ein auf Leder statt Leinwand gemaltes Ölbild, eine bunte Tischdecke, für einen Tisch, den ich nicht besitze (geht aber auch als Bettüberwurf durch), eine handbestickte Bluse für Tage, an denen ich auf dem Ethnotrip bin und ein grasgrünes, langes, besticktes Indianerkleid, das ich voraussichtlich nie anziehen werde. Ich könnte darin höchstens, mit geflochtenen Zöpfen, und nix drunter, meinen Liebhaber empfangen und ihm die devote Squaw geben. Wer weiss, vielleicht törnt es ihn ja an? Auf dem Rückweg legt Pedro einen Zahn zu und rast wie ein Bekloppter durchs weite Land der Indianer. Man könnte meinen, eine Horde Cowboys sei hinter ihm her. Während er uns Riki Masorati mit dem Bleifuss gibt, versucht er uns noch zu weiteren Touren mit ihm zu animieren. Einmal ein Paket Dollar bekommen und schon hat er Lunte gerochen. Aber er ist ausgesprochen nett und man neigt fast dazu, noch einen weiteren Ausflug mit ihm einzuplanen. Am Ende siegt aber doch unsere Leidenschaft für die Dauersiesta.
Tage später fahre ich mit dem Taxi zum Einkaufen. Das Verkehrschaos in Quito sucht Seinesgleichen. Als sich mein Taxi in einer scharfen Linkskurve in den von rechts kommenden Verkehr reindrängelt, sehe ich wie sich ein roter Bus langsam und schnurgerade auf mein Taxi zubewegt. Es ist wie eine Zeitlupensequenz in einem schlechten Film, wie der alte, stinkende, klappernde Koloss auf mich zurollt und sanft in die rechte Seite des Taxis reinschlittert. Zwei runde Scheinwerfer gucken mich wie zwei grosse, traurige Augen an. Die Tür, hinter der ich sitze, ist blockiert, vom Linienbus No. 059 gerammt. Das hatte ich auch noch nie. Ein vom Gatten in Auftrag gegebenes Attentat, der heute privatisiert und in seiner neuen Alpacafelljacke vor dem Ofen hockt? Da die Polizei hier überpräsent ist und sich in der Regel langweilt, sind auch gleich mehrere Beamte in Sekundenschnelle am Unfallort. Ebenfalls die Hälfte der Buspassagiere, die jetzt alle durcheinander mit den Polizisten diskutieren. Der Verkehr an der Kreuzung kommt endgültig zum Stillstand. Mein Fahrer sitzt noch immer hinterm Lenkrad und kann es kaum fassen, dass sein Taxi im Arsch ist. Der Buschauffeur reisst die Tür auf und zieht ihn raus. Mich scheint niemand zu beachten. Es interessiert auch keinen, ob ich mir etwas getan habe. Also steige ich aus der linken Hintertür aus und beobachte die Szenerie eine Weile. Dann winke ich mir ein Taxi aus der Gegenrichtung ran, steige ein und verschwinde. Auf einen Nachmittag auf einer ecuadorianischen Polizeistation kann ich gut verzichten. Auf dem Plaza Grande spricht mich später ein Typ auf Deutsch an, der sich als Marcos vorstellt.

"Woher kommst Du?"

"Schweiz"

Ich kann mir gerade noch ein "Und Du?" verkneifen. Normalerweise stellt der gemeine Tourist immer diese Gegenfrage. Seit jeher war es mir ein Rätsel, wieso Leute diese Frage stellen, kommt doch der Gesprächspartner in der Regel aus dem Land, in dem man sich gerade befindet. Und meistens ist er auch noch nicht über die Grenzen seines Kaffes hinausgekommen. Also ist die Frage sogar irgendwie anmassend, obschon sie natürlich aus Unsicherheit gestellt wird, weil den Leuten sonst nichts einfällt, was sie fragen könnten. Marcos ist sehr gesprächig. Sein Deutsch ist ausgezeichnet, weil er mal eine Freundin aus Freiburg hatte. Jetzt habe er eine Ecuardoriana, die sei verrückt. Für sie müsse er immer nur Geld ranschaffen. Tja Marcos, mit deiner Deutschen war's wahrscheinlich umgekehrt. Auch die Schweizer haben ihm ein paar Brocken Mundart beigebracht. Natürlich nur den Mist, den alle Ausländer, auch ich damals, als erstes lernen müssen: Chuchichäschtli. Fluchen kann er auch: Gopferdelli nomohl! Bravo! Da hat er ja alles, was er für die Konversation mit einer Schweizerin benötigt. "Gopferdelli nomohl, das schiess Chuchichäschtli gaht nöd uf!" Nur brauchbar, wenn in selbigem die Kondome aufbewahrt werden. Marcos will am Abend mit mir ausgehen. So weit reicht mein neues Freundschaftsgefühl dann jedoch doch nicht aus.
 
Stattdessen genehmige ich mir mit dem Gatten eine Flasche Chardonnay vor der Hütte. Als diese leer ist, es geht sehr schnell, nehmen wir uns die 5-köpfige Ami-Familie zur Brust. Nora, die Mutter, kommt ursprünglich aus San Francisco und ist ihrem Alten zuliebe in ein Nest nach Pennsylvania gezogen, das sie wie die Pest hasst. Die besten Voraussetzungen für eine harmonische Ehe. Mein Gatte seinerseits stürzt sich in einen weitschweifigen Monolog zum Kennedy-Mordkomplott. Nora und ihre Tochter machen einen Gesichtsausdruck wie ein Schwein das in ein Uhrwerk schaut. Dazwischen stossen sie das eine oder andere "Really?!" oder entsetzte "Oh my gosh!" aus, scheinen im Grossen und Ganzen aber keinen blassen Schimmer zu haben, worüber der Gatte da referiert. Immerhin will sie Obama wählen. Das macht sie sympathisch. Das muss an ihren italienisch-irischen Wurzeln liegen. Ihre beiden halbstarken Söhne - sie haben etwas dumpfbackiges - recherchieren später sogar noch auf Youtube im Fall Kennedy. Allerdings ergebnislos. Ihr Gemahl jedoch, Typ Redneck und Waffenliebhaber aus Passion, hat sich schon lange in seine Hütte verzogen und wartet grimmig darauf, dass sie endlich anfängt zu kochen. Mein Gatte verschüttet im Eifer des Gefechtes sein letztes Glas Wein, während Redneck-Daddy seine Mauser 98K (5 Schuss) lädt. Zeit, um ins Bett zu gehen.
 
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 28.3.2013 

 

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