Fortsetzung vom 28.2.2013
Wir sitzen auf unserer
Terrasse unter dem Glasdach, durch das sich die Sonne schwach hindurchquetscht.
Unten auf der Strasse macht sich der Müllwagen mit dem Wiegenlied von Johannes
Brahms "Guten Abend, gut Nacht...." bemerkbar. So lieblich wie diese
Melodie ist auch die Wesensart der meisten Kolumbianer. Kaum zu glauben, dass
Kolumbien weltweit Drogenproduzent Nummer 1 ist und in seiner Geschichte einen
Gewaltexzess nach dem anderen hervorbrachte. Auch der Teufel kann ein schönes
Lächeln haben. Allerdings hat die Gewalt in Zusammenhang mit Kokain in den
letzten Jahren abgenommen, weil Mexico nun mehrheitlich für den Vertrieb
zuständig ist. Mehr als 55'000 Menschen sind dem
Drogenkrieg in Mexico bislang zum Opfer gefallen. Als gemeiner Konsument gerät
man da besser nicht zwischen die Fronten. Im August ging nun auch Eliot Alberto Radillo, genannt "El Pancho", den Fahndern bei
einer Razzia in Zapopan im Staat Jalisco ins Netz. Er galt als einer der Drahtzieher
des so genannten New Generation Jalisco-Kartells. Viel nützen wird seine
Festnahme nicht, eine neuer Pancho steht sicher schon in den Startlöchern.
Knapp vier Stunden von Medellín, der zweitgrössten Stadt Kolumbiens
und ehemaliger Sitz des von Pablo Escobar (El Doctor, El Patrón, Don Pablo) geführten Medellín-Kartells, geht es über staubige, langweilige Strassen auf die Farm von Juan
Camilo. Ihr Name La Esperanza - die Hoffnung - mutet fast ein wenig höhnisch
an. Hoffnung braucht es hier fürwahr und selbige kann man hier auch schnell
verlieren. Das Gut ist eine Furie, die aus dem Hinterhalt angreift. Gerade mit
der Sense bearbeitetes Gestrüpp, stellt sich, hat man ihm den Rücken gekehrt,
höhnisch lachend wieder auf. Bewohner und Schlangen führen einen erbitterten
Kampf, den nicht selten die Schlange gewinnt. Es geht um die Frage, wer zuerst
den Kopf verliert. Auf Maultieren durchrütteln wir mehr als dass wir reiten das
ungestüme Land und bieten dabei ein Bild des Jammers. Glücklicherweise wissen
wenigstens die schlauen Viecher was sie tun. Ohne die genügsamen Tiere wären
wir restlos aufgeschmissen. Ein Maultier zu reiten ist übrigens bedeutend
bequemer als sich auf einem Elefanten oder einem Kamel fortzubewegen. Immer
wieder muss ich die bedauernswerten Touristen belächeln, die sich voller
Tatendrang das erste Mal auf einen grauen Koloss oder ein Wüstenschiff setzen.
Jeder Beduine verkneift sich tunlichst auf einem Dromedar oder Trampeltier zu
reisen. Nicht umsonst sieht man sie neben den Tieren herlaufen. Der Arsch wird
gehörig in Mitleidenschaft gezogen und man muss sich krampfhaft festhalten, um
nicht bei der kleinsten Steigung oder beim darauffolgenden Abhang vorn oder
hinten überzukippen. Nichts für Leute, die zur Seekrankheit neigen. Bequem ist
anders. Ein Maultier hingegen trottet genügsam durch die Ödnis und umläuft von
selbst unwegsames Gelände. Allerdings habe ich auch ein bisschen schlechtes
Gewissen, wenn ich bedenke, was die arme Kreatur mit meiner Wenigkeit da durch
die Gegend schleppen muss. "No problem!", sagt es und grinst mich an.
Das Gut selbst ist gut in Schuss. Jedenfalls erscheint es uns so nach diversen Gläsern selbstgebrannten Fusels, den uns der Gutsverwalter einflösst. Kann aber auch sein, dass wir schon erste Anzeichen von schleichender Blindheit vorweisen. Sie nennen mich Patrona, was mir gewissen Respekt und Wichtigkeit vorgaukelt. Das Problem, neben der unwirtlichen Gegend, sind die Bewohner von La Esperanza. Sie vermehren sich wie die Eintagsfliegen, nur dass sie länger leben. Irgendwie scheinen alle miteinander verwandt zu sein. Hier und da zeichnet sich in einem Gesicht auch das eine oder andere Maultiergen ab. Später erfahre ich, dass ich mir auf die Anrede Patrona nichts einbilden musste. So hat doch das schlaue Bauernpack, der Tross aus Vettern, Cousins und Brüdern selbst einen Patron, dem das Land gehört und den sie, mafiös organisiert, übers Ohr hauen, so gut es geht. Und es geht gut. Alles, wofür er zahlt, gehört im Grunde ihnen. Als Lohn dafür, dass sie sein Gut bis zum letzten Tropfen aussaugen und zugrunde wirtschaften. Mit Bauernschläue leben sie wie die Maden im Speck, den ihnen der Patron jeden Monat aus Medellín zukommen lässt. In Kolumbien bedient man sich übrigens, wenn man einen Feind loswerden will, der Hexerei eines Zauberers, der dem potentiellen Kandidaten Wasser, Kaffee oder Bier kredenzt, in dem die Eier eines Käfers sind, die dann im Magen des Feindes wachsen. Dieser bekommt Kopfschmerzen, ein fieses Krabbeln am ganzen Körper und in drei Monaten ist er hinüber. Rettung gibt's nur durch einen anderen Zauberer, der ein Gegenmittel braut. Glaub es oder glaub es nicht. Wir jedenfalls verlassen, noch unter dem Einfluss des feuerbrünstigen Branntweines, La Esperanza im gestreckten Galopp, bevor wir noch auf der Inventarliste landen oder Kaffee mit Einlage serviert bekommen.
Um nochmal zu Escobar zurückzukommen: Später, zu Hause in der Schweiz, lerne ich Balázs, einen vor 31 Jahren nach Helvetien ausgewanderten Ungarn kennen, der Escobars Errungenschaften für das gemeine Volk in den höchsten Tönen lobt. Leider hätten die Amis alles versaut. Aber ein Escobar wachse glücklicherweise immer wieder nach, sagt er in väterlichem Ton. Er selbst sei im Ruhestand, mit 1500 Franken Rente im Monat sei allerdings ans sich-zur-Ruhe-setzen nicht zu denken. "Deutscher Fleischer müsste man sein, die schaffen es überall", sagt Balázs und beginnt von deutscher Wurst- und Fleischware zu schwärmen. Lange schwelgen wir in Gedanken über die Kunst der alemannischen Metzgerszunft: Leberwurst, fein und grob, mit Kräutern, mit Zwiebel, mit Apfel, Thüringer Rostbratwurst, Blutwurst, Mettwurst, Weisswurst, Zungenwurst, Leberkäse, Zervelatwurst, Presskopf, Landjäger, Saumagen, Hühnchen in Aspik, Schnitzel, Rippchen, Lende... Vielfalt und Tradition. Wurst für die Welt. Fleischwirtschaft im Dialog. Ich warte auf die nächste Postwurstsendung. Wir haben beide die Schnauze voll von Trutenbrust, Bündnerfleisch, Mostbrökkli und Rohschinken. Balázs will nach Paraguay auswandern. Da hätte es genug Deutsche, dass für ihn ein bisschen Wurst abfalle. Dann sag ich nur Heil dir mein Metzgermeister. Aber ich schweife ab.
Bogotá kann einem auf Dauer eine kleine Depression bescheren. Bevor es soweit ist, buchen wir ein Ticket nach Quito, Ecuador, und schauen, dass wir Land gewinnen. Als ich mein Gepäck aus dem 4. Stock die gewendelte Hühnerleiter herunterbugsiere, schauen mir drei blutjunge Polizisten dabei zu und grinsen. Alles, was ihnen dazu einfällt: "Multa muscolusa!" Das hat man nun von der Scheiss Gleichberechtigung! Auf dem Weg zum Flughafen zeigt uns Bogotá doch noch seine grossstädtische Grimasse: Die Umgehungsstrasse ist gesperrt und der gesamte Verkehr quetscht sich durch die Innenstadt. Da die Farben der Verkehrsampeln und die Zeichen der hilflos auf den Kreuzungen herumhampelnden Polizisten lediglich als Empfehlung betrachtet, allerdings überhaupt nicht beachtet werden, steht der gesamte Verkehr einfach still und hupt fröhlich vor sich hin. Der Kolumbianer hat Zeit. Ich habe auf der ganzen Reise keinen einzigen Einwohner rennen oder hetzen gesehen. Mit gemächlich federnden Schritten bewegen sie sich fort und erwecken den Eindruck, als würden sie von der Mittagspause direkt in den Feierabend schlendern. Da der Taxifahrer Benzin sparen will, stellt er die Klimaanlage ab und lässt stattdessen die Fenster sperrangelweit auf, sodass uns der Exitus durch Abgase droht. Katalysator - ein Begriff, der im kolumbianischen Sprachgebrauch nicht existiert. In letzter Sekunde erreichen wir den Flughafen.
Das Flugzeug der Linie AeroGal (Galapagos Airline) erreichte seinerseits dann fast nicht das Ziel. Als wir auf Höhe der Häuser sind und ich schon die kurze, sehr kurze, Landebahn sehe, ja fast anfassen kann, denke ich noch: 'Meine Fresse hat der aber Speed drauf, das wird jetzt aber 'ne harte Landung'. Just in diesem Moment scheint das auch dem Piloten aufgefallen zu sein. Jedenfalls zieht er die alte Schüttel hoch, startet wie ein Bekloppter durch, schrammt in einer scharfen Linkskurve knapp an den Bergen vorbei und fliegt nochmal 'ne Runde über die Anden. Klingt jetzt wahrscheinlich dramatischer, als es war. Wenn man aber drin sitzt, in der allerletzten Reihe, eingequetscht zwischen einem dicken Kolumbianer, der das ganze Desaster nonstop fotografiert, und einem noch dickeren, Nase bohrenden, Fingernägel kauenden blassen (ja! auch das gibt es) Brasilianer, gerät man schon mal in den Panikmodus und der Arsch geht einem auf Grundeis. Apropos Speed: Zwei der Stuarts haben blutunterlaufene Augen, als hätten sie drei Tage lang durchgekokst. Auch nicht gerade vertrauensfördernd die Burschen. Jedenfalls wollte ich nicht in den Anden zerschellen. Womöglich gäbe es Überlebende, die dann zuerst mich fressen würden, weil an mir für alle was dran ist. Kennt man ja aus der Geschichte von 1972. Gut, ich bin kein Rugby-Spieler. Auch wenn es in der Breite hinkommt. Aber ich bin dann trotzdem froh, als ich ecuadorianischen Boden betrete.
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 14.3.2013
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