Dienstag, 27. Mai 2014

Philosophie


Da wurde ich doch heute in der Tat gefragt, welcher Philosoph mir der liebste sei. Aber da gibt's doch so viele, wo ich denke (wenn ich denke), das ist jetzt noch irgendwie schlüssig und einleuchtend, geht mir auch so. Und dann lese ich den nächsten und denke, Mensch, der hat auch irgendwie Recht. Nun, wenn ich wählen müsste, dann wohl zum Beispiel, ach keine Ahnung:
Siddharta Gautama: Glücklich ist, wer sein Ich überwunden hat. Vielleicht ist das ja so, kann ich nicht sagen, habs nicht überwunden. 
Oder Konfuzius: Mach Treue und Aufrichtigkeit zu den obersten Prinzipien. Vernünftig, aber wohl nicht machbar. 
Heraklit: Alles fliesst. Stimmt auch irgendwie. 
Was ist mit Sokrates: Ein Leben ohne Selbsterforschung ist nicht lebenswert. Zu anstrengend vielleicht. 
Also doch Platon: Alles Seiende ist nur Schatten. Schön, hilft aber auch nicht weiter. 
Epikur: Das Ziel des Lebens ist Glück. Und wie erreicht man das? 

Mit Erasmus von Rotterdam: Ein gewisses Mass an Ignoranz führt zum Glück. 
Also auch Machiavelli? Der Zweck rechtfertigt die Mittel. 
Und Wissen ist Macht (Francis Bacon) hat auch was. 
Ich stimme auch Voltaire zu, wenn er sagt: Zweifel ist kein angenehmer Zustand, Gewissheit jedoch absurd. 
Natürlich auch Rousseau, frei geboren und doch überall in Ketten. Frage ist allerdings, wird man wirklich so frei geboren und vor allem im "Naturzustand" vom Wesen her gut? Was zu beweisen wäre. 
Und was ist mit der Welt, wie sie uns erscheint und die Welt der Dinge an sich? (Kant). 
Jeder hält die Grenzen seines Gesichtskreises für die Grenzen der Welt, da stimme ich in den meisten Fällen mit Schopenhauer überein. 
Ich bin kein Freund von Nietzsche, frauenverachtender Bastard, aber der Aussage Der Mensch ist etwas, das überwunden werden sollte, der stimme ich dann doch wieder zu. 
Eigentlich müsste ich auch Russell-Fan sein, so von wegen der Weg zum Glück liegt in der Verringerung der Arbeitszeit. Da bin ich ja schon ziemlich philosophisch unterwegs.


Und was ist mit der Angst vor der absoluten Freiheit? Der Intuition? Erfahrung contra Wissenschaft. Vergangenheit, Jetzt, Zukunft, der Überwindung von Leid? Glaube und Unglaube? Die Grenzen der Sprache? Unserem Selbst und dem Seienden? Logik? Wahrheit und Trugbild? Existenz und Essenz? Kultur? Geschichte? Kunst? Was mit der Vernunft? Dem Bösen? Der Liebe? 
Da kann man dann mit Camus abschliessen: Das Leben lässt sich einfacher leben, wenn es keinen Sinn hat. 
Oder mit Feyerabend: Mach, was Du willst.
Feierabend, ein gutes Stichwort!

Montag, 26. Mai 2014

Vom Glück des Kontrollverlusts




An einem Dienstagnachmittag sass ich in der Cafeteria des Zürcher Kunsthauses und war drauf und dran in den Wahnsinn zu kippen. Nicht metaphorisch gesprochen, sondern ganz real. Ich hatte seit geraumer Zeit so ein dumpfes, unbestimmbares Gefühl um die Hirnrinde, als würde ich mir jeden Augenblick selbst entgleiten. Da oben kribbelte, rauschte und arbeitete es, als würden sich zwei Gruppen befeindeter Termitenvölker gegenseitig mit meinen Botenstoffen befeuern. Ich sass da also bei einem Stück Apfelkuchen und war im Begriff durchzudrehen. Nach einer ersten kleinen Panikattacke empfand ich fast so etwas wie Erleichterung, wenn nicht sogar Freude. Wenn es tatsächlich passierte, würde ich aus Allem raus sein. Aus Allem, was dem Wahnsinn wahrscheinlich erst Vorschub geleistet hatte. 


Mein Leben war voll von seltsamen Arrangements und das Jetzt bestand aus Erinnerungen an Siege und Niederlagen. Das einzig Gute am Leben ist das Leben selbst. Ich hatte in letzter Zeit nicht viel auf diesem Gebiet vorzuweisen. Ich lebte in einem Land potenzieller Selbstmörder, das machte die Sache nicht besser. All die Leute, die überschnappten, weil sie sich nach Liebe und Sex oder dem RICHTIGEN Partner verzehren. Die jeden Tag an die Hirnwindungen zersetzende Jobs hetzen und ihre Seele für ein steigendes Bruttoinlandprodukt verkaufen. Acht Stunden täglich einen widerwärtigen Job machen zu müssen, um sich überteuerte Waren leisten zu können, die man meistens nicht wirklich brauchte, während ein Anderer auf seiner 12-Meter-Yacht über den Zürisee schipperte und junge, dumme Dinger klarmachte, musste einen zwangsläufig in den Irrsinn treiben. Auch ich stand, getrieben von einem abartigen Pflichtbewusstsein, jeden Morgen auf, trabte in die Arbeitszelle, verrichtete meinen Job, der nichts Bleibendes hinterliess, rannte Abends in meinen Fuchsbau mit Flat-TV, plünderte den Kühlschrank, ergötzte mich am Elend der Welt, um am nächsten Morgen unausgeschlafen und frisch geschminkt wieder auf der Matte zu stehen. Das alles ergab keinen Sinn. Ich lebte mich ab für nichts und wieder nichts. Ich waberte in einem Vakuum zwischen Macht und Ohnmacht. All dessen war ich mir bewusst, doch mir fehlte die Kraft zum Ausbruch. Nicht mehr für die Gesellschaft anzuschaffen, ist eine Sünde. Dass man kein Leben hat, spielt keine Rolle.


Arbeit heisst natürlich auch Geld und ohne Geld zu sein, lässt einen gleichermassen durchdrehen. Ein Dilemma, dem man kaum entfliehen kann. Man muss die Stelle behalten. Man muss die Miete zahlen, die Karre abbezahlen und krankenversichert sein. Wir müssen parieren und denken mit 47 schon an die Frühpensionierung, wenn wir endlich unsere Ruhe haben. Und dann kriegen wir 'nen Herzinfarkt und sind weg. Dann ist Ruhe eingekehrt. Unterdessen machen wir die Wäsche, überfahren, in einem letzten Aufflackern von Rebellion rote Ampeln, begnügen uns mit Pornos statt Liebe, bleiben allein oder langweilen uns in Vernunftbeziehungen, weil wir zu ängstlich oder zu träge sind nach Alternativen zu suchen. In die Augen schauen wir uns schon lange nicht mehr. Wir verzocken unser Leben. Wir saufen und kaufen und fahren totes Kapital durch die Gegend und werden verrückter und verrückter.


Deshalb war ich froh, dass es bei mir an besagtem Dienstag offensichtlich soweit war. Es bestand also noch die Hoffnung, dass sich schlagartig alles ändern könnte. Auch wenn ich in diesem Moment lieber im Guggenheim-Museum in Bilbao gesessen hätte. Das zwinglianisch-gestrenge Zürcher Kunsthaus war nicht gerade der ideale Ort, um verrückt zu werden. Ich erinnerte mich, wie ich vor Jahren einmal drei Stunden wie versteinert auf dem Platz vor dem Centre Pompidou in Paris auf dem Asphalt hockte und nicht mehr aufstehen konnte. Ich sass da an einem Frühlingstag in der Stadt der Liebe, fror mir den Arsch ab und war mir sicher, dass das der Anfang einer geschmeidigen Irrenhaus-Karriere war. Aber am Ende passierte nichts. Irgendwann hievte ich mich hoch, stellte mich in die lange Warteschlange des Museums um später festzustellen, dass ich noch lange nicht wahnsinnig genug war, um mich von der Normalität zu verabschieden.


Jetzt kicherte ich mit einem Hauch von Hysterie vor mich hin. Ich verspürte so etwas wie Hoffnung und Aufbruchsstimmung. Aufbruch in ein neues Land jenseits kleinbürgerlicher Begrenztheit und einer 42-Stunden-Woche. Es war mir egal, was die Leute dachten und ob ich einen Skandal heraufbeschwor. Ich verspürte Mut und Lust und mich der Wahrheit verpflichtet. Ich würde einen Eklat heraufbeschwören, mit jedem, der sich mir dummdreist in den Weg stellte. Ich erwog alles hinzuschmeissen und ganz von vorne anzufangen. Die einzig gültige Richtung ist eine neue Richtung. Worauf zum Teufel hatte ich so lange gewartet? Mussten erst ein paar meiner Synapsen falsch verbunden sein, um zu begreifen, dass es jede Chance nur einmal gibt und das Kontingent langsam gegen Null ging?


"Geht's Ihnen nicht gut?", fragte mich ein älterer Herr im Trenchcoat.

"Ging mir nie besser", sagte ich.


Und in der Tat, bin ich eher ein fröhlicher Mensch. Was nicht bedeutet, dass ich ein Optimist bin. Man muss der Realität ins Auge schaun. Illusionen sind nur Zeitverschwendung. Ich habe asiatische Tütensuppen im Küchenschrank und eine volle Flasche Wodka im Eisfach. Das Gras ist uralt, würde aber sicher noch gehn. Was also soll schon passieren? Auf der Strasse kämpften inzwischen zwei Krähen miteinander. Man sah eigentlich nie oder äusserst selten tote Vögel in der Gegend herumliegen. Wohin gingen die eigentlich zum Sterben? In den Wald? Gibt es da geheime, rituelle Plätze, an denen die Hinterbliebenen Abschied nehmen, bevor sie ihre Toten begraben? Oder sterben die grundsätzlich nur nachts und werden, nachdem sie tot vom Baum gefallen sind, von Katzen- und Fuchsaufräumkommandos entsorgt, bevor sie ein Mensch zu Gesicht bekommt? Mir wurde einmal mehr schmerzlich klar, dass ich von Nichts eine Ahnung hatte. Im Grunde war also Durchdrehen die einzig vernünftige und logische Schlussfolgerung. Aber wie in Paris, versagte ich auch an besagtem Dienstag in Zürich und machte weiter wie bisher. 

(dieser Text erschien im "Superbastard No. 5" www.superbastard.de )

Freitag, 23. Mai 2014

Der Dialog



Am kommenden Wochenende belege ich einen Romanworkshop zum Fokus Dialoge. Vorab-Hausaufgaben: selbst einen Dialog verfassen und ein Beispiel für einen sehr gelungenen Dialog aus einem Roman mitbringen. Hier das Ergebnis:



Ich: Du sag mal, ich gehe demnächst an einen Romanworkshop zum Thema Dialoge schreiben und soll da ein Beispiel für einen aus meiner Sicht sehr gelungenen Dialog mitbringen, fällt Dir da auf die Schnelle was ein?

B.: Ach was, machst Du das für Germanistikstudentinnen?

Ich: Das hättest Du wohl gern. Nein, ausnahmsweise bin ich mal Schulmädchen. Man lernt ja nie aus.

B.: Sehr süss, aber das hast Du doch gar nicht nötig. Oder ist der Lehrer ein Schnucki? So mit angenähten Ellenbogenschonern.

Ich: Das wäre dann ja fast schon wieder geil. Nee, weiss ich nicht, können wir uns wieder auf die Literatur konzentrieren bitte!

B.: Naja, alles von Ionescu und natürlich Woyzeck.

Ich: Ah, Woyzeck, gute Idee. Geht mir ja ähnlich: Von den Vorgesetzten ausgebeutet und vom Freund betrogen. Ausserdem komme ich ja aus Leipzig.

Ich blättere im Woyzeck herum, kann da aber nichts passendes finden.

Ich: Wo bist Du eigentlich gerade?

B.: In der Hölle. Ich sitze in einem Wartezimmer und vermisse die Zeiten, als ich noch Privatpatient war. Wie bei Sartre.

Ich: Du warst Privatpatient bei Sartre? Ich vermisse übrigens die Zeiten, als ich noch Patient war, wenn Du verstehst, was ich meine.

B.: Dann nimm doch Einer flog über das Kuckucksnest.

Ich: Das wären dann wohl eher Monologe. Oder innere Dialoge zwischen Persönlichkeiten ein und derselben Person. Was hältste denn von Platon, Shakespeare, Rimbaud? Soll wohl aber was modernes sein wahrscheinlich.

B.: Homo Faber, Besuch der alten Dame?

Ich: Ein Theaterstück? Ich weiss nicht. Die hab ich ausserdem grad nicht vorrätig, ich hab die Dialoge doch nicht im Kopf.

B.: Ach nicht? Das wäre doch das Mindeste.

Ich: Was ist denn mit Endstation Sehnsucht? Das hab ich aber nur auf Englisch. Das Stück sah ich übrigens mal in Hamburg. Das nackte, blasse Gesäss von Ben Becker aus der zweiten Reihe. Grossartig!

B.: Im Liebesleben der Hyäne sind ein paar sehr gute Dialoge.

Ich: Hank? Das ist denen sicher zu aufmüpfig. Was wäre denn mit Steppenwolf?

B.: Das hab ich seltsamerweise nie geschafft ganz zu lesen.

Ich: Komisch, ich auch nicht. Wohl zu deprimierend. Der Idiot vielleicht?

B.: Was denn da?

Ich: Irgendwo in der Mitte. Es geht um Kunst und Gott.

B.: Damit punktet man, klar!

Ich: Nee, dann nicht. Bin auch noch nicht wirklich zufrieden damit. Ich dachte noch an Elementarteilchen, aber die Dialoge da drin sind zu kurz und bei genauerer Betrachtung so gut nun auch wieder nicht. Ich schaute auch noch in Arenas' Wenn es Nacht wird. Da gibt's gar keine Dialoge. Hätte ich nicht gedacht. Auf sowas achtet man doch beim Lesen nicht. Und wenn, fallen einem doch höchstens schlechte Dialoge auf, nicht? Wie in Axolotl Roadkill zum Beispiel. Und so ein zusammenplagiatiertes, schlecht geschriebenes Werk wird dann die Sensation der Literatursaison.

B.: In Romanen gibt's generell wenig Dialoge. Und weisste warum? Weil die das alle auch nicht können. Wieso müsst Ihr überhaupt Beispiele mitbringen? Das ist doch wieder so ein Trick des Lehrers, um Zeit zu schinden. Gehn auch Filmdialoge?

Ich: Keine Ahnung, der Pate oder was? Oder aus Coppolas' Der Dialog! Schenkelklopfer. Ich könnte ja unseren Dialog hier als Beispiel anführen. Ach nee, soll ja ein sehr gelungener sein.

B.: Na ich find ihn gelungen.

Ich: Du findest ja alles gelungen, was wir verzapfen.

B.: Is ja auch so.

Ich: Also gut. Ich werde mich blamieren. Sei's drum.... Oder vielleicht doch aus Tod eines Handlungsreisenden? Die Leiden des jungen Werther? Faust? Der Kaufmann von Venedig? Die Buddenbrooks? Der Zauberberg? Krieg und Frieden? Siddhartha? Die Verwandlung? Wendekreis des Krebses? Effi Briest? Lady Chatterley? Nee, jetzt weiss ich's: Rotkäppchen. Der Dialog zwischen Rotkäppchen und dem Wolf. Warum machst Du jetzt so grosse Augen?

B.: ---


Mittwoch, 21. Mai 2014

Tipp des Tages

Ob Beziehungsknatsch
 oder Diskussion mit dem Chef, 
hier ein Argument 
für den konstruktiven Dialog:




Montag, 19. Mai 2014

Fragen und Antworten





Wenn ich auf Flughäfen herumhänge und nix Blöderes zu tun habe, stöbere ich immer in den Buchläden herum, um mir am Ende irgendwelche dämlichen Bücher zu kaufen, die ich, würde ich nicht gerade am Flughafen herumhängen, nicht kaufen würde. So auch geschehen mit "The Book of Questions".

Leichte Lektüre für den anstehenden Flug gewissermassen. Kann ja nicht so schwer sein, so ein paar doofe Fragen zu beantworten. Und auf den ersten Blick, so spontan aus der Hüfte heraus, schien das auch simpel. Das Ding würde ich in einer Stunde durch haben. Bei genauerem Hinsehen und Nachdenken bemerkte ich, die Mehrheit der Fragen ist tricky, geht an die Substanz. Zumindest wenn man ehrlich ist. Vor allem zu sich selbst. Was soll ich sagen, ich scheiterte das erste Mal bereits bei Frage 1. Meine zweite Reaktion auf das kleine Ding: Scheissbuch! Was für beschissene Fragen. Typisch Amis. Leckt mich doch am Arsch.

So ging das immer weiter. Mit jeder Frage stieg mein Frustrationslevel und rauchte mein Hirn. Etwa bei jeder zweiten Frage war ich unfähig ein eindeutige Antwort zu geben. Mehr als 5 Fragen am Stück war ich nicht in der Lage zu beantworten. Was als lockere Reisebeschäftigung angedacht war, entpuppte sich als harte Arbeit. Die, muss ich zugeben, nicht immer Spass machte.

Fazit bis jetzt:
die Welt ist nicht schwarz/weiss
ich habe von noch weniger Ahnung, als ich eh schon annahm
ich bin wankelmütig
ich kann mich grundsätzlich nicht entscheiden
mitunter bin ich ein Schwein (ein ehrliches zumindest)
ich bin auch nur ein Mensch (was nicht immer Gutes verheisst)
und: das kann ja noch heiter werden und vor allem: wo wird das alles bloss enden?

Zumindest zu letzter Frage habe ich ein klare Antwort: 

ICH
WEISS
ES
NICHT

In diesem Sinne einen schönen Tag. Stellt Euch mal wieder ein paar Fragen.

Mittwoch, 7. Mai 2014

Locarno




Locarno die Altersmilde

schwermütiger Himmel
lässt Blüten regnen
Damen mit feinöliger Blässe im Gesicht
und zigarillogeschwängerter Stimme
das Décolleté in Plissee gehalten
Senoritas mit dicken Hintern
Espresso, der seinen Namen verdient
adoleszente Hündchen
flanieren mir ihren Herrchen
unter dem Holunder wartet die Panikattacke

wir sind Reservisten der Liebe

ein Traum vom Frühling
Diagnose: Stoffwechselkrankheit Leben

im Hinterland fräst sich die Autobahn
durchs unwegsame Gelände
hinterlässt ausgeblutete Erde
auf der Strasse nach Süden jede Menge KOLLATERALSCHÄDEN

abgeblätterter Charme
einer alternden Dame
von der Latrine aus schau ich auf den See
stoisch ruht er in sich
wartet auf das nächste Opfer
dass es in die Tiefe zu ziehen gilt

kleine Stadt mit grossem Platz
auf der selbst der Regen Freundlichkeit ausstrahlt
nicht Schweiz
nicht Italien
weder Fisch noch Vogel
vegane Chimäre vieleicht

Pinien, die Trauer tragen
Tauben fressen Grassamen weg
am Rhododendron riechts nach Haschisch
eine Geige weint
vorm Hotel ROSA krümmen sich die Palmen
wie Versehrte
aus einem längst vergessenen Krieg

die italienischen Männer
selbstverliebte Machos
die ein Leben lang
an Mutters Rockzipfel hängen
und mit 30 Speck ansetzen
diese Männer haben durchaus was für sich
durchaus was an sich
einer Frau etwas vorgaukeln
können sie
erst ein Gelati
dann Fellatio
dass man am Ende
an die eigene Weiblichkeit und
ihre absolute Schönheit glaubt

UNA RAGAZZA REALE
UNA DONNA FATALE

und auch wenn man es besser wüsste
keck mal JA sagt
notti italiane
das Kleid rutscht ein Deut zu weit nach oben
vino rossi tropft zwischen die Brüste
die wie die Erde beben
im Pre-Vulkanausbruch-Zustand
eine Leguanzunge leckt trocken
später feucht
er hält mehr
als er verspricht
meistens isses ja umgekehrt

ich bin eine Kugel Gelati
die langsam dahinschmilzt
zerläuft
sich von sich selbst entfremdet
und im hysterischen Moment
eines neues Aggregatzustandes
klebrig-süss
im Schlund des cavaliere
ihr Ende findet

Seen haben was Bedrückendes
Endgültiges
als würde man nicht mehr rauskommen
im Kamelien Park nahm sich Madame das Leben
während er an seinem Handicap 37 arbeitete
der Wind trug Lindenblütenduft gen Westen
und ein Schwan stimmte den Abgesang an
die Tiere lauschten
und neigten ihre Köpfe
nur die Menschen
machten weiter wie bisher

die Jungen
in Motorbooten peitschen sie übers Wasser
als gelte es zu entkommen
frisch rasierte Beine
strecken sich der Sonne entgegen

auf den Felsen von Valle Verzasca
packen die Schwulen
ihr nacktes Fleisch in die Auslage
saftige Hüftsteaks
magere Rippchen
blasser Rollbraten im Speckmantel
sie stecken das Gelände ab
und markieren ihr Revier
starren Blickes
wie läufige Hunde
stieren sie auf die Schönen
die sich selbstverliebt räkeln
und sich an der Lichtspiegelung
auf ihrem eigenen Bizeps ergötzen

zum Glück führt der Fluss
in die Welt hinaus
Bataillone von Salamandern
geben sich die Ehre
bis sie unter sonnenbeheizten Steinen verschwinden
ein blaues Haus birgt den Geist von Frida Kahlo
das Wasser kühlt
trägt alles Schlechte davon
auf den Gipfeln letzte Reste von Schnee
kurz vor der Kapitulation


primavera
e
speranza

(Foto: von mir geschossen)