Donnerstag, 1. Mai 2014

Nachbericht einer Lesung




Zürich
manchmal auch Grosstadt
nachts
hochgespannte Dichtheit
die Eindrücke
die sich bis zur Gleichzeitigkeit steigern
brutal realistisch und
gleichgültig
märchenhaft
wie die Stadt selbst
das Leben
wie von Scheinwerfern roh beleuchtet
und entstellt
dann über dem Fluss
in eine Glanzheit verschwindend
die sich in den See ergiesst
wie flüssiges Gold
träge auf dem Wasser wippend
unvergänglich
und
betörend

so weit so gut
zurück zur Realität
Lesung im Café Zähringer
zum Start keiner da
keine Autoren
keine Veranstalter
nur ein paar Gäste
die nichts Böses ahnen
und ich
hinbestellt und dann
nicht abgeholt
in der Ecke ein Neil Young Verschnitt
schrammelt sich die Finger wund
ging schon 3x mit dem Hut rum
ich frage mich durch
wer sich verantwortlich fühlt
natürlich keiner
dann: eine junge Frau
Marke Philologie-Studentin
schraubt sich in Zeitlupe hoch
*WARUM?*
das ist ein gute Frage
so generell
denke ich
*weil ich zum Lesen eingeladen wurde*
sie schaut mich an
scheint zu überlegen
*ach du bist das*
dann setzt sie sich wieder
gedankenverloren
mit lascher Körperhaltung
vergessen
warum sie hier ist
wohl auch kaum nach einer Antwort sinnend
ein langhaariger Typ
mit Abraham Lincoln Gedächtnisbart
kommt angeschlendert
outet sich als Teil der Veranstaltercrew
*erstmal aufs WC, dann ein Bierchen*
und die Lesung?
*das wird dann schon*
Studenten der Philosophie und
vergleichenden Literaturwissenschaften
noch nie gearbeitet und
mit der Kunst kriegen sie's auch nicht gebacken
ewig Zeit und Lust zu nichts
Uhrzeit nur ein Richtwert
an den man sich halten kann
aber nicht muss
alle tiefenentspannt
fast schon tot
die Rauch- und Saufpause länger
als die Lesung selbst
gehaltvoller allemal
man scheint mich während meiner Performance
zu analysieren
Ergebnis: ein angewiderter Blick
dazwischen der tattrige Kellner vom Zähringer
lässt scheppernd in der Küche was fallen
schaukelt sich durch die Reihen
nimmt Tischkanten mit
und schwappt Rotwein auf Manuskripte
auf der Tafel hinter der Theke:

DER KAFFEE FÜR DEINEN TÄGLICHEN AUFSTAND

doch von Rebellion nichts zu spüren
kein Ansatz von Wille spürbar
egal wozu
so wird das nie was mit der Revolution
scheint aber auch scheissegal zu sein
die Dümpelmeister von heute
die Elite von morgen?
schwer zu glauben
und doch erbärmlich wahr
und dafür hab ich den *Tatort* sausen lassen

(es lebe der 1. Mai - da werden ja wieder welche dafür demonstrieren, weiterhin klassenlos vor sich hindümpeln zu dürfen)

2 Kommentare:

  1. Wasser auf die Mühlen des beschädigten Ichs. Gern geschehen.

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  2. Danke! Super! Wie soll man sonst an seinen Stoff kommen ;o)

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