Montag, 24. August 2020

NOTIZEN AUS DEM EXIL PART III

 

DIE BEWOHNER

Mein Bürostuhl

dieses ergonomische Ding

als wäre man

mit einer Spreizwindel ausgestattet

dabei ist mein Gestell weit entfernt

von der unreifen Säuglingshüfte

drei Stunden auf dem Foltergerät

und das Gelenk rastete aus

kein Aufstehen

kein Auftreten

zwei Rebellentätigkeiten, denen ich sonst gerne fröne

durch Mark und Bein im Praxistest

wie Rumpelstilzchen auf einem Bein

schaffte ich den Parforceritt aufs Bett

und rastete wieder ein

nicht auszudenken hätte ein

professioneller Entspreizer

Hand und Gerät anlegen müssen

 

dieses Haus hat seltsame Bewohner

Haus der Spinnen und der Spinner

die wie Geister durchs alte Gebälk schweben

nur anhand der benutzten Dinge

kann man Anwesenheiten ausmachen

das WLAN ist schwach auf der Brust

ganz im Gegensatz zur Chefin

ich frage mich

wie eine junge Ukrainerin

an so ein Haus gekommen ist

eine Schelmin, die in Klischees denkt

 

unten wohnt der graue Walter

ein lascher Schweizer mit Halbglatze

was er hier will und tut

bleibt unklar

und es interessiert auch keinen

mein direkter Nachbar poltert nachts

im Bad stehen seine Utensilien

Wässerchen für jedes Haut- und Haarproblem

genug für eine ganze Cheerleader-Truppe

ein Muskelprotz mit Tattoos

und metrosexuell gestutzten Brauen

sein Schweizerdeutsch hat einen Akzent

schwer zu eruieren welchen

es mangelt an Vokabular

 

und schliesslich noch die Mafiafresse

im schwarzen Adidas-Trainingsanzug

erwidert er meinen Gruss mit Schweigen

und einem scharfen Blick

bevor er sich in einen Raum

hinter Milchglas verfügt

was wird in dieser Waschmaschine gewaschen?

im Erdgeschoss leises Wimmern und Quietschen

wie von einem Welpen oder Kleinkind

oder einer Geisel

vermutlich ein Gast

der die Zeche prellen wollte

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