Sonntag, 6. September 2020

NOTIZEN AUS DEM EXIL - PART X


 

DIE GEMÜTSLAGE

Ich fühle mich heimatlos

entwurzelt

in dieser fremden Behausung

doch im gewohnten Dunstkreis

es ist eben nicht wie Ferien

auch wenn mir das manche weismachen wollen

ich reise nicht

und erlebe nichts

ich krieg nur Berichte von Rohrbrüchen

Asbestbelastungen

und Wasserschäden

ich kann nicht arbeiten

ich bin blockiert

mein Leben steckt in Kisten

hinter Abdeckfolie versorgt

ich kann nicht mal weg

weil ich nach der Rückkehr in Quarantäne müsste

keine Ahnung, wo die sein könnte

also sitze ich aus

meist liege ich

und lausche den News von draussen

C. hat gekündigt wegen (In)differenzen

S. ist auf Kurzarbeit und danach weg vom Fenster

B. wurde entlassen wegen Renitenz

und M. geht in die Politik

weil er sich langweilt

in seinem überbezahlten Job

ich genehmige mir ein 3-Gänge-Menü

lieber verfress’ ich das letzte Geld

als es irgendeiner Institution in den Rachen zu stopfen

überall muss ich Zettel mit meinen Daten ausfüllen

der Beweis, dass das digitale Zeitalter

 noch in weiter Ferne liegt

am Nebentisch drei antiautoritär erzogene Gören

sie benehmen sich wie freche Schweine

eins heisst Alexa

da ist die Virtuelle Amazon-Trulla ja noch angenehmer

es juckt mir in der Hand

der blöden Mutter mit der aufdringlichen Stimme

eine Backpfeife zu geben

Alexa schmeisst alles auf den Boden

das Essen

den Sirup 

sich selbst

einfach weil sie Lust drauf hat

der See ist hier am Ufer bereits tief

da wäre sie schnell weg

und nach anfänglichem Aufruhr

kehrte endlich Ruhe ein

und auch mein Wohnproblem

wär’ ein für alle Mal gelöst

ich würde gern ein Wutseminar buchen

doch das verhindern die Abstandsregeln

Alexa ist stiften gegangen

vielleicht löst sie das Problem selbst

heldenhaft würde ich sie aus dem

Wasser fischen

Rettung in letzter Sekunde

die Heldin der Roten Fabrik

einst brillierte sie hier auf der Bühne

jetzt rettet sie Leben von Kleinkindern

Safeguard Susi

Retterin der Vermehrten

Entartete der Verqueren

 

Später im Airbnb treffe ich erstmals

 einen vom Mittelstock

im weissen Unterhemd und Topf in der Hand

steht er ratlos in der Küche

er hat ein nettes Gesicht und einen slavischen Akzent

«Ich bin Adi»

«Susann, freut mich. Adi wie Aaaaa...?»

«Adolf»

«Ja dann»

 

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