Früher wurde man als IT-Journalist ständig an
irgendwelche wilden Events eingeladen und schon mal mit dem Helikopter über die
Alpen geflogen. Fanden die Veranstaltungen in fernen, exotischen Ländern statt,
ging beim Transport nichts unter Business Class. Das Verhältnis Arbeit :
Vergnügen lag bei 80 : 20 und wenn man nichts über die ganze Sache geschrieben
hat, weil man aufgrund des konsumierten Alkohols mit partieller Amnesie in der
Fünfsterne-Suite in L.A., am Strand von Monte Carlo oder im Schottischen Castle
lag und sich von der Whisky-Verkostung erholte, war das auch irgendwie egal. Die
guten alten Grosskotz-Zeiten, in denen mit der ganz grossen Marketingkelle
angerührt wurde, sind inzwischen definitiv vorbei. Ich sage nur Krise. Auch
Grosskonzerne, die noch immer im Geld schwimmen, machen auf sparsam und
schmeissen ihre Gewinne lieber dem Executive Board in den gierigen Rachen. Das
Penthouse in New York, das Chalet in der Schweiz und die Yacht an der Cote d'
Azur wollen schliesslich finanziert sein. Heute beschränken sich die
Unternehmen in der Regel auf Einladungen in runtergekommene, abbruchreife
Fabrikhallen in der erweiterten Agglomeration irgendwelcher europäischer
Möchtegern-Silicon-Valleys, die unter dem Decknamen 'Coole Event- und Partydestination'
selten halten, was sie versprechen. Und wer nicht schon vor Ort sinnlos
Banalitäten in den Äther twittert und zehn Minuten später einen Online-Bericht
ins Netz stellt, dem eine Print-Berichterstattung zu folgen hat, wird nie
wieder eingeladen. Journalist sein heisst heute also definitiv Arbeit. Wenn
einem dann ausnahmsweise doch mal wieder eine Fernreise in Aussicht gestellt
wird, wäre man schön blöde, das Angebot nicht anzunehmen. Auch wenn der Stress
vorprogrammiert ist.
Am 10. Juni 2012 begab ich mich also auf Einladung des
chinesischen Telekom-Ausrüsters Huawei mit vier weiteren Journalisten auf eine
Reise nach China. Angeblich verliert die chinesische Wirtschaft an Fahrt, wie allerorten
geunkt wird. Waren die Exporte im Februar noch um 18,4 Prozent gestiegen, lag
das Plus im April nur noch bei 4,9 Prozent. Für Europa unerreichbare
Traumquoten, für chinesische Verhältnisse ein Desaster. Zumindest für die
Regierung in Peking, die auf ordentliche Exportraten angewiesen ist, um den sozialen
Frieden im Land einigermassen am Leben zu halten. Schon jetzt ist die Kluft
zwischen der aufsteigenden Mittelschicht in den boomenden Grossstädten und der
wie eh und je bettelarmen Landbevölkerung gross. Auch Huawei hatte in letzter
Zeit etwas geschwächelt und wollte nun mal schnell die Weltherrschaft im
Smartphone-Markt übernehmen. Auch mit Unternehmens-IT wollen sie durchstarten,
aber das dürfte den gemeinen Reisestory-Leser wohl nur sekundär interessieren. Zumindest
Ersteres dürfte schwierig werden, hat sich die Welt doch schon in iPhonianer
und Galaxyaner aufgeteilt. Ob Apple und Samsung noch einen Dritten im Bunde
aufnehmen wollten, darf bezweifelt werden. Vor uns, dem Schweizer
Journi-Quintett - bestehend aus zwei Deutschen, einem Österreicher, einem
Italiener und nur einem echten Schweizer! - wurde bereits die versammelte
Journaille aus Deutschland, England, Italien und Spanien nach China gekarrt. Wir
waren die Letzten, wenn nicht das Letzte. Wahrscheinlich ging die Schweiz mal
wieder im allgemeinen
Nein-wir-gehören-nicht-zu-Europa-und-werden-auch-niemals-beitreten-Gezeter
vergessen. In wichtigen Studien gilt sie auch oft als vernachlässigbar, weshalb
wir hin und wieder statistische Zahlen für Helvetien herleiten, erahnen oder
erfinden müssen.
Nach einem nervenaufreibenden Zwölfstundentrip in der
Holzklasse der Lufthansa erreichte unser illustres Trüppchen in Begleitung
einer adretten Huawei-Dame aus dem Zürcher Büro am frühen Montagmorgen
Hongkong. Die Abfertigung bei der Passkontrolle und am Zoll ging, obwohl wir
als Journalisten deklariert waren, schnell und reibungslos vonstatten.
Allerdings war Hongkong, ausgesprochen etwa: Höng Gong (war da ein Sachse bei
der Namensgebung beteiligt?), bekannterweise einst britische Kolonie und gilt
seit der Übernahme von China am 1. Juli 1997 offiziell als Sonderverwaltungszone der
Volksrepublik, geniesst ergo noch immer ein hohes Mass an Autonomie. Hongkong
ist also nicht wirklich China, das echte, kommunistisch-kapitalistische, schreckliche,
furchteinflössende, exotische, schöne, vorspreschende und bald alles
überrollende China. Unsere Erleichterung über die schnelle und unkomplizierte
Abwicklung sollte uns wenig später jedenfalls zünftig ausgetrieben werden. Mit
zwei Kleintransportern ging es Richtung Grenzübergang HuangGang zur Weiterreise
nach Shenzhen. Wer also von Möchtegern-China nach Richtig-China einreisen will,
muss über die Grenze. Die Grenzkontrolle sollte zweieinhalb Stunden in Anspruch
nehmen, während denen unsere Geduld bis aufs Äusserste strapaziert wurde. Alle
Autos mussten mit weit aufgesperrtem Kofferraum in Schneckentempo durch die
Passkontrolle fahren. Hinter einer versifften, halb blinden Glasscheibe sass
eine Matrone in Uniform und blätterte mit angepisstem Gesichtsausdruck gefühlte
zwanzig Minuten gelangweilt in unseren Pässen herum. Sie blätterte vor und
zurück, drehte die Dinger in alle Himmelsrichtungen, beäugte mit Argusaugen
alle fremdländischen Stempel, tippte in Zeitlupe irgendwelche Daten in einen
riesigen Computer und machte an einer Art Mega-Roboter Kopien aller relevanten
Passseiten. Dann übergab sie den Stapel Pässe einem ihrer ebenfalls sehr streng
schauenden Kollegen, der damit verschwand. Irgendwann durfte unser Fahrer
fünfzig Zentimeter weiter an ein nächstes Fensterchen fahren, durch das ihm die
Pässe ausgehändigt wurden. Unterdessen wurde der gesamte Wagen geröntgt. Unsere
Spezies aus Italien und Deutschland, inklusive Madame pour la press, warteten
bereits auf der anderen Seite des Zolls auf uns. Komplett abgefertigt. Doch
kurz bevor sich auch für uns die Schranke öffnete, startete eine ganze Armee
von Zollbeamten eine Grossrazzia und Filzaktion. Die dralle Deutsche (ich), der
stramme Österreicher und der unschuldig dreinschauende Schweizer waren also
offensichtlich verdächtige Subjekte. Vielleicht hatte der Fahrer auch
irgendwelche Schmuggelware im Radkasten versteckt, man weiss es nicht.
Theoretisch ist Shenzhen nur durch einen Fluss von Hongkong getrennt,
allerdings hinterliess diese Aktion eher den Eindruck, als wolle man von einem Planeten
auf einen anderen einreisen, auf denen komplett unterschiedliche
Gesellschaftsformen und politische Systeme existieren. Ein junger Beamter
stellte zuerst erneut unsere Identität fest, indem er mithilfe der Passkopien
unsere Namen aufrief. Nachdem sich die beiden Herren jeweils mit "yes,
here!" zu erkennen gegeben hatten und nur noch ich übrig und zudem
unschwer als Frau zu erkennen war, fragte er trotzdem pflichtbewusst: Who is
Susann? Das musste dann wohl ich sein. Ich hob brav das Pfötchen und flüsterte
"That's me". Ein anderer Uniformierter schleppte unterdessen klamm
und heimlich unser Gepäck weg. Wohin, wozu, blieb unklar. Besonders die
prallgefüllte schwarze Lederaktentasche unseres österreichischen Freundes
schien von Interesse zu sein. Sie wurde separat untersucht. Der Fahrer wurde
mitgenommen und blieb für die nächste halbe Stunde verschollen. Nachdem wir
ausgestiegen waren und einfach am Rand der Szenerie stehen gelassen wurden, kam
schlussendlich auch noch das Auto abhanden. Damit ich nicht im Stehen
einschlief, machte ich mit dem Handy ein paar Schnappschüsse von der ganzen
Anlage. Das kam nicht so gut an. Ich wurde von einem etwa 17-jährigen
Bürschchen ermahnt, diese Tätigkeit sofort einzustellen. Irgendwann tauchten
zuerst das Auto, dann das Gepäck und schliesslich auch der Fahrer wieder auf. Gefunden
wurde nichts. Wahrscheinlich wollte man uns nur demonstrieren, wie hier der
Hase lief, kurz: dass wir nichts zu melden hatten. Als wir endlich im Hotel
ankamen, war es Zeit fürs Willkommensdinner mit ein paar lieblichen
Huawei-Feen. Leider bekamen wir alles nur noch geistig-umnachtet im Halbschlaf
mit. Mit chinesischem Bier abgefüllt kippten wir in wirre Träume.
Fortsetzung folgt am Dienstag, 12.2.2013
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