Dienstag, 5. Februar 2013

AUF DEM DRACHENTHRON


 
Früher wurde man als IT-Journalist ständig an irgendwelche wilden Events eingeladen und schon mal mit dem Helikopter über die Alpen geflogen. Fanden die Veranstaltungen in fernen, exotischen Ländern statt, ging beim Transport nichts unter Business Class. Das Verhältnis Arbeit : Vergnügen lag bei 80 : 20 und wenn man nichts über die ganze Sache geschrieben hat, weil man aufgrund des konsumierten Alkohols mit partieller Amnesie in der Fünfsterne-Suite in L.A., am Strand von Monte Carlo oder im Schottischen Castle lag und sich von der Whisky-Verkostung erholte, war das auch irgendwie egal. Die guten alten Grosskotz-Zeiten, in denen mit der ganz grossen Marketingkelle angerührt wurde, sind inzwischen definitiv vorbei. Ich sage nur Krise. Auch Grosskonzerne, die noch immer im Geld schwimmen, machen auf sparsam und schmeissen ihre Gewinne lieber dem Executive Board in den gierigen Rachen. Das Penthouse in New York, das Chalet in der Schweiz und die Yacht an der Cote d' Azur wollen schliesslich finanziert sein. Heute beschränken sich die Unternehmen in der Regel auf Einladungen in runtergekommene, abbruchreife Fabrikhallen in der erweiterten Agglomeration irgendwelcher europäischer Möchtegern-Silicon-Valleys, die unter dem Decknamen 'Coole Event- und Partydestination' selten halten, was sie versprechen. Und wer nicht schon vor Ort sinnlos Banalitäten in den Äther twittert und zehn Minuten später einen Online-Bericht ins Netz stellt, dem eine Print-Berichterstattung zu folgen hat, wird nie wieder eingeladen. Journalist sein heisst heute also definitiv Arbeit. Wenn einem dann ausnahmsweise doch mal wieder eine Fernreise in Aussicht gestellt wird, wäre man schön blöde, das Angebot nicht anzunehmen. Auch wenn der Stress vorprogrammiert ist.

Am 10. Juni 2012 begab ich mich also auf Einladung des chinesischen Telekom-Ausrüsters Huawei mit vier weiteren Journalisten auf eine Reise nach China. Angeblich verliert die chinesische Wirtschaft an Fahrt, wie allerorten geunkt wird. Waren die Exporte im Februar noch um 18,4 Prozent gestiegen, lag das Plus im April nur noch bei 4,9 Prozent. Für Europa unerreichbare Traumquoten, für chinesische Verhältnisse ein Desaster. Zumindest für die Regierung in Peking, die auf ordentliche Exportraten angewiesen ist, um den sozialen Frieden im Land einigermassen am Leben zu halten. Schon jetzt ist die Kluft zwischen der aufsteigenden Mittelschicht in den boomenden Grossstädten und der wie eh und je bettelarmen Landbevölkerung gross. Auch Huawei hatte in letzter Zeit etwas geschwächelt und wollte nun mal schnell die Weltherrschaft im Smartphone-Markt übernehmen. Auch mit Unternehmens-IT wollen sie durchstarten, aber das dürfte den gemeinen Reisestory-Leser wohl nur sekundär interessieren. Zumindest Ersteres dürfte schwierig werden, hat sich die Welt doch schon in iPhonianer und Galaxyaner aufgeteilt. Ob Apple und Samsung noch einen Dritten im Bunde aufnehmen wollten, darf bezweifelt werden. Vor uns, dem Schweizer Journi-Quintett - bestehend aus zwei Deutschen, einem Österreicher, einem Italiener und nur einem echten Schweizer! - wurde bereits die versammelte Journaille aus Deutschland, England, Italien und Spanien nach China gekarrt. Wir waren die Letzten, wenn nicht das Letzte. Wahrscheinlich ging die Schweiz mal wieder im allgemeinen Nein-wir-gehören-nicht-zu-Europa-und-werden-auch-niemals-beitreten-Gezeter vergessen. In wichtigen Studien gilt sie auch oft als vernachlässigbar, weshalb wir hin und wieder statistische Zahlen für Helvetien herleiten, erahnen oder erfinden müssen.

Nach einem nervenaufreibenden Zwölfstundentrip in der Holzklasse der Lufthansa erreichte unser illustres Trüppchen in Begleitung einer adretten Huawei-Dame aus dem Zürcher Büro am frühen Montagmorgen Hongkong. Die Abfertigung bei der Passkontrolle und am Zoll ging, obwohl wir als Journalisten deklariert waren, schnell und reibungslos vonstatten. Allerdings war Hongkong, ausgesprochen etwa: Höng Gong (war da ein Sachse bei der Namensgebung beteiligt?), bekannterweise einst britische Kolonie und gilt seit der Übernahme von China am 1. Juli 1997 offiziell als Sonderverwaltungszone der Volksrepublik, geniesst ergo noch immer ein hohes Mass an Autonomie. Hongkong ist also nicht wirklich China, das echte, kommunistisch-kapitalistische, schreckliche, furchteinflössende, exotische, schöne, vorspreschende und bald alles überrollende China. Unsere Erleichterung über die schnelle und unkomplizierte Abwicklung sollte uns wenig später jedenfalls zünftig ausgetrieben werden. Mit zwei Kleintransportern ging es Richtung Grenzübergang HuangGang zur Weiterreise nach Shenzhen. Wer also von Möchtegern-China nach Richtig-China einreisen will, muss über die Grenze. Die Grenzkontrolle sollte zweieinhalb Stunden in Anspruch nehmen, während denen unsere Geduld bis aufs Äusserste strapaziert wurde. Alle Autos mussten mit weit aufgesperrtem Kofferraum in Schneckentempo durch die Passkontrolle fahren. Hinter einer versifften, halb blinden Glasscheibe sass eine Matrone in Uniform und blätterte mit angepisstem Gesichtsausdruck gefühlte zwanzig Minuten gelangweilt in unseren Pässen herum. Sie blätterte vor und zurück, drehte die Dinger in alle Himmelsrichtungen, beäugte mit Argusaugen alle fremdländischen Stempel, tippte in Zeitlupe irgendwelche Daten in einen riesigen Computer und machte an einer Art Mega-Roboter Kopien aller relevanten Passseiten. Dann übergab sie den Stapel Pässe einem ihrer ebenfalls sehr streng schauenden Kollegen, der damit verschwand. Irgendwann durfte unser Fahrer fünfzig Zentimeter weiter an ein nächstes Fensterchen fahren, durch das ihm die Pässe ausgehändigt wurden. Unterdessen wurde der gesamte Wagen geröntgt. Unsere Spezies aus Italien und Deutschland, inklusive Madame pour la press, warteten bereits auf der anderen Seite des Zolls auf uns. Komplett abgefertigt. Doch kurz bevor sich auch für uns die Schranke öffnete, startete eine ganze Armee von Zollbeamten eine Grossrazzia und Filzaktion. Die dralle Deutsche (ich), der stramme Österreicher und der unschuldig dreinschauende Schweizer waren also offensichtlich verdächtige Subjekte. Vielleicht hatte der Fahrer auch irgendwelche Schmuggelware im Radkasten versteckt, man weiss es nicht.
Theoretisch ist Shenzhen nur durch einen Fluss von Hongkong getrennt, allerdings hinterliess diese Aktion eher den Eindruck, als wolle man von einem Planeten auf einen anderen einreisen, auf denen komplett unterschiedliche Gesellschaftsformen und politische Systeme existieren. Ein junger Beamter stellte zuerst erneut unsere Identität fest, indem er mithilfe der Passkopien unsere Namen aufrief. Nachdem sich die beiden Herren jeweils mit "yes, here!" zu erkennen gegeben hatten und nur noch ich übrig und zudem unschwer als Frau zu erkennen war, fragte er trotzdem pflichtbewusst: Who is Susann? Das musste dann wohl ich sein. Ich hob brav das Pfötchen und flüsterte "That's me". Ein anderer Uniformierter schleppte unterdessen klamm und heimlich unser Gepäck weg. Wohin, wozu, blieb unklar. Besonders die prallgefüllte schwarze Lederaktentasche unseres österreichischen Freundes schien von Interesse zu sein. Sie wurde separat untersucht. Der Fahrer wurde mitgenommen und blieb für die nächste halbe Stunde verschollen. Nachdem wir ausgestiegen waren und einfach am Rand der Szenerie stehen gelassen wurden, kam schlussendlich auch noch das Auto abhanden. Damit ich nicht im Stehen einschlief, machte ich mit dem Handy ein paar Schnappschüsse von der ganzen Anlage. Das kam nicht so gut an. Ich wurde von einem etwa 17-jährigen Bürschchen ermahnt, diese Tätigkeit sofort einzustellen. Irgendwann tauchten zuerst das Auto, dann das Gepäck und schliesslich auch der Fahrer wieder auf. Gefunden wurde nichts. Wahrscheinlich wollte man uns nur demonstrieren, wie hier der Hase lief, kurz: dass wir nichts zu melden hatten. Als wir endlich im Hotel ankamen, war es Zeit fürs Willkommensdinner mit ein paar lieblichen Huawei-Feen. Leider bekamen wir alles nur noch geistig-umnachtet im Halbschlaf mit. Mit chinesischem Bier abgefüllt kippten wir in wirre Träume.
Fortsetzung folgt am Dienstag, 12.2.2013

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