Es heisst, die nettesten Menschen in ganz Südamerika
leben in Kolumbien. Ich wollte dieses Gerücht persönlich überprüfen und was
soll ich sagen: es stimmt. Solange sie sich jedenfalls nicht aktiv bei der
F.A.R.C. oder im Drogenhandel (in manchen Fällen schliesst das eine das andere
nicht aus) oder als k.o.-Tropfen verabreichende Kleinkriminelle engagieren.
Vielleicht liegt es daran, dass Kolumbien noch immer als Drogensumpfgebiet und
Hochburg für Entführungen gehandelt wird, obwohl ihm Mexico diesen Rang schon
längst abgelaufen hat. Jedenfalls getrauen sich offensichtlich nicht viele
Ausländer überhaupt ein Ticket mit Destination Bogotá zu buchen. Die
Einheimischen sind Unsereiner also noch nicht überdrüssig und verfügen zudem
über so viel Selbstbewusstsein und eigene Identität, dass sie sich
Freundlichkeit und Gelassenheit einfach leisten können und wollen. Wenn man von
den Gewaltakten der letzten zwei Jahrhunderte absieht. Von den Vorteilen der
kolumbianischen Lebensweise hat wohl auch Massimo gehört, ein blonder,
blauäugiger Italiener in den späten Vierzigern, in dessen bescheidener - und unbeheizter - Hütte in der Calle 13B
No. 1-53 im Altstadtviertel Candelaria wir jetzt residieren. Oder sollte ich
besser hausen sagen? Der schöne Venezianer hat, als er arbeitslos wurde, seine
Gondel im Canale grande versenkt, wenn man so will, und für 55'000 Dollar
dieses marode Haus erstanden, restauriert und in ein Bed & Breakfast
umfunktioniert. Eigentlich ist er wegen einer schrecklich eifersüchtigen
Kolumbianerin, die ihm auf der Nase herumtanzt, nach Bogotá gekommen. Ein
wohlgeformter Arsch und Titten und beim Manne gehen Vernunft und Verstand
flöten. Kann vorkommen. Marode ist Massimos Beziehung und die Hütte ebenfalls
noch immer. Jedenfalls schaut man besser nicht so genau hin, wie das Dach
befestigt ist. Das ganze Viertel ist ein zusammengeflicktes Provisorium und bei
Unwetter rate ich keinem durch die hiesigen Gassen zu streifen, wenn er nicht einen
der Ziegelsteine, mit denen die losen Wellblechstückeleien beschwert sind, auf
den Schädel kriegen will. Eine gute Gegend für Suizidgefährdete und
Sterbehelfer.
Seit 18 Stunden sind wir in Bogotá und warten auf unser
Gepäck, das sich entschlossen hat, noch eine Nacht auf dem Frankfurter
Flughafen zu verbringen, bevor es gedenkt, zu uns zu stossen. Es ist immer
wieder schön, wenn die dilettantische Arbeitsweise Anderer die eigenen Pläne
durchkreuzt. Die Lufthansa schafft es regelmässig Gepäck nicht zu befördern.
Dafür erhält man es dann akribisch durchwühlt ein, zwei Tage später zurück.
Wenn man Glück hat. Dass uns das Glück hold sei, hoffen wir sehr, denn Bogotá
ist im Grunde genommen ein unterentwickeltes Bergdorf, kurz: es ist
schweinekalt und von den Bergen legt sich gerade schwer der Nebel auf die
Drecksstadt. Ausserdem fällt das Atmen aufgrund der Höhe von 2640 Metern schwer,
wenn man sich schneller als eine Oma mit dem Rollator bewegt. 20 Prozent seiner
Gäste treffen bei ihm ohne Gepäck ein, sagt Massimo. Und einige reisen auch
ohne wieder ab. Die warmen Sachen, der Regenschutz und auch der Weltstecker
befinden sich im Gepäck. Ebenfalls alles, was eine Mittvierzigerin soweit
verschönern hilft, dass sie sich, ohne wie ein Penner auszusehen (und bald auch
so zu riechen), unter Leute trauen kann. Ans Ausgehen ist also erst einmal
nicht zu denken. Geschweige denn an die Jagd. Denn auch hier gilt: Je
attraktiver der Hunter, desto frischer das Wild. Das trifft zumindest für die
Grossstadt-Frettchenjagd zu. Für die Grosswildjagd in der afrikanischen Savanne
mögen von mir aus andere Gesetze gelten. Natürlich hilft auch ein gewisses
finanzielles Polster als Köder, um etwas ins Netz oder vor die Flinte zu
bekommen. Dummerweise leuchtet an meinem Safe das rote Lämpchen für "low
battery", was so viel heisst, das Scheissding ist nicht zu öffnen, das
Geld bleibt erstmal drin. Es gilt also nicht nur auf unser Gepäck zu warten,
sondern auch auf Massimos Rückkehr, damit der den Generalschlüssel rausrückt.
Das kann dauern. Auch das Internet ist tot, was uns sehr entgegenkommt, so
fühlt man sich nicht genötigt, sinnlose E-Mails aus der Heimat zu beantworten.
Das Schönste am Reisen ist doch, einfach im Nirgendwo zu verschwinden und keiner
weiss, wann und wo man wieder auftaucht. Vorzugsweise man selbst natürlich auch
nicht.
In der Zwischenzeit schauen wir uns Bildnisse meiner
"Schwestern" im Botero-Museum an. Fernando Botero, der heute ein
bisschen aussieht wie ein wohlgenährter Trotzki, ist Kolumbiens
Vorzeigekünstler. Zu recht. Oberflächlich betrachtet malt Botero in naiver Form
dicke, unattraktive Frauen und dummdreist glotzende fette Männer. Doch wenn man
genauer hinschaut, erkennt man viele Indizien, die für pralles, lustvolles
Leben sprechen. Je üppiger seine Figuren sind, umso sinnlicher wird ihre
Präsenz. Im Grunde genommen malt Botero nicht wirklich dicke Menschen. Denn auf
seinen Bildern ist alles dick, gross, voluminös, überspitzt riesig. Die Matrone
genauso, wie der überdimensionale, fette Vogel auf dem Dach, die Früchte auf
dem Tisch oder das breite Pferd unter seinem breiten Reiter. Und auch die eine
oder andere Regimekritik ist auszumachen. Der Besuch des Museums ist gratis und
es darf auch fotografiert werden. Von dieser Kulanz dem Kunstliebhaber
gegenüber könnte sich das Zürcher Kunsthaus eine Scheibe abschneiden. Dort darf
man gut und gern für ein paar beschissene tote Holzschnitte von noch toteren
Künstlern aus irgendeiner Nische der Kunst, die allenfalls zwinglianisch
angehauchtes Grossbürgertum hinter dem Bollerofen hervorlockt, 22 Franken und
mehr berappen. Natürlich hat alles irgendwann in einer Nische begonnen. Aber
wenn es dort auch endet, ist das eher bedenklich. Hier ist die Kunst jedenfalls
frei zugänglich für Jedermann. Theoretisch also auch für den Bettler vor der
Tür, der uns auch sowas wie ein Kunstwerk vor die Nase hält und uns ein
unglaublich einnehmendes Lächeln schenkt. Man könnte auch sagen geschickt
eingefädelt, jedenfalls geben wir ihm für diese Vorstellung von Lebenskunst
gern ein paar Peso ab. So kann er sich für einmal das Müll durchsuchen sparen.
Wir werden noch viel auf dieser Reise verteilen (zum Teil auch unfreiwillig).
Schon allein jenen Arschgeigen zum Trotz, die nie etwas geben, weil dann die
Moral und Motivation des Bettlers angeblich zerstört werde. Der arme Teufel
wird sicher nicht aus eigenem Antrieb eine Karriere als Investmentbanker
anstreben, nur weil ein paar beschissene Westler zu geizig sind, ihm etwas von
ihrer Kohle abzugeben. Jeder dieser Pappenheimer sollte einmal eine Nacht bei
Regen oder tiefen Temperaturen im Freien verbringen müssen. Danach sprechen wir
uns wieder. Die Arroganz wird ihnen mit dem Arsch abfrieren.
Auf dem Plaza de Bolivar müsste sich Massimo theoretisch
heimisch fühlen, zumindest was die zweimillionen Tauben betrifft, die hier ihr
Unwesen treiben. Wie auf dem Markusplatz in Venedig kann man kleine Säcke mit
Futter kaufen, um sich mit den Ratten der Lüfte fotografieren zu lassen.
Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es eine globale
Tauben-Connection gibt, die sich mit mafiösen Strukturen und perfiden Taktiken
die blöden Touristen für ihre Zwecke gefügig macht. Die Bogotá-Familie hat
jedenfalls ganze Arbeit geleistet: Selten so fette Exemplare gesehen. Da die
Biester inzwischen so durchtrieben sind und sich die Futtersäckchen gleich
selbst besorgen und mit ihren scharfen Cosa-Nostra-Schnäbeln aufreissen,
verzichten wir auf den Erwerb selbiger. Vom Tauben gucken, erfolglosen
Gesprächen im Oficina de Turismo (sie verstehen weder Englisch noch unser
Spanisch und haben keine Touren anzubieten) und Boteros prallen Weibern sind
wir dermassen erschöpft, dass wir uns nach einem Teller heisser
Linsen-Kartoffel-Suppe erst einmal eine ausgiebige Siesta gönnen. Ich habe das
Gefühl, gerade von einer Schicht aus dem Bergwerk zu kommen. Während ich diese
Zeilen schreibe, ist mein Mann, nachfolgend Gatte genannt, unterdessen seit
drei Stunden am Schlafen. Ich bin nicht sicher, ob er heute nochmal aufsteht.
Um ehrlich zu sein hoffe ich, dass er liegenbleibt, denn dann muss ich heute
Abend nicht nochmal raus.
Der Anfang einer Reise, in einer neuen, fremden Stadt, ist immer schwierig. Die Zeitverschiebung, klimatische Veränderungen - auch in einem selbst - lassen einen ein bisschen verloren, wie Falschgeld durch die Gegend laufen. Es heisst, wie schon in tausend Reisebüchern erwähnt, dass die Seele erst drei Tage nach dem Körper an einem entfernten Ort ankommt. Und genau so fühlt es sich auch an. Während ich also aufs Gepäck, Massimo und den Gatten warte, lese ich in "the city paper" ein Interview mit dem französischen Journalisten Roméo Langlois, der am 28. April 2012 von der F.A.R.C. entführt und 33 Tage lang als prisoner of war gefangen gehalten wurde. Langlois begleitete eine Militär-Patrouille, die sich im südlichen Verwaltungsbezirk Caquetá auf einem Anti-Drogen-Einsatz befand. Nachdem die Militärs mehrere Laboratorien für die Kokainherstellung zerstört hatten, wurde die Einheit angegriffen. Wer schon den Namen Roméo trägt, der sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass er früher oder später einem gewaltsamen Tod zum Opfer fällt. Das verlangt ja praktisch schon die Shakespearsche Tradition. Aber Spass beiseite. Auf die Frage, ob er nach Kolumbien zurückkehren werde, antwortete der "Kriegsgefangene": "Natürlich!", sobald er "some work" in Paris erledigt habe. Gut, denke ich, so schlimm wird's also nicht gewesen sein, lese aber weiter: "und nach der Physiotherapie für die Schusswunde in meinem linken Arm." Ein Führer der 15. Front der linksgerichteten Terrororganisation hatte offensichtlich auf Langlois geschossen, weil er eine militärische Schutzausrüstung trug und sich nicht schnell genug als Zivilist zu erkennen gab. Nun, kann passieren, wenn man sich an die Frontline vorwagt. Auf französische Journalisten scheint die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia offensichtlich besonders scharf zu sein, wie uns der Fall Betancourt lehrte. Später wird der Gatte die Idee in den Raum stellen, dass sie doch mal auf ostdeutsche Journalistinnen umstellen könnten. Ich wollte schon immer mal einen Ferienaufenthalt im Lager einer radikalen marxistischen Volkskampfgruppe verbringen. Mit 23 Jahren DDR habe ich die Grundausbildung ja bereits absolviert. Roméo sagt noch, er denke, die Guerillas haben genug vom Krieg und wollen Frieden. Ich frage mich, wieso sie den dann nicht endlich schliessen? Entführungen ausländischer Journalisten sind nicht gerade vertrauensbildend, wie ich finde.
Der Anfang einer Reise, in einer neuen, fremden Stadt, ist immer schwierig. Die Zeitverschiebung, klimatische Veränderungen - auch in einem selbst - lassen einen ein bisschen verloren, wie Falschgeld durch die Gegend laufen. Es heisst, wie schon in tausend Reisebüchern erwähnt, dass die Seele erst drei Tage nach dem Körper an einem entfernten Ort ankommt. Und genau so fühlt es sich auch an. Während ich also aufs Gepäck, Massimo und den Gatten warte, lese ich in "the city paper" ein Interview mit dem französischen Journalisten Roméo Langlois, der am 28. April 2012 von der F.A.R.C. entführt und 33 Tage lang als prisoner of war gefangen gehalten wurde. Langlois begleitete eine Militär-Patrouille, die sich im südlichen Verwaltungsbezirk Caquetá auf einem Anti-Drogen-Einsatz befand. Nachdem die Militärs mehrere Laboratorien für die Kokainherstellung zerstört hatten, wurde die Einheit angegriffen. Wer schon den Namen Roméo trägt, der sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass er früher oder später einem gewaltsamen Tod zum Opfer fällt. Das verlangt ja praktisch schon die Shakespearsche Tradition. Aber Spass beiseite. Auf die Frage, ob er nach Kolumbien zurückkehren werde, antwortete der "Kriegsgefangene": "Natürlich!", sobald er "some work" in Paris erledigt habe. Gut, denke ich, so schlimm wird's also nicht gewesen sein, lese aber weiter: "und nach der Physiotherapie für die Schusswunde in meinem linken Arm." Ein Führer der 15. Front der linksgerichteten Terrororganisation hatte offensichtlich auf Langlois geschossen, weil er eine militärische Schutzausrüstung trug und sich nicht schnell genug als Zivilist zu erkennen gab. Nun, kann passieren, wenn man sich an die Frontline vorwagt. Auf französische Journalisten scheint die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia offensichtlich besonders scharf zu sein, wie uns der Fall Betancourt lehrte. Später wird der Gatte die Idee in den Raum stellen, dass sie doch mal auf ostdeutsche Journalistinnen umstellen könnten. Ich wollte schon immer mal einen Ferienaufenthalt im Lager einer radikalen marxistischen Volkskampfgruppe verbringen. Mit 23 Jahren DDR habe ich die Grundausbildung ja bereits absolviert. Roméo sagt noch, er denke, die Guerillas haben genug vom Krieg und wollen Frieden. Ich frage mich, wieso sie den dann nicht endlich schliessen? Entführungen ausländischer Journalisten sind nicht gerade vertrauensbildend, wie ich finde.
Während ich im Dachgeschoss lese, scheint
sich Massimos Personal, oder wer auch immer alles in seinem Etablissement im
Erdgeschoss herumdümpelt, allein zu fühlen. Jedenfalls ist unverkennbar zu
hören, dass es sich in Massimos Laptop mit dem Polizisten, der das Häuschen
offensichtlich bewachen soll, Pornos anschaut. Ich kann nur hoffen, dass der
Gesetzeshüter im Falle eines Einbruchs nicht von einem Ständer an der Ausübung
seiner Pflicht gehindert wird.
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 14.2.2013
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