Donnerstag, 14. Februar 2013

Auf Escobars Spuren, Teil II




Forsetzung vom 7.2.2013
20 Uhr - seit 43 Stunden in den gleichen Klamotten. Die letzte Schminke ist restlos abgeblättert, der verwischte Mascara hat mir graue Schatten unter die Augen gezaubert, sodass ich inzwischen gut und gern als eine dem Tod Geweihte durchgehen würde. Auch aus meinem Hals tötelt es schon ein bisschen. Während ich mich unter die lauwarme Dusche stelle, die nach 20 Sekunden eiskalt wird, dreht der Gatte eine Runde durch die von Bogotás Jugend geschwängerten Freitagabendgassen. Sollte uns das Datum - der 13. - zu denken geben? Damit auch ich etwas Sinnvolles tue, versuche ich zu masturbieren, merke aber schnell, dass das eine Scheissidee ist. Mein Herz schlägt aufgrund der dünnen Luft hier oben dermassen rasant, dass ich befürchte den Löffel abzugeben. Der Tod in Kolumbien sollte nicht durch Masturbation erfolgen. Das wäre nun wirklich nicht standesgemäss!

2:45 Uhr wach

3:30 Uhr wach

4:35 Uhr wach

5:30 Uhr wach

5:55 Uhr aufstehen

Der Gatte hat schon Kaffee gekocht, im italienischen Kaffeebereiter. Es ist sein zweiter Versuch, beim ersten Mal hatte er den Kaffee vergessen. Er schlug vor, stattdessen die gestern gekauften Coca-Blätter aufzubrühen. Aber für 6 Uhr morgens halte ich das für etwas zu gewagt. Nachts hatte es wie irre geregnet und das tut es jetzt, nach einer kurzen Pause, wieder. Wie viele Morde sind wohl heute Nacht in der 7-Millionen-Metropole verübt worden? Und jetzt erwacht die Stadt so leise und friedlich, als sei sie ein Schweizer Bergnest. Während wir aufs Frühstück warten, liest der Gatte in Altmanns "Reise durch einen verlorenen Kontinent" und ich in Malornys "ATM - Das gekaufte Lächeln". Reisestories von Orten, die wir auch bereist und doch anders erlebt haben. Manchmal könnten die Geschichten aber auch aus meiner Feder stammen. Der Mensch ist bereit mit jeder Idee zu leben, vorausgesetzt, dass ihm die Idee nicht ganz klar ist, schreibt Malorny. Je unklarer ein Vorhaben ist, desto exotischer und gewagter kommt es einem vor. Erst wenn man es differenzierter betrachtet und es die Metamorphose zur Realität hinter sich hat, wird einem oft klar, dass man sich das Ganze auch hätte sparen können. Doch das weiss man vorher nie und oft war es allein schon den Weg dorthin wert.

6:45 Uhr - der Regen fällt in Sturzbächen vom grauen Himmel. Selbst die Tauben haben ihre Aktivitäten ein- und sich in Fenstersimsen untergestellt, die feigen Mafiosis. Verweichlicht! Der Gatte geht bis zum Frühstück nochmal ins Bett. Sauwetter bietet die perfekte Ausrede, nichts unternehmen zu müssen.

Massimo sieht ziemlich kaputt aus. Seine schöne blauen Augen sind immer gerötet, als würde er nie schlafen oder dauerkoksen. Wahrscheinlich beides. Seine Jacke, mit silbernen Knöpfen mit der Aufschrift "Sex Club" bestückt, ist voller Hundehaare und Dreck von schlammigen Pfoten. Seine kolumbianische Freundin sei very aggressive, sagt er. Jede Touristin sei für sie ein Nightmare. Nun, sie wird wissen warum. Obwohl die Schönheit des Venezianers leicht abgeblättert ist, der Lack ist noch nicht gänzlich ab. Und damit das nicht vollends passiert, will er sich bald an die Karibikküste verpissen. Ob er seine Freundin mitnimmt, lässt er vorsichtshalber mal offen. Man kann's ihm nicht verdenken. Diese Furie, diese Stadt und dieses Klima können einen Mann in den Wahnsinn treiben.

Tage später: Der Fisch "a la macho" in pikanter Sosse liegt mir etwas quer im Magen. Den Peruaner hatte uns Massimo empfohlen, Essen und Kunst hiess es. Mir hätte schon die Kunst des Kochens genügt. Es war zwar nicht ungeniessbar, aber wenn eine lasche gelbe Sosse den hiesigen Macho symbolisieren soll, nach dann gute Nacht! Ich hatte ja eher auf Meerschweinchen gehofft, soll ja gewissermassen das peruanische Chicken sein. Und gleich an alle, die jetzt aufschreien: Die Mehrheit von Euch frisst ja im Laufe eines Lebens ganze Kühe, Schweine (der Durchschnittsdeutsche etwa zehn im Leben), Hirsche, Hühner, Karnickel und rohen, zerstückelten Fisch. Und wenn es Mode wäre würde der eine oder andere wahrscheinlich auch vor Hunden und Katzen nicht halt machen. Also aufgepasst, wenn Du kein Veganer bist! Immerhin: saftig war das lasche Fischlein. Und die Rechnung ebenfalls. Zum Abschied gibt uns der Chef persönlich die Hand, klopft uns freundschaftlich auf die Schulter und lässt Alessandro grüssen - wer immer das sein mag. Nach den Anstrengungen des Mittagessens ist schleunigst Siesta angesagt. Im mittlerweile gelieferten Gepäck finde ich noch einen Beutel Jasmin-Grüntee aus dem 5-Sterne-Hotel in Peking. Ich schmeisse den Gasherd für heisses Wasser an. Beim Anzünden meiner Djarum Special fackle ich mir fast den Pony ab. So bekommt auch der Spruch "Rauchen kann tödlich sein" endlich einen Sinn.

Seit kurzem habe ich einen Liebhaber, den ich, schweren Herzens, für diese Reise an der Heimatfront zurücklassen musste. Doch wider Erwarten habe ich ihn eigentlich bereits bei Betreten kolumbianischen Bodens praktisch fast komplett vergessen. Oder seine Existenz verdrängt? Man verschwindet auf solchen Reisen in anderen Welten, die den Zurückgebliebenen einfach nicht zugänglich sind. Es ist schön, sämtliche Verantwortlichkeiten von sich zu streifen, geltende Alltagsgesetze zu negieren und die Verbindung zu denen da draussen oder drüben, hinter irgendwelchen grossen Teichen, zumindest vorübergehend zu kappen. Da weder Internet noch Telefon richtig funktionieren, bleibt einem der Schmerz erspart, den man empfindet, wenn sich der andere nicht meldet. Die Trennung erfolgt quasi per höherer Gewalt. Es liegt nicht in meiner Macht, eine Verbindung aufrecht zu erhalten. Ich muss nicht warten, weil ich weiss, dass nichts kommt. Das befreit unglaublich. Dafür ist man vor Ort von anderen Dingen getrieben. Heute ist Samstag, diese Nacht darf und kann also nicht im Zimmer verbracht werden. Als ich im Stübchen des Gatten Bewegung wahrzunehmen gedenke, dusche ich, fahre mir kurz durchs Haar und ziehe den Lidstrich nach. Ich wäre parat gewesen, doch dann hat es zu regnen begonnen. 18:40 Uhr schickt der Gatte eine Nachricht, er habe nach kurzer Selbstbefriedigung bis jetzt geschlafen und sei immer noch schlapp, ob wir überhaupt noch das Haus verlassen wollen. Ich sehe schwarz, wenn er es nicht einmal die fünf Stufen zu mir hoch schafft und stattdessen per SMS kommuniziert, obwohl er nur etwa 2 Meter Luftlinie von mir entfernt einquartiert ist. Es ist ein schwieriges Unterfangen sich aufzuraffen, wenn beiden Spielpartnern der Biss abhanden gekommen ist. Das rechte Sommerfeeling will bei dieser Wetterlage jedenfalls nicht aufkommen. Die Anden sind die Anden sind die Anden. Und nicht der Thüringer Wald. Zum Glück soll diese Reise in der Karibik enden. Es besteht also noch ein Funken Hoffnung.

0:30 Uhr: Glücklicherweise siegten Neugier und Abenteuerlust über Trägheit und Schwerkraft und liessen uns doch noch in die Julinacht von Bogotá hinausgehen. Und Gott sei Dank folgten wir nicht dem Ruf unserer Libido, sondern jenem der Kunst. Zwar mutete das Plakat zum XII. Festival de Danza Contemporanea im Theatro Libélula Dorada (die goldene Libelle) an, als würde einen eine grosse Moderndance-Show in einem riesigen Theater erwarten. Stattdessen fuhr uns das Taxi in einen weit entlegenen Aussenbezirk in ein winziges Theater, was in New York allenfalls als Off-Off-Off-Broadway durchgehen würde. Rund zwanzig Gäste, uns eingeschlossen, mehrheitlich lesbisch ausgerichtet, harrten der Dinge, die da kommen mögen. Mit zwanzig Minuten Verspätung ging es dann los. Auf dem Programm standen "Espíritus del Agua" - der Geist des Wassers -, getanzt von den drei Grazien Andrea, Monica und Adriana der Gruppe Danza Om Tri, sowie "Shaman Sol" - die Sonne des Schamanen - vom Choreografen Carlos Latorre selbst performed.  Der erste Teil war eine Choreografie für drei Körper, die durch die präkolumbianische Mythologie der Schutzgeister des Waldes und des Wassers inspiriert war. Zu Beginn der ersten Kulturen lebten in den Wäldern weibliche Geister, die aus dem Nebel gegossen zu Wasser wurden und in den Tiefen der Erde verschwanden.

Zwar war es, auch Dank der Musik eines gewissen Victor Hernandez, spiritueller und mystischer als erwartet. Die Tatsache jedoch, dass es sich bei A., M. und A. nicht um Profitänzerinnen handelte, liess für meine Begriffe der ganzen Sache etwas an Körperspannung fehlen. Hinzu kam, dass bei Adriana das Trikot sehr eng sass und etwas klemmte und somit ihr, zugegeben anmächeliger, Schlitz aus Reihe 1 ausgezeichnet zu sehen war, was mich etwas verwirrte und die eine oder andere anwesende Dame dazu verleitete, mehr als der Darbietung gut tat, die Kamera mit Blitzlicht zu bemühen. So gab es im spirituellen Wald ein unvorhergesehenes Gewitter.

Im zweiten Teil jedoch trat der Meister selbst auf die Bühne und bot, sinnigerweise, die Choreografie für einen Körper dar. Der Schamane, als Symbol für den Ursprung der Welt und aller Dinge, der die Sonne als Quelle der geistigen Wiedergeburt und als Lebensspender verehrt, wurde zum Condor, der seine riesigen Schwingen ausbreitet und in eine andere Welt, die Welt der Geister, fliegt und zum Jaguar, Hirsch und Jäger in einer Person wird. Carlos' Darbietung war die logische Schlussfolgerung unseres vormittäglichen Besuchs im Museo del Oro (Goldmuseum), wo genau diese Art von mystischen, präkolumbianischen Geschichten erzählt wurden. Zufall konnte es also nicht sein, dass wir dieser Vorstellung beiwohnen durften. Latorre, el Shaman, hat unseren Horizont ein kleines Stück erweitert und gezeigt, dass auch in einer Stadt von Armut und Gewalt der Spirit lebt und ihm mitunter Flügel wachsen. Manchmal ist es gut und schön einfach liegenzubleiben. Doch hin und wieder sollte man auch aufstehen und losgehen. Ich erwog Latorre ans Zürcher Theaterspektakel einzuladen. Da würde einem auch dort mal wieder etwas anderes als billiger Klamauk, unverständlicher Schwachsinn aus verwirrten Regisseuren- und Choreographenhirnen und die Rassen- und Gewaltprobleme ferner Nationen erwarten.
 
3:45 Uhr wach, Wolkenbrüche

6:00 Uhr wach, aufstehen, noch mehr Wolkenbrüche

Sieht so aus, als regne es sich ein. Das Dach ist übrigens undicht. Wir harren schon wieder in den ewig selben Klamotten aus. Dieses Mal aufgrund der Wetterlage. Es ist praktisch wie zu Hause. Dass es so kalt ist, hatten wir nicht erwartet. Die Wochen zuvor waren in Bogotá tagsüber immer 20-25 Grad. Aber ohne Sonne ist das beim besten Willen nicht zu schaffen. Der Trip, der für morgen geplant war, wird ebenfalls verschoben, weil die Lagune montags geschlossen ist. Selbst für die Natur gibt es heutzutage Öffnungszeiten! Zeit für eine Pre-Breakfast-Siesta.
 
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 21.2.2013

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