Fortsetzung vom 12.2.2013
Nach
dem Dinner sind wir alle dermassen erledigt, dass wir uns eigentlich nur noch
nach unserem Bett sehnen. Nur unser deutscher Jugendfreund will das Nachtleben
von Shenzhen entdecken. Leider sagt man ihm nicht klipp und klar, dass in
Shenzhen kein Nachtleben existiert. Da jeder Wunsch von uns zumindest ernst
genommen und wenn möglich auch erfüllt wird, fahren wir die nächsten vierzig
Minuten durch strömenden Regen durch die Nacht, um unserem Nachtschwärmer das
höchste Gebäude der Stadt zu zeigen. Was uns auch keiner sagte ist, dass es
sich nicht wirklich um einen Wolkenkratzer oder ein Gebäude von besonderem
Interesse handelt. Es ist einfach das höchste Haus der Stadt. Weder schön, noch
spektakulär, noch architektonisch von Bedeutung und auf keinen Fall wirklich
hoch. Als wir endlich vor Ort sind, schiessen wir durch die vom Regen kaum zu
durchblickenden Autoscheiben ein Foto in die Richtung, in der sich in etwa ominöses
Hochhaus befindet. Bei niemandem entsteht ein brauchbares Bild. Damit wäre der
letzte Punkt der Tagesordnung auch abgehakt. Nach einer weiteren halben Stunde
Fahrt in die entgegengesetzte Richtung können wir endlich ins Zimmer.
Eigentlich sollte ich jetzt noch ein bisschen arbeiten und einen ersten Bericht
in die Schweiz schicken. Glücklicherweise ist das Internet gesperrt, sind
Facebook und Twitter abgeschaltet und funktioniert WLAN nicht. Diktatorische
Massnahmen haben mitunter auch ihr Gutes.
Am
nächsten Tag verlassen wir Shenzhen Richtung Peking. Bei der Abfertigung gibt
es Probleme, die die Damen vom Check-in so lange hinauszögern, bis der Schalter
geschlossen wird und der Flieger ohne uns abhebt. Madame pour la press, die
übrigens perfekt Chinesisch spricht und sich, obwohl sie halb Schweizerin, halb
Madagassin ist, auch schon so fühlt, beherrscht ihren Job. Sie bewahrt die
Contenance, wie sehr wir oder die Umstände sie auch nerven. Nach ein paar Tagen
gelte ich bereits als unbequeme Nörglerin, der sie, da bin ich sicher, am
liebsten den Hals umdrehen möchte. Doch sie verliert nie die Fassung, ist immer
professionell, höflich, hilfsbereit und löst jedes Problem mit Bravour. Jetzt
eben kauft sie mal rasch sechs neue Tickets für den nächsten Flug. Ich an ihrer
Stelle hätte schon längst das Handtuch geworfen. Um sich an uns zu rächen, wenn
wir zu kompliziert tun, spricht sie mit unserem Italiener nur noch in seiner
Muttersprache und straft uns damit ab, dass wir aussen vor bleiben. Ich glaube,
sie steht auf ihn. Mir soll's recht sein.
Grundsätzlich
scheint sich der chinesische Manager vom Schweizer Executive-Board-Mitglied nicht
nennenswert zu unterscheiden. Beide agieren prozess- und gewinnorientiert, vor
allem Letzteres, und versuchen die Firmenstrategie (die oft mit den eigenen
Interessen einhergeht) durchzusetzen und im besten Falle zu beeinflussen. Auch
der Biertrink-Wettbewerb am ersten Abend in Peking endet unentschieden. Zumindest
mengenmässig betrachtet. Der Gastgeber ist allerdings bedeutend betrunkener als
seine Gäste. Er hebt das Glas, er lacht laut in die Runde, er schüttet den
Inhalt des Glases weg. Danach folgt die nächste Runde. Ein Unterschied ist allerdings
bei der Beantwortung kritischer Fragen festzustellen. In China wird in solchen
Fällen gern abrupt das Thema gewechselt oder der Befragte stellt sich einfach
unwissend. Fragen zu Regimekritikern wie dem Künstler Ai Wei Wei, der immerhin mit den Basler Architekten Herzog & de Meuron das
"Vogelnest" genannte Nationalstadion für die Olympischen Sommerspiele
entworfen hatte,
oder zur Tibetproblematik bleiben unbeantwortet.
"Ai
Wei Wei? Nie gehört", sagt er und zieht dabei eine angewiderte Fresse.
"Wenn ihn hier keiner kennt, kann er nicht wirklich berühmt sein. Kennen
Sie Lang Lang?" Ja Lang Lang kenne ich. Mit Chopin stösst man halt weniger
an als mit politischer Aktionskunst. Obwohl ich Lang Langs virtuoses
Klavierspiel damit nicht schmälern will. Ai Wei Wei ist letzten September übrigens erneut mit
seinem Einspruch gegen eine Steuerstrafe in Millionenhöhe gescheitert. Ein
Gericht in Peking bestätigte die wahnwitzige Forderung der Behörden in Höhe von
15 Millionen Yuan (1,7 Millionen Euro) Steuern und Strafzahlungen. Ai Wei Weis
Kunst-Unternehmen habe angeblich grosse Beträge an Steuern hinterzogen. Im
April 2011 war der Künstler unter diesem fadenscheinigen Grund festgenommen und
ohne Anklage 81 Tage weggesperrt worden. Sein nagelneues, eine Million Dollar
teures, 2000 Quadratmeter grosses Atelier in Shanghai wurde im Morgengrauen dem
Erdboden gleichgemacht. Die Begründung der Behörden, bei denen er den Boden für
35 Jahre gepachtet hatte und die dem Bau zuvor zugestimmt hatten: Unsachgemässe
Benutzung.
Spätestens
als der mittlerweile sehr betrunkene Firmen-Abgesandte beim Dinnerausklang die Errungenschaften
des Irans preist, wird einem jedoch bewusst, dass uns, trotz gewisser
Gemeinsamkeiten, noch immer Welten trennen. Es ist allerdings schwierig
kritisch zu bleiben, wenn einem eine 5-Sterne-Suite mit Blick über ganz Peking
und leckere Pekingente spendiert werden. Gilt das schon als Bestechung? Es ist
immer wieder ein Balanceakt, als Journalist objektiv zu bleiben und sich nicht
von irgendwelchen Goodies einlullen zu lassen. Theoretisch müsste man das alles
selbst finanzieren, aber so weit geht man dann in der Regel ja doch nicht. Die
übersetzten Bedeutungen des Wortes Huawei sind übrigens vielfältig und wie es
scheint flexibel einsetzbar, lassen wir uns beim Hotpot essen an diesem Abend
erklären. Sie reichen von "Für China" über "Made in China"
bis zu "Glorreiche Tat" oder "Star der Party". Und nicht
weniger strebt der Konzern an: Star der globalen IT-Welt zu werden. Dumm nur,
dass ihn ausserhalb Chinas bis dato praktisch keine Sau kennt. Aber dafür, dass
sich das ändert, sind wir ja offensichtlich hier.Fortsetzung am Dienstag, 26.2.2013
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