Fortsetzung vom 14.2.2013
Was macht der gemeine Kolumbianer morgens um Neun an
einem verregneten Juli-Sonntag? Er geht zur Messe in die Kirche. Da wir nichts
anderes zu tun haben, wohnen wir in der Iglesia San Francisco knapp eine Stunde
dem Spektakel bei. Solange man das ganze katholische Brimborium nicht ernst
nimmt, was ich nicht tue, hat die Szenerie fast etwas anrüchig-liebliches, ja
fast versöhnliches. Selbst der Kirchenchor, der permanent falsch singt, hat
etwas herzerwärmendes. Katzen in der Paarungszeit sind ein Dreck dagegen. Die
Kirche ist zehn nach Neun praktisch rappelvoll. In unserer Reihe nehmen links
von uns zwei Nonnen Platz. Drei Reihen vor uns ein junger, hübscher Mann, der
mit weit ausgebreiteten Armen besonders inbrünstig betet. Bittet er um
Absolution für die Sünden der Samstagnacht? Hat er die Frau seines Bruders
gevögelt? Oder den Mann seiner Schwester? Ist er ein Drogenkurier? Will er sich
der F.A.R.C. anschliessen? Oder hat er einfach nur generell Angst vor dem Leben?
Eine Altersgrenze kennt die Gemeinde nicht. Vom indianischen Kleinkind, das
lustig über die Holzbänke hüpft, über junge Paare und Familien bis zum alten
Papi finden sich die Schäfchen brav vor dem Herrn ein. Die Kirche, dekadent
überladen und mit Gold bestückt, ein zynisches Gegenstück zu den armseligen
Lebensumständen der meisten Einwohner Bogotás. Eigentlich sollten die Leute
nicht in Ehrfurcht erstarren, sondern die Bude plündern, den ganzen Krempel
veräussern und mit dem Ertrag ihre baufälligen Hütten sanieren. Die Stimme des
Pfarrers klingt angenehm sonor, Zitate aus der Bibel auf Spanisch nur noch halb
so bigott wie auf Deutsch. Der Predigt freilich hört man besser nicht zu.
Wortfetzen wie 'Untreue' oder 'die Natur im Zaume halten' fliegen uns um die
Ohren, während der Pfaffe, in Fahrt gekommen, wild mit dem Zeigefinger drohend,
herumgestikuliert. Die Gemeinde starrt stur zu Boden oder nickt zustimmend mit
dem Kopf und dankt ihm mit ständigem Aufstehen, Beten, Singen, Hinsetzen, Amen.
Zwischendurch läuft der Messdiener beschwingt im blütenweissen Gewand mit dem
samtroten Klingelbeutel durch die Reihen. Sein breites, freundliches Lächeln
lässt das Kleingeld wie von selbst aus den Hosentaschen der Gemeindemitglieder
in den Besitz der Kirche wandern. Auch ich zücke einen 2000-Peso-Schein. Sollen
sie dem himmeltraurig jaulenden Kirchenchor von unseren Almosen ein paar Gesangsstunden
spendieren. Als Unbeteiligte, ohne moralinsaure Schuldgefühle, geniesse ich
fast die sonntägliche Feierstunde. Die armseligen Gläubigen können einem
allerdings ob der Volksverarschungs-Show schon leidtun. Ob sich der junge Mann
jetzt besser fühlt? Wohl kaum. Allerdings ist es vielleicht immer noch besser,
als vor der Glotze zu hocken. Oder einen Mord zu begehen. Fünf pro Nacht seien
es in Bogotá, hat uns der Taxifahrer gestern verraten. Vielleicht sitzt auch
ein Mörder unter uns, der jetzt um Vergebung für seine Taten hofft. En el nombre del Padre, del Hijo y del Espíritu Santo.
Amén.
Wenn wir schon hier sind, nehmen wir das volle Programm in Anspruch, stellen
uns in die Reihe vor den Priester und lassen uns ein Stück Corpus Christi von
ihm in den Mund schieben. Die Minioblate klebt am Gaumen fest und mehr Jesus
spüre ich fürs Erste nicht. Aber vielleicht kommt ja noch was nach. Völlig
geläutert gehen wir ins Nationalmuseum. Hier erwartet uns eine Exposicion
Temporal über Débora Arango. Auch hier ist der Eintritt gratis und diese Débora
war eine erstaunlich mutige und talentierte Künstlerin. Wenn Frauen loslegen,
dann aber richtig. Ich für meinen Teil warte noch auf den Startschuss.
Vielleicht habe ich ihn auch überhört und längst verpasst.
Montagmorgen-Konversation mit dem Gatten:
"Hast
du deine Tage?"
"Ja?!
Wieso?"
"Sei
froh!"
"Froh
weshalb? Dass ich nicht schwanger bin?"
"Nee,
dass du noch nicht in der Menopause bist."
"..."
Sich an schöne Zeiten zu erinnern, ist eine Hoffnung im
Rückwärtsgang, schreibt Malorny auf Seite 104. Auf bessere Zeiten zu hoffen,
ist an der Realität vorbeigelebt, sage ich. Ich stelle ein leicht abgefucktes
Foto von mir mit brennendem Zigarillo im Mund auf Facebook. Bildunterschrift:
(Letzte?) Grüsse aus Bogotá. Morgen geht's ins F.A.R.C.-Gebiet, mal gucken, was
die Rebellen so machen. Obwohl es zu Hause weit nach Mitternacht ist und sich
sonst keine Sau für meine gelegentlich gepostete Kunst interessiert, liken
gleich mehrere Personen das Bild und kommentieren es. Mehrheitlich unsachgemäss.
Im Falle einer Entführung würde ich dann endlich meinen Bestseller landen:
"Der Rebell und ich - fünf Jahre in den Fängen der F.A.R.C." oder:
"Susi K. - eine Drogenkurierin packt aus". Ja, solange man sich in
Sicherheit wähnt, kann man doofe Sprüche klopfen. Aber keine Angst, die Gefahr
einer Verschleppung ist gering. Ich bin so träge, dass die Guerilla gar nicht
bemerkt, dass sich da im Geäst überhaupt etwas bewegt.
19:08 Uhr - der Gatte schläft. Schon wieder. Da muss doch
was im Essen gewesen sein. Unterdessen feiern hunderttausende Fussballfans den
Sieg von Santa Fee im Play-off der kolumbianischen Championsleague. Santa Fee
hat den Pokal nach 37 Jahren wieder nach Hause nach Bogotá geholt. Die Stadt
ist ausser Rand und Band. Die Begeisterung für Fussball ist wohl das einzige,
worin sich die Menschen weltweit einig sind. Da sind Kriege, Feindschaften,
Religionen und Rassen plötzlich vergessen. Völkerverständigung erster Güte. 3:41 Uhr wach
5:32
Uhr wach
6:08
aufstehen
Der erste sonnige Tag, der bei uns vorübergehend für
einen Anflug von Lebendigkeit geführt hat. So haben wir den Monserrate - Bogotás
Hausberg - erklommen. Per alter Seilbahn, versteht sich. Schweizer Wertarbeit.
Von oben hat man einen wunderbaren Blick auf die Stadt, die aus der Ferne gar
nicht mal so kaputt, dreckig und runtergekommen aussieht, wie sie wirklich ist.
William S. Burroughs, der alte Junkie, irrte ein Jahr durch Südamerika, nachdem
er im Drogenrausch bei der Nachstellung der Apfelszene aus Schillers Wilhelm
Tell versehentlich seine Frau umgebracht hatte. Er schreibt 1953 an Allen
Ginsberg: "Zu der kalten Luft in Bogotá kommt hinzu, dass es hier immer kalt und nass ist; eine
feuchte Kälte, die in einen rein kriecht, wie die Kälte der Suchtkrankheit. So
was wie Heizung kennen die hier nicht; man ist also ständig am Frieren. Mehr
als in jeder anderen Stadt in Lateinamerika spürt man hier das tote Gewicht von
Spanien; ein düsteres, niederdrückendes Gefühl. Alles Amtliche trägt den
Stempel Made in Spain. ... Bogotá wirkt im Grunde wie eine Kleinstadt, wo man ängstlich
auf seine Garderobe achtet und den Eindruck zu erwecken versucht, als bekleide
man einen wichtigen Posten." Seither hat sich eigentlich
nichts geändert. Ich erstehe eine kleine rote Gitarre, die sich, wie ich später
feststelle, gar nicht richtig stimmen, ergo auch nicht spielen lässt. Immer
kauft man irgendwelchen Tinnef, den man nicht braucht.
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 28.2.2013
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