Fortsetzung vom 5.2.2013
Shenzhen, wo Huawei ein Territorium einer Schweizer
Kleinstadt beansprucht, hat in den letzten 30 Jahren die Metamorphose vom einst
idyllischen Fischerdorf zu Chinas grösstem Industriestandort durchlebt und gäbe
gut und gern das Sujet für einen Fotoband mit dem Titel "Die Ästhetik der
Hässlichkeit" her. Der Huawei-Campus umfasst neben Firmengebäuden und
einem Park mit Teichen auch den Bai Cao Garden - ein Wohndistrikt mit 3000
Apartments für die Mitarbeitenden. Auf dem 105'000 Quadratmeter grossen Gelände
finden sich auch ein Gesundheitscenter, ein Supermarkt, Restaurants und Cafés,
eine Buchhandlung und ein Friseur. Das grosszügige Angebot dürfte auch
pragmatische Gründe haben: So sind die Angestellten zum einem immer unter
Kontrolle und zum anderen jederzeit schnell am Arbeitsplatz, ein nicht zu
unterschätzender Vorteil in Anbetracht von Chinas Verkehrschaos. Huawei stehe
für das neue China, lässt man uns wissen, und gibt sich für chinesische
Verhältnisse, oberflächlich betrachtet, erstaunlich offen und transparent.
Einige Fragen prallen allerdings auch nach dem dritten Versuch unbeantwortet an
der grossen Mauer des Schweigens ab. Mitunter wird auch eine Frage beantwortet,
die nicht gestellt wurde. Die meiste Zeit haben wir zudem zwei scheinbar
unbeteiligte Personen im Schlepptau, die uns wie Schatten an den Fersen kleben oder
bei Interviewterminen leicht unmotiviert die gelangweilten Randfiguren geben.
Es ist allerdings anzunehmen, dass sie aufmerksam zuhören, um hinterher, wem
auch immer, zu rapportieren. Die Stasi lässt grüssen. Vielleicht haben wir
westlichen Journalisten aber auch zu viele Agentenfilme gesehen. Man weiss es
nicht, denn ihre Funktionen bleiben bis zuletzt im Dunkeln. Doch so unabhängig,
wie uns die Unternehmensvertreter weismachen wollen, dürfte auch Huawei nicht
sein. Die Gerüchte, Huawei sei durch Subventionen der
chinesischen Regierung begünstigt worden und habe in der EU zu niedrigen
Preisen Produkte verkauft, halten sich hartnäckig. Die Europäische Union plant deshalb eine offizielle Untersuchung, an deren
Ende Strafzölle erhoben werden könnten. Die Merkel hat unterdessen bei einem Treffen mit dem
chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao im Vorfeld des G20-Gipfels die
bisherige Unterstützung des Landes für den Euro gewürdigt, die Schleimerin. Man
sprach wohl über die politischen Perspektiven in Europa, sowie über die
wirtschaftlichen Entwicklungen in China. China hält mit über 3 Billionen Dollar
weltweit die grössten Devisenreserven. Das Land ist daher ein global umworbener
Investor. Da scheissen doch alle gern auf die Menschenrechte, Hauptsache der
Rubel rollt. Die Chinesen haben uns alle längst im Würgegriff.
Zur
Rolle der IT beim Wandel Chinas zum Hightech-Standort sagt einer der vielen
Chefs, die wir auf dieser Reise treffen, etwas bedeutungsschwanger: "IT
hat dieselbe Bedeutung für China wie atmen oder jeden Tag zu essen." In
der Tat bauen einerseits immer mehr lokale Behörden die IT-Industrie in ihrem
Wirkungsbereich signifikant in Richtung Software und Services aus. Andererseits
expandieren langsam auch einheimische IT-Unternehmen ins Ausland. Huawei ist
dafür ein Beispiel. IT sei der Ausgangspunkt der meisten technischen
Innovationen, sagt der gute Mann. Obwohl man im Zusammenhang mit China den
Begriff Innovation vorsichtig benutzen sollte. Wenn Innovation für Imitation
steht, dann ist das Riesenland selbstredend Weltmeister. Da bediene ich hier natürlich
voll das Klischee. Aber jedem Klischee wohnt auch eine Wahrheit inne. Sicher
gibt es auch in China kreative, kluge, offene, liberale, witzige, moderne,
nette Menschen. Bei rund 1,4 Milliarden Einwohnern ist die Wahrscheinlichkeit
sogar sehr hoch, dass es jede Menge davon gibt. Allerdings auch jene für die Anzahl
an Arschlöchern, Denunzianten, Regierungsschergen und Parteihörigen, Korrupten,
Folterknechten und Feiglingen. Der Rest, das sind die Armen vom Land, die,
kämen sie vom Mond, wahrscheinlich informierter wären, als sie es hier sind. Die
Chinesen haben jedenfalls schon lange nichts mehr Nennenswertes erfunden,
erforscht oder kreiert. Nach 1250 war Sense und aus dem Reich der Mitte kam
nichts mehr nach. Warum auch, wenn klauen und kopieren effizienter ist? Die Chinesen
haben ein völlig anderes Verständnis von geistigem Eigentum. Vielleicht ist es
an uns, ein bisschen entspannter damit umzugehen. Die Zeiten der grossen
Meister wie Konfuzius und Lao-Tse sind definitiv vorbei. Die Chinesen haben uns
die Nudel, das Papier, das Porzellan, die Kanalschleuse, die Schubkarre, den
Kompass, den Buchdruck und das Schwarzpulver beschert. Mehr kann man eigentlich
nicht verlangen. Und dann stelle ich schnell auch noch ein paar Fragen. Auch
sie verhallen im holzgetäfelten Sitzungsraum wie das Echo im Himalaya. "Ich
persönlich glaube", so der Manager, "Cloud-Computing ist die vierte
Phase der industriellen Revolution und die IT-Branche ist die treibende Kraft
für alle anderen Industrien." Schade nur, dass im Land selbst viele der
Technologien durch Gesetze und Restriktionen seitens der Führung in Peking noch
gar nicht einsetzbar sind. Es darf auch bezweifelt werden, dass die Neuerungen
in naher Zukunft über die grossen Ballungszentren hinaus beim gemeinen Bürger
ankommen werden. Im Land der Milliarden Korruptionsmeister landet meistens
ausser des Geldes in den Taschen irgendwelcher Parteifunktionäre und Beamten
leider gar nichts dort, wo es einst geplant war.
In
Shenzhen ist am Abend genauso viel los wie in der Zürcher Agglomeration:
nichts. Ich war vor zehn Jahren schon einmal hier, erkenne aber nichts wieder.
Verzweifelt versuche ich mich an irgendetwas zu erinnern. Aber da ist nur reine
Leere. Später fällt mir ein, dass ich damals gar nicht in Shenzhen sondern in
Suzhou in der Nähe von Shanghai war. Klingt ähnlich, sieht gleich aus. Das kann
man schon mal verwechseln. Als Abendunterhaltung besuchen wir eine Performance
im Theater des Splendid China Folk Village, eine Art chinesisches Disneyland in
Kleinformat. Der Theatersaal ist halb voll und, abgesehen von uns,
ausschliesslich mit chinesischen Gästen besetzt, die augenscheinlich einen
Heidenspass an der Show haben. Meine Journalistenkollegen hängen teils
abwesend, teils kurz vorm Einnicken etwas gelangweilt in den roten Samtsesseln.
Ich kann mich nicht entscheiden, ob die ganze Show schön schaurig oder schaurig
schön ist. Wie perfekt modellierte, filigran ausgearbeitete, ferngesteuerte
Püppchen schweben die Tänzerinnen mit süsslich eingefrorenem Lächeln feengleich
über die Bühne. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles wurde bis zur
Perfektion, in Einklang mit Bühnenbild, Licht und Musik, wahrscheinlich in
sozialistischem Drill, einstudiert. Ob es sich dabei um Kunst handelt, darüber
lässt sich streiten. Auch mit Tradition hat das nichts zu tun. Trotzdem ist es
betörend schön und berührt. Mehrmals läuft mir ein Schauer über den Rücken und
stehen mir die Tränen in den Augen. Ich schäme mich ein bisschen, dass mich derartiger
Kitsch dermassen mitreisst. Ich schäme mich aber auch für die anderen, die die
Arbeit und Liebe, die hinter so einer Aufführung stehen oder die Bemühungen
unserer Gastgeber nicht erkennen und zu würdigen wissen. Auch ich lasse ein
paar abfällige Bemerkungen fallen, wohl, um mich nicht zu outen, dass mir das
Ganze doch irgendwie gefällt.
Fortsetzung folgt am Dienstag, 19.2. 2013
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen