Donnerstag, 30. Juni 2016

Der neue DreckSack ist da - 25. Ausgabe!

Liebe Freunde, Leser und Kritiker:
 
Die nunmehr 25. Ausgabe des DreckSack ist da!
Diesmal mit Fotografien
 von Errol Ballaschk 
und Texten von:
 
Eric Ahrens, Michael Arenz, Dirk Bierbaß, Marvin Chlada, Jerk Götterwind, Florian Günther, Jörg Herbig, Matthias Hering, Susann Klossek, Matthias Merkelbach, Thomas Meyer-Falk, Bert Papenfuß, Jürgen Ploog, Saskia Prüß, Erik Steffen, Heyne Winterfeldt, Eddie Woods
 
Erhältlich ist er ab sofort hier:
www.edition-luekk-noesens.de/shop/drecksack

Donnerstag, 23. Juni 2016

Und täglich grüsst das Update




Es gab Zeiten, in denen man irgendein Gerät kaufte, seine Software aufspielte und arbeiten konnte. Ich will ja nicht behaupten, dass früher alles besser war, aber: Doch. Wenn ich morgens meinen Computer starte, wobei morgens ein sehr dehnbarer Begriff ist, blinkt mich jeden Tag rechts unten ein blaues Fenster an. Leider wünscht mir da weder jemand einen schönen Tag, noch wird mir mitgeteilt, dass ich in den Genuss einer Gehaltserhöhung bei gleichzeitiger Arbeitszeitreduzierung komme. 

Im Gegenteil: Ich werde auf-ge-fordert. Erhalte quasi einen schriftlichen Befehl. Zwar freundlich, trotzdem bestimmt: Your PC is ready for Windows 10 upgrade. Soll heissen: Jetzt lad Dir verdammt nochmal Windows 10 auf Deinen Rechner, sonst lassen wir ihn in Kürze implodieren. Da erdreistet sich also ein imaginärer Aktualisierer auf penetrante Weise (steter Tropfen höhlt das Sein) mir mitzuteilen, was meine innersten Bedürfnisse sind. Windows 10 sicher nicht, das wüsste ich.

Während ich besagtes Fensterchen routiniert wegklicke und sich irgendetwas anderes selbsttätig auf den neusten Stand bringt, schalte ich mein Smartphone an, das mir zur Begrüssung mitteilt, dass14 Updates genehmigt werden müssen. Ich muss gar nichts. Vor allem nicht, wenn es sich mehrheitlich um Apps handelt, die ich gar nicht selbst heruntergeladen habe. Nein, die schummeln mir Samsung, Google & Co. bei jedem Software-Update heimlich und ungefragt unter. Egal, ob ich sie benötige. Entwickler sind oft weit weg von dem, was Benutzer eigentlich wollen. 

Mit jeder neuen Software-Version wird mir quasi ein „Weihgeschenk“ geliefert. In Form eines trojanischen Pferdes, in dessen Bauch Apps versteckt sind. Nachts öffnen diese Androiden von innen die Tore und lassen sich selbst ein. Hinter die Mauern meines Nervenkostüms. Ich bin Troja und werde fallen. Hinterlistig installieren sie sich auf der Suche nach der Fragmentierung unwiderruflich, also meist un-deinstallierbar, in meinem Smartphone und verstopfen die Leitungen für Sinnvolles. Irgendwann ist der Speicherplatz voll und ich muss mir ein neues Gerät zulegen. Dann wäre das Ziel erreicht. 

Oft bin ich auch verwirrt: Ist das neue Update jetzt sicherheitsrelevant? Werde ich bei Verweigerung von Viren, Würmern, Trojanern und Hackern heimgesucht oder von meinen Freunden ausgelacht? Ich habe schon Albträume, in denen ich neben einem veralteten Smartphone aufwache, dass das letzte Update verpasst hat und mir deshalb mit Selbstmord droht. Ich date also up. Mitunter ein fataler Fehler, nach dem nicht selten erstmal gar nichts mehr geht. 

Oh! Gerade blitzt eine Nachricht auf: Dieses Update lässt sich leider nicht verhindern! Na sei’s drum. Hin und wieder bin ich grosszügig und lass den Systemen ihren Spass.

Allerdings sind Smartphone-Apps oder Windows nicht die einzigen, die nach täglichen Neufassungen hecheln. Adobe Acrobat, Java, DivX, OpenOffice, irgendein Programm schreit immer nach einer Aktualisierung – um sich zu verbessern (hysterisches Lachen aus dem Off), gerne auch im Namen der Sicherheit. Man könnte meinen, wir seien in Fort Knox tätig. In der Redaktion begrüssen wir uns schon lange nicht mehr mit Guten Morgen, sondern mit Du musst neu starten.  

Selbst mein Sexspielzeig verlangt heutzutage nach einem Update. Auf Version 6.0.8.1.5.6 Da stellt man doch freiwillig wieder auf Handbetrieb um, schlimmer können die hausgemachten Upload-Probleme auch nicht sein.

Was soll das alles? Wenn ich ein Auto kaufe, dann ist das in der Regel fertig und muss nicht alle zwei Wochen nachgerüstet werden. Ausgenommen natürlich es handelt sich um einen VW-Diesel, dessen Manipulations-Software zur Drosselung von Abgasen, durch eine Manipulations-Software zur Verschleierung der Software zur Drosselung von Abgasen verbessert werden muss, klar. Aber normalerweise läuft der Wagen wie geschmiert, wenn er die Fabrik verlassen hat. 

Nicht auszudenken, lägen überall abgestürzte Fahrzeuge in der Gegend herum, die sich nicht mehr starten lassen, weil die neue Software-Version plötzlich mit dem Fahrer inkompatibel ist. Kürzlich hörte ich allerdings von jemanden, der am Strassenrand anhalten musste und nicht mehr weiterfahren konnte, weil der Bordcomputer des Navigationssystems auf einem Update bestand. Schlechte Aussichten für Fahrer von Fluchtwagen.

Natürlich, Sicherheitslücken, Bugs oder sonstige Fehler müssen ausgeräumt und beseitigt werden. Aber was wäre, wenn die Hersteller das Zeug von Anfang an sicher, fehlerlos und einigermassen funktionierend liefern würden, statt uns Delta-, Gamma- oder Beta-Versionen unterzujubeln? Und ja, wir beschleunigen mit unserer Schneller-höher-weiter-Mentalität das Tempo auch selbst. Ein mehrere Minuten veraltetes System können wir kaum ertragen. All die Energie, die dabei für immer in den Weiten des Darknet verschwindet!

Forscher müssten mal ergründen, wie viel Lebenszeit allein durch das ständige Updaten und Herumgebastele an all unseren Geräten unwiderruflich verbraten wird. Man könnte in dieser Zeit gediegen in die Karibik reisen oder Winterschlaf halten. Zum Beispiel, um die eigenen Systeme auf Vordermann zu bringen, also upzudaten. Allerdings auf bedeutend lustvollere Art und Weise.

(Erstveröffentlichung in gekürzter Version in Computerworld 6 vom 20. Mai 2016)

Mittwoch, 22. Juni 2016

Beim Chinesen




Mann 1: Ich war gestern beim Chinesen.

Mann 2: Und?

Mann 1: Am Schluss gab‘s wieder so nen blöden Glückskeks.

Mann 2: Wieso blöde, was stand denn drin?

Mann 1: Bitte öffnen Sie einen anderen Glückskeks. Das Schicksal, das Sie hier vorfinden sollten, ist nicht vorrätig!

Donnerstag, 16. Juni 2016

Manifesta - ein Zwischenbericht





Letzten Freitagabend lief ich einigermaßen aufgedonnert die Zürcher Künstlergasse hinauf. Ein Straßenname wie für mich gemacht, dachte ich, während ich den Berg zur Uni raufhechelte. Der Weg des Künstlers ist steil und beschwerlich. Ich kann ein Lied davon singen. 

Ich hatte eine VIP-Einladung zur opening party der Manifesta 11, um meinen Hals baumelte der Akkreditierungs-Badge als ARTIST. Ersteres hatte ich Houellebecq zu verdanken, der mit einem Film- und Fotoprojekt mit von der Partie war und durch Abwesenheit glänzte. Auf meine Frage, ob er nach Zürich komme, schrieb er: I don’t know, dear. No performance, no true necessity to be present. 

Für sein „Werk“ ließ sich Houellebecq von einem gewissen Dr. med. Henry Perschak, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin an der Zürcher Klinik Hirslanden, mittels EKG, MRI und Blutanalysen untersuchen. Eigentlich wollte sich Michel auf Herz und Nieren durchchecken lassen und die Diagnosen samt Rechnungen präsentieren, der Mediziner plädierte hingegen für eine ästhetische Aufarbeitung von Ultraschall, EKG & Co. Das Magazin Monopol feiert Houellebecq aber nun trotzdem als bildenden Künstler. Dabei hat er sich im Grunde nur mal gratis von einem teuren Spezialisten durchchecken lassen. Ich sah ihn regelrecht vor mir, wie er misanthropisch, noch immer unter Bewachung der französischen Polizei, in seinem Apartment in Paris hockt, raucht und sich ins Fäustchen lacht.



Das Motto der diesjährigen Manifesta lautet What people do for money. Die unbezahlte Arbeit von Freiwilligen, Praktikanten und Kunststudenten, denen Künstlerkurator Christian Jankowski Chancen und Kontakte versprach, dürfte da nicht gemeint gewesen sein. Zur Eröffnung ließ eine Gruppe von Studenten und Künstlern 50-Franken-Noten auf die Festgäste herabregnen – mit dem Konterfei von Jankowski und einem neuen Logo: Moneyfesta. Vielleicht hätte sich Manifesta-Direktorin Hedwig Fijen ihren Satz The volunteers are not working, they are doing services besser verkneifen sollen. Mir persönlich wären echte Fünfziger lieber gewesen, ich hätte damit eine Freundin bezahlt, die als freiwillige Helferin zehn Einsätze absolvieren muss, bis sie sich einen Freipass an die Ausstellung erarbeitet hat.

Konkret ging es um Kooperationen von 30 Künstlern mit anderen Berufsgruppen darunter ein Pastor und eine Sexarbeiterin (oft geht das ja Hand in Hand), ein Meteorologe, eine Hundefriseurin, ein Thai-Box-Weltmeister, ein Analytiker und ein Sterne-Koch. Eine im wahrsten Wortsinn Scheiß-Kollaboration zwischen Künstler und Zürichs Einwohnern zeigte sich später im Kunstwerk von Mike Bouchet, der einfach mal 80 Tonnen Klärschlamm die Extremente der Zürcher vom 24. März 2016 zu einer auf 160 Quadratmeter großen Fäkalblock-Skulptur verbaute.
Unglaublich, wie viel Scheiße der Mensch produziert. Das kann auch gern im übertragenen Sinne verstanden werden.



Während sich Stadtpräsidentin Corine Mauch und andere nichtssagende Redner einen Wolf faselten, stand ich an der langen Schlange zur einzigen Tränke, die schon vor Acht offen hatte, auf ein Bier an. Leider gehörte ich nicht zu Dieter Meiers Truppe. Wer vor gefühlten hundert Jahren mal bei Yello mitgespielt hat, bekam natürlich auch an noch geschlossenen Fressbuden sein Bier. Als was war Meier eigentlich vor Ort? Als Konzeptkünstler ohne Konzept? 

Irgendwann am Ende der unsäglichen Reden drängte sich Zürichs sogenannte Hautevolee, teilweise schon von Entzugserscheinungen gezeichnet, in den großen Saal der Universität, in der Hoffnung, endlich gratis saufen zu können. Es waren viele VIPs anwesend, VIPs, die keiner kennt. Wie mich zum Beispiel. Als erstes besorgte ich mir meinen Willkommensdrink. Eine Dame mit viel Unterleib meinte, da sei Gingerale drin. Was auch stimmte. Allerdings gut kombiniert mit Turicum-Gin (41,5%). Macht sich gut auf Ex und nüchternen Magen. Um 20:13 Uhr ließ ich versehentlich ein Stück Kunst (ein Dia) in den Drink fallen. Ich fischte es wieder raus und legte es unauffällig zurück auf das Tischchen, von dem ich es vorher entfernt hatte. 

Kunst wird mit steigendem Alkoholpegel eindeutig abgefahrener oder scheint dann plötzlich einen tieferen Sinn zu beherbergen, der in nüchternem Zustand noch nicht erkennbar war. Auch die Gäste wurden mit der Zeit attraktiver. Turicum sei Dank. Ich fotografierte wild in der Gegend rum und traf zufällig auf Madame Orgasmus. Genauer gesagt auf Maggie Tapert, selbsternannte Sexpertin, bekannt geworden durch das Buch Pleasure – Bekenntnisse einer sexuellen Frau, die den Frauen dieser Welt zu mehr oder besseren Orgasmen verhelfen will, was ja grundsätzlich sehr löblich ist. Na, heute schon einen Orgasmus gehabt?, lallte ich sie von der Seite an und erzählte ihr, dass ich für diese Veranstaltung ein Sexdate abgesagt hätte. Gute Idee?, frage ich. Wohl kaum, sagte sie in ihrem amerikanisch-schweizerdeutschen Akzent und wendete sich einem windigen Typen mit Pferdeschwanz zu. 

Ich brauchte dringend Nachschub. Zum Auftanken ging ich an den Turicum-Promostand. Die Menge, die ich zum degustieren bekam, war allerdings mehr als mickrig. Sie bedeckte kaum den Boden des winzigen Plastikbecherchens. Sehr fein, log ich, während ich an dem Wässerchen nippte, das kaum meine Lippen benetzte. Das Turicum-Frettchen faselte etwas von Zitronenzeste, Orangenblüten, Koreandersamen, Engelwurz, Voatsiperifery-Pfeffer und Süßholz, das es mächtig raspelte. Ich nickte, hörte aber nicht wirklich zu. Follow us auf Twitter oder Facebook, sagte es noch. Ja ja, so lange sie mir nicht folgen würden, war mir alles recht. Ich holte mir einen weiteren Drink, für den ich 12 Franken hinblättern musste.


What meens professional?, fragt ich eine Russin und zeigte auf ihren Badge, der ihr auf den ziemlich luftig verpackten Titten baumelte. Sexgewerbe? Glücklicherweise verstand sie mich nicht.


In einem abgedunkelten Raum konnte man die Installation The sound of science von Hauser Becker Zuber (videoüberwacht!) bewundern. In einer Art Versuchsaufbau in einem fiktiven Laboratorium standen unter anderem ein ausgestopftes Wiesel und ein Frettchen. Ja, jetzt ein Frettchen!, schoss es mir durch den Kopf, aber wieder draußen bändelte nur ein maroder Typ mit Jutesack auf der Schulter mit der Aufschrift Sculpture Projekt Münster 2017 an. Für den war ich einfach nicht betrunken genug.
 

Zürich bekam für einen kurzen Moment so etwas wie einen internationalen Hauch ab, der aber schnell wieder verpuffen wird im zwinglianisch-biederen Mief. Die brennenden Themen dieser Zeit werden dabei gekonnt umschifft. Alles in allem wird viel belangloser Schmarrn ausgestellt, bei dem man sich zwangsläufig fragte, wie zum Teufel gelingt es den Leuten damit so eine Plattform zu kriegen? Der Kunstbetrieb ist eine Mafia, wo Beziehungen, Geld und sexuelle Gefälligkeiten eine tragende Rolle spielen.


Ich ging an die frische Luft und gönnte mir in der Doktor-Faust-Gasse ein Red Thai Curry mit Shrimps. Wie ist das so für all das elitäre Gesocks hier zu arbeiten?, fragte ich einen Mitbürger mit Migrationshintergrund, der gerade leere Plastikbecher von Kunst entfernte. Erschrocken wendete er sich ab. Langsam ließ die Wirkung des Alkohols nach und ich mich auf einen ledernen, weißen Quader fallen. Manche Leute sahen einfach wie Kasper aus. Andere nur beschissen. Viele leider auch verdammt gut. Jung und schön. Denen steht die Welt offen. Egal wie groß der Scheißhaufen ist, den sie uns gerade vor die Nase gesetzt haben.