Samstag, 30. März 2013

KARMA


Die Hoffnung
Auf ein positives Ende
Hatte Indira
Noch nicht ganz verloren
Trotzdem wusste sie
In wachen Momenten
Sie hatte von Anfang an
Verspielt
Die falsche Kaste
Das falsche Geschlecht
Das falsche Leben
 
Sie beneidete die
Fetten
Weisshäutigen
Schlechtgeschminkten
Touristinnen nicht
Die noch jenseits der 50
In Ashrams rannten
Und nach etwas Ausschau hielten
Von dem sie nicht genau wussten
Ob es existierte
 
Indira hatte immer gewusst
Was sie wollte
Und auch dass sich nichts
In ihrem Leben am Strassenrand
Von alledem ereignen würde
Die blöden Ausländerinnen
Suchten das Glück
Und merkten nicht
Dass sie es schon hatten:
Sie konnten weg von hier
 
Hyderabad, Indien
 

Donnerstag, 28. März 2013

Auf Escobars Spuren, Teil VIII



Fortsetzung vom 21.3.2013
Sowohl der Gatte als auch ich erlauben uns dank Wolles Gratis-WLAN noch eine kleine Einschlafhilfe per Smartphone, kurz: wir gucken Pornos. Eigentlich wollte ich nur mal kurz reingucken, eine Stunde später kann ich die Hand, in der ich das Handy halte, kaum noch bewegen vor Steifheit. Dauernd muss ich die Lautstärke regeln, wenn so 'ne Schlampe anfängt rumzukreischen. Unfassbar, was die Leute so alles in ihren privaten vier Wänden treiben! Und vor allem dann die Schweinerei auch noch ins Internet stellen. Ganz normal ist das nicht. Aber was ist schon normal? Nur noch so lange, bis der Akku schlapp macht, der Saft ist ja schon ziemlich runter, kann also nicht mehr lange dauern. Er hält noch satte zwei Stunden aus. "Hallo, mein Name ist Susi, ich bin pornosüchtig." Nicht auszudenken, wenn sich Wolfgang mal 'ne Liste vom Provider schicken liesse, auf was für Seiten seine ehrenwerten Gäste da so rumsurfen! Zum Glück funktioniert hin und wieder doch der Datenschutz. Gut, die CIA wird es registrieren, aber die weiss ja eh alles.
Und wieder haben wir eine Samstagnacht mit irgendetwas Sinnvollem zu füllen. Oder haben wir Sonntag? Ich bin ein bisschen aus dem Zeitraster gekippt. Nach dem gemeinsamen Abendessen trennen sich unsere Wege. Das ist nichts Besonderes, denn unsere Vorlieben - sowohl kulturell als auch sexuell - unterscheiden sich mitunter signifikant. Während der Gatte irgendeine Disco, ach, das heisst ja heute Club, heimsuchen will, fahre ich in den angeblich berühmt-berüchtigten Jazzclub El Pobre Diablo - Der arme Teufel. Er liegt an der Ecke Av. Isabel la Católica y Francisco Galavic, was ja eher fromm klingt. Wie es der Zufall so will, entpuppe ich mich als der arme Teufel, denn ausgerechnet heute hat die Liveband abgesagt. Da nur verliebte Pärchen den Club frequentieren, mache ich auf dem Absatz wieder kehrt. Blöderweise ist das Taxi weg und kein anderes in Sicht. So stehe ich leicht verloren im nächtlichen Nichts von Quito und ausser ein paar potentieller Verbrecher kommt niemand vorbei. Wie bestellt und nicht abgeholt stehe ich sicher ein halbe Stunde blöd in der Gegend rum. Irgendwann schaffe ich es dann doch noch, dank eines freundlichen Polizisten, zurück zum Plaza Foch. Auch im Bungalow 6 - Tanzen und Kontakten, wie es heisst - ist tote Hose, kurz: es wird weder getanzt noch angebändelt. Schliesslich nehme ich in einer Bar einen Caipiroshka - der Kellner versucht mir drei zum Preis von zweien anzudrehen - und warte, ob sich jemand zu mir gesellt.

Drei Tische weiter sitzt ein eleganter Herr in den 50ern und zieht an seiner dicken Zigarre. Es dauert nicht lange und er setzt sich zu mir. Er stellt sich mir als Juan Carlos vor, seines Zeichens argentinischer Rinderzüchter. Muss ich ihn jetzt mit Majestät oder el Jefe ansprechen? Ich kann seinem Spanisch, das er in die Zigarre nuschelt, nicht immer folgen. Nur so viel: Die Geschäfte liefen schon besser, obwohl sein Fleisch, also das seiner Rinder, das beste von ganz Argentinien ist und seine Rinder preisgekrönt seien. Land- und Viehwirtschaft in Zeiten des Rinderwahns, der Trockenheit, des Klimawandels und der Wirtschaftskrisen seien eben auch nicht mehr das, was sie mal waren. Was er denn in Ecuador mache, frage ich ihn."Nach Gauchos Ausschau halten", sagt er. Ich nehme an, nach billigen Arbeitskräften für seine Estancia. "Und ich suche eine neue Frau", sagt er beiläufig. Was denn mit der alten passiert sei, will ich wissen. "Tot. Unfall.", sagt Juan Carlos ungerührt und nimmt einen tiefen Zug von seiner Cohiba. Als Ehemann hat er also offensichtlich keine so gute Figur gemacht. Jedenfalls schweigt er sich zum Unfallhergang aus. Bevor er mich zu seiner nächsten Gattin machen will, zahle ich meinen Drink und springe ins Taxi.

Der Fahrer ist nett und äusserst gesprächig. Überhaupt machen die Taxifahrer sowohl in Kolumbien als auch in Ecuador einen sehr guten Eindruck. Bis jetzt haben wir noch keinen getroffen, der versucht hat, uns übers Ohr zu haun. Ein völlig neues Gefühl. Und bei diesem hier fällt mir urplötzlich mein ganzes vergessenes Spanisch wieder ein. Wir plaudern wirklich fröhlich drauflos. Nur mit der Orientierung hat er's nicht so im Griff. Ich hingegen kenne den Weg. Ich bin ihn abgelaufen, ich bin ihn zig Mal abgefahren. Ich weiss, wo die Einbahnstrassen und welche Gassen nachts gesperrt sind. Aber er hört nicht auf mich und kurvt wie ein vom grellen Licht desorientiertes Insekt durch die Gegend. Als wir etwa 500 Meter Luftlinie vom Ziel entfernt sind, rufe ich "derecha!", rechts, doch er fährt links und sagt nur "Frauen haben keinen Orientierungssinn". Ich sage ihm, er solle sofort umdrehen, doch er fährt stur in die andere Richtung. Immer weiter aus der Altstadt raus. Inzwischen sind die Strassen stockfinster und auch ich weiss nicht mehr, wo wir sind. Vielleicht hätte er nicht die Türverriegelung betätigen sollen, während er ins unbekannte Nirgendwo rast. Jedenfalls gerate ich plötzlich in Panik und denke 'das war's dann also!' In der Regel überfällt ja der Gast den Taxifahrer. Aber wieso sollte es in meinem Falle nicht mal umgekehrt sein? Ich rufe, ja schreie: stop that car, right know, aqui, it's the wrong way, where do you going?" Aber er lacht nur hysterisch, gibt Gas und ruft nach hinten "No entiendo, no entiendo". Ich rüttle wie eine Gestörte an der Türverriegelung. Was genau bezwecke ich eigentlich damit? Will ich bei 80 Sachen aus dem Auto in den Strassengraben springen? "Was ist los mit dir, Mädchen?", fragt er mich. "Ich bin ein offizielles Taxi mit einer Nummer. Was meinst du, was ich mit dir mache?" Woher soll ich das wissen? Mich vergewaltigen, ausrauben, mir die Kehle durchtrennen? Zugegeben, die Sache mit der offiziellen Taxinummer ist durchaus ein Argument das gegen ihn als Meuchelmörder spricht. Langsam komme ich von meinem Horrortrip wieder runter. Und dann endlich kenne ich mich auch wieder aus. Er hat quasi in grossem Bogen die Altstadt von der anderen Seite umfahren und kommt jetzt von hinten rein. Noch nie war ich über ein VON HINTEN so froh wie in diesem Moment. Auch der abgemachte Preis hat sich nicht geändert. Ich knalle ihm die 5 Dollar hin und springe aus dem Wagen. Im Zimmer erst merke ich, wie mir die Knie zittern. Ich habe den Eindruck, der Adrenalin-Vorrat eines ganzen Jahres ist mir ins Blut geschossen. Ich habe wirklich selten Angst, aber heute Nacht hatte ich die Hosen gestrichen voll. Neige ich neuerdings zur Hysterie?

Mit Jamie zum Cotopaxi. Natürlich bleibt seine Karre kurz vorm Ziel stecken. Man fährt auch nicht auf einen 6000er Vulkan über Schotterpisten, Geröll, Sand, Staub und durch kleine Flüsse ohne Allrad-Antrieb. Zumindest einen Hinterradantrieb kann man doch erwarten. Zumal von einem Kanadier, der solche Landschaften und Unwegbarkeiten gewöhnt sein sollte. Wir gehen also zu Fuss weiter. Vorbei an steckengebliebenen Klapperjeeps, alten, bunten Bussen, die nicht einmal mehr wenden können, einem mit Holz beladenen, umgekippten LKW und sogar einem Mini, dessen Räder verzweifelt im tiefen Sand durchdrehen. Was denken sich die Leute mit solchen Kisten durch die Anden zu fahren? Nichts, nehme ich an. Die Luft auf 5200 Metern ist verdammt dünn, vielleicht liegt es auch daran. Hinzu kommt ein erbarmungsloser Sandsturm, sodass man kaum gerade stehen kann. Überall ist Sand: Im Haar, in den Ohren und Augen, in der Nase, zwischen den Zähnen knirscht es gewaltig. Doch der Berg entschädigt für alles, als sein schneebedeckter Gipfel über zinnoberrotem Gestein aus den Wolken hervortritt und in seiner ganzen Schönheit vor uns erstrahlt. Für so einen erhabenen Augenblick frisst man auch gern ein bisschen Staub. Im Restaurant, eine kleine, einsame Klause unterhalb des Vulkans, erhalte ich mit dem Wechselgeld eine Ein-Dollar-Note auf der folgendes aufgestempelt steht: TRACK THIS BILL ONLINE - See where I've traveled at www.WHERESGEORGE.com. Als ich später im Internet nachschaue, stellt sich heraus, dass die One Dollar Bill, Serial# J3164---8A Series: 2009 mit einer Geschwindigkeit von 57 Meilen per Tag in 89 Tagen, 10 Stunden und 50 Minuten 5104 Meilen von ihrem Ursprungsort zurückgelegt hat. Die Note kam, so steht es geschrieben, aus der Kasse von Hoovers Lebensmittelgeschäft in Maurepas, Louisiana um von dort ihren Weg quer durch die U.S.A. zurückzulegen. Ich hinterlasse eine Nachricht, dass ich sie am Fusse des Cotopaxis in Ecuador gefunden habe und dass ihre Reise im Moleskine-Buch einer ostdeutsch-schweizerischen Schriftstellerin ihr Ende finden wird. Schluss mit lustig. Quer durch die U.S.A.! Das weiss ich zu verhindern. Ich bin da jetzt ein bisschen Spielverderber, aber ich besitze eben gern Dinge. Eine Unart, die es noch abzulegen gilt. Alpakas sind übrigens nicht zu sichten, dafür jede Menge Wildpferde und sogar ein paar mutige Kolibris haben sich in die unwirtliche Gegend verirrt. Der Wilde Westen lässt grüssen. Fehlen nur noch das Indianerdorf in der Talsohle und aufsteigende Rauchzeichen. Howgh! Diese unendliche Weite ist unbeschreiblich und befreit den Geist. Wir sind dem, was man Glück und Freiheit nennt, heute sehr nahe gekommen.
Während Bogotá übrigens Weltstadt der Graffiti-Kunst zu sein scheint, haben sich in Quito viele Street Art-Künstler offenbar dem Thema Assange verschrieben. Jedenfalls sind allerorten Pro-Assange-Parolen gesprayt, die seine Freilassung, respektive Auslieferung fordern. Da wundert es auch nicht, dass Ecuador, in dessen Botschaft in London Assange seit Mitte Juni hockt, am 16. August dem Wikileaks-Gründer Asyl gewährt. Ein Feind der USA ist automatisch ein Freund von Ecuador, könnte man meinen. Nun, es gibt wahrlich schlechtere Exile. Vielleicht nimmt ihn ja Wolfgang auf. "Ja, das würde passen", kommentiert der Gatte. "Der linke Assange im wohltemperierten Exil im Wantara-Garden beim linken Aussteigerpärchen Wolfi und Inge. Da könnten sie dann gleich Manifeste rausschicken." Sie heisst zwar Andi, aber das ist ein Detail, was im Rahmen des grossen Ganzen vernachlässigt werden kann. Viva la revolución!

Fortsetzung am Donnerstag, 4.4.2013 

 

 

Mittwoch, 27. März 2013

ES REICHT!


Winter, Du alte Kackbratze
Was von
 
ES IST AUS
 
Hast Du nicht verstanden?
Leidest Du am
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom?
Oder warum begreifst Du nicht
Dass ich die Schnauze voll hab von Dir?
Muss ich erst die geballte Ladung Ritalin auffahren
Um Dich ruhig zu stellen?
Oder besser gleich die Waffe ziehen?
Du hast mich jetzt lange genug mit Deinem dämlichen Geriesel zur Weissglut getrieben
Mir mit Trübsinnigkeit und Nebelschwaden die Laune versaut
Weisst Du eigentlich wie teuer ne Therapie ist?
Ich stell Dir das in Rechnung
Darauf kannst Du einen lassen!
Du selbstverliebter Wichser
Du wirst nicht schöner je länger Du bleibst
Also sei so gut und pack Deinen Scheisskram und
 
VERPISS DICH
 
In die Taiga, die Tundra, nach Sibirien
Oder tu einmal was Nützliches und bastle den letzten Eisbären ein paar neue Schollen für unterm Arsch
Wenn Du morgen immer noch da bist
Lass ich Dich mit Gewalt entfernen
Und das, so glaube mir,
 
TUT WEH

Dienstag, 26. März 2013

Endlich den Schuldigen gefunden!


 
Es ist alles eine Sache der Vermarktung und jetzt ist mir auch klar, wieso bei mir nix läuft, alles schief geht, ich auf keinen grünen Zweig komme, die Karten verteilt und meine nicht gezinkt sind, ich die Sachen regelmässig gegen die Wand fahre, der Erfolg ausbleibt, ich mich immer wieder hinten oder an der falschen Schlange anstelle, alles für'n Arsch is --> 
 
Es liegt an meiner Blutgruppe:
 
NULL NEGATIV
 
lässt sich einfach nicht vermarkten.

Samstag, 23. März 2013

Glück & Geld


Als Ruth diesen riesigen Haufen
Schotter erbte
Fiel sie für Wochen
In eine Art Wachkoma
Wie immer schon erschütterten
Sie lange vorher angekündigte
Ereignisse am meisten
Sie konnte sich nicht vorstellen
Wie sie weiter leben sollte
Jetzt wo sie alles konnte
Nichts mehr musste
 
Irgendwann kaufte sie sich ein Auto
Und wurde für viel Geld
Mitglied in einer Partnerschaftsvermittlung
Und tatsächlich lernte sie einen Mann kennen
Der sie liebte
Auch für ihr Geld
Doch das war Ruth egal
Denn zum ersten Mal in ihrem Leben
War sie nicht allein
 
Mit der Zeit gewöhnte sie sich daran
Reich zu sein
Morgens liegenbleiben zu können
Und die Katzen mit Kaviar zu füttern
Mit einem letztem Hauch
Schlechten Gewissens gestand sie sich ein
Dass Geld in gewisser Weise
Doch glücklich machte
 


 

 

 

Freitag, 22. März 2013

Webshop ist online



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Donnerstag, 21. März 2013

Falsch verstandene Politiker, heute: Walter Ulbricht



Fälschlicherweise wurde Walter Ulbricht für seine Aussage "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten" des Verrats am Volk der Deutschn Demokratschn Republik bezichtigt. Dabei handelte es sich eindeutlich um ein Missverständnis: Wie jetzt bekannt wurde, hatte Ulbricht am Vorabend des 13. August 1961 den Maurermeister und Polier Edgar Niemand damit beauftragt, ein Team zusammenzustellen, was am nächsten Morgen mit dem Mauerbau beginnen sollte. Ulbricht hat also die Wahrheit gesagt und ein weiterer Geschichtsirrtum wäre hiermit aufgeklärt.

Auf Escobars Spuren, Teil VII



Fortsetzung vom 14.3.2013
Tage später schliessen wir uns Angela und Jamie, einem hier ansässigen ecuadorianisch-kanadischem Pärchen, an. Gemeinsam fahren wir in die Nebelwälder von Mindo in der Provinz Pichincha. Das über 19'000 Hektar grosse Naturschutzgebiet liegt auf Äquatorhöhe zwischen 1400 und 4780 Metern Höhe und umfasst auch tropischen Regenwald. Auf dem Weg nach Mindo passierten wir übrigens die Mitte der Welt: Latitude 0°- 0'- 0" Die Mitad del Mundo markiert den Ort, an dem Charles Marie de La Condamine mit einer französischen Expedition 1736 als erster Europäer die genaue Position des Äquators bestimmte. Heute steht dort ein riesiger, ausgesprochen hässlicher Monolith, vor den sich alle Leute mit gespreizten Beinen über eine gelbe Linie stellen, um auf beiden Hälften der Erde zu stehen. Aber Pustekuchen! Inzwischen hat sich nämlich herausgestellt, dass sich der wahre Äquator etwa 240 Meter nördlich des Monuments befindet. Auf nichts ist mehr Verlass. Mit Angela und Jamie diskutieren wir die existenziellen Fragen der Menschheit, wie die Steuersätze in unseren Ländern, die Zukunft der Europäischen Union und die Rolle der Schweiz dabei und was einen wirklich guten Espresso ausmacht: Der Kaffee, die Maschine, das Wasser und die Art, wie selbiger kredenzt wird. Ein perfekter Einklang all dieser Komponenten ist praktisch nur in Italien zu finden. Wenn sie auch sonst nichts Vernünftiges zustande bringen, Kaffee kochen können sie. Unterwegs begegnen uns Tausende von Kolibris. Nur ein Prozent kommt uns maximal vor die Foto-Linse, weil sie so schnell flattern, dass man mit dem blossen Auge gar nicht nachkommt. Dabei machen sie Geräusche wie kleine Helikopter oder Riesenhummeln mit Propellerantrieb. Brillenbär und Puma kriegen wir nicht zu Gesicht. Denen hat man wahrscheinlich eingebläut, dass ihnen hinterm Busch der böse Tourist auflauert. Vielleicht haben sie sich aber auch verpisst, weil durch ihren Wald die grösste Erdöl-Pipeline Ecuadors verläuft.
Der Samstagabend in Quito eignet sich am Plaza el Quindo, oder auch Plaza Foch, im Viertel Mariscal durchaus für Exzesse. Auch wenn der Taxifahrer und der Gatte fürs Erste behaupten, der Platz existiere nicht oder ich würde irgendetwas falsch aussprechen. Hätte Mann gleich auf mich gehört, wäre uns die "Pita Arabe", die so viel mit Arabien wie der Pabst mit Empfängnisverhütung zu tun hat, erspart geblieben. Zudem war die Musik in dem Laden von der Sorte allerschlechtester Latino-Pop. Hörschaden gratis zum Menü. Der Tisch zwischen dem Gatten und mir war dermassen gross, dass er fast in einem anderen Land sass und ich ihn kaum mehr erkennen konnte. Schuld daran waren womöglich auch die Mojitos, die wohl irgendwie mit Fremdsubstanzen versetz worden waren. Ich hörte den Gatten nur noch aus der Ferne zum Kennedy-Mord referieren. Der einzige Satz, der vollständig bei mir ankam, lautete: "Oswalds Schamhaare hin oder her!" Danach verfiel ich in einen Lachkrampf. Später legte ich mit Blueberry Cosmopolitan nach. Der Rest der Nacht verschwamm im Nichts.

Ich habe einen leichten Kater. Zumindest hat mein Körper einen Rechtsdrall. Ganz im Gegensatz zu meiner politischen Gesinnung. Pedro, unser Fahrer vom Thermalquellen-Trip, läutet en punto die Glocke, um uns nach Otavalo zu fahren. Pedro gibt sich grosse Mühe, es seinen westlichen Gästen so komfortabel wie möglich zu machen. Seine alte Karre steht ihm dabei etwas im Wege. Ihr fehlt die Klimaanlage und die Fenster muss man noch runterkurbeln, was man aber tunlichst lasse, in Anbetracht des Staubes draussen. Irgendwie ist alles sandig und mit schwarzem Russ überzogen. Fast wie in den Gegenden der Braunkohletagebaue zu DDR-Zeiten. Den Gatten erinnert es an Prag im Winter 86. Auch schön. Dafür hat sich Pedro musikalisch unserem Geschmack angepasst, wie er meint, und hat die CDs mit den schönen südamerikanischen traditionellen Liedern durch eine selbst zusammengestellte CD "für unsere Generation" ausgetauscht. So werden wir, während wir durch die Anden rollen, mit Queens "I want to breake free", "Hotel California" von den Eagles und Ähnlichem beschallt. So lange er keine deutschen Schlager der Neuzeit abspielt, soll mir alles recht sein. Die Stimmung kippt allerdings fast ein wenig, als er Pink Floyd "The Wall" auflegt. Glücklicherweise sind wir gerade nicht suizidal und Pedro lächelt uns im Rückspiegel so siegessicher an, dass wir auch another brick in the wall stoisch überstehen.

Otavalo liegt auf 2556 Metern am Lago San Pablo. Der Ort gilt als das grösste Handelszentrum für südamerikanische Kunstwerke und ist ausschliesslich von echten Indianern besiedelt. Ein bisschen fühlt man sich in eine der Geschichten von Karl May hinein katapultiert, mit dem Unterschied, dass der nie vor Ort war. Überall laufen Männer mit langem, geflochtenem, schwarzem Haar herum. Kein Einziger, dessen Haarpracht nicht mindestens bis zur Schulter reicht. Es gibt auch keine Geheimratsecken oder Glatzköpfe. Nur langes, wallendes, seidig glänzendes, kohlrabenschwarzes Indianerhaar. Ach! Für einen kurzen Moment erwäge ich, den Gatten einzutauschen. Schon im Kindergarten habe ich als Frau des Häuptlings ausschliesslich auf indianischer Seite gekämpft. Wurde allerdings auch jedes Mal vom Weissen Mann ermordet und musste gerächt werden. Vielleicht sperren sie ihre Glatzköpfe aber auch einfach weg, damit sie nicht das Geschäft schädigen und die Mär vom schönen Indianer nicht zerstören? Ab in den Wigmam und erst wieder rauskommen, wenn die Touristen nach Hause gegangen sind! Am Samstag findet hier auf dem Poncho-Platz der grosse, berüchtigte Samstagsmarkt, oder auch Touristen-übers-Ohr-haun-Markt statt. Er wird von einigen mächtigen Familien kontrolliert und gerne auch als Mafiawerk bezeichnet. Der Indianer an sich ist eben auch kein besserer Mensch. Wir sind in weiser Voraussicht am Sonntag gekommen, wo es bessere Qualität zu niedrigeren Preisen geben soll. Aber wahrscheinlich ist das Teil der Gesamtstrategie.
Ich haue 150 Dollar auf den Kopf, erstehe wunderschönen, indianischen Silberschmuck, Cocabonbons, die tatsächlich stimulierend und stimmungsaufhellend wirken, drei echte Alpaca-Schals, ein auf Leder statt Leinwand gemaltes Ölbild, eine bunte Tischdecke, für einen Tisch, den ich nicht besitze (geht aber auch als Bettüberwurf durch), eine handbestickte Bluse für Tage, an denen ich auf dem Ethnotrip bin und ein grasgrünes, langes, besticktes Indianerkleid, das ich voraussichtlich nie anziehen werde. Ich könnte darin höchstens, mit geflochtenen Zöpfen, und nix drunter, meinen Liebhaber empfangen und ihm die devote Squaw geben. Wer weiss, vielleicht törnt es ihn ja an? Auf dem Rückweg legt Pedro einen Zahn zu und rast wie ein Bekloppter durchs weite Land der Indianer. Man könnte meinen, eine Horde Cowboys sei hinter ihm her. Während er uns Riki Masorati mit dem Bleifuss gibt, versucht er uns noch zu weiteren Touren mit ihm zu animieren. Einmal ein Paket Dollar bekommen und schon hat er Lunte gerochen. Aber er ist ausgesprochen nett und man neigt fast dazu, noch einen weiteren Ausflug mit ihm einzuplanen. Am Ende siegt aber doch unsere Leidenschaft für die Dauersiesta.
Tage später fahre ich mit dem Taxi zum Einkaufen. Das Verkehrschaos in Quito sucht Seinesgleichen. Als sich mein Taxi in einer scharfen Linkskurve in den von rechts kommenden Verkehr reindrängelt, sehe ich wie sich ein roter Bus langsam und schnurgerade auf mein Taxi zubewegt. Es ist wie eine Zeitlupensequenz in einem schlechten Film, wie der alte, stinkende, klappernde Koloss auf mich zurollt und sanft in die rechte Seite des Taxis reinschlittert. Zwei runde Scheinwerfer gucken mich wie zwei grosse, traurige Augen an. Die Tür, hinter der ich sitze, ist blockiert, vom Linienbus No. 059 gerammt. Das hatte ich auch noch nie. Ein vom Gatten in Auftrag gegebenes Attentat, der heute privatisiert und in seiner neuen Alpacafelljacke vor dem Ofen hockt? Da die Polizei hier überpräsent ist und sich in der Regel langweilt, sind auch gleich mehrere Beamte in Sekundenschnelle am Unfallort. Ebenfalls die Hälfte der Buspassagiere, die jetzt alle durcheinander mit den Polizisten diskutieren. Der Verkehr an der Kreuzung kommt endgültig zum Stillstand. Mein Fahrer sitzt noch immer hinterm Lenkrad und kann es kaum fassen, dass sein Taxi im Arsch ist. Der Buschauffeur reisst die Tür auf und zieht ihn raus. Mich scheint niemand zu beachten. Es interessiert auch keinen, ob ich mir etwas getan habe. Also steige ich aus der linken Hintertür aus und beobachte die Szenerie eine Weile. Dann winke ich mir ein Taxi aus der Gegenrichtung ran, steige ein und verschwinde. Auf einen Nachmittag auf einer ecuadorianischen Polizeistation kann ich gut verzichten. Auf dem Plaza Grande spricht mich später ein Typ auf Deutsch an, der sich als Marcos vorstellt.

"Woher kommst Du?"

"Schweiz"

Ich kann mir gerade noch ein "Und Du?" verkneifen. Normalerweise stellt der gemeine Tourist immer diese Gegenfrage. Seit jeher war es mir ein Rätsel, wieso Leute diese Frage stellen, kommt doch der Gesprächspartner in der Regel aus dem Land, in dem man sich gerade befindet. Und meistens ist er auch noch nicht über die Grenzen seines Kaffes hinausgekommen. Also ist die Frage sogar irgendwie anmassend, obschon sie natürlich aus Unsicherheit gestellt wird, weil den Leuten sonst nichts einfällt, was sie fragen könnten. Marcos ist sehr gesprächig. Sein Deutsch ist ausgezeichnet, weil er mal eine Freundin aus Freiburg hatte. Jetzt habe er eine Ecuardoriana, die sei verrückt. Für sie müsse er immer nur Geld ranschaffen. Tja Marcos, mit deiner Deutschen war's wahrscheinlich umgekehrt. Auch die Schweizer haben ihm ein paar Brocken Mundart beigebracht. Natürlich nur den Mist, den alle Ausländer, auch ich damals, als erstes lernen müssen: Chuchichäschtli. Fluchen kann er auch: Gopferdelli nomohl! Bravo! Da hat er ja alles, was er für die Konversation mit einer Schweizerin benötigt. "Gopferdelli nomohl, das schiess Chuchichäschtli gaht nöd uf!" Nur brauchbar, wenn in selbigem die Kondome aufbewahrt werden. Marcos will am Abend mit mir ausgehen. So weit reicht mein neues Freundschaftsgefühl dann jedoch doch nicht aus.
 
Stattdessen genehmige ich mir mit dem Gatten eine Flasche Chardonnay vor der Hütte. Als diese leer ist, es geht sehr schnell, nehmen wir uns die 5-köpfige Ami-Familie zur Brust. Nora, die Mutter, kommt ursprünglich aus San Francisco und ist ihrem Alten zuliebe in ein Nest nach Pennsylvania gezogen, das sie wie die Pest hasst. Die besten Voraussetzungen für eine harmonische Ehe. Mein Gatte seinerseits stürzt sich in einen weitschweifigen Monolog zum Kennedy-Mordkomplott. Nora und ihre Tochter machen einen Gesichtsausdruck wie ein Schwein das in ein Uhrwerk schaut. Dazwischen stossen sie das eine oder andere "Really?!" oder entsetzte "Oh my gosh!" aus, scheinen im Grossen und Ganzen aber keinen blassen Schimmer zu haben, worüber der Gatte da referiert. Immerhin will sie Obama wählen. Das macht sie sympathisch. Das muss an ihren italienisch-irischen Wurzeln liegen. Ihre beiden halbstarken Söhne - sie haben etwas dumpfbackiges - recherchieren später sogar noch auf Youtube im Fall Kennedy. Allerdings ergebnislos. Ihr Gemahl jedoch, Typ Redneck und Waffenliebhaber aus Passion, hat sich schon lange in seine Hütte verzogen und wartet grimmig darauf, dass sie endlich anfängt zu kochen. Mein Gatte verschüttet im Eifer des Gefechtes sein letztes Glas Wein, während Redneck-Daddy seine Mauser 98K (5 Schuss) lädt. Zeit, um ins Bett zu gehen.
 
Fortsetzung folgt am Donnerstag, 28.3.2013 

 

Dienstag, 19. März 2013

Schubladen

 
 
Das Wetter und die Wirtschaftslage sind beschissen, die Laune nicht viel besser. Kürzlich wurde ich aufgrund meiner Texte in die Schublade: deprimierte Frau mit Männerproblemen gesteckt, obwohl ich weder das eine bin, noch das andere habe. Zweite Schublade: Mit Deinen rotgefärbten Haaren biste sicher so ne Esotante. Und: Du hast Trecking in Tibet gemacht? Hätte ich Dir gar nicht zugetraut (Subtext: bei Deiner Figur!)
 
Ich mach da jetzt nicht mehr mit. Steckt Euch in Eure eigenen Schubladen, schliesst von innen ab, verschluckt den Schlüssel und gut is. Ich habe mich jetzt in der Seniorenresidenz angemeldet, in die ich in Kürze einziehen und nur noch Spass haben werde. Mein Freund, der Schwarze Afghane, wird mein Mitbewohner. Have a rotten life....
 
 
 
 

 

Samstag, 16. März 2013

Gestrandet


Sie war gestrandet
In jeder Hinsicht
Verloren im atlantischen Ozean
Starrte sie auf die silbernen Wellen
Und eine seltsame Ruhe überkam sie
 
Am grossen Los war sie immer
Knapp aber bestimmt
Vorbeigeschrammt
Und auch die Muse wollte sie
Nicht mehr küssen
Die Leidenschaft verlor an Kraft
Jenseits der Vierzig
Wurde ihr plötzlich klar
Dass das Leben ganz leicht sein kann
Man muss sich nur
Nicht immer
Gegen den Wind stellen
 
Vila Franca do Campo, Azoren
 

 

Donnerstag, 14. März 2013

Auf Escobars Spuren, Teil VI



Fortsetzung vom 7.3.2012
Im Vergleich zu Bogotá sieht Quito auf den ersten Blick schöner, sauberer, gepflegter, strukturierter und bunter aus. Es wird sich zeigen, ob es wirklich so ist oder uns die dünne Luft auf 2850 Metern das Hirn vernebelt. Wir haben einen kleinen Bungalow inmitten der Altstadt mit Gartenanlage und Blick auf den Vulkan Rucu Pichincha angemietet. Geführt wird die Oase von Wolfgang, einem lange im Ruhrpott ansässigen Ostfriesen, Sozialpädagoge, Handwerker, Tourismusunternehmer in Personalunion und seiner Frau Andi, Psychotherapeutin, Gartenarchitektin, selfmade woman. Lebenskünstler der 68er Generation, die aber über ihre linken Flower-Power-Flausen hinausgekommen sind und ein funktionierendes Business in Ecuador aufgebaut haben. Ecuadorianische Gelassenheit gepaart mit deutscher Gründlichkeit, Ordnung und westlichem Standard. Kurz: Auch der Holzofen, in Ecuador in der Regel nur ein Dekorationsstück, ist echt und funktioniert und die Betten sind so ausgestattet, dass man gerne in ihnen verweilt. Auch gern einmal ausserhalb der Schlafenzeiten. Ausserdem wohnen hier Cordula, eine etwas biedere Lehrerin aus Chur, die Spanisch lernen, den Cotopaxi besteigen und Ferien vom Ehemann machen will, eine bolivianische Umweltaktivistin und ein deutsches Trio (zwei Frauen, ein Mann), deren Beweggründe für ihre Anwesenheit im Dunkeln bleiben. Später wird sich noch eine fünfköpfige amerikanische Familie einnisten, doch dazu später. Als Journalistin müsste ich theoretisch mit allen reden, die Story hinter der Story ausgraben, aber eigentlich will ich mit all dem nichts zu tun haben. Im Grunde genommen bin ich also generell fehl am Platze. Man könnte es sogar als meine eigentliche Profession betrachten.
Quito ist auch auf den zweiten Blick schöner als Bogotá. Und auch auf den dritten. Aber machen Vergleiche überhaupt Sinn? Hartmuth aus Dortmund schreibt mir, dass Libertad y Orden der Wahlspruch Kolumbiens sei und fragt, was der Mensch mit der Ordnung anfangen wolle und ob sich die Begriffe nicht widersprechen. Kann es Freiheit UND Ordnung geben?, fragt Malorny. Unbedingt, antworte ich. Wahre Freiheit, soweit es diese überhaupt gibt, kann ohne ein gewisses Mass an Ordnung gar nicht existieren. Das totale Chaos endet im Nichts. Obwohl natürlich nichts nichts ist. Dem dreifarbigen Kater auf dem Dach gegenüber ist das scheissegal. Er tigert ruhelos umher und jault seit Stunden ohrenbetäubend den Nachthimmel von Quito an. Ist er heiss auf eine Mieze? Ruft er eine verlorene Geliebte? Will er nur fressen? Jedenfalls klingt es herzzerreissend und man neigt dazu, ihm auf der Stelle was zum bespringen zu besorgen. Jetzt markiert er mit aufgestelltem Schwanz den Schornstein. Dann leckt er sich die Eier. Ich wünschte, auch mich würde mal wieder ein wilder Kater markieren. Dabei kommt mir mein Liebster in Zürich in den Sinn. Das zweite Mal heute bereits. Vor dem rolligen Kater dachte ich heute morgen in der Iglesia de San Francisco (den Spaniern fallen auch keine anderen Namen für ihre Kirchen ein) bereits an ihn. Ich werde drei Rosenkränze beten müssen.

Auf 3220 Metern Höhe inmitten der Anden liegen die Thermalbäder von Papallacta, die als Tor zum ecuadorianischen Amazonasgebiet gelten. Zwei davon gibt es: die Volksvariante und jene für den gehobenen Stand. Wir entscheiden uns natürlich für Letztere, die sich aber wahrscheinlich nur durch die 11 Dollar, die sie mehr kostet, von der einfachen Version unterscheidet. Zudem wird sie weniger belagert, sodass wir am Vormittag fast alleine hier oben sind. Die Fahrt von Quito auf breiten, ausgebauten Strassen dauerte eineinhalb Stunden. Vorbei an der grossen Baustelle für den neuen Flughafen. Mitte Oktober soll er eröffnet werden. Sieht so aus, als seien da die Bauherren aus Berlin dran, bis jetzt sieht man jedenfalls nur eine riesige Staubpiste. Ansonsten nahezu zen-mässige Leere. Pedro, der Fahrer, den wir angeheuert haben, ist gut drauf. Er hat mit unserer Bezahlung wahrscheinlich den Lohn für einen Monat drin. Geduldig wartet er vor der Tür, bis sich die Herrschaften genügend gewässert haben. Gegen Mittag füllt sich das Bad mit eher alten Patrons und ihren jungen Frauen. Man könnte sich vermutlich genau jetzt perfekt in der ecuadorianischen Oberschicht einschleimen. Doch die atemberaubende Natur, dieses dem Himmel ein Stück näher sein, diese wunderbare Stille laden ein zum Nichtstun. Oder allenfalls dazu, ein bisschen über das Leben zu philosophieren. Allerdings sollte man sich diese Aktivität zweimal überlegen, wenn man sich nicht den Tag mit trüben Gedanken versauen will. Es macht keiner der Anwesenden den Eindruck, als würde er auch nur ansatzweise mit Denken beschäftigt sein. Zudem brennt die Sonne hier oben selbst durch die Wolkendecke dermassen heiss, dass die Synapsen gern einmal auf Error schalten. Ein paar Kinder beginnen zu lärmen, sodass man sie am liebsten in einer der heissen Quellen ertränken möchte. Aber man ist ja kein Unmensch und lächelt die kleinen Racker stattdessen dummdreist an, was sie allerdings nur noch mehr motiviert, den Lärmpegel noch ein bisschen raufzuschrauben.
Am Himmel führen Sonne und Wolken unterdessen einen erbitterten Kampf. Am Ende setzt sich der glühende Feuerball durch. Der Müll wird hier oben übrigens akribisch getrennt, die Mülleimer sind in die Kategorien Plastik, Papier und Organisches eingeteilt. Zählen niños traviesos, freche Kinder, in letztere Kategorie? Am Pool der diskrete Hinweis doch bitte nicht vom Beckenrand zu springen. Bei einer knappen Tiefe von einem Meter selbst den Knirpsen nicht zu empfehlen. Von ebendiesem Rand äugt ein alter "General" wie ein lauerndes Nilpferd auf meine Oberweite. Hoffentlich hält sein Herz der Kombination aus heissem Quellwasser und drallen Tittel stand! Keiner möchte ein verendetes Savannentier aus dem Sprudelbad ziehen müssen. Ich träume unterdessen ein bisschen von meinem Geliebten zu Hause, seinen heissen Küssen, innigen Umarmungen und seiner Kunst, stundenlang, scheinbar interessiert meinen Elaboraten, die ich so absondere, zu lauschen. Gern möchte man sich einreden, dass eine Affäre komplett ohne emotionale Komponente auskommt. Aber im Grunde war es beim ersten Kuss bereits um mich geschehen. Ich darf jetzt nur nicht den Fehler begehen, ihm meine Angst, ihn zu verlieren, zu zeigen. Im selben Augenblick hätte ich für immer verspielt. Seine Angst wäre damit, insofern sie überhaupt existiert, ein für alle Mal verpufft. Der Respekt mir gegenüber und das Interesse an mir wären unwiederbringlich verloren und er würde sich einem anderen Objekt der Begierde widmen. Angst macht alles schwer. Angst macht schwach. Männer wollen, auch wenn sie das Gegenteil behaupten, keine schwache Frau. Ich weiss, Geliebte kommen und gehen. Und trotzdem will ich jeden Neuen wieder festhalten, das Gefühl in ein Einweckglas stecken und im Keller konservieren. Für später, wenn ich wieder allein bin, weil ich wieder nicht loslassen konnte und somit alles verloren habe. Vielleicht sollte man sich generell nur mit Menschen einlassen, von denen man sich ohne Schmerz wieder trennen kann. Die meisten scheuen ja das Risiko mehr, als dass sie das Glück, auch wenn es von kurzer Dauer sein mag, wagen. Verluste schmerzen nun einmal mehr, als Gewinne erfreuen. Und wie steht es beim 75-jährigen Ölbaron und seiner etwa 45 Jahre jüngeren, russischen Gespielin, die jetzt im Becken dümpeln? Alles Berechnung? Auf beiden Seiten? Oder doch Gefühle? Wenn ja, bei wem? Jedenfalls küsst er inbrünstig ihre Füsse, während sie ihm zärtlich über den Kopf streicht. In der Liebe ist schliesslich alles möglich. Möchte man sich zumindest einreden. Mit Sicherheit liebt sie. Sein Geld. Und er ihre Jugend. Auf der Rückfahrt nach Quito mahnen zig Schilder mit der Aufschrift reduzcar velicodad - drossle die Geschwindigkeit. Eignet sich auch sehr gut als generelles Lebensmotto.
In der La Ronda, der ältesten Strasse Quitos, geht am Freitagabend um Acht die Post ab. Selbstverständlich in für Unsereins noch immer strukturierten, gesitteten Bahnen. Also die stille Post, wenn man so will. 80-jährige Indiopaare, Familien mit mindestens fünf Kleinkindern und frisch Verliebte flanieren auf und ab. Wir sind zwar nichts von alledem, flanieren aber trotzdem mal mit. Alkohol und Drogen scheinen keine grosse Rolle zu spielen. Schade eigentlich. Wahrscheinlich fehlt das Geld dazu. Dafür veranstalten ausgefuchste Strassenkünstler kleine Lotterien: Wessen 1-Dollar-Los die Zahl trifft, die gezogen wird, kann sich ein Bild aussuchen. So verdient sich leicht das Doppelte bis Dreifache, als würden sie darauf warten, dass irgendein dahergelaufener Tourist sich durchringt, eines der Kunstwerke zu erstehen. La Ronda ist im Gesicht eine Kreuzung aus Spanien des 18. Jahrhunderts und dem heutigen Engadin. Mit hübschen kleinen Balkonen, von denen Begonien herabhängen und vor denen früher die Barden - oder wie immer das spanische Pendent heissen mag - ihrer Auserwählten von der Liebe sangen. Als ich dreimal kurz mit den Hüften wackle, schaut der Gatte mich an und mahnt: "Keine Exzesse!" Dann eben nicht. Im Inneren der la Ronda machen sich Südamerika, Asien, New Age und indianische Tradition breit, durchbrochen von ein paar abgefuckten Kaschemmen, in denen Karaoke zelebriert wird. Das Auswärtige Amt, der Reiseführer, Wolfgang und andere Besserwisser - alle warnten uns vor Ecuador. In den dunklen Gassen warten die bösen Jungs, heisst es.

Auch wir warten unsererseits auf die Verbrecher. Uns kommt allerdings nur ein Vegetarier unter, der vor fleischlichen Opfern eher zurückschrecken dürfte. Andererseits waren schon ganz andere Bestien Vegetarier...aber das ist eine andere Geschichte. Der ecuadorianische Kriminelle und wir: Irgendwie scheinen wir uns gegenseitig nicht zu finden. Denn wieder gehen wir nicht überfallen, nicht mit k.o.-Tropfen ausser Gefecht gesetzt, nicht ausgeraubt und nicht vergewaltigt unbehelligt und fröhlich zurück in unsere behagliche Klause. Sicherlich hat in Ecuador die Kriminalität zugenommen. Das hat sie allerdings in Zürich auch. Und sicherlich ist auch die Gewaltbereitschaft gestiegen. Kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn ich beispielsweise morgens mit dem Zug zur Arbeit fahre und mir die dummen Gesichter der Mitreisenden angucken muss. Wenn man allerdings diesen ewigen Angstschürern immer auf den Leim gehen und permanent mit latenter Angstfresse herumlaufen würde, könnte man auch gleich zu Hause bleiben. Vermutlich würde man dort dann von einem zugekoksten Investmentbanker versehentlich in der Zürcher Langstrasse von dessen Jaguar überrollt. Leben heisst, sich in ständiger Gefahr zu befinden. Andernfalls kann man schon mal die Abmessungen seiner künftigen Grabstätte abstecken. Kolumbien soll später übrigens seinem Ruf als Mekka der Kriminalität viel besser gerecht werden.
Fortsetzung folgt am Donnerstags, 21.3.2013