Dienstag, 13. Dezember 2016

Interview mit Kramer&Klossek


Bild: Roman Maeder von milk & wodka http://romanmaeder.com/

Susann Klossek und Benedikt Maria Kramer haben kürzlich unter dem Titel “Der Mann im gelben Kleid” ein freches Stück Literatur in Form eines lyrischen Dialogs veröffentlicht. Wir waren nun unsererseits frech genug, ihnen per Mail zu ihrer Schreibe ein paar Fragen zu stellen. Sie haben unabhängig voneinander uns ihre Antworten zugesandt.

Vitaltransformer: In Eurer Schreibe kommt viel Widerwillen zum Ausdruck: Wogegen kämpft Ihr an und wofür setzt Ihr Euch ein?
Susann Klossek: Gegen die Dummheit.

Benedikt Maria Kramer: Ist das politisch gemeint? Aber ja, ich hab zu kämpfen. Nicht unbedingt mit gesellschaftlichen Normen und Mustern, dafür umso mehr mit mir selbst. Also Kramer gegen Kramer. Ha! Vielleicht sind es Dämonen oder nur Selbstmitleid, wer weiß. Die Hoffnung: Wer gegen sich selbst kämpft, kann mit sich auch wieder Frieden schließen.

VT: Ihr habt da einen nicht geringen Anteil an Eros, Sex und Porno in Eurer Lyrik…Hat die Kultur einen Nutzen an der Sexualität?

Klossek: Je weniger Sex man hat, umso mehr redet man drüber. Ob die Kultur aus der Sexualität einen Nutzen ziehen kann, weiss ich nicht. Ich denke aber, würden die Menschen mit dem Thema entspannter umgehen und mehr Liebe machen, hätten sie weniger Zeit für Schwachsinn. Hätte Hitler mal ordentlich gevögelt, wäre uns der 2. Weltkrieg wahrscheinlich erspart geblieben. Prüderie, Verklemmtheit und falsch verstandene Moral führen zwangsläufig ins Desaster.

Kramer: Naja, ohne Sex, gebe es keine Menschen, die Kultur machen. Also schon ganz nützlich. Derweil distanziert uns die Erotik von der Welt. Aus dieser Distanz spricht der Autor, prostituiert sich, kehrt sein Geheimstes – das Verbotene und Verletzliche in die Öffentlichkeit. Es mag der Versuch sein, Außen- und Innenwelt zu kitten. Das ist die Obszönität in Kunst und Literatur.

VT: Nennt ein Buch das Ihr kürzlich gelesen und hammerstark gefunden habt. Warum?

Klossek: Hammerstark ist ein grosses Wort. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Buch hammerstark fand. Je älter (und abgeklärter?) ich werde, umso schwieriger ist es, mich für etwas wirklich zu begeistern. Das ist schade. Das klingt jetzt wahrscheinlich überheblich – und ist es vielleicht auch – aber das meiste, was mir an neuer Literatur heute so unterkommt, ist mittelmässig und hofiert den Mainstream. Mainstream muss nicht schlecht sein, tut aber auch nicht weh, eckt wenig an, regt selten zum (Um)denken an. Aus dieser Warte betrachtet hat mich Michel Houellebeqcs «Unterwerfung» schon begeistert, auch wenn ich es nicht für sein bestes Werk halte. In einem Interview zu «Unterwerfung» hat er gesagt: «Hinter die Philosophie der Aufklärung lässt sich ein Kreuz machen: verstorben.» Auch wenn ich das Gegenteil hoffe, befürchte ich, dass es so ist.

Kramer: Habe kürzlich alte Liebesgedichte von Wolf Wondratschek gelesen. Das war ein großartiges Erlebnis. Seine Gedichte sind auf den ersten Blick einfach gestrickt und unaufgeregt und rühren mich trotzdem oder gerade deswegen. Das Adjektiv „hammerstark“ mag ich nicht.

VT: In Eurem Buch bemüht Ihr Gott und den Himmel. Werdet Ihr das in einem kommenden Buch wieder tun?
Klossek: Bemühen, ja. Ich habe mit Gott nichts am Hut. Was mich betrifft also: nein.

Kramer: Immer. Himmel und Hölle sind zustellungstechnisch die einzig sinnvollen Adressen.

VT: Das Buch endet sinngemäss mit der Aussage: «Ich brauche Hilfe» Braucht Ihr Hilfe? Was für welche?
Klossek: Wer behauptet, er brauche keine Hilfe, hat schon die erste Lüge ausgesprochen. Wir brauchen einander, ob uns das passt oder nicht. Schwach, bedürftig zu sein ist ebenso wenig eine Schande, wie Hilfe anzunehmen oder anderen mal selbstlos die Hand zu reichen.

Kramer: Das ist doch die große Frage: Kann irgendjemand irgendetwas tun? Und wenn ja, ist uns überhaupt noch zu helfen?

VT: Eure Lyrik ist eine teils bittere Sicht auf Euch selbst und die Welt. Wo bleibt das Positive?

Klossek: Wir alle haben eine dunkle Seite und die muss eben manchmal raus. Lieber in Texten, als dass man jemand über den Haufen schiesst. Für die einen ist das Wasserglas halb voll, für die anderen halb leer. Vor allem dürfen wir aber nicht vergessen, dass ein grosser Teil der Leute auf diesem Globus weder Glas noch Wasser hat. Es gibt nichts zu beschönigen. Und irgendeiner muss es ja mal laut aussprechen.
Natürlich gibt es auch sehr viel Schönes, Frohes, Helles und Liebe auf dieser Welt. Ich lebe sehr gern und kann mich, global betrachtet, echt nicht beschweren. Trotzdem leide ich mitunter an mir selbst. Und auch an der Welt und ihren Bewohnern. Und wenn man sich die momentan so anschaut, gibt es wirklich keinen Grund zum Optimismus.

Kramer: Vor ein paar Monaten fragte ich meinen Therapeuten, ob es nicht so etwas wie ein Grundrecht auf Glück gebe. Er sagte zu mir: „Schauen sie doch mal da raus, Herr Kramer. Die Welt ist nicht zum Glücklichsein gemacht.“ Also hallo? Selbst in „Heidi“ gibt es traurige Kapitel.

VT: Letzte Frage: Zitat: «Wer dann wen fickt wird sich zeigen» (Seite 49) Wer wird wann wen ficken? Wir bitten um eine kleine Vorschau.
Klossek: Willst Du das wirklich wissen? Vielleicht bist Du es ja.

Kramer: Mir egal, wer wann wen oder was fickt. Von mir aus auch ins Knie.

…ähem: Dankeschön… und Liebe Grüsse an Euch, Susann Klossek und Benedikt Maria Kramer. Speziell bedanken möchten wir uns auch bei Roman Maeder von Milk & Wodka, der uns seinen “Mann im gelben Kleid” für diesen Blogbeitrag freiegeben hat

Samstag, 3. Dezember 2016

Ein Mann und zwei Flughunde





Hat Euch der Samichlaus aka Nikolaus, also der Mann im roten Mantel, letztes Jahr vergessen? Denkt Ihr, das ist dieses Jahr anders? Eben! Dann kommt doch besser gleich zum Mann im gelben Kleid und seinen zwei Flughunden:

Dienstag, 6. Dezmeber 2016  20 Uhr  Club  Rote Fabrik

Freitag, 2. Dezember 2016

Rezension zu Der Mann im gelben Kleid

Eine erste, wie wir finden tolle, Rezension zu Der Mann im gelben Kleid. Vielen Dank!



Jede Silbe ist Ausdruck prallen Lebens


Kopfüber hing die dralle Venus… Mit einer atemberaubenden Sinnlichkeit und diesem beinah zeitgleich im Rückspiegel reflektiv abgeklärten Blick, eröffnen Susann Klossek und Benedikt Maria Kramer den lyrischen Dialog ihrer gemeinsam verfassten Dichtung: “Der Mann im gelben Kleid”.
Bis weit über die Hüften waten wir Leser in der Ursuppe menschlicher Gefühlsmomente, Irrungen und Wirrungen. Sehr treffend werden die kommenden Lesungen von Klossek und Kramer, als “Performance der Befindlichkeiten” angekündigt.

Diese Befindlichkeiten regnen ohne eine Ordnung und fairerweise auch ohne Wertung auf den Leser nieder. Sehnsüchte, Albträume und Phantasien aller Arten und Unarten, wachsen und wuchern in den meist nächtlichen Dichterhimmel, um im postmodernen Alltagsmorgen zu zerschellen. Von Seite zu Seite sterben wir gemeinsam tausend glückliche und unglückliche Tode: unheilsschwangere Kreise schließen und öffnen sich bis ins Unendliche.
 

Viel nackter Wahnsinn blinzelt uns zwischen den Zeilen zu… Immer wieder anders, immer wieder neu, aussichtslos und doch unwiderstehlich.

So kaputt die Situation und verloren die Positionen sind, so verschroben und krank der Einzelne sich selbst oder seine Umwelt schildert, umso kräftiger und stärker wirkt aus dieser Müllhalde des Menschlichen das Lebendige und Unverwüstliche heraus. So ist dieses Liebeslied an die Hoffnungslosigkeit in ihrem Kern zwar kein Votum für die Menschheit als Ganzes, jedoch eines für das einzelne Individuum und eine Verneigung vor dessen turbokreativen nicht auszubremsenden Naturell. (…zwar im freien Fall befindlich, aber scheißdrauf!)

Es dauert ein paar Seiten bis mir klarer wird was von Klossek getextet und was Kramers Schreibe ist und auch da tun sie sich keinen sonderlichen Zwang der Geschlechtsspezifizierung an, sie leben und entwerfen eine Afterparty der Postmoderne nach ihrem eigenen Gusto und stellen uns eine Vision eines Lebens außerhalb gesellschaftlicher indoktrinierter Konditionierungen und Zwangsvorstellungen hin.

Die Szenerien, die in diesem Buch als eine Gegenwartsvorstellung entstehen, ist eine Welt die auf dem Kopf steht, ein Unding, das Abbild einer Deformierung und darum auch so faszinierend. Wäre sie das nicht, wäre es die Schreibe auch nicht oder umgekehrt.

Als Leser ist es ein Genuss und pure Freude an dieser Achterbahnfahrt der beiden Lyriker und den neuen aus dieser einzigartigen Konstellation entstehenden Befindlichkeiten teilzunehmen: Ein Genuss zu erleben, wie sie sich provozieren, herausfordern, Fallen stellen, sich ohrfeigen, in Abgründe stoßen, sich wieder heraushelfen, sich ineinander verlieben und verschmelzen, um sich ein paar Zeilen später wieder hasserfüllt voneinander wegzustoßen.

Es ist eine widerständiges Paket Lyrik und es wird mir warm ums Herz, weil mich danach hungert. Jede Silbe ist Ausdruck prallen Lebens. Der Mann im gelben Kleid ist ein unvermeidlicher Lesestoff und es ist mir bewusst, dass ich durch diese Lektüre Teil einer subversiven Handlung geworden bin.

Wir werden dieses “Hohelied der Flughunde”, wie das Werk im Untertitel benannt ist, als eine Leseperformance erleben und ich finde den Gedanken reizvoll, diesen starken Tobak, vielleicht in einem Jahr oder so, in einer Hörspiel – oder Theaterfassung wieder neu entdecken und genießen zu dürfen; warten wir’s ab.

Der Mann im gelben Kleid: erschienen im Freiraum-Verlag.
Alfred Koller, Vitaltransformer 
http://vitaltransformer.ch/jede-silbe-ist-ausdruck-prallen-lebens/

Donnerstag, 24. November 2016

Neulich bei

Ich, leicht frustriert durch den Laden schlendernd.
Onduliertes Italienerfrettchen mit gezupften Augenbrauen kommt angetrippelt.
Er: "Kann ich Ihnen behilflich sein?
Ich: "Danke, aber leider gibt es alles, was mir gefällt und was ich suche nur in Miniaturgrösse."
Er: "Oh, wir haben auch Kleidung für ...", schaut mich an und deutet mit den Händen eine Matrone an.
Ich: "Ich kann nichts entdecken."
Er: "Was suchen Sie denn?"
Ich: "Ein Kleid. Elegant und aufmüpfig zugleich."
Er: "Die Jacken sind grösser geschnitten."
Ich: "Danke, aber ich brauche keine Jacke." Er zeigt mir eine Jacke und schaut mich etwas mitleidsvoll an. Dann scheint er eine Eingebung zu haben, strahlt, springt juchzend durch den Laden und ruft "Ich habe was ganz Tolles für Sie!"
Ich schöpfe schon Hoffnung, dass ich wider Erwarten doch noch an ein Kleid komme.
Dann steht er vor mir: "Wie wärs mit einer Tasche?"


Montag, 21. November 2016

Bullshit Redundanzen im Daily Business



Wenn der Tag lang ist, ist auch viel Zeit für Meetings, währenddessen die Liste der Pressemitteilungen, Artikelangebote und Einladungen zu Medien-Events und Konferenzen ins Unermessliche wächst. Allein schon durch die Unmenge an Informationen und Material neige ich zur Überforderung. Erschwerend kommt hinzu, dass ich meist gar nicht verstehe, worum es geht. Offensichtlich spreche ich eine andere Sprache.

In einer Einladung werden mir beispielsweise Keynotes von höchst ausgewiesenen Referenten versprochen. Ausgewiesen worin? Oder müsste es heissen wohin? Ich weiss es nicht, ist leider nicht meine Kernkompetenz. In der nächsten Mitteilung ist die Rede von Hürden, die es zu überspringen gilt. Ich würde die Nachricht gerne an die Sportredaktion weiterleiten. Wenn wir eine hätten.

Und während ich dem Chef ein Update – Aufgewärmtes von der letzten Sitzung, an das er sich nicht mehr erinnert – gebe, werde ich im darauffolgenden Gespräch um Commitment gebeten. Proaktiv, versteht sich. Weil ich aber nicht genau weiss, was das ist und was ich dafür tun muss, setze ich das Topic erst einmal auf die Watchlist. Etwas im Auge behalten ist immer gut, da bin ich für den Notfall vorbereitet, wofür auch immer.

Inzwischen kommt ein Praxisbericht reingeflattert, bei dem es um ein Rollout geht. Mich überkommt das dringende Verlangen, mich ebenfalls ein- oder auszurollen. Gleich vor Ort auf dem Teppich. Und während ich so als ungenutzte Human Resource daliege, werden Projekte getrieben, und ich frage mich: wohin eigentlich? Auf die Alm? Zwischendurch verlangt ein Manager von mir, der Untergebenen, nach einem Input. Er seinerseits gibt natürlich ausschliesslich Feedback. Auch wenn er dafür keine Liability übernimmt.

Es ist Zeit für eine Change, Management! denn irgendwie läuft es ein bisschen suboptimal. Wir bräuchten dringend ein Briefing, eine Status-Quo-Analyse oder eine Mediation, durch einen Troubleshooter oder besser noch eine extra eingerichtete Task Force, für die Challenge eines Assessments, Upgrades oder Relaunches. Sonst wird das nichts mit dem Turnaround und dem Benchmarking und es folgt unweigerlich das Downsizing.

Also raus aus der Comfort zone, wir müssen Out of the Box denken, innovativ brainstormen, wir brauchen Results, Success und Revenue! Und Transparenz. Genau, ich werde jetzt ISOCE (Internal Strategy Officer of Creative Exploitation). Da werden soft skills zu hard facts, macht euch auf was gefasst!

Outplacement der Chefetage wäre manchmal nicht das Verkehrteste, denke ich mir gerade, doch da streikt auch schon die IT. Ich muss ein Ticket lösen, obwohl kein Zug kommt, immer soll ich was auf dem Radar haben, selbst wenn die Flugbegleiter streiken, ich soll Gas geben und alle Kollegen abholen (wo?, warum?), immer will einer jemanden ins Boot oder an Bord holen, obwohl kein Gewässer in Sicht ist, nicht mal, wenn man aus dem Zeitfenster schaut. Und wer zum Teufel rudert eigentlich?

Das ist doch alles nicht skalierbar, verdammt! Es wäre nett, wenn Sie mir diese Fragen, auf Redundanzen verzichtend, zeitnah, ich meine asap, also sofort! beantworten würden. Its time to go2market!

(Ersterscheinung in Computerworld vom 18.11.2016)