Montag, 25. Mai 2020

Als es noch Live-Lesungen gab ...



Ein kleiner Mitschnitt einer Lesung aus Zeiten, in denen es noch Live-Lesungen mit Publikum gab. Hier: Im Tanzcafe Ilses Erika in Leipzig, organisiert von Fräulein Frank liest. 


Man möge die Qualität der Aufnahme (Handy) und der Lesenden (Nuschelnlallen after Biergebrauch) verzeihen. 


Neue Veranstaltungen von Fräulein Frank liest: Fräulein Frank streamt. Die nächste am 27.5.20 um 20:00 

(Foto: Freddy Köhler)

Freitag, 8. Mai 2020

Antrag abgelehnt


Diesen Juli lebe ich seit 30 Jahren in der Schweiz. Ich habe von Tag 1 an Steuern gezahlt, ich habe immer gearbeitet und nunmehr seit 30 Jahren lückenlos in die AHV (Renten)-Kasse eingezahlt. 2017 wurde ich nach einem Stipendiumsaufenthalt in Indien – wofür ich unbezahlten Urlaub nahm und mir versichert wurde, dass ich meinen Job danach noch habe – aus sogenannten ökonomischen Gründen am Tag meiner Rückkehr nach knapp 8 Jahren gefeuert. Meiner Bitte auf frühzeitigere Freistellung wurde nicht stattgegeben, die Zitrone wurde noch volle drei Monate ausgequetscht. Von einer Abfindung oder dergleichen ganz zu schweigen. 

Trotz intensivster Bemühungen ist es mir nicht gelungen, als Redaktorin/Produzentin über 50, als Frau, einen neuen Job in meiner oder ähnlichen Branchen zu finden. Ich wurde ausgesteuert. Auch als Arbeitslose und später in der kurzen Zeit als so genannte Erwerbslose habe ich lückenlos AHV eingezahlt. 

Notgedrungen – auch, um dem Staat auf keinen Fall auf der Tasche zu liegen – habe ich mich selbstständig gemacht. Ich habe Zeit und Geld investiert, bin dieses Risiko mit 53 eingegangen und habe mich bereits in den ersten sechs Monaten aus eigener Kraft ganz gut über Wasser gehalten. Dann kam Corona und sämtliche Projekte, geplante und gebuchte Veranstaltungen usw. wurden abgesagt, verschoben, auf Eis gelegt oder sind mittlerweile komplett gestorben. Seit 11. März kam bei mir nichts mehr rein. 

Umso mehr hat es mich gefreut, dass der Staat auch Angebote für Künstler/Kulturschaffende bereitstellen wollte. Ich habe unzählige Stunden, wenn nicht Tage damit verbracht Formulare auszufüllen, vergangene und künftige Einkommenseinbussen zu berechnen, Listen über meine Betriebsausgaben und meine Lebenshaltungskosten aufzustellen. Mehrfach wurde ich aufgefordert Unterlagen und Dokumente nachzureichen oder schriftliche Erklärungen zu verfassen, warum mein Vermögen in den letzten zwei Jahren geschrumpft ist. 

Ich habe unter anderem bei der SVA drei verschiedene Anträge gestellt – der Bund hat immer wieder in Sachen Kulturschaffender nachgelegt, Formulare/Bedingungen geändert. Die Anträge betrafen abgesagte Veranstaltungen (wie die Buchmesse, Lesungen usw.), geschlossene Lokale (keine Möglichkeit Kurse zu geben), abgesagte Projekte, also indirektes Betroffensein, da Auftraggeber in Schieflage geraten sind etc. pp. Alles traf auf mich zu. 

Ich habe in akribischer Kleinarbeit all diese Formulare nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt, die Hosen runtergelassen, Einblick in meine Steuerunterlagen, meine Buchhaltung und mein Sparkonto gewährt. In der Position des Bittstellers fühlt man sich nicht sonderlich wohl. 

Nach über sechs Wochen erhielt ich meinen ersten Bescheid. Die SVA hat meine Anträge mit der Begründung abgelehnt, ich hätte 2019 nicht genügend ahv-pflichtiges Einkommen generiert. Jene, die also am wenigsten verdient haben, gehen leer aus. Paradox. Das Einkommen (nach Abzug meiner Investitionen) war auch deshalb so gering, da ich erst seit 1.7.19 selbstständig bin und ein Geschäft erst aufgebaut werden muss und ich im Dezember als erste Amtshandlung gleich mal AHV für Selbstständige rückwirkend auf 6 Monate abdrücken durfte. Im Einkassieren sind alle immer ganz schnell. Ganz nebenbei war bisher jede meiner AHV-Rechnungen fehlerhaft. Zu meinen Ungunsten. 

Heute kam nun auch noch die Ablehnung meines Antrages auf Soforthilfe von Suisseculture Sociale. Ohne Angabe von Gründen und mit dem Hinweis, dass keine Rekursmöglichkeit bestehe und man auch keine individuellen Rückfragen beantworte. Peng! Ende der Diskussion.

Ich frage mich, ob Kunst und Kultur so geringen Wert haben, dass man uns erst wochenlang hinhält und trietzt und am Ende mit Nichts abspeist? In meinem Falle hätte es sich vermutlich eh nur um eine sehr kleine Summe gehandelt. Das wäre auch ok gewesen. Eine Summe allerdings, die vielleicht einen Teil der Miete oder der Krankenkasse in einem Monat getilgt hätte. Meine Gemeinde Thalwil nehme ich hier aus, die immerhin mit einem Darlehen eingesprungen ist.  

Es ist auch allgemein bekannt, dass Jobs in Kunst und Kultur oder auch im Freelance-Journalismus sehr schlecht bezahlt werden oder, z.B. im Falle von Büchern oder Drehbüchern schreiben, erst viel später entlöhnt werden oder Lesungen und dergleichen auch gerne mal gar nicht bezahlt werden. Schon daher sind keine grossen Einnahmen zu erwarten. Man fühlt sich leicht verarscht, als sei das, was wir tun ein Hobby, keine richtige Arbeit. Doch ohne Kultur geht eine Gesellschaft ein. Und es ist in meinem Falle die Arbeit, mit der ich die nächsten 9,5 Jahre (oder vielleicht noch länger) bis zu meiner Pensionierung meinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Als Single ist man sowieso besonders finanziell belastet, im Gegensatz zu Paaren, die sich die meisten Kosten teilen, als selbstständiger Single hat man den Volltreffer. 

Ich könnte natürlich auch meine hart erarbeiteten Ersparnisse, die eigentlich fürs Alter gedacht waren, jetzt verprassen und mich dann aufs Sozialamt begeben. Kommt bekanntlich nicht selten vor. Aber das habe ich nur über meine Leiche vor.  

Ich frage mich einfach, ob hier nicht grundsätzlich mit ungleich langen Spiessen hantiert wird? Ich weiss z.B. von einem mittelgrossen Unternehmen, das ein ziemlich grosses Unternehmen im Rücken hat, dass, obwohl es das gar nicht wirklich nötig hat, Kurzarbeit beantragt hat (O-Ton Chef «Das lassen wir uns jetzt nicht entgehen») und dessen Mitarbeiter trotzdem weiterhin 100% arbeiten müssen. Zudem wurden sie noch subtil darauf hingewiesen, dass es, wenn sie die Massnahme nicht unterschreiben, erfahrungsgemäss Änderungsentlassungen gäbe. Es wurde ihnen also angedroht, dass sie gefeuert werden, wenn sie das Spiel nicht mitspielen. Das ist Erpressung und zutiefst unmoralisch. Natürlich wurde die Kurzarbeit ohne weitere Prüfung innerhalb weniger Tage durchgewunken und bewilligt. Ich kenne noch andere Beispiele, die mich nur mit dem Kopf schütteln lassen. Wird hier Geld willkürlich verteilt? Oder nach guter alter Vetternart? Oder nach dem Motto Der Teufel scheisst immer auf den grössten Haufen? Mir kommen langsam Zweifel. 

Ich erwarte nichts mehr und werde mich auch künftig allein und komplett aus eigener Kraft durchwurschteln und nicht untergehen. Denn ich glaube an mich und meine Talente und Fähigkeiten. Und natürlich kann ich mich glücklich schätzen, in dieser Zeit hier zu leben und nicht als Wanderarbeiter in Indien oder Obdachlose in den USA oder rundumüberwacht in China etc.pp. Es geht vielen hierzulange vermutlich auch noch viel schlechter als mir, keine Frage. Ich will nicht undankbar sein und auch nicht auf die Tränendrüse drücken oder rumjammern. Trotzdem bin ich enttäuscht und wütend und frage mich manchmal, ob ich dieses System weiterhin unterstützen möchte, in dem so viele Steuergelder für unnötige oder sinnlose Projekte verbraten werden und man, wenn es drauf an kommt und man wirklich mal eine kleine Hilfe bräuchte, im Regen stehen gelassen wird. 

Ich wünsche allen, dass sie gesundheitlich und finanziell gut durch diese Krise kommen.