Freitag, 30. März 2018

KLARTEXT


Tanz sei Scheiße
und käme gleich nach Operngesang, sagte er
und ich dachte: wie schnell doch
meine Faszination für jemanden
flöten gehen kann

wenn sich jeder so ehrlich, klar und undifferenziert
ausdrücken würde
müsste man weniger Zeit damit verplempern
zu überlegen
wie man bei jemandem landen könnte

Mittwoch, 28. März 2018

Wo bitte gehts zum Fuji?

Pünktlich zu Ostern ist der neue DreckSack da. 
Die beteiligten Autoren sind diesmal:
Gerd Adloff, Enno Ahrens, Eric Ahrens, Michael Arenz, Ronald Galenza, Florian Günther, Katja Horn, Johannes Hülstrung, Susann Klossek, Angelika Leitzke, Bas Lindgaard, Danny Lummert, Matthias Merkelbach, Thomas Meyer-Falk, Rüdiger Saß, Erik Steffen, Ulrike Steglich, Silke Vogten, Daniela Maria Ziegler.Fotografin dieser Ausgabe: Birgit Buchholz
Der DreckSack ist ab sofort hier bestellbar:
www.edition-luekk-noesens.de/shop/drecksack

Und ausnahmsweise gibt es meine Geschichte - von einer Japanreise vor vielen Jahren - heute mal online gleich zu lesen:

Wo bitte gehts zum Fuji?
Ashi-See, Japan
Japaner meinen, jeder Mensch sollte einmal im Leben den Fuji, das Wahrzeichen Japans, besteigen. In erster Linie ist damit natürlich jeder Japaner gemeint. Aber auch einem Gajin (Außer-Mensch) kann ein Aufstieg nicht schaden. Der Fuji-San, nicht Fujiyama, wie er fälschlicherweise von ausländischen Kretins bezeichnet wird, ist mit 3776 Metern der höchste Berg Japans. Und auch einer der schönsten Vulkane der Welt. Zumindest aus der Ferne. Deshalb beschließe ich, dem heiligen Berg einen Besuch abzustatten. Eine Besteigung ist nur zwischen 1. Juli und 31. August möglich. Sie dauert im Schnitt zwischen sechs und acht Stunden. Glücklicherweise haben wir April, ich kann also nicht, selbst wenn ich wollte. Was ich natürlich nicht tue. Tim hat bereits letzte Nacht zwei spitze Hügel in Form der Arschbacken eines strammen Japaners bestiegen. Er erholt sich jetzt von seinem Vorstoß ins Tal der Glückseligkeit. So muss ich mich allein auf meinen Abenteuertrip aufmachen.
Wie es in Japan bei Ausländern gute, alte Tradition ist, mache ich von Anfang an alles falsch. Ich kaufe mir ein sehr teures Ticket für den Superexpress Shinkansen nach Odawara. Aus Angst keinen Sitzplatz zu bekommen, erstehe ich zusätzlich eine Platzreservierung. Wer ahnt auch schon, dass die Platzkarten doppelt so teuer sind wie die eigentliche Fahrkarte! Mein Tagesbudget ist bereits jetzt fast ausgereizt. Auf dem Perron ist genau angezeichnet, welcher Waggon an welcher Stelle hält, wo sich die Türen befinden, wo reservierte Wagen, wo Raucher- oder Nichtraucherabteile sind. Der Shinkansen hält zentimetergenau an den markierten Stellen. Der Zug ist halb leer. Alle Fahrgäste schlafen. Oder lesen pornografische Comics. Nach dreißig Minuten bin ich in Odawara. Gemäß Reiseführer sei es jetzt nur noch ein Katzensprung bis zum Ashi-See, von dem man – an guten Tagen – einen atemberaubenden Blick auf den Fuji-San habe. Der Tag ist nicht gut. Die Bergbahn, für die das Ticket, wie nicht anders zu erwarten, ein Vermögen kostet, ist vollgestopft mit japanischen Sonntagsausflüglern. Diese wiederum sind schwer beladen mit Picknickkörben, Wolldecken und Wattejacken, als wären sie auf einer Mount Everest-Expedition. Die Landschaft ist fantastisch.
Die Bergbahn kriecht eine geschlagene Stunde bis Gora, die Endstation auf 800 Metern. Seltsamerweise bin ich die einzige Ausländerin weit und breit und fühle mich leicht verloren. Ein älterer, netter Japaner hat Mitleid und fragt mich auf Japanisch wo ich hinwolle. “Fuji-San“, antworte ich. „Sugureta“, sagt er, was so viel wie exzellent heißt. Er will meinen Namen wissen. „Watashi-wa muzigh Susann des“. Er sieht mich etwas verwirrt an, verbeugt sich mit einem „high“ (ja) und dreht sich weg. Ich habe da wohl etwas durcheinander gebracht und dem armen Mann gesagt, dass ich unschuldig sei. Was ich ja auch bin, in gewisser Weise.
Nach einer ziemlich langen Wartezeit und gegen ein beträchtliches Entgelt geht es mit der Zahnradbahn weiter den Berg hinauf nach Souzan. Doch ein Ende der Reise ist noch lange nicht abzusehen. In Souzan wartet bereits die Seilbahn, die uns über Owakudani, das „Tal des großen Knochens“, zur letzten Stelle bringen soll, an der der Vulkanismus noch dampfend zu Tage tritt. Ich löse für mein letztes Geld ein Ticket nach Togendai, die Endstation am Ashi-See. Es ist die höchste, steilste und längste Seilbahnstrecke, über der ich je in meinem Leben hing. Und ich hing schon über einigen Abgründen! Der Blick ins Tal ist atemberaubend. Wie der Preis, den ich für den Platz in der Gondel berappen musste.
Mit mir in der Gondel hockt eine dreiköpfige japanische Familie. Die Frau sitzt mit geradem Rücken wie eine gehorsame Geisha zwischen ihrem Mann und ihrem etwa vierzehnjährigen Sohn. Sie lächelt mir zuversichtlich zu. Der Sohn hat sich seinen Sonntag offensichtlich anders vorgestellt. Er starrt mit dunklen Rändern unter den Augen leicht bockig in die Tiefe, in der es raucht und dampft und nach Schwefel stinkt. Sein Haar steht wie bei einem Punker dreifarbig von seinem Kopf ab. Der Vater versucht sich in Konversation auf Englisch. Seine Aussprache ist dermaßen verjapanisiert, dass ich kein Wort verstehe. Nur so viel, er fragt, ob ich eine spanische Stewardess sei. Absurder geht es nicht mehr. Vielleicht wollte er auch etwas ganz anderes fragen und hat die Worte verwechselt. Oder ich hatte etwas verstanden, was er gar nicht gefragt hatte. Man weiß es nicht. Ich bejahe, er freut sich und spricht weiter auf Japanisch auf mich ein. Die Frau kichert hinter vorgehaltener Hand. Der Sohn verdreht die Augen und wirft seinem Vater ein paar forsche Wortfetzen an den Kopf. Ich schwitze. Die Seilbahnfahrt ist unendlich. Irgendwie schämen wir uns alle vier. Leider ist an ein Aussteigen in dieser schwindelerregenden Höhe nicht zu denken. Kurz vor der Mittelstation zieht sich Familie Yamaguchi – ich meine diesen Namen verstanden zu haben – ihre dicken Jacken, Mützen und Handschuhe an. Mein Gott wie verweichlicht. Schließlich hatten wir bei der Abreise in Tokyo frühlingshafte 18 Grad. Böser Fehler meinerseits.
Als ich aussteige werde ich von der eisigen, steifen Brise, die einem hier auf der Mittelstation um die Ohren fegt, fast weggeweht. Eigentlich hätte ich mir ja denken können, dass es oben am Berg kalt wird. Doch seit meinem Meditationsabstecher im Tempel von Kyoto habe ich mit Denken nicht mehr so viel am Hut. Irgendwo da drüben im Gegenlicht muss er sein, der schneebedeckte Gipfel des erhabenen Fuji-San. Versteckt hinter der großen Dunstglocke. Zum Glück habe ich ja mein Ticket nach Togendai. Vom Nordufer des Ashi-Sees soll man dann aber wirklich einen tollen Blick auf den Yama (Berg) haben. Ich frage einen Mitvierziger, wie weit es denn bis zur Endstation sei. Mein Zug nach Tokyo, für den ich ebenfalls eine übertrieben teure Platzkarte habe, geht gegen Acht zurück. „Ach, Sie wollen heute noch zurück?“, fragt er verwundert. „Hier übernachtet jeder. Die letzte Seilbahn nach Souzan geht um fünf.“ Davon stand aber nichts im Reiseführer. Da war nur von einem leicht zu arangierenden Tagesausflug die Rede.
“Na da habe ich noch genug Zeit, es ist ja erst halb vier“, antworte ich aufgekratzt. “Das schaffen Sie nicht. Es ist sehr weit nach Togendai“, er wiegt seinen Kopf hin und her. “Was haben ein Koffer und eine Frau gemeinsam?“, fragt er aus dem Zusammenhang gerissen und sieht mich erwartungsvoll an. “Was weiß denn ich!“, antworte ich leicht gereizt und schieße ein Foto in die Richtung, wo in etwa der Fuji sein müsste. “Beide sind mottenai“, er grinst.“Jaaa. Und?“ “Mottenai, verstehen Sie, schwer zu (er)tragen“, er schüttet sich aus vor Lachen. Er ist wirklich lustig anzuschaun. Ich mache auch von ihm ein Foto. Nun, der Japaner an sich und ich haben doch eine unterschiedliche Art von Humor. Als er sich ausgelacht hat, verbeugt er sich ganz leicht, kommt näher an mich heran und fragt leise und eindringlich: „Sekkusu suru?“Wenn mich nicht alles täuscht, hat er mich gerade gefragt, ob ich mit ihm schlafen will. Ich verbeuge mich, bedanke mich mit „arigatoh“ und lass ihn stehen.
Verzweifelt versuche ich mein zur Endstation gelöstes kippu (Ticket) zu tauschen oder zu canceln. Die Frau am Ticketschalter schüttelt nur unentwegt den Kopf und stellt sich verständnislos, während sie aus einer kleinen hellgrünen Schale Tee schlürft. Wir reden etwa eine halbe Stunde aneinander vorbei. Es ist nichts zu machen. Ich habe keinen Yen mehr in der Tasche und kann mir nicht einmal einen Grüntee oder einen Toilettengang leisten. Ich suche relativ lange nach einem geeigneten Busch, um wenigstens ungestört pinkeln zu können. Hier oben ist die Vegetation ziemlich karg. Als ich mir gerade die Hosen wieder hochziehe, kommt mir ein Mann in Eisenbahneruniform aufgeregt, Arme wedelnd entgegen. Er wird doch hoffentlich nicht auch mit mir schlafen wollen?! Nein, die letzte Seilbahn gen Tal hebe jeden Moment ab und ich sei die Letzte hier oben. Tatsächlich fahre ich als einziger Fahrgast der gesamten Seilbahnkette in meiner „Privatgondel“ zurück nach Souzan. Die Zahnradbahn sehe ich nur noch von hinten und die Bergbahn verpasse ich um
zwei Minuten. Somit auch meinen außerordentlich teuren reservierten Sitzplatz im Shinkansen nach Tokyo. Gegen Zehn erreiche ich erfroren, abgebrannt, ausgehungert und völlig erschöpft das Hotel. Tim macht sich gerade für eine neue Frettchen-Expedition zurecht. „Und, wie war der Fuji?“ „Welcher Fuji?“, frag ich und geh ins Bett.

Tropenfieber

Montag, 12. März 2018

Ü50? - LEIDER NEIN


Arbeitsmarkt Schweiz

Die Mär von der Chancengleichheit – ein Experiment

Die Behauptung, auf dem Schweizer Arbeitsmarkt bestünde Gleichheit und alle haben dieselben Chancen, ist eine Lüge. Ab 50 ist man, vor allem als Frau, weg vom Fenster.

Noch vor zehn Jahren war oft mit Mitte 50 Schluss im Job. Das hat sich mittlerweile geändert. Heute sitzen auch über 60-Jährige noch fest auf dem Bürostuhl. Werden Ältere (45+) aber arbeitslos, haben sie oft grosse Probleme einen neuen Job zu finden. Wer sich neu bewerben muss, wird schnell ernüchtert.

Seit August letzten Jahres bin ich arbeitslos. Oder um es politisch korrekt auszudrücken: arbeitssuchend. Am Tag meiner Rückkehr von einem Stipendienaufenthalt in Indien hat sich mein Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen meiner entledigt. Vor etwa zehn Jahren war ich schon einmal in ähnlicher Situation. Mit dem Unterschied, dass ich damals eben zehn Jahre jünger war.

Gut ausgebildet bin ich noch immer. Ja mittlerweile sogar weitergebildet. Und ich habe zehn Jahre an Erfahrung hinzugewonnen und jede Menge Erfolgsbeispiele vorzuweisen. Die Arbeitgeber sollten sich also die Finger nach mir lecken und sich um mich streiten. Theoretisch. In der Praxis sieht das leider ganz anders aus. Da ist Jahrgang 1966 offensichtlich DAS Auslesekriterium. Potenzielle Arbeitgeber haben mir das bei telefonischer Nachfrage nach den Gründen ihrer Absage bestätigt. Wenn auch durch die Blume. Ich weiss aber durchaus zwischen den Zeilen zu lesen. 



100 Bewerbungen – 100 Absagen

Seit dem Tag meiner Entlassung habe ich mich auf 100 offiziell ausgeschriebene Stellen als Journalistin und Produzentin beworben. Blindbewerbungen nicht mit eingerechnet. Beworben habe ich mich praktisch bei allen deutschsprachigen Schweizer Medien: bei Tageszeitungen, Regionalblättern, bei (Fach)magazinen, Zeitschriften und beim Fernsehen. Für Print, für online, Abend- und Wochenenddienste, Voll- und Teilzeit und als freie Mitarbeiterin. Ich bin auch gerne bereit ins gegnerische Lage zu wechseln und als Kommunikationsbeauftragte, Mediensprecherin, PR-, Presse und/oder Social-Media-Beauftrage für ein Unternehmen ausserhalb der Medienbranche zu arbeiten.

Auch bei den Sparten bin ich, aufgrund meiner bisherigen vielseitigen Tätigkeit, mehr als flexibel. IT, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft? Kann ich. People, Kunst, Kultur? Mach ich. Auch die digitale Transformation ist an mir weniger vorbeigegangen als an manchem Schweizer Unternehmen. Und damit sich auch jede suchende Firma persönlich angesprochen fühlt, habe ich meine Bewerbungen jeder Stelle, jedem Unternehmen in Form und Inhalt individuell angepasst.

Das Ergebnis war trotzdem gleich Null: 100 Mal wurde ich nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. (Bei CEOs und Marketingchefs, die mich aufgrund früherer Zusammenarbeit persönlich kennen und bei denen ich mich vor Aufschaltung eines Stelleninserats bewarb, kam ich in die Endrunde.) Vor zehn Jahren sah das alles ganz anders aus: Da durfte ich mich noch bei jeder meiner Bewerbungen persönlich vorstellen, bei jedem zweiten Unternehmen kam ich in die Endrunde. Heute kommen die Absagen prompt als vorgefasstes Schreiben mit immer derselben, einzigen Begründung, dass man Kandidaten bevorzuge, die dem geforderten Profil besser entsprächen. In über der Hälfte der Fälle hielt man es nicht einmal für nötig, eine Absage zu schicken. Respekt sieht anders aus.

Im Telefonat liess man mich nicht selten wissen, dass man Mitarbeiter bevorzuge, die sich weiterentwickeln können oder dass es sich eigentlich um eine JUNIOR-Stelle handele. Wer sagt, dass ich mich mit 51 nicht weiterentwickeln will? Ich bin über 50, nicht geisteskrank oder tot. Zudem ist stark zu bezweifeln, dass ein Einsteiger die unendliche Liste an Anforderungen nur ansatzweise erfüllen kann.  

Mehrfach wurde in der Anzeige direkt schon Tacheles geredet und Kandidaten zwischen 25 und 35 gefordert, als sei danach Schluss mit Arbeitslust und Kompetenz. Wenn sie einen in der Stellenausschreibung schon mit Du anreden und man «Teil eines urbanen Lebensgefühls» sein soll, weiss man, was die Stunde geschlagen hat.



Das Experiment

Ich startete also kurzerhand ein Experiment: Im Selbstversuch bewarb ich mich gleichzeitig neben den offiziellen Bewerbungen auch unter falschem Namen. Als zehn Jahre jüngere Frau mit nahezu demselben, nur dem Alter angepassten Profil, mit abgeändertem Profil und weniger Erfahrung sowie als etwa gleichaltriger und als jüngerer Mann. Ich schickte Bewerbungen an einschlägige Medienunternehmen, an ein grosses Spital, eine Versicherung, einen Industriekonzern und zwei KMU. Die Ergebnisse waren nicht erstaunlich, trotzdem erschreckend.

Praktisch überall wollte man mich kennenlernen oder forderte zumindest weitere Unterlagen an, da ich in meinen Fake-Profilen natürlich weder ein Foto noch Zeugnisse mitgeliefert hatte. Je jünger ich als Frau auftrat, umso interessierter schien man auf der anderen Seite an meiner Person zu sein. Trat ich als Mann auf, lief es noch besser. Einzig als gleichaltriger Mann harzte es ein wenig. Zudem erhielt ich als Vesna Milenković mit serbischem Migrationshintergrund eine Absage.

Natürlich ist meine kleine Testreihe aus Mangel an genügender Anzahl Bewerbungen statistisch nicht wirklich auswertbar und repräsentativ. Eine Tendenz zeigen die Ergebnisse trotzdem auf: Für die Auslese spielen vor allem das Alter, aber auch Geschlecht und Herkunft eine entscheidende Rolle.

Die Annahme, Ältere können mit den Jungen nicht mithalten, ist falsch. Das wissen auch die Unternehmen. Trotzdem ist für viele von ihnen das Alter an sich der Grund für die Absage. Erfahrungsberichte und Studien deuten klar darauf hin, dass ältere Bewerber unter sonst gleichen Bedingungen bedeutend schlechtere Einstellungschancen haben. Grosse Firmen scannen zudem die Bewerbungen nach festen Rastern, Ü50 fällt da automatisch raus. 

Mitarbeitende einzustellen, heisst für Unternehmen natürlich Geld in die Hand zu nehmen. Offensichtlich lohnt es sich mehr in Jüngere als Ältere zu investieren, da diese noch mehr Arbeitsjahre vor sich haben. Fakt ist aber auch, dass Jüngere viel schneller eine Stelle wechseln als ältere Arbeitnehmer. Zum Beispiel wandern sie gerne ab, wenn sie die vom Unternehmen mitfinanzierte Aus- oder Weiterbildung abgeschlossen haben. Unternehmen wollen am liebsten die junge, formbare, eierlegende Wollmilchsau, die wenig kostet aber die Erfahrung von 30 Jahren mitbringt. Diese Mitarbeitergattung existiert aber nicht.  

In Anbetracht der Tatsache, dass das Pensionseintrittsalter mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter nach oben rutschen wird, wäre es an der Zeit, dass Unternehmen umdenken und auch den Ü50-ern wieder reelle Chancen auf dem Arbeitsmarkt zugestehen. Jede Mittdreissigerin in den Schweizer HR-Abteilungen wird einmal zur Mittfünfzigerin. Über die lapidaren, arroganten Ablehnungsfloskeln, die man heute von ihnen mehrheitlich hört, werden sie dann mit Sicherheit not amused sein.









Dienstag, 6. März 2018

Ist das Literatur oder kann das weg?

Soeben ist die neue Ausgabe des "literarischer monat" erschienen. Thema dieser Ausgabe: TRASH.

Hier ist der Intro-Text von mir:

 

Ist das Literatur – oder kann das weg?

Ein Intro
Von Susann Klossek
Wer den Trash nicht zu schätzen weiss, ist die anspruchsvolle Literatur nicht wert. Wer hat das gesagt? Ich. Trash hat ebenso eine Daseinsberechtigung wie jede andere Art von Literatur, ob sie sich nun Erotica oder Pulp nennt, Pop oder Beat – oder ihr hochkulturelle Weihen zuteilwerden, woraufhin sie dann unter «Kunst» firmiert – eben weil es jemand als solche bezeichnet hat. Die eindeutige Trennung von Unterhaltungs- und anspruchsvoller Literatur ist ein vor allem deutschsprachiges Phänomen, im angloamerikanischen Raum existiert sie praktisch nicht. Was unterhält und sich verkauft, hat dort seine Berechtigung, auch wenn es künstlerisch vielleicht als weniger wertvoll eingestuft wird. Wer hat recht?
Ich bin in der DDR aufgewachsen. Dort wurden ab den 1950er Jahren in den Schulen Belehrungen über das Verbot von Schmutz- und Schundliteratur, mit Androhung von Strafe für Zuwiderhandelnde, durchgeführt (in der Schweiz passierte Ähnliches). Für die sozialistische Obrigkeit gehörten zu dieser Literaturkategorie unter anderem verlogen-sentimentale Liebesromane sowie moralisch «gefährliche» Gangstergeschichten. Sogenannte «schlechte Hefte» wurden verbrannt oder vergraben. Doch Verbotenes ist bekanntlich doppelt begehrenswert, der Schwarzmarkt für Schundware blühte. Ich persönlich habe mir, träge auf der Hollywoodschaukel vor mich hindümpelnd, stapelweise Arztromane reingezogen, die meine Oma heimlich auf dem Dachboden hortete. Sehr zum Leidwesen meines Vaters, der davon überzeugt war, dass der Schund meiner Verblödung nur weiteren Vorschub leisten würde. Was so falsch nicht war.
Aber was gibt es Schöneres, als Geist und Verstand abzuschalten und nach ein, zwei Gin Tonics in einen Groschenroman einzutauchen? Schlecht geschrieben von einem Arzt, dem irgendwann die Patienten abhandengekommen sind. Ein Rollstuhlfahrer kurz vor der Spontanheilung sollte unbedingt dabei sein. Besser noch eine Rollstuhlfahrerin, die durch die Zauberhände des attraktiven Dr. Eckehart Meyer – der Arzt, dem die Frauen wirklich vertrauen – auf wundersame Weise geheilt wird. Nach Intrigen seitens ihrer Konkurrentinnen – Verführung des Doktors, ein missglückter Säureanschlag auf die Gelähmte – und noch mehr Leid aufgrund tragisch-blöder Fehltritte des Medizingenies – eine verfrühte Heirat mit einer Börsenmaklerin, eine wilde Affäre mit dem brasilianischen Anästhesisten und dessen minderjährigem Halbbruder; Pädophilie-Vorwurf! – endet der Roman vor dem Traualtar, wo der Pfarrer, statt sein «Sie dürfen die Braut jetzt küssen» aufzusagen, rührselig die Hände gen Himmel weist mit den Worten: «Ein Wunder, oh Herr, sie kann wieder gehen!» Halleluja, Ende, aus.
Nun, Schundverbote gibt es glücklicherweise nicht mehr. Die Definition von Trash hat sich ebenfalls geändert. Schund steht nun vor allem für literarisch minderwertige Qualität: simple Sprache, simple Geschichten. Trash, im Sinne von Abfall, das sind denn ja auch Reste, die bei der Zubereitung oder Herstellung von etwas entstehen. Diesem Begriff werden viele Bücher – als mentaler Restmüll – durchaus gerecht. Ja mehr noch: ein hoher Anteil der heute den Markt überschwemmenden Trivialliteratur müsste konsequenterweise als Trash bezeichnet werden. Böse Zungen behaupten gar, die Literatur passe sich – Paulo Coelho und Dan Brown winken beim Dreier mit E.L. James über den Gartenzaun – dem Niveau ihrer Leserschaft an. Ich selbst rezensiere für ein grosses Magazin Bücher, die auf der «Spiegel»-Bestsellerliste stehen, und kann durchaus verstehen, dass es Leser gibt, die die Liste anders verwenden als intendiert: Was draufsteht, kommt eben garantiert nicht ins Haus.
Hier und da mag man anlässlich der gebotenen Ware sogar wieder mit einem Verbot liebäugeln, vielleicht reichte es aber schon, viele zeitgenössische Kassenschlager öffentlich als das zu bezeichnen, was sie sind: Schund. Nur: wer darf das eigentlich? Wer masst sich an zu definieren, was wertvoll ist? Auch Werke von D.H. Lawrence («Lady Chatterley’s Liebhaber»), Vladimir Nabokov («Lolita») und Henry Miller («Wendekreis des Krebses») standen einst auf dem Schund-Index – heute zählen sie zur Weltliteratur. Georges Simenon wurde seine schmuddeligen Anfänge und den Ruf des Maigret-Massenproduzenten nie ganz los. Selbst Mark Twain wurde von Kritikern Primitivität vorgeworfen, und von dessen «Huckleberry Finn» stammt immerhin die gesamte moderne amerikanische Literatur ab, will man Hemingway Glauben schenken.
Und dann ist da noch der Trash zweiter Ordnung: Schund von Autoren, die sonst «bessere» Texte schreiben (wollen), sich aber, mal augenzwinkernd, mal durchaus ernsthaft, auch für weniger goutierte Genres und Formen interessieren und diese – z.T. ironisch gebrochen – durchaus mit einem sprachlichen Anspruch selbst herstellen. In der Schweiz erfreuten sich derartige Umtriebe jüngst auffälliger Beliebtheit: Sowohl der Verlag die brotsuppe als auch das Literaturmagazin «Das Narr» haben 2017 ganz ungeniert mehrteilige Schund-Hommagen auf den Markt gebracht, erstere übrigens verfasst von Absolventen des Schweizerischen Literaturinstituts. Ist das nun noch Schund oder doch – Literatur?
So oder so: die zwei elementarsten Fragen zur Schundliteratur lassen sich immerhin recht eindeutig beantworten: Wer druckt das Zeug? Und wer wird es lesen? Millionen, liebe Literaturfreunde, Millionen!!!



Sonntag, 4. März 2018

Allein unter Lehrern


Um mich von meiner Atelierarbeit ein bisschen zu erholen, also genau genommen, um überhaupt mal vor die Tür zu kommen, hatte ich mich am Nachmittag auf einen kleinen Gang gemacht. «Na, lüften Sie Ihren Kopf aus?», fragte mich die Trulla vom Nebenhaus. Was für eine blöde Redewendung! Den Kopf auslüften. Für sie mag das zutreffen. Klappe auf und einmal kräftig Durchzug. Viel Mobiliar ist da nicht vorhanden, das dem Wind im Wege stehen würde. Ich führe meinen Kopf eher Gassi. Ich kappe die Leine, dass der Verstand ein wenig Auslauf hat und sich von aufgestauter Scheiße befreien kann.

Wie ein Rüde, den es zur läufigen Hündin zieht, landete ich letztlich doch wieder im Café. Laufen ohne konkretes Ziel ist nicht so mein Ding. Und das Köterhirn will gefüttert werden. Mit Koffein und Zucker. Das Einkehren entpuppte sich allerdings als böser Fehler. Das Café war besiedelt von Blödianen. Zehn Meter von mir entfernt saß ein Prä-Renten-Trio, das unüberhörbar über einen nicht anwesenden Vierten debattierte.

Aus ihrer Konversation auf ihren Beruf zu schließen ich tippte auf Lehrer ist ein wenig vermessen, bestätigte sich aber kurze Zeit später als Volltreffer. Aufgrund der enormen Lautsärke des Trios mussten zwangsläufig alle anderen Gäste zuhören, was die dreisten Drei von sich gaben. Ein Umstand, der sich mit jedem Satz ins Unerträgliche steigerte, sodass ich für einen Bruchteil einer Sekunde sogar Mitleid für ihre Schüler empfand. Ihr Hass auf selbige war deutlich erkennbar. Vielleicht ist Hass die Grundvoraussetzung, um den Lehrerberuf überhaupt über Jahre ausüben zu können. 

Ich dachte an meine Lehrer zurück und wie viele von ihnen mich wirklich motiviert, inspiriert und weitergebracht haben. Ich kann sie an einer Hand abzählen. Einer Hand, der drei Finger amputiert worden. 

Dann sagte einer der beiden Männer: «Trump will jetzt die Lehrer bewaffnen, ich bin dabei.» Die anderen lachten schallend und zugegeben, auch mir huschte ein kleines Lächeln über die Lippen. Wenigstens hat er Humor, dachte ich, in der Hoffnung, er habe es sarkastisch gemeint. Hat er nicht, wie sich herausstellte. Nun, man kann eine Waffe schließlich auch gegen sich selbst richten.

Natürlich kann ich das Leid eines jeden Lehrers nachempfinden. Ich habe nichts gegen Lehrer. Einfach auch nichts für sie. Es gibt so wenige, die ihren Beruf aus Überzeugung und Leidenschaft ausüben. Das dürfte das Grundproblem sein. Im Gegenzug gibt es allerdings auch wenig Schüler, die mit Leidenschaft und Interesse lernen. Das liegt vielleicht am Lehrplan. Und den erstellt die Politik. Politiker, genau, die sind an allem schuld. Wahrscheinlich waren sie unerträgliche Schüler. Weil sie Scheißlehrer hatten. Oder umgekehrt. 

Dann erhoben sich die drei Lehrkörper und sie sagte: «Ich muss jetzt noch bisschen meinen Kopf auslüften.»