Mittwoch, 28. März 2018

Wo bitte gehts zum Fuji?

Pünktlich zu Ostern ist der neue DreckSack da. 
Die beteiligten Autoren sind diesmal:
Gerd Adloff, Enno Ahrens, Eric Ahrens, Michael Arenz, Ronald Galenza, Florian Günther, Katja Horn, Johannes Hülstrung, Susann Klossek, Angelika Leitzke, Bas Lindgaard, Danny Lummert, Matthias Merkelbach, Thomas Meyer-Falk, Rüdiger Saß, Erik Steffen, Ulrike Steglich, Silke Vogten, Daniela Maria Ziegler.Fotografin dieser Ausgabe: Birgit Buchholz
Der DreckSack ist ab sofort hier bestellbar:
www.edition-luekk-noesens.de/shop/drecksack

Und ausnahmsweise gibt es meine Geschichte - von einer Japanreise vor vielen Jahren - heute mal online gleich zu lesen:

Wo bitte gehts zum Fuji?
Ashi-See, Japan
Japaner meinen, jeder Mensch sollte einmal im Leben den Fuji, das Wahrzeichen Japans, besteigen. In erster Linie ist damit natürlich jeder Japaner gemeint. Aber auch einem Gajin (Außer-Mensch) kann ein Aufstieg nicht schaden. Der Fuji-San, nicht Fujiyama, wie er fälschlicherweise von ausländischen Kretins bezeichnet wird, ist mit 3776 Metern der höchste Berg Japans. Und auch einer der schönsten Vulkane der Welt. Zumindest aus der Ferne. Deshalb beschließe ich, dem heiligen Berg einen Besuch abzustatten. Eine Besteigung ist nur zwischen 1. Juli und 31. August möglich. Sie dauert im Schnitt zwischen sechs und acht Stunden. Glücklicherweise haben wir April, ich kann also nicht, selbst wenn ich wollte. Was ich natürlich nicht tue. Tim hat bereits letzte Nacht zwei spitze Hügel in Form der Arschbacken eines strammen Japaners bestiegen. Er erholt sich jetzt von seinem Vorstoß ins Tal der Glückseligkeit. So muss ich mich allein auf meinen Abenteuertrip aufmachen.
Wie es in Japan bei Ausländern gute, alte Tradition ist, mache ich von Anfang an alles falsch. Ich kaufe mir ein sehr teures Ticket für den Superexpress Shinkansen nach Odawara. Aus Angst keinen Sitzplatz zu bekommen, erstehe ich zusätzlich eine Platzreservierung. Wer ahnt auch schon, dass die Platzkarten doppelt so teuer sind wie die eigentliche Fahrkarte! Mein Tagesbudget ist bereits jetzt fast ausgereizt. Auf dem Perron ist genau angezeichnet, welcher Waggon an welcher Stelle hält, wo sich die Türen befinden, wo reservierte Wagen, wo Raucher- oder Nichtraucherabteile sind. Der Shinkansen hält zentimetergenau an den markierten Stellen. Der Zug ist halb leer. Alle Fahrgäste schlafen. Oder lesen pornografische Comics. Nach dreißig Minuten bin ich in Odawara. Gemäß Reiseführer sei es jetzt nur noch ein Katzensprung bis zum Ashi-See, von dem man – an guten Tagen – einen atemberaubenden Blick auf den Fuji-San habe. Der Tag ist nicht gut. Die Bergbahn, für die das Ticket, wie nicht anders zu erwarten, ein Vermögen kostet, ist vollgestopft mit japanischen Sonntagsausflüglern. Diese wiederum sind schwer beladen mit Picknickkörben, Wolldecken und Wattejacken, als wären sie auf einer Mount Everest-Expedition. Die Landschaft ist fantastisch.
Die Bergbahn kriecht eine geschlagene Stunde bis Gora, die Endstation auf 800 Metern. Seltsamerweise bin ich die einzige Ausländerin weit und breit und fühle mich leicht verloren. Ein älterer, netter Japaner hat Mitleid und fragt mich auf Japanisch wo ich hinwolle. “Fuji-San“, antworte ich. „Sugureta“, sagt er, was so viel wie exzellent heißt. Er will meinen Namen wissen. „Watashi-wa muzigh Susann des“. Er sieht mich etwas verwirrt an, verbeugt sich mit einem „high“ (ja) und dreht sich weg. Ich habe da wohl etwas durcheinander gebracht und dem armen Mann gesagt, dass ich unschuldig sei. Was ich ja auch bin, in gewisser Weise.
Nach einer ziemlich langen Wartezeit und gegen ein beträchtliches Entgelt geht es mit der Zahnradbahn weiter den Berg hinauf nach Souzan. Doch ein Ende der Reise ist noch lange nicht abzusehen. In Souzan wartet bereits die Seilbahn, die uns über Owakudani, das „Tal des großen Knochens“, zur letzten Stelle bringen soll, an der der Vulkanismus noch dampfend zu Tage tritt. Ich löse für mein letztes Geld ein Ticket nach Togendai, die Endstation am Ashi-See. Es ist die höchste, steilste und längste Seilbahnstrecke, über der ich je in meinem Leben hing. Und ich hing schon über einigen Abgründen! Der Blick ins Tal ist atemberaubend. Wie der Preis, den ich für den Platz in der Gondel berappen musste.
Mit mir in der Gondel hockt eine dreiköpfige japanische Familie. Die Frau sitzt mit geradem Rücken wie eine gehorsame Geisha zwischen ihrem Mann und ihrem etwa vierzehnjährigen Sohn. Sie lächelt mir zuversichtlich zu. Der Sohn hat sich seinen Sonntag offensichtlich anders vorgestellt. Er starrt mit dunklen Rändern unter den Augen leicht bockig in die Tiefe, in der es raucht und dampft und nach Schwefel stinkt. Sein Haar steht wie bei einem Punker dreifarbig von seinem Kopf ab. Der Vater versucht sich in Konversation auf Englisch. Seine Aussprache ist dermaßen verjapanisiert, dass ich kein Wort verstehe. Nur so viel, er fragt, ob ich eine spanische Stewardess sei. Absurder geht es nicht mehr. Vielleicht wollte er auch etwas ganz anderes fragen und hat die Worte verwechselt. Oder ich hatte etwas verstanden, was er gar nicht gefragt hatte. Man weiß es nicht. Ich bejahe, er freut sich und spricht weiter auf Japanisch auf mich ein. Die Frau kichert hinter vorgehaltener Hand. Der Sohn verdreht die Augen und wirft seinem Vater ein paar forsche Wortfetzen an den Kopf. Ich schwitze. Die Seilbahnfahrt ist unendlich. Irgendwie schämen wir uns alle vier. Leider ist an ein Aussteigen in dieser schwindelerregenden Höhe nicht zu denken. Kurz vor der Mittelstation zieht sich Familie Yamaguchi – ich meine diesen Namen verstanden zu haben – ihre dicken Jacken, Mützen und Handschuhe an. Mein Gott wie verweichlicht. Schließlich hatten wir bei der Abreise in Tokyo frühlingshafte 18 Grad. Böser Fehler meinerseits.
Als ich aussteige werde ich von der eisigen, steifen Brise, die einem hier auf der Mittelstation um die Ohren fegt, fast weggeweht. Eigentlich hätte ich mir ja denken können, dass es oben am Berg kalt wird. Doch seit meinem Meditationsabstecher im Tempel von Kyoto habe ich mit Denken nicht mehr so viel am Hut. Irgendwo da drüben im Gegenlicht muss er sein, der schneebedeckte Gipfel des erhabenen Fuji-San. Versteckt hinter der großen Dunstglocke. Zum Glück habe ich ja mein Ticket nach Togendai. Vom Nordufer des Ashi-Sees soll man dann aber wirklich einen tollen Blick auf den Yama (Berg) haben. Ich frage einen Mitvierziger, wie weit es denn bis zur Endstation sei. Mein Zug nach Tokyo, für den ich ebenfalls eine übertrieben teure Platzkarte habe, geht gegen Acht zurück. „Ach, Sie wollen heute noch zurück?“, fragt er verwundert. „Hier übernachtet jeder. Die letzte Seilbahn nach Souzan geht um fünf.“ Davon stand aber nichts im Reiseführer. Da war nur von einem leicht zu arangierenden Tagesausflug die Rede.
“Na da habe ich noch genug Zeit, es ist ja erst halb vier“, antworte ich aufgekratzt. “Das schaffen Sie nicht. Es ist sehr weit nach Togendai“, er wiegt seinen Kopf hin und her. “Was haben ein Koffer und eine Frau gemeinsam?“, fragt er aus dem Zusammenhang gerissen und sieht mich erwartungsvoll an. “Was weiß denn ich!“, antworte ich leicht gereizt und schieße ein Foto in die Richtung, wo in etwa der Fuji sein müsste. “Beide sind mottenai“, er grinst.“Jaaa. Und?“ “Mottenai, verstehen Sie, schwer zu (er)tragen“, er schüttet sich aus vor Lachen. Er ist wirklich lustig anzuschaun. Ich mache auch von ihm ein Foto. Nun, der Japaner an sich und ich haben doch eine unterschiedliche Art von Humor. Als er sich ausgelacht hat, verbeugt er sich ganz leicht, kommt näher an mich heran und fragt leise und eindringlich: „Sekkusu suru?“Wenn mich nicht alles täuscht, hat er mich gerade gefragt, ob ich mit ihm schlafen will. Ich verbeuge mich, bedanke mich mit „arigatoh“ und lass ihn stehen.
Verzweifelt versuche ich mein zur Endstation gelöstes kippu (Ticket) zu tauschen oder zu canceln. Die Frau am Ticketschalter schüttelt nur unentwegt den Kopf und stellt sich verständnislos, während sie aus einer kleinen hellgrünen Schale Tee schlürft. Wir reden etwa eine halbe Stunde aneinander vorbei. Es ist nichts zu machen. Ich habe keinen Yen mehr in der Tasche und kann mir nicht einmal einen Grüntee oder einen Toilettengang leisten. Ich suche relativ lange nach einem geeigneten Busch, um wenigstens ungestört pinkeln zu können. Hier oben ist die Vegetation ziemlich karg. Als ich mir gerade die Hosen wieder hochziehe, kommt mir ein Mann in Eisenbahneruniform aufgeregt, Arme wedelnd entgegen. Er wird doch hoffentlich nicht auch mit mir schlafen wollen?! Nein, die letzte Seilbahn gen Tal hebe jeden Moment ab und ich sei die Letzte hier oben. Tatsächlich fahre ich als einziger Fahrgast der gesamten Seilbahnkette in meiner „Privatgondel“ zurück nach Souzan. Die Zahnradbahn sehe ich nur noch von hinten und die Bergbahn verpasse ich um
zwei Minuten. Somit auch meinen außerordentlich teuren reservierten Sitzplatz im Shinkansen nach Tokyo. Gegen Zehn erreiche ich erfroren, abgebrannt, ausgehungert und völlig erschöpft das Hotel. Tim macht sich gerade für eine neue Frettchen-Expedition zurecht. „Und, wie war der Fuji?“ „Welcher Fuji?“, frag ich und geh ins Bett.

Tropenfieber

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