Mittwoch, 29. April 2015

Es lebe der Sport




Wer etwas auf sich hält stählt seinen Körper. Die Nachbarin tut es schliesslich auch. Und die sieht aus wie 42, obwohl sie bereits 43 ist. Sport hält jung und fit, pflegt sie immer zu sagen, wenn sie morgens gegen Sieben an meinem Haus vorbei joggt. Dass sie da operativ etwas nachgeholfen hat, wäre eine infame Unterstellung. Das heisst, ich kann es einfach nicht beweisen.

Jedenfalls ist es höchste Zeit, dass auch ich etwas tue. Das wurde mir ganz deutlich klar, als ich mich kürzlich auf der Waage leicht vorbeugen musste, um an meinem Bauch vorbei mein Gewicht zu erkennen. Als ich die Zahl erblickte, auf der der rote Zeiger mahnend stand, schnellte mein Puls vor Schreck in die Höhe, als hätte ich gerade einen Marathonlauf absolviert. Kurz: Ich meldete mich im Fitnesscenter an und belegte das Programm Active-Body-Life-Anti-Aging-Lady-Beauty-Fitness. Früher hiess das Frauenturnriege, man machte ein paar Rumpfbeugen, spielte Völkerball und ging hinterher auf eine Pizza und ein gepflegtes Bierchen in die Kneipe. Fertig war die Fitness.

Heute wird zuerst ein halber Tag an einem herumgemessen: Body Mass Index (uuups), Wassergehalt (aha), Fettgehalt (ach nee, wirklich?) Grösse (was, doch so klein?), Gewicht (wie, doch sooo viel?!), Oberschenkelnumfang (könnten Sie nochmal messen?)... Fazit: Ich bestehe in etwa aus 59 Prozent Wasser, 39 Prozent Fett und 2 Prozent irgendetwas, was nicht messbar war. Ich würde mal ganz spontan auf schlaffe Haut tippen. Eins war klar: Ich bin ein Problemfall. 

Deshalb musste ich auch aus Sicherheitsgründen diverse Listen ausfüllen, welche Krankheiten und schlechte Gewohnheiten meine Verwandten bis zu vier Generationen zurück so alles hatten. Ich muss doch sehr bitten! Ich kenne ja nicht einmal die Personen meiner noch lebenden Sippe, woher soll ich dann wissen, ob mein Ururgrossvater vielleicht unter Skorbut litt oder eine Säuferleber hatte?!

Als nächstes galt es Unterschriften zu leisten, wer im Falle meines Todes benachrichtigt werden soll, falls etwas schief geht mit den Geräten. Oder mit Alfonso. "Alfonso?" fragte ich bereits leicht mit Angstschweiss benetzt. "Das, meine Liebe, ist Ihr pörsonal Trähner", sagte die gertenschlanke Fitnesshostess und strich sich ihren ohnehin schon inexistenten Bauch noch ein wenig glatter. "Er verbringt wahre Wunder!"

Alfonso kriegte kaum einen geraden Satz heraus, dafür sah er blendend aus. Und er stellte mir die Geräte perfekt ein. Als erstes kam das "Ei" oder professionell ausgedrückt der Hypoxi-Vacuum-Trainer. Der Hypoxi ist ein halbfertiges Fahrrad, verpackt in ein Überraschungsei, in dem man in eine Art Raumanzug gezwängt, halb liegend - unbequem liegend, versteht sich - in die Pedale treten muss. In den ersten zwei Minuten waren mir die Füsse schon komplett eingeschlafen. "Ach! Ihre Durchblutung funktioniert aber überhaupt nicht!", stöhnte Alsfonso und verdrehte die Augen. Ja wie auch, wenn einem das ganze Blut in den Kopf strömt! 

Unterdessen überprüfte das Gerät meinen Puls, es zeigte Null an, ich war also bereits tot. Doch zu früh gefreut: Nach vier Minuten aktivierte der Hypoxi das Vakuum. Um ein Haar hätte mich das Killerei eingesaugt. Nach 30 Minuten war die Qual vorbei, Alfonso - wie peinlich - mass meinen Schenkelumfang erneut. Schon 0,00287 Millimeter weniger. Es wirkte. Soll der Umfang meiner Schenkel um circa 20 Zentimeter abnehmen, muss ich also nur noch 229´885 Mal ins Ei.

"Jetzt kommt der Vibrator", rief Alfonso aufgeregt. "Bitte was?", fragte ich erschrocken und liess vorsichtshalber schnell ein Belastungs-EKG machen. "Das Powerplate!", lachte Alfonso und zeigte mir lässig eine Übung, bei der jeder Muskel an seinem perfekten Körper erzittere und vibrierte, dass man schon beim Zuschauen Kalorien verlor. Dann durfte ich mich schütteln lassen. Ich hatte die Wahl zwischen static and active excersises. Ich entschied mich für Letztere, hielt aber nicht mal bis zum Ende der Übung - 30 Sekunden - aus. Mir war leicht schlecht. 

Alfonso legte mich auf die schweissabweisende Thermoübungsmatte und zeigte mir, wie man gesund atmet. Ich hatte also 39 Jahre am Leben vorbeigeatmet sozusagen. Ich hyperventiliere. Die Fitnessfee vom Eingang überreichte mir fröhlich einen Powerdrink. "Damit Deine Electrolyten wieder in Fahrt kommen". Es schmeckte wie Leitungswasser. Es kostete nur eine Kleinigkeit mehr. Zum Schluss nötigte mich Alfonso zu zehn Liegestützen. Ich schaffte einen halben, dann brach ich erschöpft zusammen. 

In meinem Keller steht ein Hometrainier, originalverpackt. Der täte es eigentlich auch. Ich komm da nur so schlecht ran, weil da die Hanteln, der Stepper, die Yogamatte und der Chi-Schüttler im Wege stehen.

"Die dreissig Kilo Übergewicht kriegen wir schon weg", sagte Alfonso Zuversicht vorstäuschend und tätschelte mir die Hand. "Kann man sich die Geräte auch nach Hause liefern lassen?", jammerte ich resigniert.

Am Abend sitze ich mit dem Propekt in der Hand vor dem Telefon und wähle. "Ich möchte einmal die 234 bestellen", sag ich mit zitternder Stimme. Zehn Minuten später wird geliefert: Extrascharfes Red Curry von meinem Lieblingsthailänder. ES LEBE DER SPORT!

(Erstvereröffentlichung in "Seesicht" - www.seesichtmagazin.ch)

Dienstag, 28. April 2015

Frühstück mit Hunter





Frühstück mit Hunter


Ich weiss nicht, was zuerst gewirkt hatte, das Mescalin, das Acid oder das Koks, oder ob die Kombination aller drei Substanzen dazu führte, dass ich in diesen desolaten Zustand geriet. Jedenfalls hatten mir die Götter der Unterwelt einen Besuch abgestattet, der noch lange nachhallen sollte. Nachdem ich gefühlte drei Tage lang gekotzt hatte und wieder einigermassen stehen konnte, verliess ich das Hotelzimmer. Ich war definitiv zu schräg, um zu leben, aber zu selten, um zu sterben und meine Devise lautete noch immer: Buy the Ticket – take the Ride

Der Korridor war unendlich lang und schien ins Nichts zu führen. Es fühlte sich an, als würde ich durch einen wabernden, warmen Regenbogen laufen, von dem ich jeden Moment runterzukippen drohte. Die Türen der Zimmer waren kariert gestrichen und hatten alle dieselbe Nummer: 1-9-7-4

Die Leute, die mir am Gang begegneten, starrten mich alle mit einem Blick an, der Ekel und Entsetzen ausdrücken sollte. Eine fette Matrone mit aufgetürmten Haaren, die an einen Biberbau inklusive Biber erinnerten, machte einen grossen Bogen um mich. Während sie sich angewidert schüttelte, flogen ihre riesigen Schwabbelbrüste, um die sie ein Stars-and-Stripes-Tuch gewickelt hatte, beängstigend in der Gegend herum und drohten einen zu erschlagen. 

Ich sollte keine Drogen mehr nehmen, ging es mir durch den Kopf, als ich gleichzeitig in Deckung ging und versuchte, nicht der Länge nach auf die Schnauze zu fallen. "Lebe frei oder stirb", rief ich der Schrappnelle zu, die daraufhin wie von der Tarantel gestochen auf mich los ging. Doch da tauchte auch schon Oscar Zeta Acosta auf und schob die Furie zur Seite und mir ein ziemlich gewaltiges Blättchen Acid in den Mund. "Freiheit ist eine Herausforderung sondergleichen", murmelte ich, während ich mich mit letzter Kraft gen Fahrstuhl bewegte. Dort angekommen, fragte ich Oscar mit heiserer Stimme:


"Wo zum Teufel sind wir hier?"

"Aspen", sagte er und warf sich einen ganzen Peyote-Kaktus in den Schlund.

"Aspen, Colorado?"

"Nein Aspen, Sowjetunion, natürlich Colorado, wo sonst!"


Ich musste zugeben, ich war verwirrt. Woher wusste ich, Susann Klossek, dass Oscar Zeta Acosta Oscar Zeta Acosta war? Und war der nicht tot? Und nahm ich normalerweise überhaupt Drogen? Brauchte ich einen Anwalt? Und was zur Hölle machte ich in Aspen? Eins war klar, das war ein ganz mieser Trip, auf dem ich mich hier befand. Ausgang äusserst ungewiss. Als wir aus dem Fahrstuhl kamen, prangte mitten im Foyer ein riesiges Hinweisschild, auf dem in roten Lettern 


'Breakfast with Hunter'


stand. Frühstück war das Letzte, wonach mir gerade war, schon gar nicht mit einem Typen namens Jäger. Trotzdem folgte ich dem Hinweispfeil wie eine Hypnotisierte ihrem Sektenguru. Auf einem kleinen Tisch lagen, neben den aktuellen Ausgaben der Washington Post und des Rolling Stone, einige Kopien eines Schreibens mit folgendem Inhalt:



Dear Mr. Secretary:



I hereby resign the Office of President of the United States.



                   Sincerely,

                       

                            Richard Nixon

                  



"Welches Jahr haben wir?", fragte ich Oscar.

"Welches Jahr? Heilige Scheisse, was is' los mit Dir? 1974", lallte Oscar und liess sich in einen Ledersessel fallen. Verdammt, ich war acht Jahre alt! Kein Wunder, dass ich bei den Drogen so abdrehte!


Die Hotelbar war kaum frequentiert. Im hinteren Drittel des Raumes wuselte eine Frau mit einer grauen Schürze herum, die ein fettes Stinktier an einem dicken Schlauch befestigt hatte, das sie hinter sich her zog. "Könnte bitte mal jemand den Staubsauger abstellen?", rief eine Stimme aus dem Off. Ich geriet etwas ins Schleudern, ich konnte beim besten Willen keinen Staubsauger erkennen. Nur das Stinktier hatte aufgehört zu schnauben. Wahrscheinlich weil die Alte es mit einem Kabel erdrosselt hatte. Ich sollte den Tierschutz anrufen, durchzuckte es mein aufgeweichtes Hirn für den Bruchteil einer Hundertstel Sekunde. Glücklicherweise war mir der Gedanke ebenso schnell wieder entfallen. Das Tier würde einen guten Sonntagsbraten hergeben. Apropos: Wo war eigentlich mein Gewehr? 

Hinter dem Tresen stand eine Bedienung, die wie Allen Ginsberg auf Stöckelschuhen aussah. Schöne Beine, ansonsten genauso hässlich.


"Was darf's denn sein, Sir?", fragte sie gelangweilt.

Sir? Blöde Nutte, dachte ich, bestellte mir dann aber einwandfrei artikulierend einen Whiskey und kippte ihn in einem Zug runter. Das Gesöff vertrug sich gut mit dem Acid und brachte meine Halluzinationen auf ein erträgliches Level runter. Allena Ginsberga war inzwischen ein riesiger Reptilienschwanz gewachsen, mit dem sie sämtliche Flaschen aus dem untersten Regal der Bar ausräumte. Von Draussen schaute ein gigantischer Drache zu uns herein, der Feuer spie und mit einem enormen Strahl alles vollpisste, sodass ganz Aspen in Kürze würde Hochwasser-Notstand ausrufen müssen. Irgendein Monsun kommt einem immer in die Quere. Doch es kam nicht infrage aufzugeben oder umzudrehen.


"Schau mal aus dem Fenster", sagte ich zur Bedienung.

"Welches Fenster?"

"Welches Fenster, welches Fenster! Siehst Du den Drache nicht?"


Sie schüttelte den Kopf als sei ich grenzdebil und beugte sich runter zum Kühlschrank, sodass mir ihr ausladendes Gesäss den Blick nach vorn komplett verbaute. Ich verspürte Lust sie zu nageln, würde aber höchstwahrscheinlich keinen hochkriegen, schliesslich war Viagra noch nicht erfunden. Erst bei diesem Gedanken wurde mir bewusst, dass ich offensichtlich das Geschlecht gewechselt hatte. Mir taten die Eier weh, wo eigentlich eine Pussy sein sollte. Ich musste dringend damit aufhören, alles durcheinander einzuschmeissen! Auch wenn Drogen im Grossen und Ganzen immer gut zu mir waren. Im Grunde geht es um Aufmerksamkeit und Konzentration. Und die schlimmste Seite an Drogen ist noch immer ihre Beschaffung.


Am südlichsten Ende der Bar sass Johnny Depp, wie ich erst jetzt bemerkte, den ich sogleich salutierend mit Colonel begrüsste, was mich doch einigermassen überraschte. Was mich noch mehr erstaunte war die Tatsache, dass ich es ganz normal fand, dass Johnny Depp vier Meter von mir entfernt sass, mir zulächelte und ich nicht im geringsten aus dem Häuschen geriet. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich der Colonel zu mir rüber bemühte. Seine Bewegungen hatten was von "Vom Winde verweht auf Mescalin". Er schlug mir mit der flachen Hand auf die Schulter und zischte durch die kaum geöffneten Lippen: "Hunter, schön, Dich zu sehn." Ich fragte mich, was er sich reingepfiffen hatte. Oder stand er jetzt auf kleine Mädchen, denen er Namen von alten Männern gab? Er bestellte uns zwei neue Drinks und zündete sich eine Zigarette der Marke Black Death an. Ich wunderte mich, dass er einfach so in einer Bar rauchen durfte. Wahrscheinlich durfte Johnny Depp einfach alles. Auch die Warnhinweise auf der Schachtel fehlten, obwohl der Name selbst ja schon Programm war. 

Dann fiel es mir wieder ein, wir hatten ja 1974. Im Rahmen der Nachwirkungen der Ölkrise würde keiner auf die schwachsinnige Idee kommen, das Rauchen in geschlossenen Räumen zu verbieten oder dümmliche, entmündigende Anti Smoking Slogans auf Zigarettenschachteln zu pappen, die das Geschäft behindert hätten. In der Tabakindustrie von 74 sassen noch nicht solche Schlappschwänze am Ruder, die sich von ein paar Gesundheitsaposteln aus Brüssel irgendetwas hätten diktieren lassen. Gut, dass ich all das nicht mehr erleben musste! 

1974, ein durchwachsenes Jahr, fürwahr! Immerhin war Nixon, der Bastard, zurückgetreten, Grenada erhielt seine Unabhängigkeit von den Briten und Muhammad Ali besiegte George Foreman durch K.O. – Rumble in the Jungle! Der Colonel zündete eine zweite Fluppe an und schob sie mir rüber. Johnny sah gut aus wie immer, machte auf mich allerdings den Eindruck, als sei er höchstens zwölf. So gesehen würden uns nur vier Jahre voneinander trennen und wir könnten es ruhig mal auf genitaler Ebene miteinander versuchen. Dummerweise taten ihm die Drogen, die er offensichtlich geschluckt hatte, nicht gut. Schliesslich hielt er mich für einen Typen namens Hunter. 


"Grossartig Deine Berichterstattung zu Watergate!", lobte er mich, während er lasziv den schwarzen Tod aus seinem rechten Mundwinkel blies. Was zur Hölle war hier eigentlich los? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Aber grossartig genannt zu werden ging runter wie ein Fläschchen Andrenochrom zum Aperitif. Doch die Bauchpinselei sollte nicht lange anhalten. 


"Was den JFK-Fall betrifft, hast Du allerdings totalen Mist gebaut!", nörgelte er herum und ich überlegte, ob es nicht gescheiter wäre, ihm eine doppelte Kastration Hirn und Eier  nahezulegen. Je übersichtlicher der Hirninhalt, desto knapper das Genörgel. Leider hatte er Recht. Was den Mord an Kennedy betraf, hatte ich auf ganzer Linie versagt. Ich hatte es schlicht und einfach versäumt, genauere Recherchen zu betreiben. Wer steckte wirklich dahinter? Die Mafia, Jack Ruby, der degenerierte FBI-Chef J. Edgar Hoover, Oswalds Vermieterin, Marilyn Monroes Zwergpinscher, wenn sie einen gehabt hätte, die CIA? Am wenigsten wahrscheinlich Oswald selbst. Ich hatte es also eindeutig versaut, die Tragweite des Falles nicht erkannt, nicht geahnt, welch Kreise die ganze leidige Angelegenheit ziehen würde. Wieso in Gottesnamen war mir das entgangen? Der wohl kniffligste Kriminalfall der Neuzeit war an mir vorbeigeglitten wie ein 68-er Mustang auf dem Highway nach Nirgendwo. Die Welt war danach nicht mehr dieselbe. Johnson, das dreckige Frettchen, hatte sich auf Kennedys Stuhl geputscht, den Vietnamkrieg bis zum bitteren Ende fortgesetzt und den kalten Krieg weiter angeheizt. Politiker sind Süchtige und sie sind immer schuldig. Sie lügen, sie betrügen, sie stehlen – wie alle Junkies. Ich hätte es nicht verhindern können, aber ich hätte zur Aufklärung beitragen müssen. Die CIA wäre heute Schnee von gestern und der Menschheit so einiges Widerwärtiges erspart geblieben. 

Aber Momentchen mal: Kennedy wurde 1963 ermordet, da war ich praktisch noch gar nicht auf der Welt. Wie in Dreiteufelsnamen hätte ich da...? Eben, das war genauso absurd wie Kennedys Behauptung, er sei ein Berliner. Es stellte sich allerdings auch die Frage, wie ich als knapp achtjährige Göre aus der DDR dazu gekommen bin, über die Watergate-Affäre zu berichten. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich kam jedoch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn just in dieser Sekunde rannte ein etwa zwei Meter grosses weisses Kaninchen im Zickzack durch die Bar. 


"Hast Du das gesehen? What the fuck...?

"Was? Den weissen Hasen?", fragte der Colonel. Ich war also doch nicht komplett verrückt. Oder befanden wir uns beide auf der gleichen Abenteuerreise?

"Ach, das war nur der neue Lover von Burroughs."

"William S.?"

"Ja William S., wie viele Burroughs kennst Du denn?"

"Ist der nicht in Tanger?"

"Wer, der Hase?"


...One pill makes you larger
And one pill makes you small
And the ones that mother gives you
Don't do anything at all
Go ask Alice
When she's ten feet tall...



...sang das Karnickel. Sein Stummelschwanz zuckte dabei beängstigend hin und her. Es machte keinen Sinn weiter mit dem Colonel über den alten Morphinisten Burroughs zu diskutieren. Ich bekam Hunger. Johnny schien es ähnlich zu gehen. Er zog sich aus: "Naked Lunch?", fragte er grinsend und wir bestellten uns Pilze – auf der Karte standen Kubanische Kahlköpfe im Sonderangebot – auf einem Grasbett. Langsam füllte sich die Bar. Ich meinte Truman Capote und Tom Wolfe auszumachen. Sicher war ich mir aber nicht. Im Türrahmen stand Jimmy Carter und prostete mir zu. Neben ihm stand The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby und lächelte zuversichtlich. Ich war sicher, Jimmy würde eines Tages Präsident werden. 


"Sag mal, ist das dort nicht Jack Kerouac?"

"Unwahrscheinlich", sagte der Colonel.

"Wieso das denn nun wieder? Selbst der Betthase von Burroughs ist hier. Wieso, verdammt nochmal, ist es dann unwahrscheinlich, dass der gutaussehende Typ dort drüben Jack Kerouac ist?"

"Weil Jack Kerouac seit fünf Jahren tot ist."

"Bubba, das ist ein Argument." 

Bubba? Wie redete ich denn? Irgendetwas war hier faul, lief gewaltig aus dem Ruder. Aber ganz gewaltig. Ich konnte nur nicht genau eruieren, was es war. Inzwischen hatten die Pilze angefangen zu wirken. Ich zog meine Schreibmaschine aus der Hosentasche und schrieb "Fear and Loathing on the Campaign Trail '72" in einem Ritt runter. Ich war mit dem Ergebnis im Grunde zufrieden, trotzdem: It never got weird enough for me. Und Talent erschöpft sich irgendwann. Wie sich alles erschöpft. Und plötzlich ist es verschwunden. Es galt also höllisch aufzupassen.


Was nicht verschwand war dämliche Hase, der ungeniert zur zweiten Strophe ansetzte:


And if you go chasing rabbits
And you know you're going to fall
Tell 'em a hookah smoking caterpillar
Has given you the call to
Call Alice
When she was just small...


...niemand schenkte ihm Notiz. Doch er konnte einfach nicht mehr aufhören mit dem Geplärre...


...When the men on the chessboard
Get up and tell you where to go
And you've just had some kind of mushroom
And your mind is moving low
Go ask Alice
I think she'll know...


... ich vermisste noch immer mein Gewehr, sonst hätte ich der traurigen Show schon längst ein Ende gesetzt. Das Vieh war nicht zu bremsen...


...When logic and proportion
Have fallen sloppy dead
And the White Knight is talking backwards
And the Red Queen's "off with her head!"
Remember what the doormouse said;
Feed your head
Feed your head...


Das war das Stichwort, ich fütterte seinen Kopf mit einer Kugel aus meiner geliebten 45er Magnum, die ich in meiner Gesässtasche fand. Die richtigen Freunde auszusuchen, ist eine Sache auf Leben und Tod. Der Hase hatte sich eindeutig am falschen Schienbein gerieben. Nachdem ich den white rabbit also erlegt hatte, leerte ich eine Flasche Chivas Regal, während im Fernsehen die Indianapolis Colts spielten und die Hells Angels die Hasenleiche in den Bergen von Aspen entsorgten. Der Colonel war eingeschlafen. 

Acosta schlich herum, als würde man einen Cadillac im zweiten Gang fahren. Schliesslich machte er sich auf, neuen Stoff aufzutun. Um zu kontrollieren, ob ich irgendwo Karnickelblut im Gesicht hatte, wagte ich einen Blick in die verspiegelte Bar. Endlich erlangte ich Erkenntnis: Ich hatte eine hässliche Visage, eine Halbglatze und guckte mit blutunterlaufenden Augen durch eine riesige Siebzigerjahre-Nachtfahrbrille mit orangenfarbigen Gläsern. Die runtergebrannte Zigarette steckte in einer goldenen Zigarettenspitze der Marke Denicota, die schief in meinem linken Mundwinkel hing. Ich war der letzte Mann, der nach dieser durchzechten Nacht an der Theke stehenblieb. Aber auch für mich war irgendwann Schluss. 

Entspann' Dich – es wird nicht weh tun.



erschienen in: 


FLEDERMAUSLAND

Diverse Wahrheiten über Wasserstände, Paranoia, Journalismus und Hunter S. Thompson

Erste Auflage /gONZoverlag 2014
http://www.gonzoverlag-shop.de/

Montag, 27. April 2015

Eine Entführung der besonderen Art



Wenn man die moderne, karg eingerichtete katholische Kirche Bruder Klaus im baselbieterischen Liestal betritt, kann man sich nur schwer vorstellen, dass sie der richtige Ort für ein fröhlich-orientalisch angehauchtes Singspiel sein könnte, wie es Mozarts Oper "Die Entführung aus dem Serail" ist. Überhaupt erwartet der Besucher derartige Aufführungen, insofern sie nicht rein konzertant sind, eher in einem dafür vorgesehenen Hause, kurz: der Oper. Und auch das eher spärliche Bühnenbild, die wenigen Requisiten sowie zusammengestrichenen Dialoge lassen im ersten Moment nicht erahnen, dass es dann auf der Bühne, oder besser unter und neben der Kanzel, doch noch nach gewohnt mozart'scher Manier ziemlich wild zu und her gehen würde.

Die beiden vorerst einzigen und aufs Wesentliche reduzierten Vorstellungen am 18. und 19. April fanden im Rahmen der sogenannten "Stimmband Konzerte" (www.stimmbandkonzerte.ch) statt, mit denen Initiantin Jeanne Pascale Künzli ehrenamtlich jährlich Konzerte für Musikbegeisterte organisiert. Künzli, Organisatorin und Sopranistin in Personalunion, legte in die Rolle der Konstanze jenen Tiefgang, mit dem Mozart, neben köstlichem Humor, dieses Singspiel geadelt hat. Ihr klarer Sopran hätte die Glasbilder der Kirche um ein Haar zum Bersten gebracht; deren abgebildete Engelsgestalten hätten es nicht besser machen können. 

In Anbetracht der Tatsache, dass kurz vor der Premiere das Orchester krankheitsbedingt ausfiel – grossartig virtuos Caspar Dechmann am Flügel als kompletter Orchesterersatz – und dass die Protagonisten ihr Singspiel quasi in Eigenregie daherzauberten, kann man nur den Hut ziehen, vor der Leistung aller Beteiligten, inklusive der Farnsburg Singers, die, wunderbar orientalisch kostümiert, den Janitscherchor des Stückes gaben. 

Perfekt besetzt die Rolle des Belmonte mit Tenor Raimond Wiederkehr, der den verliebten spanischen Verlobten Konstanzes mit überzeugendem Schmerz und der der Rolle angedichteten nötigen leichten Feigheit und Unterwürfigkeit sang und spielte. 

Ebenfalls die Rolle auf den Leib geschrieben bekamen Tenor Pascal Marti als Diener Pedrillo und Christa Fleischmann (Sopran) als Blondchen (hier ausnahmsweise brünett), die beide neben solidestem Gesang auch ihr komödiantisches Talent unter Beweis stellten. 

Erich Bieri, Bass, brillierte als stimmstarker und urkomischer Palastwärter Osmin, dem man nur allzu gern noch einen zusätzlichen Akt zugehört und -gesehen hätte.  

Ganz der Tradition folgend, dass die Stimmband-Konzerte eben nicht der Tradition der Werke unbedingt folgen, mimte Schauspieler Daniel Buser überzeugend als Bassa (Pascha) Selim nicht nur konsequent den Weisen aus dem Morgenland, sondern mitunter auch den verliebten Macho, der die gefangene Konstanze nur sehr widerwillig mit ihrem Befreier und Geliebten Belmonte ziehen lässt.

Alles in allem eine sehr runde Vorstellung, die Mozart mit Sicherheit mit Freudentränen und Schenkelklopfen goutiert hätte. 

Weitere Stimmband-Vorstellungen der "Entführung aus dem Serail" sind in Planung sowie die Konzerte "On the Rocks (Melodien von Bond bis Rock) im September.