Donnerstag, 14. März 2013

Auf Escobars Spuren, Teil VI



Fortsetzung vom 7.3.2012
Im Vergleich zu Bogotá sieht Quito auf den ersten Blick schöner, sauberer, gepflegter, strukturierter und bunter aus. Es wird sich zeigen, ob es wirklich so ist oder uns die dünne Luft auf 2850 Metern das Hirn vernebelt. Wir haben einen kleinen Bungalow inmitten der Altstadt mit Gartenanlage und Blick auf den Vulkan Rucu Pichincha angemietet. Geführt wird die Oase von Wolfgang, einem lange im Ruhrpott ansässigen Ostfriesen, Sozialpädagoge, Handwerker, Tourismusunternehmer in Personalunion und seiner Frau Andi, Psychotherapeutin, Gartenarchitektin, selfmade woman. Lebenskünstler der 68er Generation, die aber über ihre linken Flower-Power-Flausen hinausgekommen sind und ein funktionierendes Business in Ecuador aufgebaut haben. Ecuadorianische Gelassenheit gepaart mit deutscher Gründlichkeit, Ordnung und westlichem Standard. Kurz: Auch der Holzofen, in Ecuador in der Regel nur ein Dekorationsstück, ist echt und funktioniert und die Betten sind so ausgestattet, dass man gerne in ihnen verweilt. Auch gern einmal ausserhalb der Schlafenzeiten. Ausserdem wohnen hier Cordula, eine etwas biedere Lehrerin aus Chur, die Spanisch lernen, den Cotopaxi besteigen und Ferien vom Ehemann machen will, eine bolivianische Umweltaktivistin und ein deutsches Trio (zwei Frauen, ein Mann), deren Beweggründe für ihre Anwesenheit im Dunkeln bleiben. Später wird sich noch eine fünfköpfige amerikanische Familie einnisten, doch dazu später. Als Journalistin müsste ich theoretisch mit allen reden, die Story hinter der Story ausgraben, aber eigentlich will ich mit all dem nichts zu tun haben. Im Grunde genommen bin ich also generell fehl am Platze. Man könnte es sogar als meine eigentliche Profession betrachten.
Quito ist auch auf den zweiten Blick schöner als Bogotá. Und auch auf den dritten. Aber machen Vergleiche überhaupt Sinn? Hartmuth aus Dortmund schreibt mir, dass Libertad y Orden der Wahlspruch Kolumbiens sei und fragt, was der Mensch mit der Ordnung anfangen wolle und ob sich die Begriffe nicht widersprechen. Kann es Freiheit UND Ordnung geben?, fragt Malorny. Unbedingt, antworte ich. Wahre Freiheit, soweit es diese überhaupt gibt, kann ohne ein gewisses Mass an Ordnung gar nicht existieren. Das totale Chaos endet im Nichts. Obwohl natürlich nichts nichts ist. Dem dreifarbigen Kater auf dem Dach gegenüber ist das scheissegal. Er tigert ruhelos umher und jault seit Stunden ohrenbetäubend den Nachthimmel von Quito an. Ist er heiss auf eine Mieze? Ruft er eine verlorene Geliebte? Will er nur fressen? Jedenfalls klingt es herzzerreissend und man neigt dazu, ihm auf der Stelle was zum bespringen zu besorgen. Jetzt markiert er mit aufgestelltem Schwanz den Schornstein. Dann leckt er sich die Eier. Ich wünschte, auch mich würde mal wieder ein wilder Kater markieren. Dabei kommt mir mein Liebster in Zürich in den Sinn. Das zweite Mal heute bereits. Vor dem rolligen Kater dachte ich heute morgen in der Iglesia de San Francisco (den Spaniern fallen auch keine anderen Namen für ihre Kirchen ein) bereits an ihn. Ich werde drei Rosenkränze beten müssen.

Auf 3220 Metern Höhe inmitten der Anden liegen die Thermalbäder von Papallacta, die als Tor zum ecuadorianischen Amazonasgebiet gelten. Zwei davon gibt es: die Volksvariante und jene für den gehobenen Stand. Wir entscheiden uns natürlich für Letztere, die sich aber wahrscheinlich nur durch die 11 Dollar, die sie mehr kostet, von der einfachen Version unterscheidet. Zudem wird sie weniger belagert, sodass wir am Vormittag fast alleine hier oben sind. Die Fahrt von Quito auf breiten, ausgebauten Strassen dauerte eineinhalb Stunden. Vorbei an der grossen Baustelle für den neuen Flughafen. Mitte Oktober soll er eröffnet werden. Sieht so aus, als seien da die Bauherren aus Berlin dran, bis jetzt sieht man jedenfalls nur eine riesige Staubpiste. Ansonsten nahezu zen-mässige Leere. Pedro, der Fahrer, den wir angeheuert haben, ist gut drauf. Er hat mit unserer Bezahlung wahrscheinlich den Lohn für einen Monat drin. Geduldig wartet er vor der Tür, bis sich die Herrschaften genügend gewässert haben. Gegen Mittag füllt sich das Bad mit eher alten Patrons und ihren jungen Frauen. Man könnte sich vermutlich genau jetzt perfekt in der ecuadorianischen Oberschicht einschleimen. Doch die atemberaubende Natur, dieses dem Himmel ein Stück näher sein, diese wunderbare Stille laden ein zum Nichtstun. Oder allenfalls dazu, ein bisschen über das Leben zu philosophieren. Allerdings sollte man sich diese Aktivität zweimal überlegen, wenn man sich nicht den Tag mit trüben Gedanken versauen will. Es macht keiner der Anwesenden den Eindruck, als würde er auch nur ansatzweise mit Denken beschäftigt sein. Zudem brennt die Sonne hier oben selbst durch die Wolkendecke dermassen heiss, dass die Synapsen gern einmal auf Error schalten. Ein paar Kinder beginnen zu lärmen, sodass man sie am liebsten in einer der heissen Quellen ertränken möchte. Aber man ist ja kein Unmensch und lächelt die kleinen Racker stattdessen dummdreist an, was sie allerdings nur noch mehr motiviert, den Lärmpegel noch ein bisschen raufzuschrauben.
Am Himmel führen Sonne und Wolken unterdessen einen erbitterten Kampf. Am Ende setzt sich der glühende Feuerball durch. Der Müll wird hier oben übrigens akribisch getrennt, die Mülleimer sind in die Kategorien Plastik, Papier und Organisches eingeteilt. Zählen niños traviesos, freche Kinder, in letztere Kategorie? Am Pool der diskrete Hinweis doch bitte nicht vom Beckenrand zu springen. Bei einer knappen Tiefe von einem Meter selbst den Knirpsen nicht zu empfehlen. Von ebendiesem Rand äugt ein alter "General" wie ein lauerndes Nilpferd auf meine Oberweite. Hoffentlich hält sein Herz der Kombination aus heissem Quellwasser und drallen Tittel stand! Keiner möchte ein verendetes Savannentier aus dem Sprudelbad ziehen müssen. Ich träume unterdessen ein bisschen von meinem Geliebten zu Hause, seinen heissen Küssen, innigen Umarmungen und seiner Kunst, stundenlang, scheinbar interessiert meinen Elaboraten, die ich so absondere, zu lauschen. Gern möchte man sich einreden, dass eine Affäre komplett ohne emotionale Komponente auskommt. Aber im Grunde war es beim ersten Kuss bereits um mich geschehen. Ich darf jetzt nur nicht den Fehler begehen, ihm meine Angst, ihn zu verlieren, zu zeigen. Im selben Augenblick hätte ich für immer verspielt. Seine Angst wäre damit, insofern sie überhaupt existiert, ein für alle Mal verpufft. Der Respekt mir gegenüber und das Interesse an mir wären unwiederbringlich verloren und er würde sich einem anderen Objekt der Begierde widmen. Angst macht alles schwer. Angst macht schwach. Männer wollen, auch wenn sie das Gegenteil behaupten, keine schwache Frau. Ich weiss, Geliebte kommen und gehen. Und trotzdem will ich jeden Neuen wieder festhalten, das Gefühl in ein Einweckglas stecken und im Keller konservieren. Für später, wenn ich wieder allein bin, weil ich wieder nicht loslassen konnte und somit alles verloren habe. Vielleicht sollte man sich generell nur mit Menschen einlassen, von denen man sich ohne Schmerz wieder trennen kann. Die meisten scheuen ja das Risiko mehr, als dass sie das Glück, auch wenn es von kurzer Dauer sein mag, wagen. Verluste schmerzen nun einmal mehr, als Gewinne erfreuen. Und wie steht es beim 75-jährigen Ölbaron und seiner etwa 45 Jahre jüngeren, russischen Gespielin, die jetzt im Becken dümpeln? Alles Berechnung? Auf beiden Seiten? Oder doch Gefühle? Wenn ja, bei wem? Jedenfalls küsst er inbrünstig ihre Füsse, während sie ihm zärtlich über den Kopf streicht. In der Liebe ist schliesslich alles möglich. Möchte man sich zumindest einreden. Mit Sicherheit liebt sie. Sein Geld. Und er ihre Jugend. Auf der Rückfahrt nach Quito mahnen zig Schilder mit der Aufschrift reduzcar velicodad - drossle die Geschwindigkeit. Eignet sich auch sehr gut als generelles Lebensmotto.
In der La Ronda, der ältesten Strasse Quitos, geht am Freitagabend um Acht die Post ab. Selbstverständlich in für Unsereins noch immer strukturierten, gesitteten Bahnen. Also die stille Post, wenn man so will. 80-jährige Indiopaare, Familien mit mindestens fünf Kleinkindern und frisch Verliebte flanieren auf und ab. Wir sind zwar nichts von alledem, flanieren aber trotzdem mal mit. Alkohol und Drogen scheinen keine grosse Rolle zu spielen. Schade eigentlich. Wahrscheinlich fehlt das Geld dazu. Dafür veranstalten ausgefuchste Strassenkünstler kleine Lotterien: Wessen 1-Dollar-Los die Zahl trifft, die gezogen wird, kann sich ein Bild aussuchen. So verdient sich leicht das Doppelte bis Dreifache, als würden sie darauf warten, dass irgendein dahergelaufener Tourist sich durchringt, eines der Kunstwerke zu erstehen. La Ronda ist im Gesicht eine Kreuzung aus Spanien des 18. Jahrhunderts und dem heutigen Engadin. Mit hübschen kleinen Balkonen, von denen Begonien herabhängen und vor denen früher die Barden - oder wie immer das spanische Pendent heissen mag - ihrer Auserwählten von der Liebe sangen. Als ich dreimal kurz mit den Hüften wackle, schaut der Gatte mich an und mahnt: "Keine Exzesse!" Dann eben nicht. Im Inneren der la Ronda machen sich Südamerika, Asien, New Age und indianische Tradition breit, durchbrochen von ein paar abgefuckten Kaschemmen, in denen Karaoke zelebriert wird. Das Auswärtige Amt, der Reiseführer, Wolfgang und andere Besserwisser - alle warnten uns vor Ecuador. In den dunklen Gassen warten die bösen Jungs, heisst es.

Auch wir warten unsererseits auf die Verbrecher. Uns kommt allerdings nur ein Vegetarier unter, der vor fleischlichen Opfern eher zurückschrecken dürfte. Andererseits waren schon ganz andere Bestien Vegetarier...aber das ist eine andere Geschichte. Der ecuadorianische Kriminelle und wir: Irgendwie scheinen wir uns gegenseitig nicht zu finden. Denn wieder gehen wir nicht überfallen, nicht mit k.o.-Tropfen ausser Gefecht gesetzt, nicht ausgeraubt und nicht vergewaltigt unbehelligt und fröhlich zurück in unsere behagliche Klause. Sicherlich hat in Ecuador die Kriminalität zugenommen. Das hat sie allerdings in Zürich auch. Und sicherlich ist auch die Gewaltbereitschaft gestiegen. Kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn ich beispielsweise morgens mit dem Zug zur Arbeit fahre und mir die dummen Gesichter der Mitreisenden angucken muss. Wenn man allerdings diesen ewigen Angstschürern immer auf den Leim gehen und permanent mit latenter Angstfresse herumlaufen würde, könnte man auch gleich zu Hause bleiben. Vermutlich würde man dort dann von einem zugekoksten Investmentbanker versehentlich in der Zürcher Langstrasse von dessen Jaguar überrollt. Leben heisst, sich in ständiger Gefahr zu befinden. Andernfalls kann man schon mal die Abmessungen seiner künftigen Grabstätte abstecken. Kolumbien soll später übrigens seinem Ruf als Mekka der Kriminalität viel besser gerecht werden.
Fortsetzung folgt am Donnerstags, 21.3.2013

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