Sonntag, 1. September 2024

Digitaldesaster




Letzte Woche musste ich in "geheimer Mission" dringend nach Bern ins Parlament und wollte mir das Billett in der SBB-App kaufen. Die lehnte meine Kreditkarte jedoch ab, da meine Karte gesperrt sei oder abgelaufen oder mein Konto überzogen sei. Wäre mir alles neu, aber man weiss ja nie. 3 Min. bis zur Abfahrt. Ich versuche ein anderes Zahlungsmittel in der App zu aktivieren, was jedoch aus unerfindlichen Gründen fehlschlägt. 2 Minuten bis zur Abfahrt. Ich renne zum Automaten, vor dem eine Migrantin steht und irgendetwas ausprobiert. Ich atme einmal schwer ein und aus. Sie schrickt zusammen und meint: "Muess schnell gehe?" Ich nicke, sie tritt zur Seite. Ich sage "Nee, so war das nicht gemeint, Sie können ruhig Ihr Ticket..." Sie: "Ticket schon." Ich tippe wie eine an Hysterie Erkrankte auf dem Bildschirm herum, der Preis ist doppelt so hoch wie in der App. Ich fluche. Frau: "Habe Halbtax?" Gut, wenn jemand mitdenkt. Als ich zahlen will, sind am Automaten alle Zahlungsmöglichkeiten mit einer Karte generell gesperrt. 1 Minute bis zur Abfahrt. Glücklicherweise habe ich einen Schein dabei, der auch nur einmal wieder rausflutscht, und kann beim zweiten Versuch mit Bargeld zahlen und erreiche in letzter Sekunde den Zug. Ich frage mich, ob ich Strafe für Schwarzfahren hätte zahlen müssen, wo doch alle Bezahlmöglichkeiten blockiert waren. Im Zug kann man ja nicht mehr zahlen und die Schalter wurden fast alle abgeschafft. Ich versuche panisch (Warum ist meine Karte gesperrt, wurde mein Konto leergeräumt?) ohne Brille - vergessen - die winzige Notfallnummer des Kartenanbieters auf der Rückseite der Kreditkarte zu entziffern. Ein aussichtsloses Unterfangen. Gut, dass das Handy eine Kamera hat, mit der man zoomen kann. Ich merke mir sogar die Nummer beim ersten Versuch, was mich doch einigermassen erstaunt. Dann hänge ich 15 Minuten in der Warteschleife, währenddessen ich mich etwa zwanzig Mal entscheiden muss, ob ich Taste 1, 2 oder 3 wählen möchte. Zur Identifizierung meiner Person werde ich aufgefordert, mir den Code, der an meine Bank-App gesendet wurde, zu merken. Da ist aber keine Nachricht, geschweige denn ein Code. Dabei falle ich um ein Haar aus der Leitung. Beim Telefonieren dockt sich mein Metallohrring ständig an die magnetische Hülle meines Smartphones an. Ergebnis des Telefonats: Mit meiner Kreditkarte ist alles in Ordnung. Mein Jacke fällt in den Dreck - putzt eigentlich niemand den HB? - ich bin schweissgebadet und verpasse vor lauter Koordinationsaufgaben - Jacke aufheben, Handy, Sonnenbrille halten, Kreditkarte zurück ins Mäppchen schieben, Anzeige studieren, wo der nächste Zug abfährt, auf die Uhr schauen, Schweiss unterm Pony wegwischen - meinen Anschlusszug. Am Ende stellt sich heraus, dass es Störungen im Twint-System gibt und daher Zahlungen in der SBB-App darüber nicht möglich sind. Warum sagt mir die App das nicht, wenn ich versuche über Twint zu zahlen? Stattdessen gibt sie erst einmal die Schuld meiner Karte, also mir, der Kundin. Konto überzogen, ich glaub', es hackt! Fazit: Pläne zur Abschaffung von Bargeld würde ich vorerst vertagen. Erst kürzlich konnte ich als Einzige im Migros meine Einkäufe zahlen, weil sämtliche digitalen Bezahlsysteme, ausser das Kassensystem, lahmgelegt waren. Ich rate zudem davon ab, das Haus ohne Lesebrille zu verlassen.

Fazit 2 am Ende dieses Tages: Ich hatte eine kurze Version dieses Vorfalls auf FB gepostet. Wenn ich etwas über meine Kunst oder Schreibe poste, ist das Interesse weitaus geringer als an dieser Meldung. Sollte ich den Beruf wechseln? Zudem erhielt ich Ratschläge, wie ich meine nicht funktionierende Kreditkarte durch reiben an meiner Kleidung wieder fit mache und Vorträge pro und contra Abschaffung von Bargeld. Eigentlich wollte ich auch mal nur ein bisschen meckern. Global gesehen ist das natürlich lächerlich, aber was muss, das muss.