
Unsere
Schneller-höher-weiter-Mentalität führt uns direkt in den Abgrund, den wir uns
selbst ausgebaggert haben. Wir stehen an der Peripherie einer globalen
Katastrophe. Die Frage ist nicht ob oder wann es zum Kollabieren kommt, sondern
was zuerst kollabiert: Unsere Expansionswirtschaft oder das Klima und damit die
Lebenswelt der Menschen, Tiere und Pflanzen. Bereits vor rund fünfzehn Jahren
wurden neun potenzielle Kippelemente im Erdklimasystem ausgemacht, bei denen
der Kipp-Punkt bereits 2100 erreicht sein dürfte*1. Inzwischen sind es um die
zwanzig. Diese reichen vom Abschmelzen des arktischen Meereises und des
grönländischen, westantarktischen und Teilen des ostantarktischen Eisschildes
über das Schwinden der tibetischen Gletscher, den Zusammenbruch des indischen
Sommermonsuns, die Entwaldung des tropischen Regenwaldes bis hin zu Methan- und
Kohlendioxidemissionen aus tauenden Dauerfrostböden (Permafrost), zur
Austrocknen des nordamerikanischen Südwestens, zur Abschwächung der marinen
Kohlenstoffpumpe, zum Absterben von Korallenriffen und der Destabilisierung des
Jetstreams, um nur einige zu erwähnen. Die verheerenden Folgen wie Fluten
und Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren, Brände oder die Zunahme von
Wirbelstürmen sowie die daraus resultierenden Hungerkatastrophen, verbunden mit
einer wachsenden Zahl an Klimaflüchtlingen, sind bereits heute allgegenwärtig
und dürften keinem entgangen sein.
Die
so genannte «Letzte Generation» klebt sich verzweifelt auf Straßenbelägen
fest und bewirft millionenschwere Kunstwerke mit Kartoffelbrei. Der lächerliche
Versuch modernen Rebell:innen sich mit zweifelhaften Mitteln des zivilen Ungehorsams Gehör
bei der Obrigkeit zu verschaffen und diese zu Maßnahmen gegen den Klimawandel
zu bewegen. Engagement von Aktivisten und Aktivistinnen ist zwar löblich, wird
aber vermutlich an den Betonköpfen der Politiker und auch vieler
Mitbürger:innen abprallen. Denn die Methoden der Klimakleber finden keine
Mehrheit, im Gegenteil, man spricht über sie – oder regt sich auf – , das
eigentliche Thema gerät dadurch aber ins Hintertreffen
Wir roden ganze
Landstriche ab, etablieren auf riesigen Flächen Monokulturen und versiegeln
Städte in der Grösse von Kleinstaaten. Wir werfen Tonnen an Lebensmitteln weg,
anstatt sie an Bedürftige zu verteilen. Wir bestehen auf unser «Recht» auf
einen Parkplatz für unseren SUV, anstatt kurze Wege zu Fuß zurückzulegen oder
zumindest unseren Zweitwagen abzuschaffen. Wir beruhigen unser schlechtes
Gewissen, indem wir Kompensationszahlungen leisten, wenn wir fliegen. Mit
dieser Art modernen Ablasshandels lügen wir uns nur selbst in die Tasche. Verzicht
steht bei den meisten von uns nicht wirklich auf der Agenda.
Arm gegen Reich, Jung
gegen Alt, Schwarz gegen Weiß, krank gegen gesund, Frauen gegen Männer gegen
alle anderen Geschlechter, Autofahrer gegen Fahrradfahrer … wir befinden uns in
einem Dauerkampf, in dem es am Ende nur darum geht, wer Recht hat. Im sturen
Gegeneinander sind uns das Miteinander und der Blick fürs Große Ganze abhandengekommen.
Zwar haben Coronakrise und Ukrainekrieg bewiesen, dass es auch anders geht:
Solidarität und Hilfsbereitschaft waren selten so groß wie in dieser momentanen
Krise. Gleichzeitig war die Gesellschaft noch nie so gespalten wie heute,
verbreiten sich absurde Verschwörungstheorien schneller als die nächste
Covidvariante und haben Aggression und Gewaltbereitschaft rasanter zugenommen
als dieser Tage.
Der Mensch unterbricht
den natürlichen Kreislauf. Der Preis für den Drang nach Mehr an materieller
Freiheit ist hoch: Nutzbare Ressourcen verflüchtigen sich, während sich
ökologische Schäden mehren. Die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren leidet
massiv. In den kommenden Jahrzehnten werden vermutlich ganze Landstriche unbewohnbar
werden.
Die «großen» Nationen
sitzen die Krisen unserer Tage unterdessen auf internationalen Konferenzen aus,
deren Verhandlungsergebnisse regelmäßig durch ein paar Autokraten einschlägiger
Schurkenstaaten boykottiert werden. Politiker stehen immer vor der nächsten
Wahl und machen sich fast immer zur Hure irgendeiner Wirtschaftslobby. Und wird
einmal etwas einstimmig beschlossen, dauert die Umsetzung Ewigkeiten und
beanspruchen Einzelne immer eine Sonderregelung und Ausnahme für sich. Viele
Staaten bekommen ihre CO2-Emissionen zudem nicht in den Griff, weil nationale
Interessen im Fokus stehen und sich Diskussionen oft um die Schuldfrage und
Kostenübernahme statt um Lösungsvorschläge drehen.
In
unserem hiesigen Wirtschaftssystem gilt Wachstum als gesetzte Größe. Je größer die
Wirtschaftskraft einer Gesellschaft, desto einfacher lassen sich die
Bedürfnisse aller befriedigen. Sie lief es seit dem Wirtschaftswunder in den
1950er Jahren und läuft es noch heute. In Europa leben wir aber längst im
Überfluss. Große Teile der Bevölkerung in der westlichen Welt muss sich keine
Sorgen um Hunger machen, oder darum, kein Dach über dem Kopf zu haben. Aber das
gilt eben selbst in unseren Breitengraden nicht für jeden: Die Schere zwischen
Arm und Reich wird zunehmend größer. Mehr als jedes fünfte Kind wächst
in Deutschland in Armut auf. Das sind 2,8 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18
Jahren*2. Wohnungen in Städten und Ballungsgebieten werden unbezahlbar. In der
Schweiz waren 2023 rund 2200
Menschen obdachlos, 8000 stehen kurz davor, ihre Wohnung zu verlieren. *3 Viele
Rentner in der westlichen Welt kommen mit ihrer Pension nicht über die Runden. Schweizer
Pensionäre hingegen bilden dabei einen Sonderfall: Sie besitzen mit Abstand das
meiste Vermögen. Eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz von 2021
brachte zutage, dass sich bei den meisten helvetischen Rentnern die Ersparnisse
im Alter sogar mehren, anstatt zu schrumpfen und ein «Entsparen» praktisch
nicht stattfindet. In den meisten Ländern ist es genau umgekehrt. Und auch ein
Fünftel der Schweizer Pensionierten hat am Ende eines Arbeitslebens nichts und
muss vom Staat unterstützt werden. Eine kleine Umverteilung wäre an dieser
Stelle nicht das Verkehrteste.
Global
betrachtet besaß 2020 etwa 1,2
Prozent der Weltbevölkerung rund 47,8 Prozent, 53 Prozent hingegen lediglich
1,1 Prozent des weltweiten Vermögens. *4
Jeff Bezos und Elon Musk
unternehmen lieber Privatreisen ins All, anstatt Nützliches für die
Gemeinschaft zu tun. Die Ticketpreise für Musks SpaceX-Flug für vier
steinreiche Weltraumtouristen bezifferte das «Time Magazine» auf 200 Millionen
Dollar. In elf Minuten im All sollen geschätzt 75 Tonnen CO2 pro Passagier
ausgestoßen werden – so viel, wie die ärmste Milliarde der Menschheit in ihrem
gesamten Leben verursacht.
Trotz stetem Wachstum
sind soziale Ungleichheiten gewachsen, Ressourcen signifikant geschrumpft und
jede Menge Blasen geplatzt. Wir investieren viel Geld in Dinge ohne Substanz.
Was heute en vogue ist und Goldkrämerstimmung verursacht, ist morgen ein Hype
von gestern, der Verluste und Depressionen mit sich brachte. Auch dass das
Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsgradmesser vermutlich ungeeignet ist, sagen
zahlreiche Wissenschaftler:innen: Leistungen wie Care- und Freiwilligenarbeit,
die dem Gemeinwohl dienen, sind darin nämlich nicht enthalten, Leistungen, die
nichts zu unserem Wohl beitragen, wie beispielsweise die Beseitigung von Umweltschäden,
hingegen schon. Die eigentlich Wertschöpfung wird damit also nur bedingt
abgebildet.
Muss die Wirtschaft also
wirklich immer weiterwachsen? In gewisser Weise bleibt uns – momentan – nichts
anderes übrig. Sobald sich ein Unternehmen im Wettbewerb befindet, muss es
wachsen, seine Konkurrenten preislich unterbieten und innovativer werden. Wer
still steht, geht unter, wer keine Gewinne erwirtschaftet, hat kein Geld für
Innovationen oder Rücklagen für Krisenzeiten. Nationen, die dem Stand der
Technik hinterherhinken, fallen zurück und aus dem internationalen Wettbewerb
heraus, die Gesellschaft würde an finanziellem Wohlstand einbüssen. Einerseits
führen utopische Erwartungen und unkontrolliertes, globales Wachstum zu
dystopischen Zuständen. Andererseits kann in einer globalisierten Wirtschaft
die Drosselung des Wachstums in den Industriestaaten zur Existenzbedrohung für
Menschen in Entwicklungsländern führen.
Wie also rauskommen aus
diesem Teufelskreis? Eine Lösung wäre ein duales Geldsystem, bestehend aus
einer Staats- und verschiedenen Komplementärwährungen, sowie die schrittweise
Ablösung des Fiatgeldes*5. Während diese nationalen Währungen in den
internationalen Wettbewerb eingebunden und nach starker Kaufkraft und positiven
Handelsbilanzen bemessen werden und somit schwache Volkswirtschaften auf der
Strecke bleiben, ermöglichen Komplementärwährungen regionale Verbundenheit und
Sicherheit. Die primäre Geldschöpfung des Fiatgeldes erfolgt über Bankkredite,
die nach Kriterien wie Gewinn, Rendite und Zinsen vergeben werden. Die Folge
ist eine permanente Wirtschaftsexpansion. Die Geldmengen übersteigen die Leistungen
der Realwirtschaft um ein Vielfaches. Bei einer Komplementärwährung, die in
kleinem Rahmen vielerorts bereits existieren, stehen Kooperation und
gesellschaftliche Wertschätzung im Vordergrund. Die Geldschöpfung passiert über
den realen Bedarf. Menschen organisieren sich lokal über Netzwerke, in denen
man Güter oder Dienstleistungen tauscht, teilt, verleiht oder verschenkt, wenn
man sie nicht mehr benötigt. All das passiert aus den Gesellschaften und ihrer
direkten Lebenswelt heraus und ist nicht gewinnorientiert. Die Geldmenge
entspricht den realen Bedürfnissen.
Allem voran ist ein
Umdenken unabdinglich. Wachstum sollte zugunsten eines nachhaltigen Lebensstils
als substanzielles Ziel abgeschafft werden. Eine Komplementärwährung, die Care-
und Kreislaufwirtschaften aus der Gemeinschaft heraus ermöglicht, stellt eine
wirksame Alternative dar, um drohende Katastrophen zwar nicht gänzlich zu
verhindern, doch zumindest abzuwenden.
Quellen:
1* Kippelemente
im Klimasystem der Erde. Potsdam-Institut
für Klimafolgenforschung, 5. Februar 2008, abgerufen
am 17. Januar 2023.
*2 Bertelsmann-Stiftung 2022
*3 «Obdachlosigkeit in der Schweiz»,
Hochschule für Soziale Arbeit Nordwestschweiz (FHNW) im Auftrag des Bundesamtes
für Wohnungswesen (BWO) 2022
*4 Statista 2022
*5 Als Fiatgeld oder auch Fiatwährung wird
eine nationale Währung bezeichnet, die nicht an den Preis eines Rohstoffes
wie Gold oder Silber gebunden ist, also physisches Geld wie beispielsweise der
US-Dollar, Schweizerfranken oder Euro. Fiatwährungen werden in der Regel durch
die Regierung oder die Zentralbank des jeweiligen Landes herausgegeben.